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Ausgabe:

1962 Nr. 4

Spalte:

253-260

Autor/Hrsg.:

Pinomaa, Lennart

Titel/Untertitel:

Die Heiligkeit in Luthers Theologie 1962

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 4

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sprach zu den bisher geäußerten stehen, braucht nicht weiter betont
zu werden. Soviel hier von der bisherigen Melanchthon-
Forschung verwertet wird, im Grunde steht der Verfasser ihr
grundsätzlich ablehnend gegenüber. Melanchthon ist für ihn ein
Exponent des klassenbewußten Bürgertums und die fortschrittlichen
Neigungen sind doch gebunden und unwirksam. Einen Auszug
, aus seinem Buch veröffentlicht der Hallenser Historiker als
Rede (gedr. Wiss. Zeitschrift der Universität Halle 1961).

Die Vorträge des 2. Lutherforscherkongresses, der vom
8.— 13. August 1960 in Münster stattfand, liegen unter dem
Titel „Luther und Melanchthon"54 im Druck vor.
Von den 13 Beiträgen dieses Bandes entfallen vier auf Lutherthemen
, drei auf ein Melanchthon-Thema, während die restlichen
6 sich an das gestellte Hauptthema halten. In einer vortrefflichen
Zusammenfassung behandelt Wilhelm Pauck das Verhältnis
beider Reformatoren, wobei er in gleicher Weise historische
und sachliche Probleme hervorhebt, wie sie 6ich in der
theologischen Prinzipienlchre, bei der Gestaltung kirchlicher
Ordnung und anderwärts ergaben. Unterschiede in der Fassung,
wie auch Übereinstimmung in der Sache v/erden klar herausgearbeitet
. Einen interessanten Beitrag bietet auch Harold
Grimm mit seiner stark soziologisch orientierten Darstellung
der Beziehungen der Reformatoren zum Bürgertum. Auf dem
Hintergrund der politisch-wirtschaftlichen Struktur der alten
deutschen Stadt heben sich diese hell ab und machen zugleich
deutlich, wie die persönlichen Beziehungen zu den maßgebenden
Vertretern des Bürgertums der Reformation zugute kommen
mußten. Im Mittelpunkt der Erörterung stand die Behandlung
der Rechtfertigungslehre. Während R. S t u p p e r i c h die Rechtfertigungslehre
bei Luther und Melanchthon 1530— 1536 behandelt
, hat Lauri H a i k o 1 a Mclanchthons und Luthers Lehre von
der Rechtfertigung allgemein darzustellen gesucht. Melanchthons
Auffassung 6tellt er aufgrund der Loci 1559 dar, kennzeichnet
die dogmatischen Voraussetzungen und betont im Unterschied
zu bestehenden Meinungen die Züge in der reformatorischen
Lehre, die oft unerwähnt bleiben.

Für die Forschung aufschlußreich und bestimmend ist die
Art, wie Peter Fraenkel ,,Ten questions concerning Melanchthon,
the fathers and the eucharist" zu stellen und zu beantworten
unternahm. Daß die Auffassung der Kirchenväter für Melanchthons
Abendmahlsverständnis maßgebend war, ist oft ausgesprochen
worden. Hier werden die konkreten Beziehungen aufgewiesen
. Abschließend sei auf die Beiträge von B. L o h s e über
das Verhältnis der Reformatoren zum Mönchtum und die drei
Literatur- oder Forschungsberichte über Melanchthon in Polen,
in Ungarn und in den USA hingewiesen.

In anderer Weise als bisher behandelte Wilhelm Neuser
die Frage Luther - Melanchthon2'"'. Ausgehend von der These,

■*) Vajta, Vilmos [Hrsg.]: Luther und Melanchthon. Referate und
Berich te des Zweiten Internationalen Kongresses für Luthcrforechung
Münster, 8.—13. August 1960. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
11961 ]. 198 S. gr. 8°.

Jr') Neuser, Wilhelm: Luther und Melanchthon. Einheit im
Gegensatz. Ein Beitrag zum Mclanchthon-Jubiläum 1960. (Theologische
Existenz heute. Heft 91.) München: Chr. Kaiser 1961, 41 S. gr. 8°.

daß zwischen den beiden Reformatoren in den 30er und 40er
Jahren starke theologische Meinungsverschiedenheiten bestanden
hätten, versucht der Verf. solche in der Rechtfertigungs- und
Abendmahlslehre nachzuweisen. Dazu stellt er einmal den
Streit mit Cordatus und Schenk, zum andern die Abendmahlserörterungen
des Jahres 1544 dar. Sein Ergebnis ist dabei folgendes
: Luther ist in dieser Zeit bereit gewesen, verschiedene
Lehrweisen anzuerkennen und habe daher auch Melanchthons
andersartige Auffassungen geduldet. Der Gegensatz zwischen
beiden erscheint allerdings in dieser Darstellung überspitzt.
Teilweise liegen Mißverständnisse vor. Manche Texte sind
überinterpretiert.

Der Strom der Jubiläums-Literatur ist noch nicht abgerissen
. Die in Fluß geratenen Probleme aufzunehmen, durch Feststellungen
aus neuerschlossenen Quellen zu bereichern, andererseits
auch auf noch unbearbeitete Gebiete hinzuweisen, war dos
Anliegen des Berichterstatters in seinem Buch „Der unbekannte
Melanchthon"26, das außer einer Reihe von Studien auch bisher
wenig oder gar nicht beachtete Texte enthält. Denn trotz zahlreicher
neuer Darstellungen ist Melanchthon noch immer nicht
genug erkannt und erforscht.

Der Ertrag de6 Melanchthon-Jahres besteht aber nicht nur
in Publikationen und neuen Einsichten, die sie gebracht haben.
Diese werden sich über das Gedenkjahr hinaus behaupten und
die Forschung bestimmen. Ein fast größerer Ertrag dieses Jahres
liegt darin, daß ein neues Interesse an Melanchthon, vor allem
in den Kreisen der theologischen Jugend, geweckt worden ist.
Sein Humanismus und seine Beschäftigung mit der Philosophie
sind keine Schreckgespenste mehr. Anregend gewirkt hat auch
das Preisausschreiben, das von der Evang. Kirche der Union in
Wittenberg verkündigt wurde. Die ausgeschriebenen Prei£aufga-
hen „Melanchthons Geschichtsverständnis im Rahmen seiner
Theologie" und „Der Begriff academia bei Melanchthon" haben
mehrere Bearbeitungen gefunden, von denen einige 6päter sicher
auch im Druck erscheinen werden. Es ist erfreulich, daß auch
Philologen, wie es früher Brauch war, sich wieder mit dem Pra-
zeptor Germaniae beschäftigen und dem Hauptvertreter des
christlichen Humanismus auf reformatorischer Seite ihre Aufmerksamkeit
schenken. Die in der Hauptsache theologische
Thematik der Tagungen und großen Veranstaltungen wird
ebenso nicht ohne Nachklang bleiben.

Aufs Ganze gesehen, wird man in der Melanchthon-Forschung
mit dem Gedenkjahr 1960 als einem Markstein rechnen
dürfen, wie es in früheren Gedenkjahren auch der Fall war. An
diese Feststellung kann aber weiter die Hoffnung geknüpft werden
, daß das Interesse an Melanchthon und seinem Wirken nicht
nachlasse, wie es vor 100 Jahren unter Albrecht Ritschis Einfluß
geschah, sondern, daß die Arbeit an seinen Schriften und seiner
Theologie fortgesetzt werde und sich für die Zukunft fruchtbar
auswirke.

Stuppcrich, Robert: Der unbekannte Melanchthon. Wirken
und Denken des Praeceptor Germaniae in neuer Sicht. Stuttgart:
W. Kohlhammer [1961). 244 S. 8°.

Die Heiligkeit in

Von Lennart P

Selbstverständlich gehörte die Heiligkeit zu den zentralen
Begriffen, in denen sich die Reformation Luthers auf neue
Bahnen begab. Die römisch-katholische Kirche mit ihrem Zölibat
, ihren Mönchen und Priestern, stellte eine sichtbare Heiligkeit
inmitten der alltäglichen Lebensordnungen dieser Welt dar.
Diese Heiligkeit war offenbar nicht das, was in der Bibel heilig
nieß. Als Luther dazu kam, den Mönchen und Nonnen die Klostertore
zu öffnen, und als er 6ich selber als einer, der das Mönchsgelübde
abgelegt hatte, mit einer früheren Nonne verehelichte,
Ring darin schon an sich ein sichtbarer Protest gegen die herkömmliche
Auffassung von der Heiligkeit ein. Wie aber umreißt
er das Wort „heilig"?

In den Büchern seiner Frühzeit definiert er oft das „Heilige

Luthers Theologie

i n o m a a, Helsinki
in der Bedeutung von „Gesondertem", „Gottergebenem"1. Die
Heiligkeit kann im Alten Testament dasselbe wie Reinheit bedeuten
, 60 auch entsprechen im 1. Kor. 7 einander Heiligkeit und
Reinheit2.

In den Genesis-Vorlesungen begegnen wir einer Definition
der Heiligkeit. In ihr werden zwei entgegengesetzte Arten der
Heiligkeit unterschieden. Die erste von ihnen gründet sich auf

') Unde sanetus Hebraeis vocatur, quod separatum est et Deo soli
dicatur, quae separatio fit reeiproce, 6ecundum tres praedictos gradus
I. 91, 19— (Sermone aus d. Jahren 1514—1517). Vgl. 56, 504, 22 und
444,1- (1516). 2, 88. 27- (1519). 5. 611, 1- (1521). 7, 57;, 2g_
(1521). [Alle Zitate werden nach der Weimarer Ausgabe aufapfnUr» 1

*) 17,2. 199, 13- (Fastenpostille 1 525). 'geruhrt.l