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Ausgabe:

1961 Nr. 2

Spalte:

136-137

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Heiler, Friedrich

Titel/Untertitel:

Kirchliches Leben in USA 1961

Rezensent:

Beth, Marianne

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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festgelegten Lehre aufbaut, die in die kirchliche Tradition eingebettet
und von ihr weitergetragen wird. Alles beruht auf dieser
Tradition, auch das Evangelium und sein Verständnis ist in sie
einbezogen. Zwar haben die letzten Jahrhunderte in der Formulierung
orthodoxer Dogmen Fortschritte gebracht und manche
Seiten des kirchlichen Lebens entwickelt, die früher vernachlässigt
waren. Aber all das blieb Zubehör einer Entwicklung, deren
eigentliches Fundament das 1. Jahrtausend ist. Das spürt jeder,
der dieses Kapitel liest oder sonstwie mit der Orthodoxie zu
tun hat.

Neben diesem Abschnitt, der gut die Hälfte des Buches einnimmt
und der von zahlreichen Anmerkungen untermauert wird,
bilden die übrigen Beiträge eher Skizzen: auch unter ihnen einprägsame
Arbeiten wie die über das Verhältnis der Orthodoxie
zur Hl. Schrift (von Vasilios Vellas) oder eine Übersicht über die
orthodoxe Mystik (von Andreas Theodorou). M. E. zu kurz geraten
und also zu allgemein ist der Abschnitt über die Geschichte
der orthodoxen Kirche (von Basil Stephanidis): und doch
spielt neben der Dogmatik die stete Gegenwart der Geschichte
eine wesentliche Rolle in der Orthodoxie.

Das Buch, gut ausgestattet und klar gedruckt, ist jedem zu
empfehlen, der sich über das Selbstverständnis der griechischen
Orthodoxie unserer Tage ein Bild machen will. Das hier fehlende
Register wird gewiß im zweiten Bande erscheinen.

Dem ersten Teile dieses Sammelwerkes ähnlich, tragen auch
die Beiträge zum zweiten unterschiedliches Gepräge. Einigen Mitarbeitern
ist es gelungen, auf dem engen Räume, den der Verlag
ihnen zugewiesen hat, eine in sich abgerundete Studie vorzulegen
, die alles Wesentliche bietet. Das scheint mir vor allem für
die Darstellung der „Geistigen Strömungen und religiösen Bewegungen
in der orthodoxen Kirche Griechenlands" vom Herausgeber
und der Behandlung des Themas „Kirche und Welt" durch
Nik. Louvaris zu gelten, die auf neuartigen Wegen einen bedeutsamen
Beitrag zum Verständnis der modernen griechischen Kirche
liefern. Auch „Das Mönchtum der orthodoxen Ostkirche" (von
Andreas Theodorou) sowie „Die Beziehungen der orthodoxen
Ostkirche zu den andersgläubigen Kirchen" (von Vas. Ch. Ioan-
nides) bieten verständnisvolle Skizzen, auch wenn sie (was fast
unvermeidlich war) nur das zusammenfassen, was der Kenner
6chon weiß. Hervorgehoben zu werden verdient das offene Eingeständnis
, daß sich das „Mönchtum im orthodoxen Osten, aus
historischen Gründen wie andern Ursachen, im Zustande des Verfalls
befindet" (S. 90), eine Tatsache, die mit andern Worten
S. 147 noch einmal wiederholt wird: Ein Zeichen, daß es vielen
Beiträgen, bei allem grundsätzlichen Optimismus im einzelnen,
an kritischem Abstände zum Gegenstande ihrer Darstellung
nicht fehlt.

Demgegenüber können die Beiträge über die byzantinische
Kirchenmusik und die Kunst in dem ihnen gesteckten räumlichen
Rahmen (20 bzw. 15 S.) über Allgemeinheiten kaum hinauskommen
. Dessen sind sich die Verf. selbst deutlich bewußt, auch
wenn dem Artikel über die Kunst 13 als Charakteristika gut
ausgesuchte Abbildungen beigegeben sind. Ebenfalls referierend
sind die Abschnitte über „Die Stellung der Laien innerhalb des
kirchlichen Organismus", der über den vielen Einzeltatsachen
ebenso wenig zu einer wirklichen Schau des Wesentlichen gelangt,
wie sich die Arbeit über „Die Beziehungen zwischen Staat und
Kirche" über das (an sich gewiß anzuführende) ParagTaphengewirr
nicht hinaushebt. Die Darstellung der griechischen Theologie
schließlich ist kaum mehr als eine „Bibliographie raisonnee".
Hier kann man sich für die byzantinische Zeit jetzt aber auf
H. G. Becks monumentale Leistung stützen, während man sich für
die moderne griechische Theologie mit ihrer über die Orthodoxie
hinausreichenden Bedeutung, mit ihren Einflüssen und Ausstrahlungen
leider kein wirkliches Bild machen kann.

An einigen Stellen ist die Übersetzung unbeholfen, vergreift
sich wohl auch in einigen Fachausdrücken. Eigentliche Versehen
in der Darstellung sind selten, etwa wenn S. 123 behauptet wird,
die Linierten hätten nicht die gesamte Lehre der römischen
Kirche, sondern nur den Primat des Papstes anzunehmen, oder
wenn S. 119 angegeben wird, die nestorianischen Gemeinden
seien aus dem Monophysitismus hervorgegangen (!). Die Wiedergabe
griechischer Namen ist leider uneinheitlich (z. T. latinisierend
) und nicht in allem folgerichtig. Schmerzlicher als all das
berührt den Leser die Tatsache, daß das Buch kein Register hat.

Hamburg, z. Zt. Bordeaux Bertold Spulrr

Heiler, Friedrich [Hrsg.]: Kirdiliches Leben in U.S.A. München-
Basel: Ernst Reinhardt. 144 S. gr. 8° = Sonderheft der Zeitschrift
„Eine heilige Kirche" Jg. 1957/58, H. 1. DM 6.50.

Dies schlanke Büchlein ist eine Sammlung von 12 kürzeren
und längeren Aufsätzen, geschrieben von Männern und Frauen,
die Amerika und amerikanisches kirchliches Leben aus eigener Anschauung
kennen. In weitgespanntem Rahmen wird eine Reihe
der wichtigsten Lebensformen und der dringlichen Problematik
des vielgestaltigen Kirchentums eines Riesenreiches dargestellt,
aber nicht nur um der Beschreibung willen, so wertvoll diese ist,
sondern um zugleich dem Leser in Wertung und Entgegenstellung
zu einem besseren Verständnis seiner eigenen Stellung und
Problematik zu verhelfen.

Friedrich Heiler gibt in seinem ausführlichen einleitenden
Aufsatz den Ton an für den ganzen Band. Land und Leute, Stadt
und Universität werden anschaulich gemacht, bevor er die Fragen
der kirchlichen und religiösen Lebensge6taltung aufnimmt. Er
nennt als die grundlegenden und entwicklungsbestimmenden
Kräfte: Freiheit von jedem Staatskirchentum, allgemeine und
echte Hochachtung vor der Religion und ihren Vertretern, Entfaltung
der Mannigfaltigkeit der Kirchen in voller Unabhängigkeit
. „Die Kehrseite dieser freien Entfaltung ist jedoch eine
geradezu unübersehbare Mannigfaltigkeit religiöser Formen und
kirchlicher Gemeindebildungen" (S. 10). Die Vorteile 6ind:
gottesdienstliche Reformen sind leichter durchzuführen, der
Zusammenhang von Pfarrer und Gemeinde ist enger, das einzelne
Kirchenmitglied fühlt seine persönliche Verantwortung und ist
oft von großer Opferwilligkeit.

Über die Rolle der lutherischen Laienchristen hat Berthold
von Schenk viel Beachtliches zu sagen. Werbung neuer Mitglieder,
Sammlungen von Beiträgen für Zwecke, die über die Notwendigkeit
der eigenen Gemeinde hinausgehen, liegen vielfach in der
Hand der Laien. Diese Formen kommen dem von Natur tatenfreudigen
Geiste des Amerikaners entgegen. Aber jeder, der eine
amerikanische Kirche gesehen hat, weiß, wie sehr die Arbeit für
die Kirche den Laien an die Kirche bindet.

Ernst Saybold arbeitet in seinem Aufsatz „Bilder aus dem
kirchlichen Leben der USA" wie Heiler Licht- und Schattenseite
der Kirchen heraus. Die Organisation der Kirchen, wie 6ie sich
nun einmal im Laufe der Geschichte entwickelt haben, ist eng mit
dem allbeherrschenden demokratischen Gedanken verwachsen,
eng damit verwachsen, daß die lutherischen Kirchen ihre rechtlichen
Formen auf amerikanischem Boden entwickeln mußten.
Das führt zu Schwierigkeiten, die das Wesen des Kirchlichen berühren
. Aus dem amerikanischen Wesen entspringt die Schwierigkeit
, zu echter, tiefer Gemeinschaft zu kommen, trotz aller
Hilfsbereitschaft und aller Bereitwilligkeit zu schneller gegenseitiger
Hilfe. „Mit der Blitzesschnelle des Gedankens hat man
sich aufeinander eingestellt — und hat 6ich wieder vergessen",
charakterisiert er die Oberflächlichkeit menschlicher Bindung und
Lösung. Die Frage, ob das Christentum wesenhaft gemeinschaftsgebunden
ist oder wesenhaft individualistisch, ist
ungelöst. Die Stellung des Pfarrers ist schwierig. Sicherlich ist er
„ordiniert" und auch praktisch in vieler Hinsicht der Führer der
Gemeinde. Aber die Gemeinde iet nicht vorgegeben. Man kann
auch Christ sein ohne den Aufnahmeakt der Kirche, fühlt der
Amerikaner. „Solche als einzelne vorhandene Christen addierten
sich dann und organisierten die Kirche in einer Weise, als ob
Christus und die Apostel Gründungsmitglieder, Charter-
Members eines Vereins gewesen wären. Die Summe der
Addierten nun hat die demokratische Macht, der sich der Angestellte
dieser Summe, der Pfarrer, beugen muß. Amerikanisches
Luthertum ist congregationalistisch. Amerkanisches Luthertum
praktiziert das sogenannte allgemeine Priestertum verfassungsrechtlich
von Grund auf. . . In keinem System ist der Geistliche
ungeschützter. Man muß es einmal erlebt haben, wie eine Gemeinde
ihren Pfarrer entläßt, ihm den Arbeitsvertrag aufkündigte