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1961 Nr. 2

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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und „sakramentalen" Ehe, die unzerstörbar ist, herausgearbeitet. Die
Ehe ist „Begegnung des Menschenpaare6 mit Gott" (116). „Das Sakramentale
ist die Gegenwart des Göttlichen im Irdischen . . . Die Macht der
sakramentalen Ehe ist so groß, daß sie überall dorthin wirken kann,
wo ein Mann und eine Frau in irgendeiner Weise beieinander sind,
auch die anderen Ehen leben von der Gnade der sakramentalen Ehe"
(Picard).

Von dieser Ur-Einheit der Ehe aus werden auch die eigentlichen
Probleme in ihr behandelt, z.B. die Autorität des Mannes, die Liebe, das
Sexuelle, die Gewohnheit und die Krisen. Hierzu nur einen Satz Picards:
„Im Hause der Ehe ist die große Liebe verborgen im großen Phänomen
der Ehe, sichtbar ist sie in den kleinen Dingen" (117). Undogmatisch
und doch tief christlich spricht Picard von dem Wesen der Ehe und hat
hierin die ganze Zustimmung des Verfassers. „Die Ehe braucht nichts
anderes zu tun, als eine echte Ehe zu sein" (119).

Karl Pfleger, „Ein Mensch blickt ins Chaos". Er geht dem
Gedanken des Buches nach „Die Flucht vor Gott" (1934). In dieser
Flucht sah Picard nicht eine Einzelerscheinung, sondern ein objektives
Kollektivgebilde. Es werden als „Herolde der Flucht" vom Verfasser
Gide, Heidegger und Freud genannt (122).

Eine ausführliche Untersuchung von Joachim B o d a m e r beschäftigt
sich mit der Anthropologie Picards unter dem Titel „Der
souveräne Mensch und sein Ende". Seine Anthropologie ist nicht biologisch
begründet (wie etwa bei Arnold Gehlen), auch nicht medizinisch
(V. v. Weizsäcker), auch nicht philosophisch (Kant). Sie ist als
„von oben her" zu bezeichnen, weil sie „die Ebenbildlichkeit des Menschen
mit Gott als eine ursprüngliche und sichtbare Wirklichkeit" hinnimmt
(148). Der heutige Mensch ist durch den Begriff der Diskontinuität
bestimmt. Dadurch ist er fragmentarisch und hat keine
persönliche Geschichte. Diesen Menschen auf der Flucht, der vom
Ebenbild abgelöst ist, konfrontiert Picard mit den Urphänomenen, die
aus der Welt des Glaubens stammen. Diese sind souverän und verleihen
dem Menschen Souveränität. Zu diesen Urphänomenen gehören die
Ehe, das Schweigen und das Wort. Aus der Zusammenschau von Mensch
und Sein ergeben sich für Picard drei Grundkategorien für das menschliche
Existieren: das „Vorgegebene", das „Objektive" und das „Mehr"
(152). Was den Menschen zum Menschen macht, ist ihm vorgegeben:
Glaube und Liebe, die Sprache, das Verstehen, Ehe und Dichtung, das
Böse und der Tod. „Ja der Mensch selbst ist sich vorgegeben, denn
seine Erscheinung enthält mehr an Menschen6ubstanz als er zu verwirklichen
vermag, sonst würde er gar nicht erscheinen" (153). Am
Vorgegebenen grenzt der Mensch sein Ich ab. „Das .Mehr' ist Folge
des Vorgegebenen, ist der Überfluß, der alle Urphänomene auszeichnet
, die Fülle, die aus der Liebe Gottes in die Welt kommt." Es wird
der Mensch in der Sprache und auch in der Ehe gehalten. Ohne dieses
transzendente „Mehr" könnte er weder sprechen noch Ehe haben. „Die
ganze Struktur des Menschen ist vom Überfluß her bestimmt." Die
heutige Leere dagegen, das wachsende „Minus", kann nur von diesem
Vorgegebenen her, vom Anfänglichen und Schöpfungshaften überwunden
werden (155).

III. Begegnungen.

Dieser letzte Abschnitt enthält persönliche Worte des Dankes, aber
jeweils sehr wesentlich bezogen auf eine empfangene Bereicherung.
Der zweite Herausgeber, Benno Reifenberg, schreibt über die
„Picardsche Postkarte" und erwähnt einen beunruhigenden Gedanken
von Picard. Dieser schreibt an einem herrlichen Wintertag: Die Sonne
scheint so warm, als ob die Erde noch einmal die Erlaubnis bekommen
habe, warm zu haben vor ihrem Untergang. „Die Erde ist — durch die
Atombombe — selber nur noch auf Urlaub da" (163).

Unter den Grüßenden befindet sich audi Otto P a n k o k. Der
Maler, der Picard viel verdankt, nennt ihn einen Warner, der in einen
Spiegel sehen lasse. „Er ist ein Arzt, der nur an die Heilung denkt."
Er ist aber auch das, was sein Sohn von ihm gesagt hat: „ein mexikanischer
Dämon, ein chinesischer Drache" (175).

Am Ende stehen „Gedanken über Leben und Tod". Es sind Briefe,
die Picard 1951 an einen Freund geschrieben hat, dessen Frau hoffnungslos
erkrankt ist. Er fordert seinen Freund auf, das Wirkliche so
zu nehmen, wie es ist. „In der grausamsten Wirklichkeit ist immer 60
viel Wahrheit, daß der Mensch damit leben kann" (186). Bedenklich
ist es allerdings, daß er rät, der an unheilbarem Karzinom Leidenden
zu sagen, es sei ein gutartiges Geschwulst. „Man muß einen Menschen
leben lassen, solang er kann. Man braucht ein verlorenes Leben nicht
aufzupeitschen mit Mitteln, aber man darf es auch nicht absichtlich
kürzen" (187). Allerdings lehnt er eine Bluttransfusion später ab, für
die er sich zuerst eingesetzt hatte; denn als er erfährt, daß sie „schon
jetzt den Tod jeden Tag stirbt", soll sie nicht durch weitere Tode gequält
werden. In dem Übermaß der Beanspruchung warnt er seinen
Freund vor einer „Flucht in die Traurigkeit". Er müsse sich auch um
sich selbst kümmern, damit er auch wahrnehmen kann, wie es dem anderen
geht. Eine zarte Andeutung läßt uns tief in die Seele Picards

sdiauen. Erst andere hätten ihn darauf aufmerksam machen müssen,
daß seine Frau nach der Geburt des Sohnes krank war. Er hatte dies
gar nicht bemerkt. Die Hauptsache war ihm, daß sie da war. „Das Dasein
eines Menschen, den man liebt, ist wichtiger als die Art, wie er
da ist." Darin liegt auch eine Hilfe für den Kranken, der sich dann
nicht anders zu geben braucht als er ist. „Ich glaube überhaupt, daß
man sich immer an das halten muß, was vor einem in der Gegenwart
ist. Unerträglich wird alles erst, wenn man das Gegenwärtige auf die
Vergangenheit oder auf die Zukunft bezieht" (188).

Er unterscheidet zwischen der Genialität des Geistes, die bloß
menschlich ist, und der Genialität des Herzens, die über das Menschliche
hinausgeht und die den Tod zurückwerfen kann. „Wer vom Herzen
aus lebt, braucht sich nicht auf." Picard möchte, daß wir das
ganze Leben haben, zu dem auch der Tod hinzugehört. „Wir haben
kein vom Tode abgelöstes Leben." Was vor ihm ist, versteht er als
einen Vor - Tod, als „ein leidites Sich - selber - Wegnehmen von der
Erde". Solchen Vor-Tod sieht er auch in der Natur, im Wechsel von
Tag und Nacht (193). Auch die Toten haben Leben, allerdings nur
die, die im Leben mit der Liebe gelebt haben. „Sie geben auch im Tod
Liebe weiter."

Wichtig ist eine Bemerkung über das Gewissen. Der Freund machte
sich Vorwürfe über das vergangene Leben. Dagegen setzt Picard die
Gegenwart der Liebe. Diese darf dem Kranken nicht dadurch entzogen
werden, daß an Vergangenes gedacht wird. „Die Vergangenheit ist
zwar auch an einer wichtigen Stelle: im Gewissen, aber die Gegenwart
ist im Herzen, in der Liebe, und das ist mehr. Das Gewissen ruht sich
aus, wie in einer Kur, durch diese Nachbarschaft der Liebe" (196).

Es ist uns mit dieser Festschrift mehr gegeben als ein Geschenk
von Freunden, von denen jeder das darstellt, was gerade
aus seiner eigenen Arbeit kommt. Diese Freundesgabe ist dadurch
ausgezeichnet, daß sie den, dem sie gilt, in einem echten Sinne
zu Worte kommen läßt. Auffallend ist jedoch, daß so wenige
Theologen an ihr beteiligt sind. Neben dem bedeutenden katholischen
Aufsatz vermissen wir einen evangelisch-systematischen
Beitrag. Es müßte z. B. das evangelische Verständnis dieses Heilens
und Helfens auf dem Grunde der Konkretisierung von Verkündigung
und Seelsorge entfaltet werden. Es gilt, einer Berufung
zum Kerygma nachzusinnen, die sich mitten in der Welt der
Wissenschaft ereignet. Bleibt neben dem Dank nur noch der
Wunsch auszusprechen, daß Picards Hauptwerke, die in vielen
Fremdsprachen in die Welt hinausgegangen sind, um dort zu
echter Begegnung zu verhelfen, bald auch in der Deutschen Demokratischen
Republik erscheinen möchten.

Eisenadi Heinz Eridi Eisenhuth

G o 11 w i t z e r, Helmut: Hans-Joachim Iwand.

Kirche in der Zeit 15, 1960 S. 183—186.
H e u b a c h, Joachim: Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort

Gottes gesagt haben . . . ! Zur 100. Wiederkehr des Geburtstages von

D. Franz Rendtorff.

Die evangelische Diaspora 31, 1960 S. 69—72.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Schmökel, Hartmut: Hammurabi von Babylon. Die Errichtung eines
Reiches. München: R. Oldenbourg [1958]. 109 S., 1 Kte. kl. 8° =
Janus-Bücher. Berichte zur Weltgeschichte, hrsg. H. Rössler, u. G. A.
Rein, Bd. II. DM 3.20.

Schon die äußere Aufmachung des Buches zeigt, daß es 6ich
nicht an die Fachgenossen allein, sondern an einen breiteren
Leserkreis wendet. Man kann über solche Bücher zunächst grundsätzlich
verschiedener Meinung 6ein. Der Rezensent möchte aber
nicht verhehlen, daß er sich zu Recht und Pflicht der Wissenschaft
bekennt, nicht nur für sich selbst zu leben, sondern interessierte
Kreise an den Ergebnissen ihrer Forschung teilnehmen zu lassen.
Tut sie es nicht, 60 beschwört sie zwei Gefahren herauf, die sie
beide in letzter Zeit genugsam zu spüren bekommen hat: 1.) daß
die Öffentlichkeit sich von ihr abwendet, ihr das Interesse und
die Mittel zur weiteren Forschung versagt, 2.) daß Fachfremde
sich interessanter Stoffe bemächtigen, sie womöglich in weltanschauliche
Auseinandersetzungen hineinziehen und schiefe, unzutreffende
Darstellungen liefern, die der Wahrheit und der
Wissenschaft wenig dienen, ja geradezu jede weitere Forschung
auf diesem Felde behindern.

Gewiß, „populäre" Bücher über wissenschaftliche Fragen zu
schreiben, ist nicht leicht. Mancherlei Gefahren lauern am Wege,