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Ausgabe:

1962

Spalte:

299-301

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hirsch, Emanuel

Titel/Untertitel:

Zwiesprache auf dem Wege zu Gott 1962

Rezensent:

Müller, Norbert

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299

Theologische Litcraturzeitung 1962 Nr. 4

300

Rockefeiler-Stiftung ermöglicht. Damit schrumpft der Anteil
der deutschen Forschung merklich zusammen, zumal man auch
den Beitrag von E. Bodzenta über den Versuch einer sozialreligiösen
Typologie der katholischen Pfarren nur bedingt mitzählen
kann, weil er schlechthin für Europa und darüber hinaus
gilt und mehr österreichisches als deutsches Material benutzt.
Als protestantischer Beitrag bleiben die Referate über schon erfolgte
Publikationen durch Köster (s. o.) und T. Rendtorff (Die
soziale Struktur der Gemeinde, 1959"; s. ThLZ 1959, Sp. 465 ff.)
und der Aufsatz von P. Dienel über freikirchliche Gemeinden.
Neben den protestantischen stehen zwei katholische Arbeiten.
W. Suk zeichnet das Bild einer Großstadtpfarre aus dem Material
der Wiener St. Nepomuk-Gemeinde, W. Menges das Bild
Schleswig-Holsteiner Diasporagemeinden in der Dynamik der
Nachkriegszeit. Den Feststellungen Rendtorffs, daß in den ev.
Gemeinden Schleswig-Holsteins die Nichtteilnahme am Gottesdienst
die Regel sei, stellt Menges folgende Sätze gegenüber:
„Demgegenüber entwickeln die örtlichen katholischen Minderheiten
, wenngleich auch bei ihnen in der Regel nur der kleinere
Teil regelmäßig den sonntäglichen Gottesdienst besucht, ein
eifriges Kirchenleben, so daß sich vielerorts der Gottesdienstbesuch
der kleineren katholischen Gruppen zahlreicher darstellt
als derjenige der weitaus überwiegenden protestantischen Gemeindemitglieder
. Diese Situationen wurden besonders dort
offensichtlich und bewußt, wo die Katholiken für ihre Gottesdienste
evangelische Kirchen in Anspruch nehmen mußten"
'(169). — Ergänzt werden die Ausführungen durch Teil III, in
dem zunächst die katholische und evangelische Kirchenstatistik
kenntnisreich ausgebreitet wird, allerdings nicht unter einheitlichen
Gesichtspunkten; die Ausführungen des katholischen
Mitarbeiters gehen auf die Frage der religiösen Praxis, auf die
es hier entscheidend ankommt, genauer ein als die der evangelischen
Seite. Eine ökumenische Bibliographie zur Soziologie der
Kirchengemeinde, nach Ländern geordnet, schließt das ausgezeichnete
Studienwerk ab.

Rostock Gottfried Holt7

Bernau, Heinz: Das Problem der Kerngemeinde. Erwägungen zum
theologischen Begriff und zur praktischen Aufgabe.
Pastoralblätter 101, 1961 S. 388—410 und 494—508.

Da hm, Karl-Wilhelm: Soziologische Aspekte zur Stellung des evangelischen
Pfarrers in der heutigen Gesellschaft.
Kirche in der Zeit 16, 1961 S. 455—460.

Dreyfus, Francois-Georges: Religionssoziologie in Frankreich.
Zeitwende XXXII, 1961 S. 327-333.

Oppen, Dietrich von: Strukturfragen der christlidien Gemeinde in
der mobilen Welt.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1961 S. 293—306.

PRAKTISCHE THEOLOGIE: ALLGEMEINES

Hirsch, Emanuel: Zwiesprache auf dem Wege zu Gott. Ein stilles
Buch. Düsseldorf: Diedcrichs [i960]. 311 S. 8°. Lw. DM 17.80.

Für den modernen Leser haftet dem Begriff des „Erbauungsbuches
" leicht etwas Suspektes an; er ruft fast unweigerlich Vorstellungen
von Langweile, Verharmlosung, Enge hervor. Emanuel
Hirsch geht es um die innere Wahrhaftigkeit christlicher
Glaubenshaltung in unserer Zeit. So ist es verständlich, daß er
sich von vornherein dagegen verwahrt, sein neues Buch durch
„die berufsmäßigen Beurteiler von Büchern" schlechthin und
ohne Einschränkung unter die Erbauungsbücher einordnen zu
lassen, — um dann freilich den Titel „erbaulich" in einem kritisch
vertieften Sinn für sein Buch dennoch in Anspruch zu
nehmen.

In sechs größeren Abschnitten und je einem kürzeren Ein-
leitungs- und Schlußkapitel werden insgesamt 44 Betrachtungen
dargeboten, die nicht im Sinne einer strengen Systematik, aber
nach deutlich erkennbaren thematischen Gesichtspunkten einander
zugeordnet sind. Im ersten Hauptabschnitt („Der heimlich Gegenwärtige
") wird die allgemeine Problematik des Gottesglaubens
erörtert; es folgen Betrachtungen über die letzten Dinge („Tod
und Ewigkeit"); zwei Abschnitte behandeln Fragen des menschlichen
Ethos und des Gewissens („Leid und Liebe" und „Schuld
und Schicksal"); ein Abschnitt ist der persönlichen Frömmigkeit
im engeren Sinne gewidmet („Weltleben und Gottinnigkeit");
der letzte Hauptabschnitt schließlich geht auf die besonderen Fragen
und Schwierigkeiten des Cftristusglaubens heute ein („Bild
und Wesen"). Es ist also, sicher bewußt, vermieden, den Aufriß
des Buches dem herkömmlichen Schema der christlichen Glaubenslehre
anzugleichen: Es soll nicht eine Laiendogmatik, sondern
eine keiner kirchlich-theologischen Überlieferung verpflichtete
Auseinandersetzung mit wesentlichen Fragen des Glaubenslebens
vorgelegt werden. Die einzelnen Betrachtungen sind formal geschlossen
und bis zu einem gewissen Grade selbständig; Überschneidungen
sind daher nicht vermieden, sind aber dem Verständnis
eher dienlich, ohne unnötig zu belasten.

Alle Betrachtungen sind unter Leitworte gestellt. Die dazu
gewählten Bibelworte sind mit einer Ausnahme dem Neuen
Testament, meist den Evangelien und den Paulusbriefen entnommen
; daneben finden sich aus den Gesangbüchern bekannte
Liedstrophen und -verse und Dichterworte von Angelus Silesius,
Goethe, Novalis, Ibsen, J. P. Jakobsen, Rilke und anderen. Eigene
Verse des Verfassers sind in den Text eingestreut, eröffnen und
beschließen die „Zwiesprache".

Es entspricht der persönlichen Haltung des Verfassers und
der Absicht dieses Buches, daß eine innere Beziehung zur kirchlichen
Verkündigung ausdrücklich abgelehnt wird. Es fehlt nicht
an scharfer, ja, bissiger, dem Charakter dieses „stillen Buches"
merkwürdig zuwiderlaufender Polemik gegen Kirche und Theologie
. Wohl wird zugestanden, daß es unter den „Theologen . ..,
Professoren wie Bischöfen wie Pfarrern. . . auch gute und redliche-
Leute" gibt (S. 66). Aber die Neigung, eine Voretellungswelt zu
konservieren, von der heute „beinah jede Küchenmagd" wisse,
„daß die Sache nicht stimmt" (S. 65), wird ihnen nachdrücklich,
aber in dieser Verallgemeinerung doch wohl auch unbillig vorgehalten
. Hirsch hat es sich zur Aufgabe gemacht, denen zuzusprechen
, die nicht „Kirchenchristen" sein wollen und können.
Mit ihnen fühlt er sich solidarisch; um ihretwillen darf die Bibel
nicht „Kirchenbuch" bleiben, denn es gilt, für sie-,«einen Weg freier
menschlicher Aneignung der letzten heimlichen Wahrheiten des
Christlichen" zu finden (S. 13 f.). So ist es verständlich, daß die Betrachtungen
nicht einer im Überkommenen gesicherten Glaubenshaltung
, sondern dem Zweifel ihre stärksten Impulse verdanken;
es kommt geradezu zu einer Seligsprechung des um der Wahrhaftigkeit
willen Ungläubigen (S. 173—179). So wird denn in
fast allen Betrachtungen der Leser den gleichen Weg geführt, der
ausgeht von der zweifelnden Frage (die angenommen und in>
ihrem Recht bestätigt wird), dann zur Einkehr und Selbstbesinnung
leitet, um schließlich in ein oft sehr persönliches Bekenntnis
zu der dem Aufrichtigen sich dennoch erschließenden Glaubensmöglichkeit
zu münden. Hirsch weiß, daß der Mensch letztlich
nicht über diese Möglichkeit verfügen kann, sondern in
Demut warten muß, „bis daß Gott das Entscheidende tut"
(S. 308).

Ein solches Buch darf als beachtenswerter, in der gegenwärtigen
theologisch-kirchlichen Situation sehr aktueller Gesprächsbeitrag
betrachtet werden, als ein notwendiger Vorstoß aus der
innertheologischen Diskussion in den Wirkungsbereich der praktischen
Theologie. Sein wissenschaftliches Lebenswerk legitimiert
den Verfasser vielleicht in besonderer Weise zu einem solchen
Versuch; der menschliche Ernst seiner Aussage fordert die
Achtung des Lesers.

Hirschs theologische Position ist bekannt (vgl. ThLZ 1958,
Sp. 514—517); eine Auseinandersetzung mit den von ihm auch
im vorliegenden Buch vertretenen Grundsätzen der Text-, Dogmen
- und Kirchenkritik würde den Rahmen einer Buchanzeige
sprengen. Nur zwei kritische Fragen, die sich aus der besonderen
Aufgabenstellung eines derartigen Buches ergeben, seien hier
berührt. Wie erwähnt, stellt Hirsch an den Beginn seines
Buches eine Erörterung über das Erbauliche (S. 9—12). Er möchte
zwischen falscher Objektivität und falscher Subjektivität den
schmalen Weg echter „Subobjektivität" gehen, auf dem die Gedanken
„immer in der freien Schwebe sind zwischen dem Ewigen
und dem Herzen". So notwendig die Kritik an den damit gekennzeichneten
Einseitigkeiten auch ist, so wenig kommt doch Hirsch