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Ausgabe:

1962 Nr. 3

Spalte:

211-215

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Wentzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm

Titel/Untertitel:

Kreuzzugsdichtung des Mittelalters 1962

Rezensent:

Schieb, Gabriele

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211

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 3

212

Wentzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm: Kreuzzugsdichtung des
Mittelalters. Studien zu ihrer geschichtlichen und dichterischen Wirklichkeit
. Berlin: de Gruyter 1960. XIX, 404 S. gr. 8°. Lw. DM 28.—.

Wer über Kreuzzugsdichtung des Mittelalters schreiben
und dabei die „Kontinuität einer Idee und die engen Zusammenhänge
zwischen geschichtlicher Situation und dichterischer Aussage
" (S. IV) erschließen will, räumt füglich, wie das Fr.-W.
Wentzlaff-Eggebert getan hat, der Historie den ersten Platz ein.
Er muß ferner den Blick geweitet halten auf die ganze mittelalterliche
Welt im Bannkreis der römisch-katholischen Kirche
und in den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen zu
Hause sein. Trotz dieser schwierigen Vorbedingungen nach
langen Jahren der Vorbereitung eine Zusammenschau des bisher
nur stückhaft Bewältigten gewagt zu haben, ist das hohe
Verdienst des Verfs., der Germanist ist wie die Rez.

Um der Fülle der Erscheinungen Herr zu werden, folgt er
schlicht chronologisch dem Ablauf des historischen Geschehens
in seiner Verquickung mit Aufstieg, Blüte und Verfall einer
Kreuzzugsideologie, die Impulse von verschiedenen Seiten erhält
und vielfach in sich geschichtet ist. So werden drei Etappen geschieden
, die beiden ersten Kreuzzüge (1096—1149), die Kreuzzüge
Barbarossas und Heinrichs VI. (1187—1198) und die Kreuzzüge
Innozenz'III. und Friedrichs II. (1198—1230) wie die weiteren
des 13. Jahrhunderts. Die sechs Teile des Buches schließen
sich je zwei und zwei zusammen. Der Darlegung der geschichtlichen
Situation und ihrer ideologischen Korrelate in Teil I, III, V
schließt sich jeweils in den Teilen II, IV, VI die Spiegelung in
der Dichtung an.

Unter „Kreuzzügen", das Wort wird erst seit dem Anfang
des 18. Jahrhunderts gebraucht, sind hier nur die Kriegsfahrten
ins HI. Land gemeint. Eine Ausweitung des Begriffes auf die
Mauren-, Normannen- und Slawenkämpfe ist bewußt vermieden
, weil diesen trotz mancher Parallelen keine so einheitliche
Ideologie entspricht. Ihre Nachwirkung auf die Literatur ist
allerdings auch nicht gering, und die verschiedenen Typen des
Heidenkampfes sind in ihrer literarischen Spiegelung oft zusammengeflossen
und nicht mehr sauber zu trennen. Werden doch,
etwa in den Chansons de Geste um Karl den Großen, geschichtliche
Überlieferungen der Heidenkämpfe in Spanien mit dem
neuen Geist der „Kreuzzüge" ins Hl. Land wiederbelebt. Auch
muß daran erinnert werden, daß schon das germanische Helden-
und Preislied auf der Stufe etwa der christlich-feudalen Umfär-
bung des Ludwigsliedes von 881 in Ludwig, dem Sieger über die
heidnischen Normannen, Züge des christlichen Kreuzritters
vorausnehmen konnte. Aber irgendwo mußte eine Grenze gezogen
werden, sollte die Darstellung der „Kreuzzugsdichtung"
nicht in der uferlosen Problematik Christentum - Heidentum
untertauchen.

Über eine Auseinandersetzung auf christlicher Seite mit dem
Glauben der „heidnischen" Gegner im Hl. Land ist wenig gesagt. Erstaunlich
bleibt, daß der Islam von heidnischer Vielgötterei im allgemeinen
nirgends deutlich geschieden, jedenfalls das „religionsgeschichtliche
Geschwisterkind" nidit als solches erkannt wurde. S. 189 ist 6tatt
„Zweifel der Heiden an der unbefleckten Empfängnis Mariae" zu lesen
„an der Jungfrauengeburt", denn Unbefleckte Empfängnis meint das
Dogma, daß Maria in Voraussicht der Erlösungsverdienste Christi vom
ersten Augenblick ihres Daseins an von aller Makel der Erbsünde bewahrt
geblieben ist, nicht, daß sie in unverletzter Jungfräulichkeit
unter Mitwirkung des Hl. Geistes Christus empfangen und geboren
hat. Da diese Verwechslung in der wissenschaftlichen Literatur immer
wieder begegnet, sei hier einmal ausdrücklich darauf gewiesen.

Bekanntes über die Entfaltung der im Grunde widerchristlichen
Idee eines hl. Krieges und einer militia Christi wird ergänzt
durch breiten Einbezug der Bullen, Aufrufe, Predigten,
Gebete u. ä. Das Karfreitagsgebet, als frühes Zeugnis einer Verbindung
von Imperium und Heidenkrieg angeführt (S. 3 f.), gilt
aber heute in der röm.-kath. Liturgie 60 nicht mehr. Es wurde,
reichlich spät, durch das Dekret über die Neuordnung der
Karwochenliturgie vom 16. 11. 1955 christlich abgewandelt. Besondere
Sorgfalt ist auf die steigende Bedeutung des Kreuzzugsgedankens
für die Selbstauslegung des Rittertums gewandt, von
kirchlicher Seite bewußt gelenkt, um aus dem Kriegsberuf dieses
Standes eine Tugend zu machen, ihn durch die religiöse Weihe
zu bändigen. Bernhard von Clakvaux vor allem prägt das spiri-
tualisierte Bild des Kreuzritters mit seiner Forderung einer

nova devotio, die von innen her kommen muß zur Vollendung
der Wirkung der äußeren Kreuznahme. Schon die zweite Periode
läßt übersteigertes, mehr und mehr nur einem Stande zugebilligtes
Ideal und diesem oft zuwiderlaufende Wirklichkeit empfindlich
auseinandertreten. Aufrufe und Predigten suchen zwar bis
in die dritte Periode hinein krampfhaft die religiöse Idee rein
zu erhalten, aber gegenüber den wirtschaftlichen und machtpolitischen
Hintergründen, die sich, für jedermann erkennbar, bei
allen Beteiligten immer stärker in den Vordergrund schieben,
wird sie immer machtloser, zumal die soziale Umschichtung den
Ritterstand seine tragende Rolle im Gesellschaftsleben längst hat
verlieren lassen. Die Kreuzzugsunternehmen sind schließlich
offener Kritik und Ablehnung ausgesetzt.

Dies alles spiegelt sich nun in der zeitgenössischen Dichtung
, wenn auch gewöhnlich, allerdings nach Gattungen verschieden
, zeitlich etwas nachhinkend. Der Gefahr, Dichtung nur
als Illustration der Historie zu betrachten, ist W.-E. zwar entgangen
, aber zu einer eigentlichen Ordnung der Erscheinungen
vom Literarischen her ist er auch nicht vorgestoßen. Das hat
seine Gründe.

Folgt man den sorgsamen und feinsinnigen Interpretationen
des Verfs., der bemüht ist, nichts zu pressen und in eine Entwicklungslinie
zu zwingen, vielmehr der Mannigfaltigkeit der
Erscheinungen ihr Recht zu lassen, so wird nämlich deutlich, daß
„Kreuzzugsdichtung" wohl eine Kontinuität vom Ideellen her
aufweisen, aber vom Literarischen her niemals eine Einheit bedeuten
kann. Vielmehr umfaßt der Terminus als lockerer Oberbegriff
poetische Erzeugnisse verschiedenster Dichter verschiedener
Zeiten, verschiedener Nationalität und sozialer Zugehörigkeit,
die verschiedenen literarischen Gattungen sehr unterschiedlicher
Tradition, Stilhöhe und Zweckbestimmung zugehören, denen
allein gemeinsam ist, daß sie mehr oder weniger vom Kreuzzugsgeschehen
und seinen ideologischen Begleiterscheinungen unmittelbar
oder mittelbar geprägt oder auch nur mitgeprägt sind.
Das hat wohl einer zusammenfassenden Darstellung von literarischer
Seite1 bisher immer noch hemmend entgegengestanden.

Trotzdem reizte es den Leser, im Sinne der thesenhaften
„Zusammenfassung der Ergebnisse" S. 325 f. und über sie hinausschreitend
, Querschnitte dieser Art durch das Buch zu legen.

Drei Schichten von „Kreuzzugsdichtung" ließen sich sondern
.

1. Unmittelbares Umsetzen des Inhaltes von Aufrufen,
Bullen, Predigten, Traktaten, auch historischen Berichten, eventuell
sogar eigenen Erlebens in Dichtung, die vor, bei oder nach
einem bestimmten Kreuzzug als Aufrufslied, Pilgerlied oder politisches
bzw. historisches Lied lebte, später auch, von unmittelbarer
gesellschaftlicher Wirkung weiter abgerückt, als chronikale
Epik. Hierher gehören z.B. aus der I. Etappe zwei anonyme französische
(nicht provenzalische! S. 375) Aufrufslieder (S. 44 ff.),
das erste von 1145/46, das zweite jünger (wohl doch erst von
1189, also der II. Etappe gehörig), die Kreuzlieder der Carmina
Burana (S. 52 ff.), wobei die historische Bindung und der heilsgeschichtliche
Bezug bei gemeinsamer Grundhaltung von Stück zu
Stück verschieden stark ist; aus der II. Etappe die Kreuzlieder der
Carmina Burana (S. 161 ff.) mit Hinzutreten der Klage und verstärktem
Aufruf des Einzelnen zu einer nova devotio, den gewandelten
Verhältnissen entsprechend, das Carmen Sangallcnse
in der Form eines Dialogs zwischen Kreuz Christi und Kreuzfahrer
und andere Lieder auf das Jahr 1187 (S. 168 ff.), in denen
sich Warnruf, Klage und Aufruf verbinden. Nicht erwähnt ist
ein namenloses anglonormannisches Aufrufslied Parti de mal et
a bien aturni (Bedier, Les chansons de croisade VI, S. 70), das
manche Gedanken mit dem zweiten anonymen französischen
Aufrufslied gemeinsam hat, von dem es wohl auch zeitlich nicht
zu trennen ist. Etwas jünger ist vermutlich das gleichfalls nicht
genannte Pom lou pueple reconiorteir eines Maistires Renas
(Bedier VII, S. 78), das die Könige von Frankreich und England
und die übrigen Großen aufruft und um das verlorene Jerusalem
klagt. Es fehlt auch ein zweites Lied des Conon de B£thune

1) Außer auf Bedier, H. Bach, Colleville, Lewent, Schindler u. a.
hätte noch auf E. R. Curtius, Der Kreuzzugsgedanke und das altfranzösische
Epos, Archiv für das Studium der neueren Sprachen,
169. Bd., 91. Jg. (1936), 48—56, gewiesen werden können.