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Ausgabe: | 1961 Nr. 2 |
Spalte: | 142-143 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Allgemeines |
Autor/Hrsg.: | Hollenbach, Johannes Michael |
Titel/Untertitel: | Der Mensch der Zukunft 1961 |
Rezensent: | Müller-Schwefe, Hans-Rudolf |
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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2
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einem Elegchos, dessen Ergebnis ist, daß auch Jaspers im faktischen
Vollzug erfüllten metaphysischen Denkens zu Aussagen
über Transzendenz mit dem Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit
kommt, wenn auch unter der Bedingung existentiellen
Nachvollzuges ihrer Erfahrung. Wenn in Jaspers analytischer De-
skription die Weisen der Gegenständlichkeit in ihrer abgründigen
Verschiedenheit gezeigt werden, die nur im „Sprung" überwunden
wird, so kann umgekehrt vom Vollzug dieses „Sprunges",
d. i. aus dem konkret erfüllten metaphysischen Denken heraus
die Kontinuität aller Weisen des Gegenständlichen (für Existenz!)
erfahren werden (117). Wenn Jaspers nach Verf. immer wieder
bei der ersten Haltung stehen bleibt (134), so ist hier über ihn
hinauszugehen zum Vollzug erfüllter, existentiell gegründeter
Metaphysik. Der Philosoph muß das „Recht haben, aus seiner
echten menschlichen Haltung objektiv auszusagen, was vor diesem
Forum der echten Menschlichkeit allgemein wahr ist" (127).
Als Beleg für diese Haltung führt Verf. die Jaspers methodisch
nahestehende „ontologische Affirmation" von H. Kuhn an.
Der Wert der knappen aber gehaltvollen Studie liegt in deT
Intensität und Sorgfalt, mit der hier Existenzphilosophie und
philosophische Tradition ins Gespräch gebracht werden und einander
gegenseitig beleuchten. Wenn auch der Primat der Existenzdialektik
vor der objektivierenden metaphysischen Aussage nicht
immer durchgehalten ist (114 f.; vgl. auch 124: ethisch pragmatische
Motivierung der unbedingten Kommunikation: „der innerlich
reife Mensch äußert .. . seine Ehrfurcht für die Wahrheit und
6einen Respekt für den Menschen in möglichst weitgehender
Toleranz") so ist doch die Geschichtlichkeit der metaphysischen
Tradition grundlegend gesichtet — die Seinsidee ist für Verf.
„ursprünglich überhaupt kein Begriff, sondern ein Vollzug, der
nachträglich objektiv ausgedrückt wird" (13 5) im Wege der Analogie
— und damit vielleicht gerade die' Möglichkeit eröffnet,
daß die traditionelle Schulmetaphysik in neuer Weise zum Sprechen
kommt.
München Wenzel Loh f f
H e i n e m a n n, Fritz (Hrsg.): Die Philosophie im XX. Jahrhundert.
Eine enzyklopädische Darstellung ihrer Geschichte, Disziplinen und
Aufgaben. Stuttgart: Klett 1959. 612 S. Lw. DM 34.50.
In einer längeren Einleitung verbreitet sich der Herausgeber
über die Aufgabe einer Enzyklopädie. Er sieht ihre Aufgabe nicht
darin, eine neue Philosophie zu verkünden. „Ihre Aufgabe ist
«ine viel bescheidenere, nämlich vortastend, experimentierend,
Zugänge eröffnend, Raum zu schaffen für neues Philosophieren.
Sie tut das, indem sie den unerschöpflichen Reichtum des Seins,
des möglichen und wirklichen, anerkennt. Dieser Unerschöpflichkeit
entspricht die Mannigfaltigkeit der Zugangswege, die sich
in den alternativen Philosophien, Religionen, Künsten, Geometrien
, Logiken und Wissenschaften eröffnen. Das ist die große
Chance, die sich in dieser Form zum ersten Mal einer Enzyklopädie
des 20. Jahrhunderts darbietet" (S. 22).
Der erste Teil bietet einen Überblick über die Geschichte
der Philosophie. Hier werden die chinesische, die indische, die
griechisch-römische, die patristisch-scholastische und die neuzeitliche
Philosophie von kompetenten Fachleuten behandelt.
Der Herausgeber selber bringt diesen historischen Teil zum Abschluß
durch Ausführungen über „Schicksal und Aufgabe der
Philosophie im XX. Jahrhundert".
Der zweite Teil behandelt systematische Probleme. Hier
verbreitet sich je ein Fachmann über Erkenntnistheorie, Logik,
Philosophie der Mathematik, Metaphysik, Naturphilosophie,
Philosophie des Lebendigen, Wertphilosophie, Ethik, Ästhetik,
Geschichtsphilosophie, Philosophie der Politik, Kulturphilosophie
und Philosophische Anthropologie. Leider fehlt hier ein Abschnitt
über Religionsphilosophie. Ebenso vermißt man in dem vom
Herausgeber bearbeiteten Kapitel „Metaphysik" eine Darstellung
der Metaphysik von Günther Jacoby, dem neben Hartmann
bedeutendsten Vertreter der Ontologie in der Gegenwart. Ähnliches
gilt vom Abschnitt über „Ethik", wo die zahlreichen Arbeiten
zur Ethik von Dietrich von Hildebrand überhaupt nicht
genannt werden. (Auch meine „Ethik" fehlt hier, obwohl sie bereits
in zweiter Auflage, und zwar in dem internationalen Verlag
Brill erschienen ist.) Wer sich über gewisse Modeströmungen in
der Philosophie orientieren will, wird mit besonderem Interesse
die Darstellung lesen, die der Herausgeber von der „Existenzphilosophie
" gibt (S. 275 ff.). Eine Definition der Existenzphilosophie
ist nach Heinemann nicht möglich. Man soll deshalb
nicht fragen: „Was ist das Wesen der Existenzphilosophie?",
sondern: „Was ist ihre Funktion in der augenblicklichen Situation
der Philosophie und des Menschen?" Diese Frage ist nach
Heinemann etwa dahin zu beantworten, daß die Existenzphilosophie
„anstelle von traditionellen Scheinproblemen (ob die
Außenwelt real sei oder ob sich die Existenz anderer Personen
beweisen lasse) die echten Probleme des Selbstseins, des In-der-
Welt-Seins der Person und der Kommunikation der Personen
miteinander gesetzt habe. Wie immer man diese Funktion bestimmen
möge, der Aufruf zum eigentlichen Selbstsein darf in
keiner dieser Interpretationen als die wesentlichste übersehen
werden" (S. 276). Indes ist „die augenblickliche Situation durch
die innere Auflösung dieser Philosophien gekennzeichnet"
(S. 277). Heidegger behauptet, nie Existenzphilosoph gewesen
zu sein, Jaspers ist von seiner Existenzphilosophie zu einer
Philosophie der Vernunft fortgeschritten, Sartre hat seinen
Existentialismus in einen Humanismus umgedeutet. „Die Tatsache
einer inneren Selbstauflösung dieser Bewegung ist nicht zu
leugnen. Sachlich ist zu sagen: die Existenz reicht als ein konstitutives
Prinzip nicht aus" (S. 277).
Dem reichhaltigen Buch ist eine weite Verbreitung und eine
baldige Neuauflage zu wünschen, in der dann gewiß die angedeuteten
Lücken ausgefüllt sein werden.
Köln Johannes Hessen
Bergenthal, Ferdinand: Die Konkretisierung. Um den eigentlichen
Ernst des Hegeischen Denkens — ein Entwurf.
Theologie und Glaube 50, 1960 S. 280—289.
Bogliolo, Luigi: Un filosofo cristiano: Armando Carlini.
Salesianum XXII, 1960 S. 3 55—360.
R o n c o, Albino: Considerazioni sopra una teoria fenomenologica della
personalitä.
Salesianum XXII, 1960 S. 326—3 54.
S t ü 111 e r, Josef: Zum Problem der Gotteserkenntnis im Spätwerke
Schellings. Ein Beitrag zur Interpretation der Schellingschen Altersphilosophie
.
Zeitschrift für katholische Theologie 82, 1960 S. 27 5—289.
SYSTEMATISCHE THEOLOGIE
Hollenbach, Johannes Michael, S. J.: Der Mensch der Zukunft.
Anthropologische Besinnung in der Weltwende. Frankfurt/M.:
J. Knecht [1959]. 452 S. 8°. Lw. DM 17.80.
Diese Untersuchung beweist die Regenerationsfähigkeit des
katholischen dogmatischen Denkens in unserer Zeit. Der Krise
des sachlichen Denkens in der Wissenschaft wie in der Theologie
wird entsprochen. Vor der Person her und auf sie hin versucht
der Verfasser mit Konsequenz und Umsicht dem Denken zur
Erneuerung zu verhelfen.
Folgende Schritte geht die Untersuchung:
1. Die Selbstentfremdung des Menschen wird beschrieben.
Der Mensch hat die Innerlichkeit verloren; die Welt ist ent-
innerlicht. Gott aber schweigt.
2. Diese Selbstentfremdung entspringt der steigenden Personvergessenheit
des abendländischen Denkens. Noch für Par-
menides war die Person Voraussetzung für die Vereinbarung von
Sein und Nichtsein. Schon bei Aristoteles beginnt die Personvergessenheit
. Er reduzierte das Verstehen zwar noch nicht auf
die Kausalität; aber doch tritt an die Stelle der personalen Logik
die formale. D. h.: Es geht um Richtigkeit in der Welt, nicht
mehr um Person als Voraussetzung. Thomas von Aquino hat
zwar den Aristotelismus dem christlichen Glauben unterworfen,
indem er Primär- und Sekundärursachen unterschied. Aber er
hat doch die Personvergessenheit des Abendlandes gefördert,
indem er Gottes Sein nicht mehr als Personsein, sondern sachlich
beschrieb. Also nicht Seinsvergessenheit, wie Heidegger meint,
sondern Personvergessenheit ist der Fehler der Scholastik.
Luther hat die Möglichkeit einer Regeneration der Vernunft