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Ausgabe:

1961 Nr. 2

Spalte:

143-144

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Baden, Hans Jürgen

Titel/Untertitel:

Neugier und Glaube 1961

Rezensent:

Mann, Ulrich

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

144

abgeschnitten, indem er rein antirationahstisch vom Glauben
an Gott redet.

3. Heute kann das Denken wieder zum Person-Denken
durchbrechen. Im technischen Denken hört' die Welt auf, objektiv
zu sein und wird Mittel zur Realisierung der Person. In der
Biologie weniger bei Gehlen ak bei Portmann wird die Erscheinung
der Welt nicht als Materie oder vom Sinn her ausgelegt.
In der Anthropologie ist die Welt wieder Deutung des Menschen.

Damit wird der Durchbruch durch die Mauer der Gegenständlichkeit
möglich. Der Leib des Menschen ist Brücke zur
Welt und die Welt für ihn Mittel zur Verwirklichung, das aber
stets über sich hinauswächst.

An der Entwicklung des Menschen kann deutlich v/erden,
daß der Mensch Person ist, auf Welt und Verwirklichung gesetzt
, und daß im Selbstbewußtsein, wenn der Geist als Ich erwacht
, der Mensch die Welt als Möglichkeit erkennt, aber zugleich
auch ständig über die Welt hinaus gespannt ist.

Diese Spannung: An den Leib gebunden zu sein und doch
aber über ihn hinaus auf Erfüllung aus zu sein, macht die natürliche
Gottbezogenheit des Menschen aus. Er ist Wille vor der Vernunft
, weil die Liebe dem Erkennen voraufgeht. Und im Erkennen
ist der Mensch doch stets über sich hinaus, auf den hin, der
ihn erfüllen kann als Person. Person ist also mehr als Welt. Sie
erfährt sich aber in der Welt als Ich und ist auf die Erfüllung gespannt
.

4. Damit ist die Lösung für den selbstentfremdeten Menschen
von heute angedeutet: Nicht eine bessere Philosophie ist
von Nöten, sondern daß wir der Wahrheit standhalten, daß der
Mensch die Welt übersteigt und daß er ihr voraus ist als Person.

Für den Menschen, der sich als transzendierende Person versteht
, wird Gott erkennbar, er ist eine anima naturaliter Christiana
. Christus aber ist nicht nur um der Sünde willen gekommen,
sondern um die Schöpfung als Mensch zu erfüllen. Er ist die Tür,
die sich dem Menschen zum Trans öffnet. —

Der Entwurf nimmt also die Denkanstöße unserer Zeit auf
und sucht sie mit der Kategorie des Personalen einer Lösung zuzuführen
. Diese Rückführung ist sympathisch. Vor allem wird so
gut verarbeitet, „daß das Denken heute den Leib als Mittel
wieder entdeckt".

Es ist aber zu fragen:

1. Ob das Personverständnis theologisch ausreicht, wenn
das Ich als Selbst, das auf das Unendliche bezogen ist, verstanden
wird. Ist Person nicht schon als vom Ur-Du ins Leben gerufen zu
6ehen, so daß also im theologischen Denken nicht vom Menschen,
sondern allein von Gott ausgegangen werden kann.

2. Damit ist in Frage gestellt, ob dieses Personverständnis,
wenn es denn „natürlich" zu erreichen ist, schon Gotteserkenntnis
einschließt, ob nicht vielmehr eben Gotteserkenntnis reine
Anerkenntnis voraussetzt. Dann ist aber auch Luther nicht als
Antirationalist zu bezeichnen (was nach den neuesten Untersuchungen
auch sachlich unrichtig ist), sondern vielmehr von
Luther her zweierlei zu sehen:

a. ) daß es Gotteserkenntnis auch nicht von dem sich wagenden
Selbst her gibt, sondern nur im Glauben, d. h. wo der
Mensch nicht aus Selbstliebe (amor sui), sondern von Gottes
Liebe bewegt wird;

b. ) daß darum keine natürliche Gotteserkenntnis, sondern
nur Gotteserkenntnis von Christus her wirklich ist, wie Luther
das in der Heidelberger Disputation beschrieben hat.

Hamburg Hans-Rudolf Müller-Schwefe

Baden, Hans Jürgen: Neugier und Glaube. Gütersloh: Gerd Mohn
[1959]. 183 S. 8°. Lw. DM 12.50.

Wäre der Verfasser nicht längst für seine treffsicheren Zeitanalysen
bekannt, der Titel verspräche nicht eben viel. Mit der
Neugier will ja der ernsthafte Mensch nichts zu tun haben, man
erwartet eigentlich nur, daß vom Glauben her ein Autodafe mit
der Neugier vollzogen werden kann.

Um so mehr überrascht der Inhalt des Buchs. Es gelingt dem
Verfasser, im Medium der Neugier die rätselhafte Existenz des

„natürlichen Menschen" so zu erhellen, daß das Psychologische
vom Theologischen her verständlich wird. Der Glaube ist die
Antwort, auf die die Neugier zielt, ohne sie vorwegzunehmen, ja,
ohne sie im eigentlichen Sinn zu erwarten. Die Neugier i6t in der
vorgläubigen Existenz immer auch verfälscht, was nicht dagegen
spricht, daß sie als ein defizienter Modus der ursprünglichen
Schöpfungsoffenbarung anzusehen ist. Eß ist das Verhängnis der
Neugier, daß sie zur Sensationslust entartet und sich mit vordergründigen
Erkenntnissen abspeisen läßt, ohne zum Ziel, geschweige
zur Ruhe zu kommen. Besondere Spielarten sind einmal
die „publizistische Neugier": hier finden wir eine gründliche Abrechnung
des Verfassers mit der öffentlichen Orientierung im
feuilletonistischen Zeitalter; da gibt es ferner die „geschichtliche
Neugier", die im Großen zu Revolutionen und im Kleinen zur
Verzettelung des Lebensplans führen kann; es gibt die „geistige
Neugier" und die „religiöse Neugier": und in dem allen sind
echte Fortschrittskräfte wirksam, die den Menschen nach Besserem
Ausschau halten lassen, und zugleich das Verhängnis der Sensationshascherei
. Ein besonderes Kapitel ist die „geschlechtliche
Neugier", die den Menschen bis ins Alter verfolgt.

Höhepunkt der tiefschürfenden Analyse ist wohl das, was
Baden über die „Geschichtsphasen der Neugier" zu sagen hat.
Hier findet sich eine fesselnde Auseinandersetzung mit Karl
Jaspers' Schau der „Achsenzeit", und im Zusammenhang damit
eine vortreffliche Skizze über das Wesen der antiken Aufklärung
und der modernen Renaissance. Man könnte geradezu „eine Geschichte
der Menschheit unter dem Aspekt der Neugier schreiben
" (S. 115), den Ansatz dazu entwirft Baden in diesem Kapitel.

Die Rolle der Neugier als religiöses Phänomen ist das große
Thema des Schlußabschnitts. Ausgehend von der Bedeutung der
Kategorie des Neuen für das NT, aber auch schon für das Alte
Testament, untersucht der Verfasser die religiösen Entartungserscheinungen
, besonders Spiritismus und Okkultismus. Der
Glaube ist das „Ende der Neugier", aber dieses Ende ist zugleich
Ziel: es liegt ein „messianisches Element" in der Neugier der
vorgläubigen Existenz, und darin erweist sich die Neugier doch
letztlich als „besser als ihr Ruf" (S. 175).

Badens treffsichere und tiefgründige Untersuchung ist weniger
eine systematische Arbeit im streng wissenschaftlichen Sinn
als eine allgemeinverständliche Abhandlung, in glänzendem Stil
übrigens: aber die wissenschaftliche Vorarbeit ist zu spüren, die
Anmerkungen und Quellenhinweise regen zu eigener Nacharbeit
an. Solche Brückenschlage zwischen Fachwissenschaft und Allgemeinheit
sind sehr notwendig und in solch vorbildlicher Architektonik
auch nicht eben häufig. Für die fachtheologische Arbeit
ergeben 6ich daraus zahlreiche neue Aspekte, die weiter verfolgt
werden sollten. Der im Amt der Wortverkündigung Stehende
findet hier eine gute Hilfe für die Praxis des Lehrens. Und der
Nichttheologe, der Gläubige wie der Reservierte, kann hier eine
Deutung seiner Existenz kennenlernen, die ihn zutiefst bewegen
wird.

Tübingen Ulrich Mann

Kinder, Ernst: Die Erbsünde. Stuttgart: Schwabenveriag [1959].
148 S. 8° = Peter und Paul Büdierei. Kart. DM 5.50.

Herausgeber der vorliegenden Schrift ist die „Sammlung".
Auf ein Vorwort von H. Asmussen (7—33) folgt das K.sche Referat
(3 5—8 3) mit anschließenden Bemerkungen katholischer Theologen
(8 5—90). Beigegeben sind ferner nachgedruckte Aufsätze
von Peter Brunner, Hans Asmussen, Heinrich Fries zu dem
Sammelband „Katholische Reformation" (91—138) und schließlich
das Manifest der „Sammlung" vom 1. Mai 1958 (139—148). Wer
sich über die „Sammlung" und ihre Bestrebungen, im Gegensatz
zur Ökumenischen Bewegung zunächst eine Einigung mit der römischen
Kirche herbeizuführen und erst später eine Annäherung
an die orthodoxe zu vollziehen, orientieren will, findet hier also
reichliches Material. K.s Aufsatz umfaßt mit seinen rund 50 Seiten
gerade ein Drittel der Broschüre, die sich nach ihm betitelt, was
etwas seltsam anmutet.

K. stellt die Erbsündenlehre nach den lutherischen Bekenntnisschriften
dar, wobei er sich außer auf den Text vor
allem auf Brunstäd stützt. Problematisch sind seine Ausführungen
über den durch die Taufe herbeigeführten „Existenz-