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Ausgabe:

1961 Nr. 2

Spalte:

125-128

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Harl, Marguerite

Titel/Untertitel:

Origène et la fonction révélatrice du verbe incarné 1961

Rezensent:

Adam, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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tischen Gesichtspunkten sorgfältig geordnet. Das ist nicht nur
eine fleißige und oft entsagungsvolle Arbeit, sondern auch ein
Beweis für sprachliches und sachliches Können. Wie das bei
Kirchenvätern nicht anders zu erwarten ist, beginnt er mit der
theologischen Rechtfertigung von Arzt und Medizin, die besonders
bei Basileios zu finden ist. Seit Clemens bereits macht sich
die Kirche Gedanken über die Möglichkeiten der Medizin, aber
auch über ihre Grenzen, die zu einem Durchdenken der Beziehung
zwischen Medizin und Theologie führt. Mit Recht hat der
Verfasser hier das bei Origenes vorliegende Problem gesehen.
Nach den allgemeinen Abschnitten über die Medizin wird auf die
Stellung des Arztes eingegangen; die Spezialisierung der Ärzte
ist auch in der Patristik zu finden. Schön ist der Abschnitt über
die Ausbildung der Ärzte und das ausführliche Achten auf die
ethischen und psychischen Komponenten. Reichhaltige Abschnitte
über die Klinik, das Instrumentarium und die Heilmittel folgen.
Hier würde ich bei einer neuen Auflage oder Erweiterung des
Buches vorschlagen, das reiche Material bei den Kopten wenigstens
auszugsweise hinzuzufügen. Nach der Zusammenstellung
der diagnostischen Prinzipien kommt die Therapie zu Worte,
besonders ausführlich die Chirurgie. Das Verhalten des Arztes
am Krankenbett bringt wiederum unbeachtetes Material, den
Abschluß bilden einige Bemerkungen zum Honorar. Die Quellen
sind in 722 Anmerkungen enthalten; was ich nachgeprüft habe,
ist zuverlässig.

Einige Wünsche bleiben freilich. Es ist bei einer Dissertation
selbstverständlich, für eine weitere Bearbeitung des Stoffes aber
zu knapp, nur den Inhalt der Stellen anzugeben. Wenn es auch
die bescheidene Gewissenhaftigkeit des Verfassers ehrt, daß er
die Stellen nicht kommentiert, wäre das doch bei einigen besonders
philologisch zweifelhaften Stellen erwünscht gewesen. Einige
der angeführten Stellen sind doch philologisch recht schwierig
und in ihrem Inhalt nicht eindeutig. Zweitens muß die Arbeit
durch einen Vergleich mit der medizingeschichtlichen Überlieferung
der hellenistischen und römischen Medizin unterbaut werden
. Das geht natürlich über den Rahmen einer Dissertation
hinaus, aber der Wert der Arbeit würde sich noch bedeutend erhöhen
, wenn man aus ihr erkennen würde, welche Sätze unmittelbar
oder durch Zwischenglieder einfach dem Corpus Hippo-
craticum entnommen sind; es sind eine ganze Anzahl. Da die
Gefahr einer Isolierung der Kirchenväter noch immer weithin
vorhanden ist, wären wir dem Verfasser sehr dankbar, wenn er
auf diesem Gebiet energisch weiterarbeiten würde und die Ergebnisse
seiner Forschung in den großen Zusammenhang der antiken
Medizingeschichte einbauen könnte, was freilich eine Arbeit
von vielen Jahren sein würde.

Speyer a. Rh. Carl Sch n ei d e r

Harl, Marguerite, Dr.: Origene et la fonetion revelatrice du verbe
incarne. Paris: fiditions du seuil [1958]. 402 S. 8° = Patristica
Sorbonensia. Collection dirigee p. H. I. Marrou, 2.

Person und Werk des Origenes haben seit jeher auf nachdenkliche
Geister eine tiefe Anziehungskraft ausgeübt. Durch
Euagrius Ponticus ist seine Gesamtanschauung in die syrische und
byzantinische Mönchsmystik eingezogen; durch die Philokalia
wirkt er bis heute innerhalb der orthodoxen Kirche des Ostens,
insbesondere in Rußland; auf dem Wege über Ambrosius und
Rufin ist Augustin mit vielen 6einer Lehren bekannt geworden,
und durch die Hineinnahme einiger seiner Predigten in das
Homiliar Karls des Großen wurde sein Einfluß im Abendland befestigt
. In unseren dogmengeschichtlichen Darstellungen genießt
Origenes seit Harnacks großartiger Schilderung einen hohen Ruf,
der freilich nicht zu eingehenderem Lesen der Werke geführt hat,
zumal die Ausgabe der Schriften in den „Griechisch-christlichen
Schriftstellern" seit Jahren nur langsam vorankommt; es fehlen
vor allem der Römerbriefkommentar und die Psalmenauslegung
ßowie der zusammenfassende Index, der das Gesamtwerk so erschließt
wie der bewunderungswürdige Index Stählins die Werke
des Clemens von Alexandrien.

Einen neuen Vorstoß in der Origenes-Forschung machte 1931
W. Völker mit dem Werk „Das Vollkommcnheitsideal des Origenes
", indem er „eine Untersuchung zur Geschichte der Frömmigkeit
und zu den Anfängen christlicher Mystik" vorlegte, die in

der Forsdiung einen Wendepunkt bedeutete (Besprechung von
H.-G. Opitz in ThLZ 1932, 489-494). Während Origenes früher
vor allem als Philosoph betrachtet wurde, wobei das Jugendwerk
De prineipiis (um 220) die Untersuchungsgrundlage bildete,
zeigte Völker an den reifen Werken der palästinischen Zeit, insbesondere
an den Homilien, daß der Alexandriner als der große
Theologe am Abschluß der frühchristlichen Zeit zu gelten hat.
Von der Kritik, die an diesem Ergebnis geübt wurde, ist besonders
die von Hans Jonas bekannt geworden (Th.Z. Basel 4,
1948, 101—119, erweitert aufgenommen in das große Werk
„Gnosis und spätantiker Geist Uli). Doch hat Jonas sich bewußt
auf De prineipiis gestützt, so daß die These Völkers nicht berührt
wurde. Die Forschung ist weiter gegangen und hat sich dabei
auf der durch Völker gezeigten Bahn bewegt; insbesondere die
hinter der Ausgabe Sources Chretiennes stehenden Kreise haben
viel getan, um die Anteilnahme der jüngeren Theologen wieder
auf Origenes zu lenken.

Vor kurzem ist nun ein Werk erschienen, das besondere Beachtung
verdient, nicht nur wegen der Reihe, in der es veröffentlicht
ist, sondern vor allem wegen seines außergewöhnlich wichtigen
Inhalts: Marguerite Harl, eine Schülerin des auch in Deutschland
geschätzten Patristikers Henri-Irenee Marrou, hat die Frage
behandelt, welche Bedeutung Jesus Christus im theologischen
System des Origenes für die Gotteserkenntnis des Christen zukommt
. Sie setzt das Thema Völkers fort, indem sie nicht die
philosophische Struktur der Christologie des Origenes, sondern
seine Aussagen über die offenbarende Kraft des fleischgewordenen
Wortes untersucht.

Zunächst werden die Ergebnisse der vororigenistischen Theologie
und Philosophie umrissen; dabei beschränkt sich die Untersuchung
auf die griechischen Quellen. Es wird gezeigt, daß es sich
um ein damals allgemeines Problem handelt, das in der frühchristlichen
Theologie und in dem mittleren Piatonismus ganz
verschiedene Antworten erhielt. Sodann wird aus dem Werk De
prineipiis der erste Entwurf der origenistischen Lehre entfaltet:
der Sohn als imago des Vaters, mit der Aufgabe, den Menschen
auf dem Mt. 11, 27 und Joh. 14, 9 angedeuteten Wege zum Vater
zu führen, da Christus das gottgesetzte Urbild des Menschen
ist. Als Logos, Leben und Licht steht Christus zwischen Gott und
den Menschen. Er ist das wahre Geheimnis; der Abstand wird
aufgezeigt, der Origenes und die Gnosii trennt: „Die Gnostiker
haben von dem Leben Christi und 6einer Aufgabe eine Auffassung
, die von dem christlichen Denken weit entfernt ist; sie sind
Doketen und zeigen Teilnahme nur für ein Drama, das sich in der
unkörperlichen Welt abspielt" (S. 146, Anm. 38). Weil Origenes
Gegner des Gnostizismus ist, legt er das AT nach den gleichen
hermeneutischen Grundsätzen aus wie das NT; die Verf. sieht
sogar in der Auslegung des Johannes-Evangeliums durch Bultmann
eine gewisse Nähe zu Origenes verwirklicht (S. 159,
Anm. 1). Überall macht sich bei Origenes der Zug zur Spirituali-
sierung bemerkbar, wobei der Anschluß an die irdische Erscheinung
Jesu die unterste Stufe der ascensio animae darstellt:
Jesus ist die umbra Christi, das Fleisch ist der verhüllende
Schleier des göttlichen Logos. Im Gesamtsystem ist die volle
Verwirklichung dessen, was jetzt nur gedacht werden kann, auf
das Ende der Zeit angesetzt; dieser eschatologische Charakter
seiner Theologie ist stets zu bedenken (S. 213). Dann erst ist
das Heilswerk Christi vollendet, wenn alle vernunftbegabten
Wesen zu ihrer Vollkommenheit eingegangen sein werden, denn
dann werden wir den Geist der Kindschaft besitzen. In der Zeit
vor dem jüngsten Tage aber handelt es sich nur um eine geistige
Parusie Christi. Von hier aus wird der hohe Rang verständlich,
den der Begriff vorjrog für Origenes hat.

Von dieser Grundlage aus dringt die Verf. in die tieferen
Zusammenhänge der origenistischen Theologie ein. Es handelt
sich um eine Lehre des stufenmäßigen Fortschritts, und Grundlage
ist die Erkenntnis, daß der Weg, den Christus in der Inkarnation
abwärts gegangen ist, vom Christen in der ascensio
animae aufwärts beschritten werden muß. Zunächst dienen die
Worte und Werke des irdischen Jesus als hinaufziehende Antriebe
: der Christ muß zur Vollendung hinaufsteigen, indem er
allen Willen einsetzt. Dabei unterscheidet Origenes nicht wie
die Gnostiker zwei Klassen von Christen, sondern jedem einzel-