Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1962 Nr. 3

Spalte:

183-194

Autor/Hrsg.:

Strobel, August

Titel/Untertitel:

Jahrespunkt-Spekulation und frühchristliches Neujahrsfest 1962

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5, Seite 6

Download Scan:

PDF

183

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 3

184

Jahrespunkt-Spekulation und frühchristliches Festjahr

Ein kritischer Bericht zur Frage des Ursprungs des Weihnachtsfestes

Von A. S t r o b e 1, Erlangen

Die Frage, wann und wie es zur Herausbildung der Feier
der Geburt Jesu am 25. Dez. und am 6. Jan. in der frühen Kirche
kam, gehört zu den dunkelsten — und daher zu den interessantesten
— der kirchengeschichtlichen Forschung. Über den Stand
des wissenschaftlichen Gesprächs, das zwei gegensätzliche Hypothesen
gezeitigt hat: die .apologetisch-religionsgeschichtliche'
(H. Usener, B. Botte, H. Lietzmann, H. Frank O. S. B. u. a.) und
die .spekulativ - kalendarische' (L. Duchesne, H. Engberding
O. S. B.), referierte zuletzt L. Fendt1. Seine Hinneigung zu der
zweiten ist unverkennbar. Eine neuerliche Untersuchung zu dem
umstrittenen Thema liegt vor durch W. Hartke2, Mitglied der
Sektion für Altertumswissenschaft der Berliner Akademie. Die
scharfsinnige und kenntnisreiche Studie ist revolutionär genug
angelegt, so daß sich ein eingehender Bericht rechtfertigt. Das
um so mehr, als der Verfasser eingangs selbst betont, daß es ihm
um die Weiterführung des durch L. Fendt gezeichneten Standes
der Forschung geht. Und in der Tat ist es offensichtlich, daß
allenthalben eine vermittelnde (freilich auch schwindelnde!)
Brücke zwischen den beiden genannten Positionen geschlagen
wird, über die wir nicht nochmals zu berichten brauchen. Von
zwei Seiten, her macht W. Hartke 6eine kühne Konstruktion nach
Kräften tragfähig. Einmal, indem er den frühchristlichen Kalender
und die zweifellos mit ihm verbundene Jahrespunkt-Spekulation
durch neue Einsichten bereichert bzw. zu bereichern sucht,
dann, indem er die hippolytisch-novatianische Komponente in
der ältesten Überlieferung zur Geschichte des Festes zur Geltung
bringt und — wie wir sagen müssen — freilich auch überbewertet
. Der scharfe sozial- und gesellschaftskritische Blick W. Hartkes
gelangt endlich zu dem Ergebnis (S. 102), das Weihnachtsfest
(25. Dez.) sei seinem Ursprung nach ein Ausdruck des Protestes,
und zwar ein solcher ,der religiösen und sozialen Opposition
gegen die herrschende Sklavenhaltergesellschaft und gegen den
absoluten Imperator wie auch gegen kirchliche Machthaber, gegen
NichtChristen und erst recht gegen sogen. Christen, die das vom
Geiste Jesu und des Urchristentums bestimmte Gewissen der treu
gebliebenen Christen vergewaltigen wollen'. Der modern und
aktuell anmutende Ausklang macht uns die Schrift sympathisch.
Als historischer Ertrag wird er sich einer kritischen Prüfung
unterziehen lassen müssen. Die Darstellung setzt dort ein, wo die

gende Argumente herbei, wonach die 112jährige Osterperiode
Hippolyts von der 84jährigen Periode abgeleitet ist. Da der Rez.
das hohe Alter der letzteren auch bereits behauptet hat', ist ihm
dieses sichere Ergebnis, von dem er erst jetzt Kenntnis nehmen
konnte, eine Genugtuung. Nach B. Krusch5 wäre die 84jährige
Periode um die Wende zum 4. Jhdt. n. Chr. aufgekommen.
Ed. Schwartz6 konnte den Nachweis erbringen, daß sie bereits
dem Komputisten von 243 bekannt war. W. Hartke kann nun
zwingend argumentieren, daß sie bereits in der 2. Hälfte de6
2. Jhdts. n. Chr. erstellt wurde. Das Zeugnis der Alten Kirche, das
in der Tat um die vorhippolytische Entstehung weiß, hat also
wieder einmal wahrheitsgemäß berichtet (s. Cyrill v. Alex, im
Blick auf Hippolyts Osterkanon: peius aliquid addideiunt ed.
Krusch S. 337). Ed. Schwartz glaubte wegen des gemeinsamen
Siebenerschemas (7 X 12 bzw. 7 X 16) noch annehmen zu können
, die 84jährige Periode sei auf Grund des Osterkanons
Hippolyts deduziert worden. Die folgenden Beobachtungen machen
es sicher, daß das Verhältnis beider Rechnungen umgekehrt
bestimmt werden muß:

1) Die Lunae XIV der Jahre 1 und 2 der hippolytischen Periode entsprechen
jeweils genau den Lunae XIV der ersten beiden Jahre der
84jährigeu Periode (= 13. und 2. April). Dasselbe gilt von den letzten
beiden Jahren der 1. Sedecennitas (also 15 und 16), deren Lunae XIV
die der Jahre 83 und 84 der 84jährigen Periode sind (= S.April und
25. März). Es zeigt sich weiter, daß alle Lunae XIV der ersten Okta-
eteris Hippolyts genau den Lunae XIV der ersten 8 Jahre der 84jährigen
Periode angepaßt wurden. Zu bedenken ist nur, daß Hippolyt den römischen
Schalttag berücksichtigt. Dasselbe gilt von der zweiten Oktaeteris
der hippolytischen Sedecennitas und den letzten acht Jahren (77—84)
der genannten Periode.

2) Die sklavische Abhängigkeit von der Vorlage hat weiter dazu
geführt, daß Hippolyt zwischen den beiden Oktaeteriden seines 16jähri-
gen Zirkels einen Bruch bestehen lassen mußte. Die Epakte des 9. Jahres
ist nicht, was allein richtig wäre, 29, sondern 3, und zwar deshalb, weil
hier schematisch die 84jährige Periode (mit dem entsprechenden Jahr 77)
kopiert ist. .Dieser Bruch ist der zwingende Beweis, daß der 84j. Cyclus
primär und die 112j. Periode sekundär ist' (S. 10).

3) Das 9. Jahr des hippolytischen Zirkels setzt die Luna XIV auf
den 13. April, statt —wie in der 84jährigen Periode —auf den 11. April.
.Hippolyt brauchte, wenn er einerseits die Schalttage berücksichtigen,
andererseits auf die XIV lunae des 84j. Cyclus herauskommen wollte,

jüngsten konträren Beiträge zum Thema3 ein nicht mehr zu er- Emen Vorsprung von 2 Tagen' (S. 11).
hellendes Dunkel vermuten und daher schweigen. Indessen — das j Diesem Beweis ist in der Tat nichts mehr hinzuzufügen,
zeigt W. Hartke besonders auf den ersten Seiten sehr überzeu- j denn er gründet auf Zahlen, die für sich sprechen. Die Vermu

gend! — ist die Lage keineswegs ganz hoffnungslos. Vielleicht
liegt hierin der schönste Wert des Buches, daß es dazu auffordert,
sich mit dem heute weithin vernachlässigten Gebiet des frühchristlichen
Kalenders zu beschäftigen. Mit seiner Struktur und
seinen Gesetzen wohl vertraut, versucht W. Hartke in ihm die
Antwort auf die Frage des Aufkommens der Geburts d a t e n
und der beiden Geburts feste, Epiphanias und Weihnachten,
zu finden.

a) Das Zeugnis der 84jährigen Periode.

Es sei gleich bemerkt, daß die Darstellung mit einer überaus
bemerkenswerten Beobachtung einsetzt. W. Hartke bringt zwin-

*) L. Fendt, Der heutige Stand der Forschung über das Geburtsfest
Jesu am 25. XII. und über Epiphanias, ThLZ. 78, 1953, Sp. 1 ff.

2) Hartke, Wilhelm: Über Jahrespunkte und Feste, insbesondere
das Weihnachtsfest. Berlin: Akademie-Verlag 1956. 106 S. gr. 8° =
Deutsdie Akademie der Wiss. zu Berlin. Sdiriften der Sektion für
Altertumswiss. 6. DM 15.—.

3) H. Frank O. S. B.. Frühgeschichte und Lirsprung des römischen
Weihnachtsfestes im Lichte neuerer Forschung. Arch. f. Lit.-wiss. II, 4) ZNW 51, 1960, S. 86; ThLZ 86, 1961, Sp. 182 f.

1952, S. 1 ff.; H. Engberding O.S.B., Der 25. Dezember als Tag der j 6) B. Krusch, Der 84jährige Ostercyclus und seine Quellen, Leipzig
Feier der Geburt des Herrn, ebda S. 25 ff. Mehr für Frank hat sich I 1880 (in Stud. z. mittclalterl. Chron.) S. 4.

tung L. Idelers7, der ebenfalls das höhere Alter der 84jährigen
Periode behauptete, hat durch W. Hartke ihre eindeutige Bestätigung
gefunden.

Ergänzend möchten wir allerdings noch zu bedenken geben, ob
nicht zugleich, was schon L. Ideler wollte, der quartadeeimanische Ursprung
und Charakter der Periode, also eine jüdische Komponente, behauptet
werden muß. Dafür spricht 6ehr überzeugend die altkirchlichc
Tradition. Dionysius Exiguus gibt die Periode in Ad Petronium aus als
Iudaicis iabulis veranlaßt. Das sehr alte Zeugnis des Computus de
Pascha von 243 n. Chr. spricht von aliqui ex nobis, die den Tag des
Passa (Luna XIV) secundum Iudaeos aufwiesen (demonstrare). Daß
an dieser Stelle frühchristliche Vertreter der 84jährigen Periode gemeint
sind, ist seit Ed. Schwartz sicher.

Damit wird u.E. problematisch, was W. Hartke (S. 13—17)
über die Erfindung der Periode durch Theophilus von Antiochien
äußert. Daß sich der Bischof nachweislich chronologisch betätigt
hat*, ist für seine Autorschaft zweifellos noch kein Beweis. Der
nicht uninteressante Hinweis, wonach in der weltchronologischen
Konzeption des Antiocheners die Genesis Christi auf das Jahr 16

neuerdings ausgesprochen O. Cullmann, Der Ursprung des Weihnachtsfestes
, 1960; für Engberding entscheidet sidi E. Weigl, Die Oration
.Gratiam tuam, quaesumus, Domine'. Zur Geschichte des 25. März in
der Liturgie, in Passauer Studien. Festsdir. f. Bischof Landersdorfer
OSB, 1953, S. 57-73 (Quellen aus dem 4.-7. Jhdt.!).

6) E. Schwartz, Christliche und jüdische Ostcrtafeln, In Abh. d.
kgl. Ges. d. Wiss. Gott., phil.-hist. Kl. NF Bd. VIII, 1905, Nr. 6, S. 40.

7) L. Ideler, Handbuch der math. und techn. Chronologie, Berlin
1825, Bd. 1, S. 571 f.

") Ob kalendarisch, wissen wir nicht.