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Ausgabe:

1962

Spalte:

293-295

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Abendmahlshandlung und Konsekration 1962

Rezensent:

Peters, Albrecht

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293

Theologische Litcraturzeitung 1962 Nr. 4

294

Kinder, Emst, u. Wolfgang Schanze: Abendmahlshandlung und
Konsekration. Die Bedeutung der Einsetzungsworte beim Abendmahl
nach lutherischem Verständnis. Von E. Kinder. Die Konsekrationspraxis
in der lutherischen Kirche. Von W. Schanze. Berlin: Luth. Verlagshaus
1961. 48 S. 8° = Luthertum, hrsg. v. W.Zimmermann,
F. Lau, H. Sdilyter, J.Pfeiffer, H. 25. Kart. DM 4.80.

Diese kleine Schrift enthält zwei Referate, die am 25. Oktober
1960 vor dem Theologischen Ausschuß der VELKD gehalten
worden sind. Ernst Kinder referierte über: Die Bedeutung der
Einsetzungsworte beim Abendmahl nach lutherischem Verständnis
(S. 7—26) und Wolfgang Schanze über: Die Konsekrationspraxis
In der lutherischen Kirche (S. 27—48).

Ernst Kinder zeigt in seinem theologischen Grundsatzreferat auf,
wie stark die Reformation der abendländischen Entwicklung der Kirche
verhaftet bleibt. Seit Ambrosius und Augustin heben sich im Westen
aus dem eudiaristischen Hodigcbet die Einsetzungsworte heraus. Im
Hochmittelalter spitzt 6ich die Frage noch stärker auf die Wandlung der
Elemente zu; aus dein Gesamt der Verba testamenti wird das Wort
zum Brot und zum Kelch besonders unterstrichen. Luther vertieft diesen
scholastisch - thomistischen Gedankengang und bindet ihn wieder
hinein in die Sakramcntshandlung, indem er nach dem stiftungsgemäßen
Vollzug des Abendmahls fragt. Unser Feiern des Abendmahls gründet
nicht in unserer pneumatischen Freiheit, es ist erwachsen aus einer
geschichtlichen Urstiftung Christi. Deshalb muß die Anamnese Christi
als „Anamnese seines stiftenden Mahles" vollzogen werden (P. Brunner
in Leiturgia I, S. 239). In dieser Anamnese, die ihre Gewißheit aus Jesu
Wiederholungsbefehl gewinnt, gedenken wir nicht eines Verstorbenen;
der Auferstandene ist in der Kraft des Geistes unter uns und konse-
kriert durch Hand und Mund seines Dieners die ausgesonderten Gaben
der Schöpfung. Da6 Sakramentsgeschehen ist charakterisiert durch
die ,.Aktionsrichtung . . . des verbum Dei: von Gott zu uns" (S. 14).
Weder wir noch auch Christus bringen Gott etwas dar; Gott der Vater
schenkt sich uns im Sohn durdi den Heiligen Geist. Das Abendmahl
ist nicht unser Opfer an Gott, sondern Gottes Hingabe an uns. Die
Einsetzungsworte als schöpferi6dies Handeln bewirken Christi Realpräsenz
unter den Elementen; doch dieses Geschehen drängt auf den
Empfang hin. Das Wort konstituiert und appliziert die Präsenz von
Leib und Blut Christi. Es ist nicht ein „Deutelwort", sondern ein
..Tätelwort", nicht ein deutender Kommentar, sondern ein Machtwort,
das bewirkt, was es zusagt. Die Einigung zwischen Christi Leib und
Blut und den dargereichten bzw. empfangenen Gaben der Schöpfung ist
eine ,,unio sacramcntalis" und als solche „analogielos" (S. 19). Sie ist
„kraft des Wortes gegeben, das ist ihr terminus a quo", und sie ist
..laut dieses Wortes nur für den Empfang gegeben, das ist ihr terminus
ad quem" (S. 22). So sind wir gewiß, daß Christus unter den Elementen
uns zum Heil nahe ist von der Konsekration bis zum Empfang
(vgl. S. 25).

Diese grundlegenden Ausführungen Kinders werden gestützt durch
Wolfgang Schanzes Analyse der Konsekrationspraxis in der lutherischen
Kirche. Sie bekräftigt, daß man den Herrn unter dem Dargereichten und
Empfangenen sehr konkret gegenwärtig glaubte. So war die Nachkonsekration
allgemein üblich; die übriggebliebenen Partikel wurden
sorgfältig verzehrt; von Kranken oder Sterbenden nicht genommene
Hostien wurden verbrannt, verschütteter Wein von Luther selbst mit
dem Munde aufgesogen. Das Darreichen einer nichtkonsekrierten Hostie
wie das Zurücklegen einer konsekrierten zu den unkon6ekrierten erschien
Luther als ein schwerer Verstoß. Dieser sorgfältige und demütige
Umgang mit den geweihten Gaben, den wir weit in das 17. Jahrhundert
hinein beobachten können, ist uns fremd geworden. Die gegenwärtigen
Ordnungen tasten sich vorsichtig und behutsam zur Klarheit der
feformatorischen Väter zurück.

Beide Arbeiten sind förderlich und hilfreich zur Neubesin-
«ung auf ein rechte« Sakramentsverständnis wie auf die angemessene
Verwaltung des Abendmahls. Sie konnten nicht den gesamten
Umkreis des zu Bedenkenden ausschreiten, so sind einige
Verkürzungen entstanden, auf die kurz hingewiesen sein soll.

Wolfgang Schanze schließt seine Darstellung mit einem vorsichtigen
Ja zur reformatorischen Praxis, indem er sagt: Wurden
Wir den dogmatischen Grundsatz: Extra usum nullum sacramen-
lum „konsequent intellektuell durchziehen", so könnten wir uns
der meisten Probleme entschlagen; die altlutherische Prax'S
deute jedoch auf „Imponderabilien" hin, die tiefer als alle
intellektuelle Konsequenzmacherci lägen. Audi heute gelte es, in
Ehrfurcht die rechten Entscheidungen zu treffen (S. 47 f.). Diese
Gedanken sind sicher richtig; Luthers zentrale Intention geben
«'e jedoch nicht wieder. Für Luther ist es exegetisch eindeutig,
was die Forschung neu zu sehen beginnt, daß die Zusage der

blutes sich nicht auf den Akt des Darreichens, sondern auf das in
ihm Dargereichte bezieht. Zwar kann ich mit Gewißheit sagen:
Extra usum nullum sacramentum, ich kann den usus jedoch
nicht auf das Moment der sumptio reduzieren, hätten die verba
dann doch lauten müssen: Indem ihr es esset, ist das Brot mein
Leib; indem ihr daraus trinket, ist in dem Kelch mein Blut. Da
sie aber einen gewissen Spielraum zwischen der Weisung und der
Zusage offenlassen, können die von Luther gefürchteten Skrupel
über die Dauer der Gegenwart des Herrn unter den Elementen
entstehen. Ich kann sie niederschlagen, indem ich durch eine dogmatische
Schlußfolgerung diesen in den Verba testamenti sichtbaren
Spielraum auf die sumptio eingrenze. Dann stehe ich aber
nicht mehr auf dem Wortlaut des Textes, sondern auf meiner
eigenen Deutung. Luther hatte zu viele Anfechtungen erlebt, um
seine Gewißheit auf einen derartigen Flugsand zu gründen. Er
sah mir einen Weg offen: das Übrigbleibende im Gottesdienst
selber vom Pastor und den Kirchenältesten verzehren zu lassen.
Das war bei der festen Anmeldung zum Abendmahl ohne weiteres
möglich. Bei unseren großen Abendmahlsfeiern geht es oft
nicht mehr; selbst das nachherige Verzehren in der Sakristei
dürfte manchmal nicht mehr sinnvoll sein. Es bliebe eine andere
Möglichkeit, vielleicht wird sie von diesem oder jenem unter uns
praktiziert; sie zeigt, daß wir in der Freiheit der Kinder Gottes
an Jesu Nahesein unter den irdischen Elementen glauben. Wir
danken ihm, daß er sich von uns zum Heil hat „tappen und greifen
" lassen, und bitten ihn, er möge wieder zurückkehren in
seine unbegreifliche, hoheitliche Allgegenwart. (Ob man dazu
ein agendarisches Gebet schaffen sollte?)

Problematisch an der Arbeit von Ernst Kinder scheint mir
zu sein, daß er die Einsetzungsworte so überscharf einspannt in
die „Aktionsrichtung . . . des verbum Dei: von Gott zu uns"
(S. 14). Tut man dies, so ist es nicht verwunderlich, daß der Vorschlag
von Wolfgang Metzger auftaucht, man solle die Spendc-
formel als die eigentlichen Konsekrationsworte verstehen (Die
Funktion von Einsetzungsbericht und Spendeworten in der
Abendmahlsliturgie, ELKZ 1960, Nr. 19, S. 292-295). Sicher hat
auch die Spendeformel eine konsekratorische Seite, würde man
jedoch alles auf dieses Moment zuspitzen, so löste sich die Gegenwartszusage
aus dem Grunde der geschichtlichen Stiftung heraus,
zugleich individualisierte sich die Synaxis (vgl. Kinder, a. a. O.
S. 11. Anm. 5). Es bleibt zugleich die tieferdringende Frage, ob
diese durch Bultmanns. Theologie geprägte Engführung nicht bereits
in Luthers Verständnis der Einsetzungsworte angelegt sei.
Dies scheint sich zu bestätigen, wenn Kinder 6elber sagt: Eine
„besondere Epiklese sei nach dem Lautgewordensein der Einsetzungsworte
" nicht nötig (S. 16).

Sicher ist eine Epiklese nicht nötig, aber vielleicht ist sie
sehr angemessen? Hier meldet sidi das Problem der Zuspitzung
auf das „pro me". Es wäre verhängnisvoll, wenn der von Luther
scharf herausgestellte Gabecharakter des Abendmahls, wenn dessen
indikativische Zueignung an die einzelnen Gläubigen den
weiten Raum des betenden Vollzuges preisgeben würde, in derrj
die Anamnese der Heilstaten Gottes seit dem Alten Testament
steht. Trotz der Analyse des Wiederholungsbefehls durch Joachim
Jeremias (Die Abendmahlsworte Jesu, 3. Aufl. 1960, S. 229 ff.)
dürfte die römisch-katholische Theologie zu weit gehen, wenn
sie unser Tun einfach als wirkkräftig einbezieht in Jesu Opfer-
darbringung vor Gott. Christus ist in personaler Hoheit ein für
allemal eingegangen in das himmlische Heiligtum und bleibt als
Mittler zwischen uns und dem Vater. Dennoch gilt für das Abendmahl
, wie Luther vor allem in 6einen frühen Schriften gezeigt
hat: wir berufen uns unter Bezugnahme auf Jesu Stiftung darauf
, daß unser Opferlamm vor dem Vater 6teht, und erflehen, er
möge im Geist durch sein Wort und unter Brot und Wein in uns
eingehen, uns teilzugeben an seinem allgenugsamen Opfer und
uns wie diese Welt in die Bewegung auf den neuen Himmel und
die neue Erde zu hineinzureißen. Luthers Drängen auf die all
unserem gläubigen Tun vorgeordnete Gewißheit der Gegenwart
des Herrn kraft und laut seiner Stiftung will und darf die Proklamation
der Heilsmacht Gottes wie die Bitte um deren
Applikation auf die versammelte Gemeinde nicht verdrängen,
ist sie doch deren letzte Zuspitzung. Unseren evangelische

was die Forschung neu zu sehen beginnt. dal> aie - ■ — —~. ---- j" " 7~, 7~ IV. ~™ Y"nge.iscnen

fc*en» des geopferten Christuslcibcs und vergossenen Bundes- Gottesdiensten muß die tnn.tansche Weite des Gebets zurück-