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1962 Nr. 4

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

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Neuerscheinungen

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291

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 4

292

Ferrc, Nels F. S.: The Relation between Religion and Philosophy.

The Expository Times 73, 1961 S. 89—93.
H i c k, John H.: Necessary Being.

Scottish Journal of Theology 14, 1961 S. 353—369.
Hirschberger, Johannes: Kleine Philosophiegeschichte. Frei-

burg/Br.: Herder [1961]. 213 S. kl. 8° = Herder-Bücherei, Bd. 103.

Kart. DM 2.40.

Kaestner, Heinrich: Über das Verhältnis Kleists zur Kantischen
Philosophie.

Neue Sammlung 1, 1961 S. 502—506.

K n u d s e n, Robert D.: Symbol and Reality in Nicolas Berdyaev.
The Westminster Theological Journal 24, 1961 S. 3 8—47.

Pelle-Douel, Yvonne: Bergson und unser Jahrhundert.
Stimmen der Zeit 168 (Jg. 86, 1960/61) S. 116—127.

Schoeps, Hans-Joachim: Ernst Brandes — ein Vorlaufer der Zeitgeistforschung
.

Zeitschrift für Religions- u. Geistesgeschichte XIII, 1961 S. 333—345.
Thomas, Owen C: William Temple's Philosophy of Religion.

London: SPCK-Press; Greenwich/Conn.: Seabury Pres« 1961. X,

177 S. 8°. Lw. 22 s. 6 d.
Tiliette, Xavier: Maurice Blondel ou la parole d'un croyant.

Recherches de science religieuse XLIX, 1961 S. 500—519.
Vandenbussche, Franz: Max Schelers godsdienstfilo6ofie. Breuk

of Ontwikkeling?

Bijdragen 21, 1960 S. 53—70.
Wagers, Herndon: Christian Faith and Philosophical Inquiry.

Lexington/Kentucky: The College of the Bible 1961. 80 S. gr. 8°.

$ 1.50.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Lachenmann, Hans: Welt in Gott. Skizze einer universalen Theo-
logie. Hamburg: Furche-Verlag [i960]. 293 S. 8° = Furche-Studien.
Studien u. Darstellgn. a. d. Gecamtgebiet theol. Forschung u. evang.
Weltanschauung, 32. Lw. DM 19.80.

Das Buch ist in der Stille eines schwäbischen Dorfpfarrhauses
entstanden und macht dem noch jugendlichen Verfasser
(geb. 1927) alle Ehre. Die Lehrmeister, zu denen es sich bekennt
, sind Luther, Böhme und Pascal, daneben zeigt sich eine
starke innere Verbundenheit mit der Theologie Karl Heims.
Doch ist dem vorliegenden Entwurf durchaus originelle Selbständigkeit
zuzuerkennen. Die Untersuchung geht davon aus,
daß sich die Theologie der Neuzeit in steigendem Maß in die
Defensive hat abdrängen lassen. Durch den Vormarsch des
Historismus, der Naturwissenschaft und einer metaphysikfeindlichen
Philosophie geriet die Theologie in eine babylonische
Gefangenschaft, die ihr teils aufgezwungen und die teils
freiwillig von ihr angenommen wurde. Der schmale Raum, der
nach dem strategischen Rückzug übrig blieb, war der Bereich der
praktischen Vernunft, das Gebiet des Religiös-Sittlichen. Mit
Recht wird festgestellt, daß der theologische Existentialismus
der Gegenwart an dieser Notlage nichts zu ändern vermocht
hat. Und doch ist es gefährlich, sich mit einem solchen übrig
gebliebenen sturmfreien Gebiet abfinden zu wollen, weil der
damit vermeintlich gewonnene Friedensschluß schließlich doch zu
einer Kapitulation führen wird. Einen Ausweg aus dieser verklemmten
Situation gibt es nur in Form eines Gegenangriffs
der Theologie. Man hatte den universalen Anspruch auf Wahrheit
aufgegeben und sich von den modernen Gegnern in die
Enge treiben lassen. Der Rückzug mag gut gemeint gewesen
6ein, heute ist es an der Zeit, den verloren gegangenen Universalismus
zurückzugewinnen, sowohl im Bereich der Natur wie
der Geschichte.

Die Durchführung des kühnen Unterfangens erfolgt in der
Weise, daß zunächst der innere Zusammenhang von Wille,
Freiheit und Erkenntnis herausgestellt wird unter dem Doppelaspekt
von Schuld und Erlösung. Die also gewonnenen Einsichten
werden dann angewendet auf die Entfaltung einer christlichen
Kosmologie und Anthropologie. Die Zielstrebigkeit, mit
der dabei vorgegangen wird, ist imponierend und fesselnd.

Das menschliche Leben steht unter schmerzlichen polaren
Spannungen. Dazu gehört die Tatsache, daß sich die Freiheit
der Wahl und die Freiheit der Verwirklichung gegenseitig ausschließen
. Solange ich wähle, stehen mir alle Möglichkeiten

offen. In dem Augenblick, wo ich gewählt habe und sich der
Wunsch meiner Freiheit erfüllt, bin ich auch schon der Gefangene
meiner Wahl geworden. In ähnlicher Weise begegnet mir
das notvolle Entweder-Oder im Blick auf den Fragenkreis Einsamkeit
und Gemeinschaft. Wenn ich ausschließlich an mich
denke, bleibe ich mein Leben der Gemeinschaft schuldig. Gebe
ich mich an diese hin, wird mein Ich in einer Weise eingeschmolzen
, daß ich nur darunter leiden kann. Es gilt zu sehen, wie
hinter diesen Ausweglosigkeiten das Zeitproblem steht, das
wieder mit dem Geheimnis des Willens auf das engste verknüpft
ist. Die Zeit ist die Erscheinungsform von Willensmächten, und
die Willensmächte sind die Struktur unserer Zeitlichkeit. Im
Licht der Christusoffenbarung, die als reine Selbsthingabe des
Sohnes Gottes zu bezeugen ist, erkennen wir den Schuldcharakter
unseres selbstsüchtigen Willens, der ein Teilausschnitt
aus dem umfassenden, sich selbst suchenden Gesamtwillen der
Menschheit ist. Im Rechtfertigungsglauben wird der Selbstwille
verbannt und der neue Wille geboren. Sowohl die Orthodoxie
wie das Sdrwärmertum verstehen die Rechtfertigung falsch. Im
ersten Fall wird daraus die securitas des Amnestierten, ohne
daß es zur Hingabe des alten Menschen in den Tod kommt. Im
anderen Fall begnügt man sich mit dem einmaligen Akt der
Bekehrung, während wahrer Glaube doch conversio continua
ist.

Seit Kant und Ritsehl hatte sich die Theologie auf den
volüntari6tischen Bereich zurückgezogen und sich im Blick auf
die Erkenntnisfragen ausgesprochen antignostisch verhalten.
Hans Lachenmann ist insofern ein echter Sohn seiner schwäbischen
Heimat, als er auch ein theosophisches Element für die
Theologie fordert. Unter Gottes Nein und Ja, wie es angesichts
des Kreuzes erfahren wird, erlebt der Mensch auch eine Buße
und Erleuchtung der Erkenntnis. Die Erkenntnis der Wahrheit
ist so wenig" eine menschliche Möglichkeit wie die Selbstfindung
der Freiheit. Aber in der Kraft des göttlichen Tuns wird beides
möglich. Dabei ist niemals die eschatologische Grenze zu vergessen
. Die Weisheit, die uns im Glauben zuteil wird, bleibt
„Weisheit im Staub", doch weist sie zugleich darauf hin, daß
wir einmal völlig erkennen werden, gleich wie wir jetzt schon
völlig erkannt sind.

Damit ist der Weg gebahnt zu einer christlichen Kosmologie
, die da6 interessanteste Stück des Buches ausmacht, weil hier
nach langer Zeit wieder einmal Neuland betreten wird. Der
Verfasser ist 6ich der Kühnheit des Unternehmens wohl bewußt
. ,,Es ist heute ein außerordentliches Wagnis, eine christliche
Kosmologie zu schreiben." Und doch muß die Theologie
den Schritt unternehmen, wenn sie sich nicht selbst aufgeben
will. Vor allen anderen Disziplinen ist der Theologie die Synthese
aufgetragen, nachdem das moderne Spezialistentum die
einzelnen Wissenschaftsgebiete immer weiter voneinander getrennt
hat. Der Rosine* muß gesehen werden unter den Vorzeichen
von Schöpfung und Sünde, von göttlicher Geduld und
göttlichem Heilshandeln. Während die ältere biblische Kosmologie
dabei an ein Nacheinander von Schöpfung, Schuld, Gericht
und Versöhnung dachte, auf die Zeitlinie projiziert, ist es sachgemäß
, darin Vorzeichen zu 6ehen, die alle zusammen vor dem
Bild der Kosmologie zu stehen kommen und die eine Beleuchtung
ergeben, wie sie allseitiger, wirklichkeitsnäher und großartiger
nicht gedacht werden kann. Jedenfalls drängt der Verfasser
mit Energie hinaus über eine rein anthropozentrische Einengung
. „Nicht nur die Menschheit, das Leben überhaupt ist
ein gierig-angsterfüllter Kampf" aller gegen alle. Der Sclbst-
wille treibt in allem Geschehen sein verderbliches Spiel. Aber
auch das Ereignis der Erlösung darf und muß auf den ganzen
Kosmos bezogen werden. Anthropologie und Kosmologie werden
hier nicht gegeneinander ausgespielt, sondern in einem großen
gemeinsamen Aspekt zusammengenommen. Im abschließenden
Teil geht der Verfasser in den Bahnen von Augustins
Confessioncs. Er verläßt die darstellende Weise der Theologie
und geht über in die meditatio und oratio, die in der Hinwendung
zu Gott Beichte, Lobpreis und Bekenntnis zum Ausdruck
bringt.

Tübingen Adolf K öhe r 1 c