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Ausgabe:

1961 Nr. 2

Spalte:

139-141

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Armbruster, Ludwig

Titel/Untertitel:

Objekt und Transzendenz bei Jaspers 1961

Rezensent:

Lohff, Wenzel

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139

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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Mythologie, in ein Märchen von höherer Realität wie Pygmalions
Weib verwandeln (II 62/18; „Märchen" und „poetisch" sind
nicht abwertig, sondern Ausdruck wunderbarster gegenwärtiger
Lebendigkeit!). Der tote Götze einer Philosophiegeschichte wird
auch weiter immerwährend nur verlacht (II, 62/29)1 Man kann
davon überhaupt nur so reden und studieren, daß es überhaupt
keine Philosophiegeschichte gibt (II, 63/28) . . . H. notiert daher
nur Anekdoten . .. Anekdoten, die in einen Mythos führen ...
zum Zentralmythos der Welt!

Drittens: Einheitlichkeit und Durchsichtigkeit
im I. Hauptteil. Der Kommentar zerlegt in
pädagogisch vorzüglicher Weise hier noch mehr als 6onst alles in
kleinste Sinnabschnitte, um des Textes Herr zu werden. Aber es
kann darüber der große Zug der Gedanken sich sehr entfernen.
Der erste Hauptteil hat eigentlich nur drei Themen: die Muttergabe
(Hebammenkunst), die Vatergabe (Bildhauerkunst), die
Gottesgabe (die unwissende Prophezei — auf Christus). Das
Mittel6tück ufert etwas aus; der Kommentar findet die Unterabschnitte
: Der Bildhauersohn, Sokrates als Bildhauer, Kritik an
einigen Darstellern des Sokrates, Sokrates und die Knabenliebe;
er kommt dabei um Kopfzerbrechen nicht herum. Aber man kann
diese ganze Folge nur verstehen, wenn man alles als radikal ironisierende
Einheit gegen die Moderne liest (ab 67/15): nun gibt es
Leute, Moderne, die gleichsam den Bildhauer in Sokrates am höchsten
schätzen (wie lächerlich!), abgeschmackte Ankläger und
Verleumder, deren Gedanken nun voll tiefster Ironie vorgetragen
werden: natürlich, wohlgebildete Jünglinge, er mochte
sie; man kennt ja das Laster des Altertums; wer wird von solchen
Lastern weiß brennen wollen; es gibt da auch Anekdoten, die auf
allerlei bei Sokrates deuten; man muß ja menschlich und christlich
darüber denken. Mit Absicht gehen diese Gedanken ein wenig
bunt und unvereinbar durcheinander; man soll merken, daß alles
Unsinn ist; es ist alles nichts als Ironisierung der Moderne und
ihrer „Historie'. So kommt es denn auch schon hier zu einer Art
Schlußtriumph: in der Wirklichkeit und im Ernst ist der leidende
Erlöser der „Schönste unter den Menschenkindern"! Die Welt
ist nicht platt, sondern paradox. Diese Paradoxie führt dann
weiter zum Orakelspruch von Delphi, zur sokratischen Unwissenheit
, zum Genius und der Prcphetie und zur Schlußrede von der
wirklichen Wahrheit Gottes. — Man freut sich immer wieder,
mit welcher Kraft diese letzte verborgene Zielsetzung überzeugend
herausgeholt wird, und wie die Sicherheit dessen im Laufe
des Kommentars noch wächst. Wenn man gelegentlich im einzelnen
auch variieren möchte, man kann der Gesamtleistung
nur im höchsten Maße dankbar sein und für die noch folgenden
Bände das gleiche wünschen.

Kleinmachnow b. Berlin Wilhelm Koepp

Burckhardt, Carl J.: Hebel — seine Gestalt und seine Dichtung.
Universitas 15, 1960 S. 1067—1074.

Carsaniga, Giovanni: Albert Camus: o il mito di Prometeo.
Protestantesimo XV, 1960 S. 152—160.

Günther, Joachim: Die zwei Gesichter Ernst Wiecherts.
Zeitwende XXXI, 1960 S. 532—541.

— Franz Werfeis glückliche Unentwegtheit. Erfolg, Kritik und Metakritik
.

Zeitwende XXXI, 1960 S. 740—748.
Schauder, Karlheinz: Literatur und Politik — Zum 5. Todestag von
Thomas Mann.

Kirche in der Zeit 15, 1960 S. 256—258.

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Armbruster, Ludwig, S. J.: Objekt und Transzendenz bei Jaspers.

Sein Gegenstandsbegriff und die Möglichkeit der Metaphysik. Innsbruck
: Rauch [1957]. 139 S. 8° = Philosophie und Grenzwissenschaften
. Schriftenreihe, hrsg. v. Philos. Institut a. d. Theol. Fakultät
Innsbruck. IX/'l. Kart. DM 9.75; öS. 58.50.

Immer wieder hat das eigenartig dialektische Verhältnis, das
Jaspers' Philosophie zur herkömmlichen Metaphysik einnimmt —
es scheint den Raum metaphysischen Denkens zu eröffnen, um
ihn alsbald wieder zu verschließen — zur Auseinandersetzung
gereizt. Das gilt vor allem für ein Denken im Horizont der traditionellen
Schulmetaphysik. Gerade, weil Jaspers in überzeugender

Weise das in der Immanenz sich schließende Philosophieren durchbricht
, wäre er ein erwünschter Bundesgenosse, wenn über seine
Stellung zur Metaphysik endgültig Klarheit gewonnen werden
könnte. Die Schwierigkeit liegt dabei im Verhältnis der Gegenständlichkeit
philosophischen Denkens zur Transzendenz, über
das Jaspers unter Berufung darauf, daß Transzendenz alle Gegenständlichkeit
übersteigt, keine undialektische Aussage machen
will. Verf. sucht durch eine sorgfältige und eingehende Analyse
der verschiedenen Arten von „Gegenständlichkeit", die im Denken
von Jaspers vorkommen, zu erweisen, daß diese Zurückhaltung
dem Duktus des Jaspers'schen Philosophierens nicht notwendig
entspricht, sondern eine mehr oder weniger willkürliche
Entscheidung des Denkers darstellt.

Eine allgemeine Betrachtung des Charakters der Gegenständlichkeit
kommt zu dem Ergebnis, daß für Jaspers der Gegenstand
„dynamischen Charakter" habe, „eher Form der Bewegung des
Erkennens zum Sein, als ihr Abschluß" sei (23). Nacheinander
werden der „weltimmanente Gegenstand" (27—59), die Gegenstandsbezogenheit
des Umgreifenden (61—84), und der metaphysische
Gegenstand (8 5—116) untersucht. In der Vielheit der Weisen
weltimmanenter Gegenständlichkeit (unmittelbare Wirklichkeitserfahrung
, wissenschaftliches Erkennen, zweckhaft immanentes
Handeln) fällt auf, daß die zwingende Objektivierbarkeit
keineswegs überall im gleichen Grade gegeben ist, ja, daß (auch
in den Wissenschaften) eine gestufte Einbeziehung des erkennenden
Subjekts in die Objektivität der Erkenntnis stattfindet (40).
Außerdem weist die Spannung zwischen der Erfahrung der Welt
im Subjekt und als objektive Wirklichkeit, die beide umgreifend
zu sein beanspruchen, bei Jaspers über die Welt empirisch gegenständlicher
Erkenntnis hinaus (54 f.).

Ein neuer Sinn des Gegenstandseins erschließt sich, wenn
das Denken das weltimmanent Gegenständliche transzendiert in
Richtung auf das „Umgreifende". Ist es für sich gleich nicht
Gegenstand, sondern (als Dasein, Bewußtsein überhaupt, Geist
usw.) Bedingung der Möglichkeit des Gegenständlichen, so wird
das Umgreifende in seinen Weisen (als die letzte Gliederung unserer
Weltorientierung) selbst erfaßt in gegenständlichen Aussagen
, für die (wenn anders die Lehre vom Umgreifenden überhaupt
Sinn haben soll) eine gegenüber dem wcltimmanent gegenständlichen
Denken spezifische Adäquatheit in Anspruch genommen
werden muß (70). Adäquat ist das Innewerden des Umgreifenden
gerade, wenn durch es die weltimmanente Gegenständlichkeit
in ihrer begrenzten Bedeutung als bloße „Erscheinung" im
Gegensatz zum Sein selbst verstanden wird (78). So trägt die Erfahrung
des Umgreifenden gerade dazu bei, die Mannigfaltigkeit
des Gegenständlichen aufzuweisen.

Im metaphysischen Gegenstand wird die Sphäre des Allgemeinen
, die auch noch die Erfahrung des Umgreifenden kennzeichnete
, verlassen in Richtung auf die geschichtliche Einmaligkeit
der existentiellen Erfahrung von Transzendenz. Nun muß
aber auch diese Erfahrung, da Jaspers die mystische Aufhebung
der Unterscheidungen verwehrt, einen Gegenstand haben. Verf.
verfolgt die Bemühungen von Jaspers, diese Gegenständlichkeit
der „Chiffer" vor der Verwechslung mit weltimmanenter Gegenständlichkeit
(als welche je die Chiffer im Dasein immer „erscheint
") zu sichern, wobei er die unlösbare Bezogenheit der
Chiffer auf den Existenzvollzug vom Gedanken des summum
bonum her interpretiert. Ist alle Aussage über Existenz bestenfalls
„Signum" (97), Hinweis und Appell ohne den Anspruch
allgemeingültiger Richtigkeit, so gilt dies erst recht von der
Chiffer, sofern sie auf die in ihr zur Gegebenheit kommende
Transzendenz hin befragt wird (101). Chiffer ist für Transzendenz
„Sprache", die niemals allgemein deutbar ist, sondern vernommen
wird allein im unvertretbaren Vollzug der Existenz als
„philosophischer Glaube". Diese existentielle Bedingheit der
Transzendenz bedeutet aber keine Relativierung ihrer Verbindlichkeit
. Der objektivierende Gedanke, daß also die Wahrheit der
Transzendenz verschieden sei für verschiedene Subjekte, ist verwehrt
. Verf. zitiert Jaspers: „Die Paradoxie der Transzendenz
liegt darin, daß sie nur geschichtlich ergriffen, nicht aber adäquat
als selbst geschichtlich gedacht werden kann" (108).

Und eben hier setzt Verf. in seiner Kritik an Jaspers an. Geschickt
wendet er die Deskription der Transzendenzgewißheit zu