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Ausgabe:

1962

Spalte:

272-273

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der Juden in Regensburg 1453 - 1738 1962

Rezensent:

Schoeps, Hans-Joachim

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Rosenthal macht seine Hörer mit dieser Religionsphilosophie
bekannt, indem er ihrem griechischen Erbe nachgeht. Damit
knüpft er an die von Isak Heinemann begonnenen Untersuchungen
zur Frage der Fortwirkung des griechischen Denkens
im jüdischen Mittelalter erfolgreich an. Wie Heinemann in
seiner „Lehre von der Zweckbestimmung des Menschen im
griechisch-römischen Altertum und im jüdischen Mittelalter"
geht es auch Erwin Rosenthal um ein doppeltes Anliegen: er
will die Herkunft der von der jüdischen Religionsphilosophie
übernommenen griechischen Lehren qucllenkritisch ermitteln, und
er will ferner die Wirkungen der griechischen Philosophie auf
das Judentum ideengeschichtlich und geistesgeschichtlich feststellen
.

Für dieses Unternehmen bringt der Verfasser eine gute
Voraussetzung mit: sein eigentliches Fachgebiet ist arabische
Religionsphilosophie. Aristotelismus und Neupiatonismus sind
ins Judentum vor allem über die islamische Philosophie eingedrungen
; die besonderen Fachkenntnisse unseres Autors haben
geholfen, abgrenzen zu können zwischen jüdischer Abhängigkeit
von islamisch verarbeitetem griechischen Gedankengut und unabhängigen
Parallelen in der islamischen und jüdischen Philosophie
, wo beide auf ihre Weise griechisches Erbe antreten. Um
nur ein Beispiel zu nennen: Jehuda Halevis Prophetologie geht
auf antike Lichtsymbolik zurück. Einst hat man hier und überhaupt
bei diesem Denker-Dichter eine Abhängigkeit von Ghaza-
lis Sufismus gesehen, die von Rosenthal, der darin seinem Fachkollegen
D. H. Baneth folgt, verneint wird. Rosenthal weist dagegen
auf die Parallelen zwischen Ghazali und Jehuda Halevi hin
mit ihren Gegenüberstellungen des Frommen und des Dialektikers
(20), und andererseits sieht Rosenthal in Jehuda Halevis
Lehre vom Erkenntnisakt des Propheten eine Abhängigkeit von
Avicenna mit einer wichtigen Unterscheidung (8 5). Zu solchen
Einsichten konnte der Verfasser gelangen, weil er nicht nur die
Umbildungen der griechischen Lehre in der jüdischen Religionsphilosophie
untersucht, sondern eigentlich mehr bietet als der
Titel seines Buches verspricht. Auch das griechische Erbe in der
arabischen Religiortsphilosophie des Mittelalters spielt bei Rosenthal
eine nicht unwesentliche Nebenrolle.

Rosenthals Darstellungen sind deshalb so erfolgreich, weil
6ie sich auf die Problementwicklung einiger weniger Themen beschränken
, aber solcher Themen, die für die antike wie für die
mittelalterliche Gedankenwelt zentral sind. Torah und Nomos
werden in zwei großen Kapiteln behandelt. In einem Kapitel
werden diese Begriffe einander gegenüber gestellt als Quelle der
Lehre vom höchsten Gut in der Nikomachischen Ethik und in
der Umbiegung der griechischen Lehre in der islamischen und
jüdischen Philosophie zum höchsten Glück, das im Gegensatz
steht zum weltlichen Glück dieses Lebens, bei Maimonides die
Liebe zu Gott als höchster Ausdruck menschlicher Glückseligkeit
. Der griechische Nomos wird dann als Gegensatz zur jüdischen
Torah behandelt und ein Gang durch die jüdische Religionsphilosophie
wird von dem Grundgedanken begleitet, daß
die Torah das wahre Gute lehrt, das den Menschen zur Glückseligkeit
hier und zur Unsterblichkeit dort führt. Besonders anregend
ist das Kapitel, das die Sonderfrage: ,,Sendung6prophetic
und Natürliche Prophetie" zum Gegenstand hat und dessen
wertvoller Beitrag zur Lehre des Maimonides von der Prophetie
den Einfluß Al-Farabis auf den jüdischen Aristoteliker untersucht
.

Das Buch ist. wie erwähnt, aus Vorlesungen entstanden,
oder besser gesagt, es sind die nur wenig überarbeiteten Vorlesungen
eines guten Pädagogen, der BegriffserkläTungen, die nicht
unbedingt zum Verständnis des Vorgetragenen notwendig sind,
auf die aber der Wissenschaftler nicht verzichten will und nicht
verzichten darf, in zwei ausgezeichnete Exkurse verlegt. Rosenthal
hat sich mit dieser Form der Veröffentlichung zwar um die
vorläufige Möglichkeit gebracht, ein dickes Buch über sein Thema
zu schreiben, aber er hat mit dem Buch von hundert Seiten erreicht
, daß er dem Fachgelehrten «eine von Bclcsenheil und
Urteilssicherheit zeugenden Untersuchungen vorlegt und gleichzeitig
dem Laien eine Einführung in die Welt des mittelalterlichen
jüdischen Denkens in die Hand gibt, die dieser mit Gewinn
lesen kann. Der Leser wird feststellen, daß das Thema, unter

dem diese Einführung erfolgt, eine Menschheitsfrage ist und daß
diese vom Verfasser vor einen menschlich warmen Hintergrund
gestellt ist. Diese Vorlesungen in Münster waren für Rosenthal
die erste Wiederbegegnung mit dem Land, das er vor 25 Jahren
unmittelbar vor seiner Habilitatioiv. verlassen mußte. Der Verfasser
knüpft mit ihnen ein zerrissenes Band und widmet die
Drucklegung der Franz Delitzsch-Vorlesungen dem Direktor des
Institutum Judaicum Delitzschianum, Karl Heinrich Rengstorf.

Nur ein paar Kleinigkeiten seien kurz vermerkt. Das religionsphilosophische
Hauptwerk von Hermann Cohen ist posthurn herausgegeben
, und dabei ist manches Malheur passiert, u. a. der unsinnige
Titel: ,,Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums".
Bei Roscnthal wird das Buch, wahrscheinlich durch ein übersehene«
Verschulden des Setzers, zu „Die Religion aus den Quellen der Vernunft
" (92). Man zitiere nach der zweiten, verbesserten, jetzt auch als
Offsettdruck wieder herausgegebenen Auflage der „Religion der Vernunft
aus den Quellen des Judentums". — Deut. 6. 4 weiß jeder Jude
vom Gottesdienst her im Original auswendig, und wahrsdieinlidi hat
Rosenthal aus dem Gedächtnis übersetzt (97), wobei ihm drei Fehler
unterlaufen sind, die jeder Leser leicht berichtigen kann.

Stockholm Kurl W i I Ii '• I m

S t r a u s, Raphael | : Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der
Juden in Regensburg 1453—1738 bearb. Mit einem Geleitwort von
F. Baethgen. München: Beck 1900. 15', 544 S. gr. 8" =» Quellen u.
Erörterungen z. bayer. Geschichte, hrsg. v. d. Kommission f. bayer.
I.andcsgeschichte h. d. Bayer. Akademie d. Wiss., N. F. Bd. XVIII.
DM 45.-.

Dieser mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
, des Leo Bacck Institute in New York und des Bayerischen
Staatsministeriums für Unterricht und Kultus gedruckte Quellenband
gehört zu dem 1932 erschienenen Buch von Raphael
St raus: „Die Judengemeinde Regensburg im ausgehenden
Mittelalter" (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren
Geschichte, H. 61). Der Umsturz des Jahres 1933 hat sein
Erscheinen um 28 Jahre verzögert; der Verfasser ist in der
Zwischenzeit (1947 in New York) verstorben, wie Baethgen im
Geleitwort mitteilt, das über Person und Leistung dieses jüdischen
Historikers informiert. Der im Titel genannten Kommission
hat zwar ein glücklicherweise erhalten gebliebenes Korrektur-
exemplar von damals vorgelegen, sie hat 6ich aber zu einer
Modernisierung der Druckvorlage entschlossen, jedoch ohne den
Aufbau zu ändern oder die Texte zu ergänzen.

Die Bedeutung dieser Veröffentlichung liegt darin, daß am
Falle Regensburg durch genaue Dokumentation der Zusammenhang
einer Judenaustreibung im Jahre 1519 mit den Allgcmein-
verhältnissen der Stadt und des Reiches aufgewiesen worden ist.
Der jüdische Warenhandel, der auf die entgegenstehenden Zunftberechtigungen
stieß, sowie das jüdische Darlehns- und Zinsgeschäft
auf Grund kaiserlicher Privilegien — bei immer schwächer
werdendem Kronschutz waren die Differenzpunkte mit der
Bürgerschaft, die schließlich zu einer Gewaltlösung geführt haben,
als die staatliche Ordnung versagte. Treibend war der Klerus,
der gegen die Regensburger Juden auch die Blutbeschuldigung erhob
und sich hierfür auf den bekannten Trientiner Ritualmordprozeß
von 1476 stützte. Der Domprediger Balthasar Hubmaier,
der bekannte spätere Täuferführer, der den Judenwucher von der
Kanzel geißelte (Nr. 950, 1043, 1098), spielte hierbei eine Rolle;
die Predigt contra Judaeos gehörte offenbar zu den Amtsfunktionen
eines Dompredigers (Nr. 331, 1040). Von der Kanzel
ist schon 1498 offen zum sozialen und wirtschaftlichen Boykott
aufgerufen worden, lange ehe man zu Tätlichkeiten überging
(Nr. 693-696; vgl. W.-E. Peuckcrt: Die große Wende, Hamburg
1949, 1 38).

Die Judenfeindschaft der Regcnsburger und die schließliche
Vertreibung der Juden hat nicht mit ihrem angeblichen Wohlstand
, sondern weit eher mit ihrer tatsächlichen Armut zu Beginn
des 16. Jahrhunderts zusammengehangen, wie zahlreiche der
hier vorgelegten Urkunden und Aktenstücke deutlich erkennen
lassen. Daß es aber gegen die Gewaltlösung auch Opposition
gegeben haben muß, zeigt der Anfang des als Nr. 1100 abgedruckten
Gedichts von 1519:

--- als man dann neulich hat vertriben
und keiner in der Stat ist bliben