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1961 Nr. 2

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Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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nen Christen ist diese Aufgabe zugeteilt. Ist der Weg aber begonnen
, dann sind die Stufen vorgezeichnet durch das Beispiel
Jesu Christi: der Christ wird zum „Bruder" Jesu (S. 274), zum
Kind Gottes, d. h. in pneumatischer Weise umgewandelt in den
Sohn Gottes, und erlangt eine selbständige Erkenntnis des Vaters
(S. 279). Origenes erblickt in diesem Vorgang ein ständiges
geistliches Geschehen, das den Christen auf dieselbe Stuf« erhebt
, die in der menschlichen Natur des Gottessohnes verwirklieht
war (S. 2 80 f.). Ja, es gibt hier einen wechselseitigen Austausch
zwischen Christus und uns (S. 282), wie es l.Joh. 3,2
verheißen ist.

In bedeutsamen Ausführungen wird gezeigt, wie der Nachfolge
Christi ein wachsendes Gewicht innerhalb des origenisti-
ßchen Lebenswerkes zugeteilt ist (S. 292 ff.); Origenes bleibt
der Schwärmerei fern, indem er alles, was der Christ auf Erden
erlangt, als Leben des Glaubens und des Geistes beschreibt und
im Eschatologischen die endgültige Erfüllung erwartet. In der
Streitschrift gegen Celsus erscheint seine Haltung in voller Deutlichkeit
: sowohl die Kirche mit ihrer bevollmächtigten Predigt
als auch jeder einzelne Christ sind die Fortsetzung des Werkes
Christi, und daher geht seiner Überzeugung nach die offenbarende
Tätigkeit des Wortes weiter. Aber in dieser Offenbarung
finden sich weniger intellektualistische, lehrhafte Züge
als vielmehr die Betonung der Lebensnachfolge. Daher konnte
für Origenes der Hinweis auf die ungewöhnlich große Zahl der
Neubekehrten zum Hauptargument in der Polemik gegen Celsus
werden.

Dieser Blick auf das Gesamtwerk des Origenes von seinem
Zentralpunkt aus vermag das bisherige Bild in der Tat erheblich
zu bereichern. Vor allem ist der theologisch-mystische Gesichtspunkt
hervorgehoben: das Ideal jedes Christen ist die Vollkommenheit
Christi; die „Gottwerdung" in Christus, wie sie
der Asket erstrebt — also die mystische Union mit dem Logos —,
i6t das Ziel. Die Verf. hat mit ihrer eingehenden Analyse den
Satz Lietzmanns (Geschichte der Alten Kirche IV, S. 123) unterbaut
: „Erst Origenes hat in weit ausholender Systematik die
Askese als notwendige Vollendung in seine Lehre vom Aufstieg
der Seele zur Erfassung des Logos eingeführt und für sie durch
Beispiel und Predigt geworben." Dabei hat sie gezeigt, wie Origenes
gerade wegen des schwebenden Charakters seiner vordogmatischen
Terminologie eine philosophische Sprache zum Hinweis
auf biblische Gedanken benutzen konnte und auf diese Wei6e
die Schrift als letzten Richter seiner Gedanken anerkannte,
wobei er selbstverständlich die LXX zugrunde gelegt hat (S. 348,
Anm. 38 wird mit Recht darauf hingewiesen, daß die biblische
Sprache des Origenes einer Untersuchung bedürfte). Auf dieser
Grundlage hat er seine Christusmystik entfaltet; es gehört zu
den großen Verdiensten der Verf., gezeigt zu haben, daß es sich
bei Origenes um Christusmystik und nicht um Gottesmystik
handelt. Von hier aus ist die theologische Selbständigkeit zu
verstehen, die Origenes dem Christen zuerkennt und sinngemäß
für sich selbst beansprucht; in ihr müssen nur zwei Stücke beständig
geübt werden: die spirituelle Exegese und die gehorsame
Askese. Das maßgebende Beispiel dafür ist die Gestalt Christi:
ihre Geheimnisse wiederholen sich in jedem Gläubigen (S. 345).
Aber nicht der historische Jesus, sondern das ewige Wort des
Vaters, das als Vernunftmöglichkeit in jedem Menschen angelegt
ist, leitet die Gedanken; das ist jedoch kein Gegensatz zur
kirchlichen Lehre, wie an Athanasius und den großen Kappadoziern
zu sehen ist. Wer freilich, wie Luther, nach dem historischen
Jesus fragt, kann bei Origenes kaum Antwort finden
und muß geneigt sein, ihn und seine Theologie zu verwerfen;
in der Tat ist bei ihm keine Jesusmystik, sondern nur Christusmystik
vorhanden. Daß daher die paulinische Theologie mehr
und mehr in sein Gesichtsfeld getreten ist (S. 360, Anm. 79),
kann nicht wundernehmen; ihr wachsender Einfluß ist in den
letzten Kommentarwerken zu spüren (S. 362).

Auch darin ist der Verf. zuzustimmen, daß die Struktur des
origenistischen Systems nicht platonisch oder stoisch oder gar
gnostisch ist. Wo Gedanken aus diesen Quellen kommen, treten
sie nie in den beherrschenden Mittelpunkt, sondern dienen als
Baustoff, der untergeordnet wird. Es ist von hoher Bedeutung,
daß dies insbesondere für den gnostischen Einfluß gezeigt wird;

die Darstellung von H. Jonas hat hier ihre eindrückliche Widerlegung
erfahren. Was Origenes unter „Gno6is" versteht, ißt
dasselbe, was der paulinische Begriff meint: die geistige Entfaltung
der Glauberwinhalte in einer Theologie, für die fOtVi köyog,
nvevfia die grundlegenden Leitbegriffe sind. Selbstverständlich
finden sich bei ihm frühgnostische Vorstellungen; aber steht es
mit den paulinischen Briefen oder den johanneischen Schriften
anders? Niemand wird 6ie deshalb zur gnostischen Literatur
rechnen. Sie sind gnostisch beeinflußt, aber sie lehnen die Gno-
6is als Wesensbedingung der Erlösung und als Prinzip ihrer
Struktur ab. Was in nach-neutestamentlicher Zeit als Gnostizis-
mus zu bezeichnen ist, können wir zur Genüge an den großen
Systemen ablesen (als oberste Beispiele seien das Apokryphon
des Johannes und das Evangelium nach Thomas genannt); in
diesen Kreis aber gehört Origenes nicht.

Ausdrücklich sei auf das eingehende Literaturverzeichnis
hingewiesen, das durch die analysierenden Bemerkungen, mit
denen jedes Werk gekennzeichnet ist, zu einer Geschichte der
Forschung ausgebaut ist. Reichhaltige Indizes erschließen das
Werk, das für die Beschäftigung mit Origenes eine neue Grundlage
geschaffen hat. Man spürt dem Ganzen ab, wie es mit
nüchternem Geiste und heißem Herzen geschrieben ist, so daß
die Begeisterung der Verf. sich dem Leser mitteilt.

Bethel b. Bielefeld Alfred Ailum

Bauer, Johannes: Corpora Orbiculata. Eine verschollene Origenes-
exegese bei Pseudo-Hieronymus.

Zeitsduift für katholische Theologie 82, 1960 S. 333—341.
Morän, J.: Hacia una comprensiön de la „Memoria Dei" segün San
Augustin.

Augustiniana X, 1960 S. 185—234.
Rankc-Heinemann, Uta: Zum Motiv der Nachfolge im frühen
Mönchtum.

Erbe und Auftrag 36, 1960 S. 335—347.
S u b i 1 i a, V.: Attualitä di Ireneo.

Protestantesimo XV, 1960 S. 129—144.
W y t z e s, J.: The twofold way II. Piatonic influences in the work of

Clement of Alexandria.

Vigiliae Christianae XIV, 1960 S. 129—153.

KIRCHEN GESCHICHTE: MITTELALTER

Meuthen, Erich: Kirche und Heilsgeschichte bei Cerhoh von
Reichersberg. Leiden-Köln: Brill 1959. VIII, 181 S. gr. 8° = Studien
und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, hrsg. v. J. Koch.
VI. Kart. hfl. 21.-.

Ein einleitender Überblick über die Entwicklung der Gerhohforschung
(l—4) führt zu der Feststellung: „Immer wieder wird
der Forscher von der (ich wage zu sagen: scheinbaren) Widersprüchlichkeit
gerhohischer Aussagen abgestoßen. Im folgenden 6oll
durch tieferes Ausholen der Versuch gemacht werden, dieses Problem
zu lösen. Gerhoh ist in seinem ganzen System (denn er hat
ein solches) konsequenter als gewöhnlich angenommen wird . . ."
(4). Meuthen tadelt daher die Edition Sackurs in den Libelli de
Lite der Monumenta Germaniae historica, weil sie „die kirchenpolitisch
wichtigen Partien aus dem Zusammenhang größerer
Werke herausreißt und damit deren große Linien durchbricht" (3).
Meuthen weist auf die mystische Färbung der Frömmigkeit
Gerhohs hin, der sich mit Christus „in einer bis dahin in Deutschland
nicht bekannten Versenkung vereint" (16). Andererseits
warnt er, Gerhoh nur „als ungebrochen-unkomplizierten, un-
reflektiert-einheitlichen Menschen zu sehen" (10) und verweist
auf „die Spannung zwischen Alt und Neu, in der Gerhoh als
führender Kopf des 12. Jhdts. steht" (11). Gerhoh sah „den
Einbruch der Dialektik in den deutschen Südosten, kirchenpolitisch
erlebte er zwei große Schismen, in unmittelbarer Nähe
erfolgten Übertritte von Regularkanonikern zu Mönchsorden",
— und dem allen steht er gegenüber mit „dem Bedürfnis nach
Einordnung und Verklammerung" (14). Die Einheit ist gefährdet
, da diese Welt nicht nur „geschöpfliche Welt" (19—22), sondern
auch „sündige Welt" (22—26) ist; ferner durch „die Lehre
von den Civitatis" (26—29), vor allem aber durch das Auseinandertreten
von „Ethos und Ordo" (29—34). Gerade an diesem
Begriffspaar ist Meuthen viel gelegen: Gerhoh weiß „um die Ge-