Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1961 Nr. 2

Spalte:

109-111

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Glasenapp, Helmuth von

Titel/Untertitel:

Buddhismus und Gottesidee 1961

Rezensent:

Horsch, Paul

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

109

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

110

deren größte wohl ist, vorzeitig Probleme an die Öffentlichkeit
zu bringen, die noch im engeren Kreise der Wissenschaft bleiben
und ausreifen sollten. Schmökel hat in seinem Hammurabi-
Büchlein gezeigt, wie man den Gefahren ausweichen und doch
ein spannendes Buch schreiben kann. Die Gestalt des großen
Babyloniers hat es schon längst verdient, Gegenstand einer solchen
Darstellung zu werden. Was weiß sdion der Nichtfachmann
von ihm, höchstens, daß es einen Hammurabi-Codex gibt, von
dem man einmal gehört hat, er sei die älteste Gesetzessammlung
der Welt. Daß inzwischen viel ältere Sammlungen ans Tageslicht
gekommen sind, daß Hammurabi selbst viel später gelebt hat,
als man in älteren Lexiken und Schulbüchern lesen kann, wissen
nur wenige. Schmökel hat uns nun ein lebensvolles Bild geschenkt
. Ein kluger, zielbewußter Herrscher steht vor uns, der
warten kann, aber blitzschnell und rücksichtslos handelt, wenn er
die Zeit dazu für gekommen hält; ein Mann, der gegen alle Wahrscheinlichkeit
seinen Staat aufbaut, aus einem kleinen unbedeutenden
Städtchen ein Reich macht, aus der Stadt selbst aber eine
Metropole geistigen und religiösen Lebens, die sie trotz aller
Zwischenfälle durch Jahrhunderte geblieben ist. Dieser zielbewußte
Herrscher zeigt aber auch eine gewisse landesväterliche
Güte, die sich besonders den unteren und mittleren Klassen zuwendet
. Ihr Leben und Eigentum sucht er zu sichern. Dem dient
die strenge Kontrolle der Verwaltung, die Säkularisierung des
Rechtswesens und auch der Codex, der zuerst Hammurabis Namen
bekannt gemacht hat. Schmökel verlegt die Promulgierung des
Codex in die letzten Jahre Hammurabis, als der Aufbau des Reiches
vollendet ist. Merkwürdigerweise hat sie keinem der Jahre
des Herrschers den Namen gegeben. Die Annahme einer späten
Entstehung des Codex würde erklären, wieso er nur bestimmte
Rechtsgebiete herausgreift und wieso er in der Praxis nicht mehr
zur Wirkung gekommen ist. Zu bald erlosch der starke Wille,
der allein die Reformen hätte durchsetzen können. Hammurabis
behutsam zuwartende Art zeigt uns Schmökel auch noch auf dem
Gebiete des religiösen Lebens. Unter Hammurabis Regierung
taucht wie beiläufig die Göttergestalt auf, die dann in einem fast
beispiellosen Siegeszug sich an die Spitze des babylonischen Pantheons
setzt, Marduk. Hammurabi forciert auch hier nicht. Seine
Urkunden nennen meist Schamasch, daneben gelegentlich Marduk
. So wurde alle Opposition vermieden und Marduk gleichsam
unbewußt in die Herzen gespielt.

Schmökel hat außer den Jahresdaten besonders die Korrespondenz
von Mari benützt, die nicht nur in bezug auf Hammurabi
unser Bild des Zweistromlandes um 1700 gänzlich verändert hat.
Daneben stehen Briefe und Urkunden Hammurabis selbst, sowie
der Prolog des Codex. Dankenswerterweise hat Schmökel seinem
Buch einige Texte in Übersetzung beigegeben. Den Gang der Darstellung
lassen die Überschriften der neun Kapitel erkennen:
Hammurabi — Gestalt und Bezeugung, Babylonien im 18. Jahrhundert
v. Chr., Historische Praemissen, Politische Geschichte
Hammurabis, Hammurabis Staat und Verwaltung, Die Rechtsreform
, Schamasch und Marduk — die religiösen Aspekte, Wissenschaft
, Dichtung und bildende Kunst, Hammurabi als Persönlichkeit
. Vervollständigt wird das Buch durch Literaturangaben, Zeittafel
und Übersichtskarte.

Alles in allem ein Buch, in dem die Fähigkeit zu guter Darstellung
mit dem Wissen des Verfassers einen glücklichen Bund
eingegangen ist.

Graz Georg M ol i n

G 1 a s c n a p p, Helmuth v.: Buddhismus und Gottesidee. Die buddhistischen
Lehren von den überweltlichen Wesen und Mächten und
ihre religionsgesdiichtlichen Parallelen. Mainz: Verlag d. Akademie
d. Wiss. u. d. Literatur; Fr. Steiner, Wiesbaden in Komm. [1954].
131 S. gr. 8° = Akademie d. Wiss. u. d. Literatur. Abhandlung der
Geistes- U. Sozialwiss. Kl. Jg. 1954 Nr. 8. DM 9.—,

Den Ausgangspunkt dieser Abhandlung des bekannten Tübinger
Indologen und Religionswissenschaftlers bildet die Frage,
ob der Buddhismus überhaupt eine Religion sei. Die Berechtigung
der merkwürdigen Fragestellung ergibt sich aus der Tatsache, daß
dies von europäischen Gelehrten mitunter verneint wurde. Wie
Verf. zeigt (S. 403), beruht diese Ansicht auf einer unzureichenden
Definition der Religion als „Wissen und Fühlen der Abhängigkeit
von außerweltlichen persönlichen Mächten, zu denen
man in ein beiderseitiges Verhältnis tritt" (P. W. Schmidt,
Ursprung und Werden der Religion, Münster 1930, p. 4). Die
Religion kann nicht aufgrund einer persönlichen Überzeugung,
sondern nur durch die wissenschaftliche Beschreibung aller ihrer
Erscheinungsformen verstanden und erklärt werden.

Der Problemkern dreht sich um die „persönlichen Mächte",
also um die Gottesidee. Wohl bejaht Buddha im Majjhima
Nikäya 100, II p. 212 ohne Umschweife, daß es Götter gibt.
Aber wie Verf. selbst im deutschen Sprachgebrauch fünf verschiedene
Bedeutungen des Gottesbegriffs nachweist (S. 401),
sammelt er im 1. Kapitel genügend Material, um unwiderleglich
zu beweisen, daß nach buddhistischer Anschauung alle Götter
(deva, eigentlidi „Lichtwesen") vergänglich sind. Als Nothelfer
und Förderer der sittlichen Ordnung haben sie zweifellos eine
religiöse Funktion, besitzen aber keine weltschöpferische Macht.
Sie gleichen in diesem Sinne unseren Engeln und Heiligen, stehen
anderseits noch unter ihnen, da sie ihre göttliche Stellung nur für
eine durch ihre karmischen Verdienste bestimmte Periode bewahren
.

Die buddhistischen Argumente gegen einen Weltschöpfer
und Weltenlenker werden im 2. Kapitel ausführlich erörtert. So
spricht gegen den Theismus die Unerkennbarkeit Gottes, seine
menschlichen Eigenschaften, die abweichenden Vorstellungen der
Menschen, die Unmöglichkeit einer einzigen ersten Ursache,
eines unbedingten Anfangs, die Unvereinbarkeit eines gütigen
Schöpfers mit den Übeln dieser Welt usf. Anderseits wird der
Ursprung des Monotheismus psychologisch in einem interessanten
Mythus (Digha Nikäya 1,2,2 I p. 17) gedeutet, d.h. auf einen
ursprünglichen, fatalen Irrtum zurückgeführt.

Gerade in Indien finden sich zahlreiche Parallelen für den
Atheismus des Buddhismus, so besonders im Jainismus, dessen
Gründer (oder Reformator) ein älterer Zeitgenosse Buddhas war.
Dasselbe trifft auch auf die andern Sektengründer jener Epoche
zu, die in den buddhistischen (und teils jinistischen) Schriften
immer wieder als Irrlehrer angegriffen werden. Die Wurzeln des
Atheismus reichen sogar bis in die ältere vedische Literatur
— besonders die Brähmana's — zurück. So ist es auch nicht erstaunlich
, daß die Mimämsä als orthodoxes Hindusystem den
Veda, „die in Worte gefaßte ethische und rituelle Weltordnung"
(S. 433) anstelle des Schöpfergottes setzt. Das klassische Sämkhya
findet es vernünftiger, „den Weltprozeß auf das Wirken der Materie
(piakrti) zurückzuführen" (S. 435). Auch bei den Chinesen
ist der „oberste Herrscher" dem Begriff des Schicksals als einer
neutralen Macht näher verwandt als dem eines persönlichen
Gottes.

Dem Theismus stellt der Buddhismus als oberstes Prinzip
den Dharma gegenüber, das Weltgesetz, „in welchem unsere Begriffe
von Naturgesetz und sittlicher Weltordnung zusammenfallen
" (S. 439). Diese abstrakte Gesetzesmacht selbst manifestiert
sich in einer Vielheit von konkreten Kräften, den Daseinsfaktoren
oder, wie man auch übersetzen könnte, um die
etymologische Beziehung zu wahren, den ,Gesetzesfaktoren',
denn sie werden dharma s genannt. Sie sind unpersönlich,
unsubstanziell, ,ohne Selbst' (anattä), was sogar vom Nirväna
an zwei kanonischen Stellen — allerdings sehr jungen — nämlich
Vinaya V p. 86 und Udäna 8, 2 ausgesagt wird. Das Nirväna ist
der „höchste dhaima" und als solcher anattä, was wohl eher
bedeutet, es sei kein Selbst, keine individuelle, autonome Substanz
, als „ohne Wesenskern" (S. 440).

Verf. bietet eine Fülle interessanter Parallelen aus anderen
Religionen, bei denen der Schicksals- und Gesetzesbegriff gleichfalls
über dem anthropomorphen Weltenlenker steht. Dann geht
er näher auf den Ursprung dieser Vorstellung in Indien ein und
beschäftigt sich mit dem Wort ita, das früher meist durch „kosmische
Ordnung", seit der bahnbrechenden Untersuchung von
H. Lüders, Varuna, Bd. I, Göttingen 1951 (jetzt auch Bd. II,
Göttingen 1959) jedoch als ein Synonym von satya = .Wahrheit'
wiedergegeben wurde. H. von Glasenapp's Bemerkungen zu dieser
zentralen Frage sind ebenso kurz wie grundlegend: 1. „Indische
Abstrakta decken sich vielfach nicht mit den unsrigen. . ."
2. „Unter .Wahrheit' haben die Inder nicht lediglich die ,Über-