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1961 Nr. 2

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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benutzen will, losgelöst vom Dogma der selbstgenügsamen Vernunft"
(S. 138). „Die Aktivität des Glaubenden" nach Ritsohl ist das nächste
Problem, das S. behandelt: a) Die Gewißheit der theologischen Erkenntnis
(Christentum als Ellipse) und b) Glaube und Werke: die Realität
des Heils (das von Gott geschenkte Leben ist nur dann wirkliches
Leben, wenn es vom Menschen selbsttätig ergriffen wird; im Tun erkennt
der Mensch Gott und empfängt seine Gabe, sein Heil). Der „kritische
Rückblick" ist auf die Probleme des Begriffs der Religion, des
Begriffs des Wertes und der Wahrheitsfrage, sowie des eschatologischen
Charakters des christlichen Lebens konzentriert.

In einem kurzen „Abschluß" (S. 167—171) faßt S. seine
Untersuchungen zusammen. Trotz aller tiefgreifender Verschiedenheiten
bei den vier behandelten Theologen läßt sich die Einheitlichkeit
der Probleme und ihrer Orientierungen nicht verkennen
. Es fällt zunächst die Frontstellung gegen die Orthodoxie
des 17. und 18. Jhdts. auf, die nicht „auf Grund irgendeines
Postulates geschieht, sondern überall unter dem Druck konkreter
Schwierigkeiten oder unter dem Eindruck konkreter Mängel,
die der orthodoxen Betrachtungsweise inhärent sind" (S. 167).
Andererseits aber wird deutlich, daß die rationalistische Kritik
an der Orthodoxie nicht ausreicht; daher wendet man sich auch
gegen die Aufklärung. Diese Stellung der Theologen des 19.
Jhdts. ist nicht allein mit dem Hinweis auf ihre philosophische
Bindung erklärt (die von S. natürlich nicht geleugnet wird). Vielmehr
ist das entscheidende Motiv doch wohl, daß man gegen die
Abstraktion des orthodoxen Objektivismus, aber auch gegen den
anders gearteten Dogmatismus der Aufklärung, Theologie „in
Begriffen des geschichtlichen Lebens und seiner personhaften
Relationen" (S. 169) trieb. „Selbstbewußtsein, Erfahrung, Vermittlung
, Wert: in solchen, wenn auch durch ihre Füllung fragwürdigen
Begriffen lebt die Erkenntnis, durch welche der Objektivismus
der Orthodoxie, also auch die rationalistische Kritik
überwunden werden kann" (S. 170). Von dieser Basis aus haben
die Theologen des 19. Jhdts. versucht, Theologie zu treiben, von
ihr aus ist „objektiv und subjektiv wahre theologische Wissenschaft
jedenfalls möglich" (S. 170).

Das Urteil über diese Arbeit muß wohl differenziert werden
. Zunächst ist danach zu fragen, ob der Verf. die einzelnen
Theologen richtig dargestellt hat. Diese Frage ist im großen und
ganzen zu bejahen. Nur bei Hofmann hätten vielleicht die Akzente
etwas anders gesetzt werden können. Gerade wenn man die
Korrektur an der Darstellung Barths für richtig hält und auch
wenn man das Endurteil („doketische Entgeschichtlichung") anerkennt
, so wäre doch das Bild etwas abgerundeter, wenn der
Einfluß Schellings auf Hofmann wenigstens in Blick genommen
wäre. Denn hier liegen doch wohl auch Anstöße für die Hof-
mannsche Konzeption, und hier würde vielleicht auch die Frontstellung
gegen Aufklärung, Hegel und Orthodoxie alter Prägung
ihre Erklärung finden. Aber im ganzen hat S. das theologische
Werk der vier von ihm behandelten Theologen in vorbildlicher
Weise durchschaut und denkerisch bewältigt und selbständig erfaßt
, es auch komprimiert und doch klar dargestellt. Es steht in
dem Buch kein überflüssiger Satz, das Wesentliche ist herausgehoben
, das Urteil ist sehr abgewogen und zeigt, wie sehr der
Verf. sich in den Stoff vertieft hat.

Die andere Frage, die das Buch stellt, ist die nach dem
Gesamturteil, der Gesamtwertung der Theologie des 19. Jhdts.
Auch hier wird man positiv urteilen dürfen. Gewiß ist mit dem
Schlagwort „Zwischen Orthodoxie und Aufklärung" keineswegs
der Schlüssel für das Verständnis der Theologie des ganzen
19. Jhdts. gegeben. Es gab ja schließlich auch noch sehr beachtliche
Nachfahren des Rationalismus, deren Gedankengut erheblich
weitergewirkt hat, es gab die Erweckten, die aus dem älteren
Biblizismus herkamen und von der romantischen Erweckung unberührt
geblieben sind und andere Phänomene mehr. Aber
immerhin ist durch S. ein sehr wichtiges Thema, ein Motiv, durch
das viele Erscheinungen 6ich erklären lassen, richtig herausgehoben
worden. Kritisch möchte ich nur bemerken, daß es m. E.
nicht angängig ist, den Begriff .liberale Theologie' einfach auf
den größten Teil der Theologen des 19. Jhdts. anzuwenden, wie
es S. anscheinend für richtig findet. Der Liberalismus ist ein fest
umgrenztes Phänomen des 19. Jhdts., zu dem weder Schleier-
macher, noch Baur, noch Hofmann und auch nicht Ritsehl gehören
. Aber diese Kritik ändert nichts daran, daß S. einen Schritt

weiter geführt hat in dem Verständnis des 19. Jhdts. Dadurch,
daß er diese Theologie in die geschichtliche Situation stellt, d. h.
die Probleme aufzeigt, die dieser Theologie vom 17. und 18.
Jhdt. hinterlassen waren, gelingt es ihm, die wirkliche Einheitlichkeit
in mancherlei Erscheinungen aufzuzeigen. Es ist die Theologie
zwischen Orthodoxie und Aufklärung, und damit sind die
Sachprobleme der Geschichtlichkeit der Sdirift und des Glaubens,
zugleich aber auch das Problem der Hermeneutik gegeben. So
wird diese Arbeit zu einem Beitrag zur heutigen systematischen
Besinnung und führt weit über die rein theologiegeschichtlichen
Fragen hinaus.

Bonn Wilhelm Schneem e 1 ch e r

Beyreuther, Erich: Lostheorie und Lospraxi6 bei Zinzendorf.
Zeitschrift für Kirchengeschichte LXXI, 1960 S. 262—286.

— Mission und Kirche in der Theologie Zinzendorfs (Schluß).
Evangelische Missionszeitschrift 17, 1960 S. 97—113.

F o 1 e y, Grover: Ritschis Urteil über Zinzendorfs Christozentrismus.
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G i 1 g, Otto: Die Seelsorgebedeutung Ignaz Heinrich von Wessenbergs.
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Heyden, Hellmuth: Zur Geschichte der Kämpfe um Union und
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Kahle, Wilhelm: Die orthodoxe Kirche des Ostens im Spiegel der
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Kaiman, Juhasz: Glaubenslcben und Seelsorge im Banat im 18. Jhdt.
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Krug, Burkard: Beichte und Absolution bei den Erweckten Skandinaviens
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Pastoralblätter 100, 1960 S. 492—495.
Kupisch, Karl: Kirchliche Hochschule Berlin. Aus einem Bericht zur
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Die Zeichen der Zeit 14, 1960 S. 413—417.

— Nicsky 1890 — Die erste christliche Studentenkonferenz in Deutschland
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Niebuhr, Richard R.: Schleiermacher on Language and Feeling.

Theology Today 17, 1960 S. 150—167.
R i e g e r, Julius: Der erste deutsche Hofprediger in London.

Die evangelische Diaspora 31, 1960 S. 84—92.

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Bratsiotis, Panagiotis, Prof. [Hrsg.]: Die orthodoxe Kirche in griechischer
Sicht. I.u.II. Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk [1959/60].
208 S. u. 192 S., 13 Abb. a. Taf. 8° = Die Kirchen der Welt, hrsg.
von H. H. Harms, F. Sigg u. H.-H. Wolf, Bd. 1. Lw. DM 21.80 u.
DM 22.50.

Der erste Band der vorliegenden neuen Serie, die das nie zu
Ende geführte Vorhaben des Sammelwerkes „Ekklesia" wieder
aufnimmt, ist geeignet, große Hoffnungen für ein Unternehmen
zu erwecken, das im Zeitalter weltweiter kirchlicher Beziehungen
das Verständnis für die einzelnen Konfessionen erschließen will.
Dabei wird jede Konfession grundsätzlich durch ihre Angehörigen
beschrieben, im vorliegenden Falle durch Professoren der Universität
Athen. Wie bei allen Sammelwerken ist der Inhalt des
Bandes nicht ganz einheitlich und gleichartig. Das meiste Gewicht
besitzt zweifellos die großartige Darstellung der orthodoxen
Dogmatik durdi Johannes N. Karmiris. Ganz vom Griechentum
ausgehend und andere orthodoxe Landeskirchen oder gar Sekten
nicht berücksichtigend, bietet sie ein geschlossenes, völlig der
eigenen kirchlichen Tradition verhaftetes Bild der griechischen
Orthodoxie. Dabei wird deutlich, wie sich die Kirche auf den Beschlüssen
der Sieben Ökumenischen Konzilien und der durch sie