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1962 Nr. 3

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 3

232

Es kann uns hier nicht um das Für und Wider hinsichtlich
der konkreten Einzelforderungen gehen. Nur die hier in Anwendung
präsentierte Theologie soll kurz beleuchtet werden. Ist
solches Protestantisches Wagnis theologisch legitim? Darauf
möchte ich kurz und bündig Ja sagen. Der hier vertretene Kern-
und Ausgangspunkt, das Verhältnis von Kirche und Welt, ist
von der reformatorischen Grunderkenntnis der Christusoffenbarung
her gesehen und wird auch dort durchgehalten, wo bei der
Behandlung konkreter Fragen eine vom Verfasser abweichende
Beantwortung 6ich aufdrängen möchte. Wenn Kirche ,hier eben
nicht das fraglos Vorgegebene, sondern ein immer wieder fragend
Gesuchtes...' (43) ist und daher nicht in dem, wie sie ihr Amt
an der Welt ausrichtet, .sondern darin, daß sie es tut' (53) ihren
Charakter als göttliche Institution erhält, dann wird damit der
Weltliebe Gottes der rechte Raum gesichert. W. versteht es, die
urevangelische Erkenntnis in neuer Weise mit dem Auftrag geschichtlicher
Verleiblichung zu verbinden (Oetinger!) und holt
damit Einsichten aus der ökumenischen Umwelt in unsere Scheune
heim, die allzulange draußen geblieben waren. So bleibt er vor
jener Verdichtung der Kirchlichkeit bewahrt, in die sonst so
häufig das Schlagwort von der Verleiblichung führt. Im Gegenteil
, er sichtet auf diese Weise das uns heute 60 verwunderliche
und beunruhigende Phänomen einer ecclesia extra ecclesiam,
und damit tut er dem verfestigten Gemeindechristentum der verfaßten
protestantischen Kirchen einen außerordentlich wichtigen
Dienst und weist auch das Problem der Ökumene in eine letzte,
entscheidende Tiefe. Wenn er nämlich auf die Frage, wer dieser
Protestantismus sei, die Antwort gibt: .Menschen, die diese bestimmte
, sie prägende Erfahrung gemacht haben, in, am Rande
und jenseits der verfaßten Kirche...' (136/7), dann wird das
protestantische Wagnis enthüllt als großherziges Rechnen mit
der Treue Gottes, das allein die Chance besitzt, Kirche für die
Welt darzuleben.

Wien Wilhelm D a n t i n e

Bassarak, Gerhard: Jesus Christus — Gottes Sohn.

Die Zeichen der Zeit 15, 1961 S. 441—448.
B e k e r, E. J.: The Sovereignty of God in the Thought of H.Richard

Niebuhr.

Nederlands Theologisch Tijdschrift 15, 1960 S. 108—130.

B i r k n e r, Hans-Joachim: Natürliche Theologie und Offenbarungs-

theologie. Ein theologiegeschichtlicher Überblick.

Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 3, 1961 S. 279—295.
Brinktrine, Johannes: Zur Theologie des Ablasses und des

Kirchenschatzes.

Theologie und Glaube 51, 1961 S. 446—449.
Bultmann, Rudolf: Die Geschichte der synoptischen Tradition.
Nachdruck der 4. Aufl. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1961]. X,
459 S. gr. 8°.

S. hierzu Besprechung in ThLZ 1959, Sp. 189.
D e p p e, Hans-Christoph: Grundzüge der Geschichtstheologie bei
Einar Billing.

Kerygma und Dogma 7, 1961 S. 310—330.
Fuchs, Emil: Pater Teilhard de Chardin.

Communio Viatorum 4, 1961 S. 125—138.
K n e v e 1 s, W.: Ein Ja und ein Nein zur „Toleranz".

Deutsches Pfarrerbatt 61, 1961 S. 509—511.
K o b e s s e n, P. J.: De realis praesentia bij eucharistie en avondmaal.

Nederlands Theologisch Tijdschrift 15, 1961 S. 196—214.
Loen, A. E.: De geschiedenis.

Nederlands Theologisch Tijdschrift 15, 1961 S. 353—365.
N o 11 e r, Gerhard: Ontologische und theologische Versuche zur Überwindung
des anthropologisdien Denkens.

Evangelische Theologie 21, 1961 S. 483—504.
P a v 1 i n e c, 5. M.: Das Wesen des Christentums und die Theologie.

Communio Viatorum 4, 1961 S. 119—124.
R e i d, W. Stanford: The Christian and the Scientific Method.

The Westminster Theological Journal 24, 1961 S. 1—28.
Rosenthal, Klaus: Die Bedeutung des Kreuzesgeschehens für Lehre

und Bekenntnis nach Peter Taylor Forsyth.

Kerygma und Dogma 7, 1961 S. 237—259.
Schütz, Paul: Hoffnung als Menschheitsfrage (Über die Hoffnung.

Zweites Stück).

Deutsches Pfarrerblatt 61, 1961 S. 543—547.
— Die Antwort Gottes ist schon unterwegs (Über die Hoffnung.
Drittes Stück).

Deutsches Pfarrerblatt 61, 1961 S. 578—582.
Schul t z e, Bernhard: Das Problem der communicatio in sacris.

Theologie und Glaube 51, 1961 S. 437—446.
Till ich, Paul: Die Wiederentdeckung der prophetischen Tradition

in der Reformation.

Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 3, 1961 S. 237—278.
W i e s n e r, Werner: Christlicher Glaube und modernes Weltbild.
Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 3, 1961 S. 346—370.

VON PERSONEN

Friedrich Gogarten
zum 75. Geburtstag am 13. Januar 1962

Es gibt eine Stelle in Friedrich Gogartens großartigem Spätwerk,
die mir nicht aus dem Sinn will. Sie steht in „Die Verkündigung Jesu
Christi" (1948) und lautet: „Erst wenn er" (der Mensch) „sich verstehen
kann als den, der, indem er sich von Gott empfängt, er selbst
ist, so wie der Liebende es ist vor dem Geliebten, ist er im Stande,
6eine Sünde zu erkennen. Der Liebende ist vor dem Geliebten nichts.
Dieses Nidhts-sein, wie es in der Liebe erfahren wird, schließt alle
Seligkeit des Liebens und alle Fülle des Geliebtwerdens in sich. Als
der, der nichts ist, weiß er am tiefsten um sich und um das Sein, das
er vom Geliebten empfängt. Aber dieses selbe Nichts wird zur schuldhaften
Nichtigkeit, wenn er den Geliebten verrät. In ihr ist das .alles'
verwirkt, für das das Nichts Raum hatte, und es bleibt nur das öde,
leere, ohnmächtige Nichts und das wahnsinnige, verzweifelte Unternehmen
, es aus sich selbst zu füllen. Nur, wenn dem Menschen dieses
sein Nichts-sein vor Gott in seinem doppelten Sinn erschlossen wird,
kann er seine Sünde" (und d.h. seine Verzweiflung!) „erkennen"
(S. 481 f.). Der Kommentar zu diesen entscheidenden Sätzen folgt ein
paar Sätze später: „Die Sünde ist hier" (sc. in Römer 7 und bei
Luther) „in der strengsten Weise auf das Selbstsein, das innerste
Selbstbewußtsein des Menschen bezogen. Nur in dieser äußersten Sub-
jektivierung des Begriffs, wo alles objektiv Feststellbare verschwindet
und auf jede kausale Erklärung der Sünde verzichtet wird, gibt es für
uns Erkenntnis der Sünde. Denn erst wenn der Mensch vor Gott nur
noch mit 6ich selbst zu tun hat, wird ihm die Sünde Wirklichkeit,
wird sie ihm zur Wirklichkeit seiner selbst. Denn Sünde ist nithts an
ihm und erst recht nichts außer ihm. Sie ist das, dessen er gewahr
wird, wenn er seiner selbst gewahr wird." Dies geschieht also im
Glauben.

Wie soll ich nun fortfahren? Soll ich sagen: Die Sünde ist die
Wirklichkeit meiner selbst? Oder habe ich zu sagen: Die Sünde war
die Wirklichkeit meiner selbst? Wenn mich der Glaube in die Liebe

führt, dann wird meine Nichtigkeit wieder zu jenem Nichts, das die
ganze Fülle des Geliebtwerdens in 6ich einschließt. Soll mich der Glaube
befreien, so muß er mir die Möglichkeit zur Liebe geben. Der Glaube
hat also die Vorhand vor der Sünde. Der Glaube glaubt die Sünde als
vergeben, die Nichtigkeit meiner Existenz als vergangene Nichtigkeit
. Aber gerade so kennt der Glaube diese Nichtigkeit. Und deshalb
stellt sich der Glaube genau dorthin, wo die Liebe erscheinen will, in
jenes Nichts, das die Liebe füllen will. Der Glaube ist so der wahre
Widerspruch gegen die Verzweiflung. Er liebt bereits, indem er der
Verzweiflung widerspricht und so von der Vergebung für uns alle
immer schon Gebrauch macht. Der Glaube macht die Nichtigkeit der
Verzweiflung zunichte.

Wer also den Glauben kennen lernen will, der muß darauf achten,
wie sich ein Mensch verhält, sobald die Verzweiflung am Zuge ist.
Es ist klar, daß mit dieser Erwägung das Verhalten aller Derjenigen
überprüfbar wird, die sich mit der Kreuzigung Jesu auseinanderzusetzen
hatten. Aber nicht nur die Theologie des Paulus, sondern auch
der historische Jesus selbst wird uns jetzt zugänglich. Denn auch das
Verhalten des historischen Jesus kann ja daraufhin befragt werden,
wie Jesus der Verzweiflung begegnet, wenn anders Sünde als Verzweiflung
verständlich gemacht werden muß. Selbst wenn Jesus selbst
so mit Gott einig war, daß er sich damit begnügen konnte, Glauben
zu fordern, so ist doch seine Forderung als Tat verständlich zu machen,
die der Verzweiflung des Sünders widersprach.

Kurz, zum Verständnis des Menschen gehört das Verständnis der
Situation, in welcher sich ein Mensch zu sich und zu andern verhält.
Mit dieser Einsicht hat Friedrich Gogarten die hermeneutische Frage
so gestellt, wie sie die jüngste theologische Entwicklung in Deutschland
und nicht mehr nur in Deutschland bestimmt und beherrscht.

Marburg/Lahn Ernst Fuch»