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Ausgabe:

1962 Nr. 3

Spalte:

217-219

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hermann, Rudolf

Titel/Untertitel:

Gesammelte Studien zur Theologie Luthers und der Reformation 1962

Rezensent:

Althaus, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 3

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KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

^/Hermann, Rudolf: Gesammelte Studien zur Theologie Luthers und
der Reformation. Göttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht [i960]. 500 S.
gr. 8°./Lw. DM 32.-.

Rudolf Hermanns theologische Arbeit hat durch mehr als
ein Menschenalter hindurch immer wieder der Auslegung der
Theologie Luthers und der lutherischen Bekenntnisschriften gegolten
und hier, wenn auch nicht den einzigen, so doch wohl
ihren wichtigsten Schwerpunkt gehabt. Neben 6einem bedeutenden
Buche von 1930 „Luthers These Gerecht und Sünder zugleich
" zeugt davon eine Fülle größerer und kleinerer Aufsätze
oder Reden. Sie sind an verschiedenen Orten erschienen, ein
nicht geringer Teil in der von H.s Lehrer Carl Stange herausgegebenen
„Zeitschrift für systematische Theologie", deren regster
Mitarbeiter Hermann durch die Jahrzehnte ihres Erscheinens hindurch
gewesen ist. Es ist sehr zu begrüßen, daß H., durch Kollegen
und Freunde dazu angeregt, nunmehr eine Sammlung dieser
"wertvollen und wichtigen Arbeiten vorgelegt hat. Der stattliche,
in schöner Fraktur gedruckte Band, dem Gedächtnis von Carl
Stange gewidmet, enthält 21 Arbeiten in chronologischer Ordnung
, von 1926—1959, das heißt (mit wenigen Ausnahmen,
darunter zwei erst 1958 erschienenen Arbeiten) alles Einschlägige
. Die Texte sind durchgesehen, aber im Ganzen unverändert
geblieben. Soweit in den Aufsätzen auf ältere Ausgaben von
Luthers Werken verwiesen wird, sind die Verweisungen in einer
Konkordanz am Schlüsse des Bandes auf die Weimarer Ausgabe
übertragen.

Neben einigen speziellen Studien („Die Gestalt Simsons bei
Luther"; „Die Probleme der Exkommunikation bei Luther und
Thomas Erastus"; „Zum evangelischen Verständnis des ,Assen-
sus' ") stehen als der Hauptinhalt des Bandes, sowohl dem Umfange
wie dem Gewichte nach, Arbeiten, die sich auf das Ganze
der Theologie Luthers und der Bekenntnisse oder ihr Zentrum
beziehen; 6ie geben großenteils Vorlesungen auf Kursen wieder,
einige auch Festreden. Unter ihnen seien hervorgehoben, ohne
die anderen damit geringer einzuschätzen: „Willensfreiheit und
gute Werke im Sinne der Reformation"; „Fragen aus der Geschichte
der christlichen Ethik im Lichte der ethischen Gedanken
Luthers"; „Die Rechtfertigung und der evangelische Glaube";
..Luthers Rechtfertigungsichre und ihre Bedeutung für unsere
Zeit"; der 1952 als selbständige Schrift erschienene Aufsatz
..Zu Luthers Lehre von Sünde und Rechtfertigung". Einige Aufsätze
dienen der Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen
Luthers und der Reformation, katholischen und evangelischen;
so die „Beobachtungen zu Luthers Rechtfertigungslehre", die zu
der Differenz zwischen Karl Holl und Wilhelm Walther über das
Verständnis von Luthers Rcchtfertigungslehre Stellung nehmen;
die Besprechung von Erich Sccbcrgs „Grundzügen der Theologie
' uthers"; die Antwort auf Joseph Lortz' Thesen über die Reformation
von 1940.

Hermanns Aufsätze haben ihre Eigenart vor allem darin,
daß es der systematische Theologe ist, der Luthers und der
fiekenntnisschriften Gedanken wiedergibt. So viel er auch auf
Luthers dogmengeschichtlichc Stellung, auf sein Verhältnis zu der
Theologie seit Augustin zu sprechen kommt, der Nachdruck liegt
doch auf der Vertiefung in die Sache selbst, im Hören auf Luther
l'nd die Bekenntnisse, im — bisweilen auch kritischen — Gespräch
mit ihnen. H. interpretiert den Glauben Luthers als gegenwarts-
mächtige Wahrheit für heute. Die Interpretation vollzieht sich
a's lebendige Aneignung in Gestalt systematischer Besinnung.
Sie ist überall getragen von der Freude an dem herrlichen Schatze
der reformatorischen Erkenntnis (die besonders schöne Vertiefung
in die Rechtfertigungslehre der Bekenntnisse steht unter
der Überschrift „Schätze der Rechtfertigungsichre in den Bekenntnisschriften
", 250). Sie zieht den Leser in diese Freude mit hinein
, durch die Tiefe und Vollmacht der Auslegung, auch durch
viele ausgezeichnete einprägsame Formulierungen.

Im Mittelpunkte steht die Lehre von der Rechtfertigung.
** 'n ihrer entscheidenden Bedeutung für das evangelische
Christentum leuchten zu lassen, sie gegenüber jeder Verdunkelung
und Verfärbung ihres wahren Sinnes zu behaupten, dahin
geht H.s theologisches Pathos. Er warnt davor, daß das Sola fide
in der evangelischen Theologie von dem bloßen Sola gratia in
den Hintergrund gedrückt werde. „Es scheint mir nicht geraten
zu sein, in der evangelischen Theologie etwa das Sola gTatia
einheimischer werden zu lassen als das Sola fide. Das letztere i6t
und bleibt die evangelische Parole" (307). Das heißt aber: es
kommt auf das „Gerecht und Sünder zugleich" an — es ist „Herz
und Kern der lutherischen Lehre" (145). H. legt es wie schon
in dem Buche von 1930 vollmächtig aus (142 ff.). Damit dient
seine Darstellung der klaren Abgrenzung gegen die römischkatholische
Theologie, vor allem auch durch die eindringende
Konfrontation Augustins und Luthers (126 ff.).

In alledem erweist Rudolf Hermann sich als ein unbestechlicher
Ausleger und Zeuge der Theologie Luthers. Er erliegt
nicht der Gefahr, in der die Dogmatiker, die Luther interpretieren
, leicht stehen und der viele von ihnen erliegen: nämlich
Luthers Theologie in das Schema einer der heutigen Schulen einzuzwängen
oder sie doch für dieses auszubeuten. Umgekehrt
macht H. bei seiner Auslegung und Beziehung Luthers auf
unsere Gegenwart manche kritische Bemerkung zur heutigen
Theologie und Kirche. So hat es polemischen Sinn gegenüber der
theologistisdien Neigung, wenn er sagt: „Auch aus nicht theologisch
genormter menschlicher Selbsterkenntnis kann die Theologie
viel lernen" (258). Karl Barths „Forderung, alles in der
Theologie um die Christologie zu konzentrieren", erfährt eine
Absage, und zwar auch namens der reformatorischen Theologie.
„Wir haben es in der fiducia mit Gott zu tun, und das enthält
immer zugleich Aussagen über Himmel und Erde, auf Grund
deren auch Christus und sein Werk erst recht zu verstehen ist;
jene Aussagen 6ind nicht lediglich aus ihm erst ableitbar" (491)
— das geht an die gleiche Adresse. Damit gehört zusammen,
wenn H. Anwalt der „Natur" ist: die Theologie soll die Ordnungen
unseres Lebens, in denen die ursprüngliche Schöpfung
Gottes sich gegen die menschliche Sünde und durch sie hindurch
gehalten hat, nicht „unter dem Motto der Buße hinunterziehen
in die geschehene Sünde". „In dem Anspruch auf Eigengesetzlichkeit
. . . appelliert gleichsam die Schöpfung an ihren
der menschlichen Sünde mächtig gebliebenen Schöpfer." Das besagt
dann: „Das Evangelium ist nicht für das Reich Gottes das
Gestaltungsprinzip, sondern für seine unwürdigen Berufenen das
rettende Wort und der heilende Quell" (139; vgl. 132). Eingehend
hat H. sich zu den Fragen des Natürlichen und der natürlichen
Theologie geäußert in seiner Schrift „Fragen um den Begriff
der natürlichen Theologie", 1950. Ich brauche nicht auszusprechen
, daß ich H., wie in seiner Luther-Auslegung überhaupt,
so auch an diesem Punkte durchaus zustimme. (Nicht mit ihm zu
gehen vermag ich in Sachen des Kinderglaubens bei der Taufe,
294 f. Da muß ich das Gleiche geltend machen, was ich zu
K. Brinkeis Buch über die fides infantium bei Luther gesagt habe,
in dieser Zeitsdirift 1959, Nr. 11, Sp. 866 ff.)

Hermanns Sammelband ist nicht nur für die Mitarbeiter bestimmt
, sondern auch für die Pfarrer und alle anderen, denen
daran liegt, sich in die Theologie Luthers und der Bekenntnisse
zu vertiefen. Sie werden reich beschenkt.

Der Druck enthält manche Fehler. Für eine neue Auflage seien folgende
verzeichnet (es wird nur ein Teil sein, da ich nicht alle der mir
von früher her bekannten Aufsätze nodi einmal gelesen habe);
■0, Z. 10: „Simsons"; 148, Z. 17 v.u. lies „s.o." (statt „s.a."); 201,
Z. 11: „ihn" (statt „in"); 258, Z.2v.u.: „Interesse"; 259, Z. lOv.u.
statt „Geistlichkeit" lies „Geistigkeit" (so richtig im urspr. Druck in
der ZsystTh); 299, Z. 4 v.u. ist RGG einheitlich und ohne Punkt dazwischen
zu drucken; 305, Z. 4 lies statt „Freizeit" vielmehr „Freiheit";
307, Z. 10 fehlen nadi „Sehen" die Häkchen; Z. 4 v.u. sind sie hinter
„Theologie" zu tilgen; 315, Z. 8 v.u. muß es statt ,,Eph" heißen „Hebr.";
385 Mitte steht zweimal fälsdilidi „126. Psalm" statt „127"; 387,
Z. 17 v.u. gehört der Gedankenstrich vor „geheiliget"; 487, Z. 10:
sollte es nicht statt „überzeugt sie" heißen: „überzeugt sein"?; 489,
Z. 16 ist hinter „Ort" das Komma zu streichen; 490, Z. 1 ist das zweite
Komma, vor voluntas, hinter dieses Wort zu setzen. — Bisweilen ist
bei dem Verweise auf andere Arbeiten, die in diesem Bande abgedruckt
sind, nur die Stelle des Erstdruckes, nicht die in diesem Bande angegeben
. 151, Z. 4 ist für die Ziffer 401 (die sich auf den Erstdruck in der
ZsystTh bezieht) einzusetzen 146; s. außerdem 201, Anm. 1 oder 367,
Anm. 1. Überholt ist 142, Anm. 77. — In dem Inhaltsverzeichnis S. 9,