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1961 Nr. 2

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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fahr, die dem Ethos durch die Höhe des Ordo droht" (40). „Je
höher der Stand, desto verwerflicher ist sein Versagen, desto
tiefer sein Fall. Das ist bei Gerhoh6 Kritik an der Kurie immer
wieder zu beachten. Die Höhe des Ordo wird zum Maßstab für
die Tiefe des Falls gemacht. Darum muß der Stand sein Letztes
zur Steigerung des Ethos unternehmen" (34). Wesentlich sind
Meuthens Hinweise auf den theologisch - soteriologischen Hintergrund
für Gerhohs bekannte kirchenpolitische Agitation: ,,Die
Libertas ecclesiae, da6 kirchenpolitische Schlagwort der Zeit,
wurzelt gerade bei ihm tief in religiösem Grund. Als Ausgangspunkt
aller Freiheitsforderungen wird von ihm vor allem immer
wieder die durch die Erbsünde verlorene und durch die Erlösungstat
Christi wiedergewonnene Freiheit des Menschen von der
Sünde herausgearbeitet. Durch die Erbsünde sind alle Menschen
in die Gefangenschaft der Sünde geraten, aus der Christus als
zweiter Adam allein erlösen konnte. Dieses Bild vom ersten und
zweiten Adam müssen wir festhalten, da Gerhoh später in kirchenpolitischer
Anwendung den ersten Adam mit dem Regnum, den
zweiten mit dem Sacerdotium vergleicht. Die Kirchenfreiheit
geht also von dem (freien) Sacerdotium aus. Die Rangordnung
der beiden Gewalten wurzelt in der heilsgeschichtlichen Rolle des
Sacerdos als Befreiers" (41). Wenig später führt Meuthen diesen
Gedanken weiter: „Von hier aus wird die Auseinandersetzung
mit den Simonisten ins richtige Licht gerückt. Die Simonie hemmt
die heilsgeschichtliche Aufgabe des Sacerdotiums und nimmt ihm
seine Daseinsberechtigung. So allein ist die Heftigkeit Gerhohs
begreifbar, mit der er den Ausschluß der Simonisten aus dem
heilsgemäß wirkenden Ordo verlangt; denn es handelt sich um
ein heilsgeschichtliches Problem" (43).

Die eigenen Reformbestrebungen Gerhohs haben vor allem
die Einführung des regulären Lebens für den Weltklerus zum Ziel.
<46—49). Wichtiger ist, daß Gerhoh die führende Rolle der Reform
dem Papsttum zuschreibt (49 ff.). Reformen aus staatlicher
Initiative (einschließlich der Heinrichs III.) lehnt er ab. Mannigfache
Berührungspunkte zu Gregor VII. sind nachweisbar (51, 57,
127, 138 u. a.). Als einheitliches Motiv stellt Meuthen bei Gerhoh
heraus: „Vorstoß des Sacerdotiums ins Weltliche hinein,
soweit das mit Rücksicht auf die libertas ecclesiae möglich ist"
{62). Gerhoh stand zeitlebens in einem Zweifrontenkampf:
„Einerseits muß er das Sacerdotium vor dem Mißbrauch durchs
Regnum schützen (äußere Freiheit, die vom Ordo her gesehen
wird). Andererseits muß er durch innere Reform das Sacerdotium
vor aller Verweltlichung sichern (innere Freiheit, Ethos). Ist das
nicht möglich, so greift er im äußersten Falle zur Suspendierung
gewisser aus dem Ordo sich ergebender Rechte. Jedoch besagt
Gerhohs Verdammungsurteil über den Mißbrauch kirchlicher Institutionen
und der Tadel an den Urhebern dieses Mißbrauches
nicht schon die Verwerfung dieser Institutionen an sich: Im
Gegenteil; durch die Hebung des reformbedürftigen Ethos sollen
sie wieder in ihre volle Wirkkraft gebracht werden. Das hat m. E.
die Gerhohforschung weitgehend übersehen" (63). Von solchem
einheitlichen Motiv her gesehen, empfindet Meuthen die verschiedenen
Urteile Gerhohs nur als „Akzentverschiebungen".
Ausführlich stellen die Kapitel 4—6 die Einzelheiten des Verhältnisses
von Regnum und Sacerdotium dar: Die Frühzeit (65—75),
die Werke der mittleren und späteren Zeit (76—93) sowie die
moralische Beurteilung der Reformträger (94—110). Daran
schließt sich ein besonders instruktives letztes Kapitel „Die
Geschichtstheologie" (111—54) an. Die symbolische Deutung der
Schrift, besondere des AT, gab die Möglichkeit, den Stoff der
Kirchengeschichte zu ordnen. Für uns besonders interessant ist die
Deutung der Zeitgeschichte: Friedrich Barbarossa wird als zweiter
Antiochus Epiphanes gesehen (135), der Investiturstreit als „Ent-
fsselung der Völker Gog und Magog" (142). Meuthen sieht bei
Gerhoh im einzelnen wohl „ein 6ehr deutliches Schwanken im
Tenor seiner Ausführungen", "kommt dann aber wieder zu seiner
Grundthese zurück: „Der in seiner Stärke gefühlsbedingte Wechsel
von Werk zu Werk darf nicht über die unabweisbare Kontinuität
der Grundhaltung hinwegtäuschen" (139). Meuthen
zeigt, wie Gerhoh gerade im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen
Otto von Freising „sich von der Reichsidee vollkommen gelöst
hat.. . Als erster Deutscher begreift er so die aufsteigenden
Nationalstaaten als eine gottwohlgefällige Vielheit, die das Reich
als solches zersplittert" (133). Gerhoh war froh, „daß der Stein

(Dan. 2, 34 ff.) das Regnum in Bruchstücke zerspalten hat, damit
es der Kirche nicht mehr in geballter Kraft gegenübertritt" (132).

Meuthen betont diese Linie auch beim älteren Gerhoh stark in
Auseinandersetzung mit Irene Ott, die in einer ungedruckten Dissertation
(Gerhoh v. R. als Geschichts- und Staatsdenker, Marburg, 1942)
eine Hinwendung des älteren Gerhoh zum Reichsdenken konstatiert
hatte. Freilich wäre Meuthens Anliegen gedient, wenn er das sog.
Reichsdenken ausführlicher skizziert hätte. So vermißt man einen Hinweis
auf Norbert Höing, der in seiner Arbeit „Die Trierer Stilübungen,
ein Denkmal der Frühzeit Kaiser Friedrich Barbarossas" (Arch. f. Diplo-
matik I, 1955, 257 ff, II, 1956, 125 ff. und ergänzend III, 1957, 162 ff.)
gezeigt hat, wie man sich am Kaiserhof eine Unterordnung des Reiches
unter das Papsttum nachdrücklich verbat. Welche Bedeutung dem gerade
damals aufkommenden Begriff „sacrum imperium" zukommt, zeigte
zuletzt wieder Theodor Mayer in seinem Aufsatz Kaisertum und Papsttum
(Hist. Zs. 187, 1959, S. 28). Die ältere grundlegende Literatur zu
dieser Problematik (Giesebrecht, Hampe, Haller) wird nicht erwähnt.
Meuthen weist S. 102, Anm. 44 darauf hin, daß ähnlich wie Gerhoh
auch Bernhard von Clairvaux und Johann von Salisbury Kritik am
Papsttum geübt hätten; Meuthen setzt sich hier mit Hauck auseinander
, — aber die entsprechende Darstellung bei Haller (Das Papsttum,
III, 2. Aufl. 1950, S. 104 ff.) bleibt unerwähnt. Sicher enthält Hallere
Papstgeschichte für einen Katholiken manches Ärgernis, aber man soll
einen Gegner doch nicht totschweigen, zumal wenn man so gute Argumente
hat wie Meuthen. — Auch die Beziehungen zum frühmittelalterlichen
Hintergrund könnte man sich deutlicher denken. S. 40 sagt
Meuthen: „Simonie ist nicht nur ein kirchenpolitisches, sondern ein
dogmatisches Faktum". Warum wird hier nicht auf die Arbeit von
H. Meier-Welcker hingewiesen, die zeigte, daß man im 9. Jhdt. Simonie
nur als eine Art von Bestechung ansah? (Die Simonie im frühen Mittelalter
. Diss. Tübingen 1952, vgl. ZKG 64, 1952/53). Auf S. 86 berichtet
Meuthen (hochinteressant)) über Gerhohs Auffassung von der
Einsetzung des Königs; aber man vermißt einen Hinweis darauf, daß
diese Problematik im Abendland seit 751 eine Rolle spielt, daß diesem
Problem eine Fülle neuerer Arbeiten gilt, daß eine sakrale Auffassung
des Herrschers durch Kombination von Gen. 1,26 und Röm. 13 schon
beim Ambrosiaster nachweisbar ist (Walter Dürig, Der theologische
Ausgangspunkt der mittelalterlichen liturgischen Auffassung vom
Herrscher als Vicarius Dei, Hist. Jb. 77, 1958, S. 174 ff.). Für Parallelen
zwischen Gerhoh und anderen christlichen Schriftstellern verweist
Meuthen pauschal (4) auf D. van den Eynde, L'oeuvre litteraire de
Geroch de Reichersberg, 19 57. Schließlich muß mit Bedauern festgestellt
werden, daß die Arbeit von A. Grab, Der Kirchenbegriff des
Gerhoh von Reichersberg (Diss. Freiburg/Schweiz. 195 5), die 1958 in
RGG II, 3. Aufl. Sp. 1415 aufgeführt ist, bei Meuthen unberücksichtigt
blieb.

Trotz dieser Kritik an Einzelheiten muß eindeutig gesagt
werden, daß das Buch von Meuthen einen Fortschritt darstellt.
Die einheitliche, theologisch fundierte Sicht Gerhohs ist ein
Forschungsergebnis, hinter das man nicht zurück kann. Dafür
schulden wir dem Verfasser Dank.

Berün-Friedrichshagen Gert Haendler

Ewig, Eugen: Der Petrus- und Apostelkult im spätrömischen und fränkischen
Gallien.

Zeitschrift für Kirchengeschichte LXXI, 1960 S. 215-251.
Fischer, Joseph Anton: Über die Anfänge der Fronleichnamsfeier im
alten Bistum Freising.

Festgabe des Vereins für Diözcsangeschichte von München und Freising
zum Mündiener Eucharistischen Weltkongreß 1960, München:
F. X. Seitz, S. 72-93.
Gross, Julius: Die Erbsündenlehre Manegolds v. Lautenbach nach seinem
Psalmen-Kommentar.

Zeitschrift für Kirchengeschichte LXXI, 1960 S. 2 52—261.
Hödl, Ludwig: Metaphysik und Mystik im Denken des Meister
Eckhart.

Zeitschrift für katholische Theologie 82, 1960 S. 257—274.
Kolping, Adolf: Ein Vcrmittlungsvorschlag auf dem Felde der
Anselm-Interpretation.

Theologische Revue 56, 1960 Sp. 145—150.
Spahr, Hebhard: Zur Geschichte des byzantinischen Schismas.

Erbe und Auftrag 36, 1960 S. 348—359.
Stella, P. T.: A proposito di Pietro la Palude (In 1 Sent., d. 43, q. 1):

la questione inedita „Utrum Deum esse infinitum in perfectione et

vigore possit efficaei ratione probari" di Erveo Natalis.

Salesianum XXII, 1960 S. 245—325.
Ypma. E.: Lc ,.De pugna spirituali" est-il l'oeuvre d'Augustin d'Urbin?

Augustiniana X, 1960 S. 235—244.