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Ausgabe:

1961 Nr. 2

Spalte:

113-115

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Goudoever, Jan van

Titel/Untertitel:

Biblical Calendars 1961

Rezensent:

Ehrlich, Ernst Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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ALTES TESTAMENT

Goudoever, J. van, Dr.: Biblical Calendars. Leiden: Brill 1959.
XIII, 295 S. gr. 8°. Lw. hfl. 21.-.

Das vorliegende Buch enthält weit mehr, als man seinem
Titel entnehmen kann. Im ersten Teile untersucht der Autor die
alttestamentlichen kalendarischen Angaben, Mitteilungen über
Feste und liturgische Tage sowie den Charakter dieser verschiedenen
Feste. Im zweiten Teile zieht der Verfasser die Linie bis
zu den christlichen Festen, zeigt ihre kalendarische und theologische
Abhängigkeit von den israelitischen auf, oder aber ihre
von den jüdischen Festen unabhängige Existenz. Im dritten Teile
schließlich erörtert van Goudoever die Bedeutung neutestament-
licher Angaben von Festtagen und deren kalendarische Motive,
um zu klären, auf welche Weise die Autoren der Evangelien zu
der Festsetzung bestimmter Feiertage gekommen sind.

Die israelitischen Feiertage weisen eine lange Geschichte
auf, die sich — wenigstens teilweise — noch rekonstruieren läßt.
So unterscheidet das AT deutlich das Passah-Fest vom Fest der
ungesäuerten Brote. Erst in späterer Zeit wurden beide Feste
verbunden und gemeinsam historisiert. Die Festlegende von
Ex. 12 enthält den historischen Anlaß zur Feier des Passah-Festes
(Exodus aus Ägypten), nicht aber Num. 18. Die nachbiblischen
Quellen sind sich darin einig, daß das Festopfer, ein Lamm, in der
Vollmond-Nacht vom 14. auf den 15. Nisan geschlachtet werden
muß. Im Unterschied zum Passah-Fest dauerte das Fest der ungesäuerten
Brote sieben Tage. Es mag zu Beginn der Gerstenernte
gefeiert worden sein. Das Passahfest hingegen war wohl ursprünglich
ein Hirtenfest. In der Mekilta, einem tannaitischen
Midrasch, findet sich die Angabe, nur der 1. Tag des Mazzot-
Festes sei von Bedeutung, und nur an diesem Tage brauche man
die Mazzot zu essen, das rabbinische Judentum ist dieser Meinung
jedoch nicht gefolgt.

Das zweite der drei Wallfahrtsfeste ist nicht minder vielschichtig
wie das Passah-Mazzot-Fest. „Fest des Schnittes
(Ex. 23,16), „Fest der Wochen", „Fest der Erstlinge des Weizenschnittes
" (Ex. 43,22; Dt. 16, 9 f.; Lev. 23, 16ff.) sind Bezeichnungen
, die auf die verschiedenen Stadien dieses Festes hinweisen
. Es herrscht in den alttestamentlichen Quellen keine Einigkeit
darüber, wann dieses Fest zu feiern sei: Volle sieben Wochen
nach dem Passah (Dt. 16, 9 ff.), oder „vom Morgen nach dem
Sabbath" (Lev. 23, 15). Das dritte der Wallfahrtsfeste wird im
Herbst gefeiert und heißt „Fest des Einsammelns" (Ex. 23, 16;
34, 22). Es gilt dementsprechend als Erntefest, aber auch als Fest
der Tempeleinweihung (1. K. 8; 2. Chr. 7,9). Auch der talmudische
Traktat „Sukka" kennt dieses Fest in seiner Bedeutung
als Altar-Fest. In diesen Zusammenhang mag auch der
Brauch, an diesem Feste Hütten zu bauen, gehören. Vielleicht
sollten diese Hütten das Heiligtum symbolisieren. Als dann das
Herbsterntefest mit dem Tempelweihfest verbunden wurde, entstand
das Symbol der „Laubhütte", das beide Elemente der ursprünglich
nicht miteinander zusammenhängenden Feste enthält.

Eine besondere Schwierigkeit bildet das Aufzeigen der
Entwicklung des israelitischen Neujahrsfestes, weil das israelitische
Jahr in zwei gleiche Teile eingeteilt wurde: Im Frühjahr
(Nisan) und im Herbst (Tischri) beging man Neujahrsfeste, deren
Traditionen sich teilweise noch erhalten haben.

Die vier alttestamentlichen Fasttage werden auf die einzelnen
Stadien der Belagerung bzw. auf die Zerstörung des Tempels
bezogen, doch schwanken in den alttestamentlichen Quellen die
Angaben über die einzelnen Daten. Das AT enthält für den Fasttag
zur Erinnerung an die Ermordung Gedaljas überhaupt kein
Datum, erst der Talmud setzt dafür den 3. Tischri fest (R. Aqiba,
2. Jhdt. n. Chr. R. h. s. 18b). (So ist die Angabe bei van Goudoever
S. 47 zu berichtigen, denn das von ihm zitierte Werk
„Seder Olam Rabbah" ist in jedem Falle später als 150 n. Chr.
anzusetzen!)

In den Chronikbüchern gelten die jüdischen Feste allein als
Tempelfeste, ohne daß z.B. für das Passah-Fest ein Bezug auf
den Exodus aus Ägypten genommen wird. Das Jubiläenbuch
führt alle Feste auf die Patriarchen zurück, so daß sich weder ein
Hinweis auf den Tempel noch auf den Auszug aus Ägypten findet
. Ezechiel stellt eine Verbindung zwischen den Ereignissen in
der ägyptischen Sklaverei und den Geschehnissen der babylonischen
Gefangenschaft her.

Die christliche Tradition knüpft bewußt oder unbewußt an
das Brauchtum und die Sinngebung jüdischer Feste an: Der Zeit
vor dem Passah (Erinnerung an die Plagen und an die Wunder)
entspricht im christlichen Kalender die Vorbereitungszeit auf das
Gedenken an die Passion Jesu (Fasten). Ostern ist eine christliche
Fortsetzung des 1. Tages der „50 Tage" der Ernte (Erstlingsfest
). Pfingsten steht im Zusammenhang mit dem Zählen der
„50 Tage" zwischen dem jüdischen Passah- und Wochenfest.
Betont das jüdische Fest den Gedanken der Offenbarung, so
unterlegt das christliche dem Pfingstfest das Motiv der Ausgießung
des Heiligen Geistes. Das an den Tempel gebundene
jüdische Laubhüttenfest hat im Christentum sich in einem Nachklang
im Feste des Kreuzes erhalten (4. Jhdt.), denn auch hier
spielt der Aspekt des Tempels bzw. der Kirchenweihe eine Rolle.

In der alten Kirche ist eine Diskussion über die Frage entstanden
, ob Jesus drei Jahre oder nur ein Jahr (Markus) gelehrt
habe. Das Joh. Ev. scheint einen dreijährigen Dienst vorauszusetzen
, weil dort von drei Passah-Festen die Rede ist. In dieser
Kontroverse möchte van Goudoever einen Nachklang der jüdischen
Diskussion sehen, ob die Thora in einem dreijährigen oder
in einem einjährigen Zyklus in der Synagoge zu lesen sei.
Markus setzt den einjährigen Zyklus (von Tischri zu Tischri) voraus
: Johannes taufte Jesus um die Neujahrszeit, die Speisung der
Fünftausend fand zu Beginn der „50 Tage" der Ernte statt
(Ostern), die Speisung der Viertausend am Ende dieser „50 Tage"
(Pfingsten)! Der Eintritt in den Tempel und dessen Reinigung
steht mit dem Laubhüttenfest in Verbindung, das bekanntlich
den Charakter eines Tempel- und Altarweihfestes besitzt.

Lukas läßt den Dienst Jesu nicht mit der Taufe, sondern mit
der Proklamation des Jubeljahres in der Synagoge von Nazareth
beginnen. Passah und die „50 Tage" bilden für Lukas eine wichtige
liturgische Periode. Da Lukas — im Unterschied zu Markus
— sein Evangelium nach der Tempelzerstörung von 70 n. Chr.
verfaßte, mußte in der Typologie das mit dem Tempel verbundene
Laubhüttenfest ausfallen. So ergeben sich auch Verschiebungen
in der Dauer vom Dienste Jesu (Markus: ein Jahr, Lukas
ein und ein halbes Jahr).

Obwohl die Evangelisten bei der Gestaltung ihrer Erzählungen
frei waren, gingen sie dabei nicht willkürlich vor. Sie
schrieben nieder, was sie bereits in der mündlichen Tradition
fanden. Wenn nun bei den Evangelisten z. B. der Einzug in den
Tempel entweder in das Frühjahr oder in den Herbst verlegt
wird, so liegt hier keine Willkür vor. Bereits das AT kennt die
Verbindung zwischen diesen beiden Polen des Jahres und die
Mischna weiß von zwei Neujahrsfesten im Frühjahr und im
Herbst.

Der Sinn der Feste, deren Zeiten markiert war, ergab sich
durch die Predigt, durch die Auslegung der Heilsgeschichte. Die
Motivierungen konnten sich verändern, der Einschnitt im Ablauf
der Tage blieb jedoch bestehen, welchen Sinn man dem Fest auch
unterlegte und inwieweit man bestehende Sinngebungen auch
erweiterte.

Es versteht sich von selbst, daß der Autor bei seinen anregenden
Darlegungen auf zahlreiche Hypothesen angewiesen ist,
Beweise sind dafür oft nur sehr schwer zu erbringen. Manchmal
werden Parallelen gesucht, wo sich keine finden lassen. So fällt
es z.B. nicht ganz leicht, aus Jub. 18 eine „Passah-Geschichte"
herauszulesen (S. 68), obwohl van Goudoever die dort berichtete
Opferung Isaaks gern in den Rahmen der Passah-Geschichte
stellen möchte. Vollends abwegig scheint die Verbindung der
Purim-Erzählung mit derjenigen des Passah zu sein (S. 93).

Eine Parallele hätte der Autor freilich seinen zahlreichen
noch hinzufügen können. Zwischen der Geistausgießung (Apg.
2, 1 ff./Pfingsten) und dem jüdischen Wochenfest besteht noch
eine weitere Verbindung: Das Wochenfest wurde bekanntlich in
talmudischer Zeit zum Offenbarungsfest historisiert. Der Midrasch
bietet zu Apg. 2, 1 ff. eine charakteristische Entsprechung:
„Als der Heilige, gepriesen 6ei Er . . . das göttliche Wort offenbarte
, teilte sich die Stimme in sieben Stimmen und von diesen
sieben Stimmen ging es in die siebzig Sprachen der siebzig Völ-