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Ausgabe:

1961 Nr. 2

Spalte:

103-105

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schoeps, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Was ist und was will die Geistesgeschichte 1961

Rezensent:

Zeller, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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dieser Vorrangstellung des angestammten Priestergeschlechts die
Verfassung der nachexilischen Tempelprovinz mit dem Hochpriester
an der Spitze nachgeahmt haben, ähnlich wie der hellenistische
Verein von der griechischen Staatsidee aufs stärkste beeinflußt
ist72.

Ein Wort muß noch zur Rechtsstellung der Qumrän-Ge-
meinde bezüglich des Grund und Bodens, auf dem sie lebte und
ihre Bauten aufgeführt hatte, gesagt werden. Die Gruppe kann
entweder durch Kauf in den Besitz des Landes gekommen sein
oder durch die Stiftung eines einzelnen Stifters oder einer einzelnen
Familie bzw. Sippe. Beide Möglichkeiten setzen voraus, daß
das Land sich in Privathand befand. Dann müßte die Gruppe
dieses Land mit der Auflage der Beachtung von Wege- und
Wasserrecht bekommen haben. Beide Erwerbungsmöglichkeiten
sind nicht sehr einleuchtend, da es sich um wüstes, unbestelltes,
erst zu kultivierendes Land gehandelt haben wird, wofür alle
Anzeichen sprechen. Für ein solches Land würde man vielleicht
eher den Charakter des öffentlichen Besitzes, des Kronlandes in
Anspruch nehmen. Nach ptolemäischcm Vorbild wurde solches
Land nur als Schenkung abgegeben, bei der die Krone sich den
Eigentumsanspruch vorbehielt. Bei solchem erst urbar zu machenden
Land wurde für eine Reihe von Jahren keine Steuer erhoben.
In einem solchen Fall wäre die Sekte von Qumrän nach einigen
Jahren gegenüber der Krone steuerpflichtig geworden. Und diese
Steuer mag sie gezahlt haben, wenn auch mit innerer Distanz,
wie es im Sektendokument (1 QS IX 22bf) heißt: „Ewiger Haß
gegen die Männer der Grube in getarnter Weise, indem man
ihnen Besitztum und der Hände Arbeit läßt, wie es ein Sklave
tut gegenüber dem, der ihm gebietet, und vor dem, der ihn tritt,
Demut zeigt!" Die Sektenlcute wären also Lehensleute der
seleukidischen Krone gewesen. Möglicherweise könnten sie auch
das Land nur zur Bewirtschaftung überlassen bekommen haben,
das sogenannte yr fv nqpenei. Die weitere zu erwägende Möglichkeit
wäre die Annahme, daß das Land von Qumrän Tempelland
gewesen ist, also die Steuer für dieses Land an den Tempel
gezahlt werden mußte. Das würde vielleicht erklären, daß Jose-
phus'3 von Weihgeschenken spricht, die die Essener an den Tempel
geschickt hätten. Eine letzte Möglichkeit ergibt sich aus dem
Recht dessen, der diese Gegend zu seinem Aufenthalt erwählt
und sie urbar macht und aus ihr sein Leben bestreitet. Dann würde
Qumrän in dieser Hinsicht auch ein Vorläufer des späteren christlichen
Mönchtums sein74.

der Scleukidenzeit (Abhdlgen Preuß. Akad. d. Wiss. Phil.-Hist. Klasse
1919) S. 46.

72) Darauf haben alle Autoren von Arbeiten über das griechische
Vereinswesen hingewiesen.

73) Ant. XVIII § 19 (Niese).

74) Zur Frage des Landerwerbs siehe R.Taubenschlag, a. O. 6 50 f. —
Zum Erwerb durch Erstansiedlung siehe A. Steinwenter, Die Rechtsstellung
der Kirchen und Klöster nach den Papyri (Zeitsdirift der Savigny-
Stiftung, Kanonistische Abteilung XIX, 1930,6: ,,Eine solche „Einich
fasse zusammen: Unter dem Gesichtspunkt des hellenistischen
Vereins zeigt die Qumrän-Gemeinde die typische hellenistische
Vereinsorganisation und die privatrechtliche Stellung
eines solchen innerhalb der Umwelt und gegenüber den einzelnen
Mitgliedern. Sie würde demnach ein hervorragendes Beispiel der
Aneignung des hellenistischen Vereinsgedankens mit allen
Rechtskonsequenzen durch den jüdischen Geist des 2. Jahrhunderts
v. Chr. sein, aber eben durch den jüdischen Geist, der mit
den religiösen Forderungen der Thora das gesamte Leben bis in
die privatrechtlichen Beziehungen hinein zu erfassen und zu umspannen
suchte75. Zwar ist das Sektendokument nicht Thora,
aber die Thorafrömmigkeit bestimmt den Vereinsgedanken entscheidend
. Während hellenistische Kultvereine bisweilen in Gefahr
geraten, mehr Vergnügungsvereine zu sein als Kultvereine,
ist dieser Gefahr in Qumrän gewehrt durch den Ernst der Thora.
Wie einst der Grieche in den Kultverein ging, um seiner persönlichen
Religion leben zu können, ging der um die Thora eifernde
Jude in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. in die
Sekte von Qumrän, um dort die gesamte Thora verwirklichen
und leben zu können. Daß er sich dazu der Form und der Rechtsstellung
des hellenistischen Vereins bedienen mußte, lag in den
kulturellen Umweltsverhältnissen seiner Zeit begründet76.

Zum Schluß sei der Wunsch ausgesprochen, daß die Fragmente
von Gerichtsurteilen, die sich in Höhle 4Q angefunden
haben77, möglichst bald veröffentlicht werden möchten, um der
rechtsgeschichtlichen Forschung von Qumrän dienlich zu 6ein. Da
zahlreiche Aufschlüsse erwartet werden könnten, würde eine
vorläufige Veröffentlichung in einer Zeitschrift dringend erforderlich
sein. Die Art, wie Qumrän die private Gerichtsbarkeit
ausübte, wird auf alle Fälle durch diese Texte erhellt werden.

siedelei" war nun, wie unsere Urkunden zweifellos beweisen, ein Rechtsobjekt
, an welchem dem fiova^atv volles Privateigentum mit weitgehender
Verfügungsmacht zustand. Dieses Eigentum wird originär offenbar
durch Gründung erworben. Der erste Asket, der den to'toc entdeckt
und seine Zelle dort erbaut hat, gilt kraft Okkupation als Eigentümer
und kann sodann sein ursprünglich erworbenes Recht auch derivativ auf
andere übertragen." Nimmt man für Qumrän einen ähnlichen Vorgang
an, muß die Gruppe die Eigenart des Geländes mit seinem Wege- und
Wasserrecht beachtet haben, um nicht in kämpferische Auseinandersetzungen
verwickelt zu werden.

75) Mit dieser Eigenart ist die Thora aller orientalischen Gesetzgebung
überlegen (M. Mühl, a. O. 41).

7e) In einem Privatgespräch stellte mir mein verehrter Herr Kollege
D. Dr. Jepsen nach dem Referat die Frage, ob die Qumrängruppe sich
auch als Verein gefühlt habe. Ich antwortete darauf, daß man zwischen
juristischer Stellung und religiösem Selbstveretändnis unterscheiden
müsse. luristisch war Qumrän eine privatrechtliche Körperschaft, nach
ihrem religiösen Selbstverständnis war die Gruppe von Qumrän die Gemeinde
der Kinder des Lichts, das wahre Israel. Rechtsform und Selbstverständnis
stehen nebeneinander und brauchen 6ich nicht gegenseitig
auszuschließen.

77) Handschriftenfunde II 154.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

S c h o e p s, Hans-Joachim: Was ist und was will die Geistesgeschichte?
Über Theorie und Praxis der Zeitgeistforschung. Göttingen-Berlin-
Frankfurt: Musterschmidt-Verlag [1959]. 133 S. 8°. Lw. DM 9.90.

Der Verf., zusammen mit Ernst Benz Herausgeber der
„Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte" und Begründer
der „Gesellschaft für Geistesgeschichte", legt mit seinem jüngsten
Werke die „Programmschrift einer neuen Disziplin" vor.
Er sieht die Aufgabe der von ihm als „Zeitgeistforschung" bestimmten
Geistesgeschichte darin, die „Thematik einer Zeit"
herauszuarbeiten und somit das „fundierende Lebensgefühl"
einer Epoche zu erschließen. Um aber die für einen Zeitraum
charakteristische „Gleichheit der Problemstellung", der Schlagwörter
und des Sprachstils erfassen zu können, hält der Verf. die
geistesgeschichtliche Auswertung auch solcher historisch sonst
wenig beachteten Quellen für erforderlich, wie sie neben allen
biographischen, brieflichen und publizistischen Äußerungen einer
Zeit besonders gerade Predigten, religiöse Traktate und Lexika

darstellen. Aufschlußreiche LIntersuchungen hat Schoeps schließlich
einer Reihe grundsätzlicher historischer Fragestellungen gewidmet
. Einen besonderen Hinweis verdienen hierbei seine Ausführungen
über das Problem geschichtlicher Periodisierungen,
deren hinreichende Begründung nur in einem Wandel des Zeitgeistes
gesehen werden kann.

Das anregende Buch knüpft mit der Verbindung von Geistesgeschichte
und Religionsgeschichte an das geistige Erbe Joachim
Wachs an. Damit aber ist zugleich die Frage nach der Bedeutung
der Zeitgeistforschung für das theologische Geschichts-
verstehen aufgeworfen.

Wer in der Kirchengeschichte die strenge Geschichtlichkeit
der Kirche ernst nimmt, wird diese eben auch als echte „Zeitgeschichtlichkeit
" verstehen müssen und damit grundsätzlich für
die hier entfaltete zeitgeschichtliche Betrachtungsweise offen
sein. Fragen wie die, was etwa an der christlichen Verkündigung
jeweils „aktuell" war oder inwieweit theologische Streitigkeiten
die religiöse Thematik einer Zeit wiedergeben, veranlassen
auch den Kirchenhistoriker, der zeitgeschichtlich bedingten Aktualität
religiöser Problemstellungen und der historischen Durch-