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Ausgabe:

1961

Spalte:

93-104

Autor/Hrsg.:

Bardtke, Hans

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschun der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1961

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Theologisdie Literaturzeitung 1961 Nr. 2

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daß es viele Einzelne gibt, die sich an die gleiche Ordnung I Bei Matthäus (5,14) ist das Jesus-Wort überliefert: „Ihr seid
halten; und sehr ratsam ist, daß auch der einsame Beter sich nicht das Licht der Welt. Ihr seid das Salz der Erde." Wenn die Kirche
scheut, 1 a u t (oder halblaut) zu lesen und zu singen (Ps 51,17; ! nicht als antiquiertes Anhängsel einer versinkenden Welt zu

96, 2!), wann und wo es möglich ist. (Ist das Brevier-Gebet zur
festen geistlichen Ordnung des Einzelnen geworden, so wird es
nicht schwer sein, den zweiten Schritt zu tun und mit dem Ehegatten
, mit dem Freund, mit dem Mitarbeiter, mit dem Sohn und
der Tochter das Brevier gemeinsam zu lesen, zu beten, zu singen.)
Das Brevier-Gebet als die geistliche Übung wäre gröblich

gründe gehen will, muß sie dieses Wort ihres Herrn als Wort des
Christus Semper praesens neu verstehen und ernster nehmen lernen:
Die Welt wartet auf den Beweis des Geistes und der Kraft. Weder
mit Dogmatismus, noch mit Moralismus ist ihr geholfen.
Wenn Karl Marx sagt: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden
interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verän-

mißverstanden, wenn es den gemeinsamen öffentlichen Haupt- dern"' > so haben Christen nicht den geringsten Grund, ihm
gottesdienst ersetzen wollte; im Gegenteil: der Gemeindegottes- hierin zu widersprechen. Wie kann aber die Welt anders werden,
dienst mit Predigt und Herrenmahl ist Voraussetzung, Grundlage wenn die Menschen, die diese Welt bewohnen und gestalten, sich

und Ergänzung des Brevier-Gebetes. Deshalb kann sich auch ein
,Evang. Brevier' auf wenige Texte beschränken, weil die Fülle
der Heiligen Schrift im Gottesdienst der Gemeinde zu ihrem Recht
kommen soll33.

nicht ändern wollen?! Da aber niemand über seinen eignen Schatten
springen kann, gibt es nur einen Weg zur Verwandlung
des Menschen und seiner Welt: Wir müssen „still und froh seine
Strahlen fassen und Ihn wirken lassen".

3i) Dazu: Luther in der Vorrede z. Gr Kat. (WA 30 I. 127-29) M) Thesen uber Feuerbach, 1845, Nr. 11.

und in: Ratio vivendi sacerdotum. 1519 (WA Br. I. 396—98).

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

44. Die Rechtsstellung der Qumrän-Gemeinde

Von Hans B a r d t k e, Leipzig

L

Die im Thema enthaltene Fragestellung1 bezieht sich auf die
rechtlichen Verhältnisse2 der Qumrän-Gemeinde. Es mag überflüssig
erscheinen, diese juristischen Fragen angesichts der apokalyptischen
Gedanken und Erwartungen der Gemeinde von Qumrän
zu untersuchen. Man meint, eine so auf das Ende der Welt schauende
und wartende Gemeinde habe an den irdischen Rechtsverhältnissen
kein solches Interesse haben können, um sich sogar
über ihre irdische Rechtsstellung Gedanken zu machen. Der Historiker
darf demgegenüber nicht vergessen, daß die Qumrän-Gemeinde
immerhin rund 250 Jahre3 bestanden hat, und daß sie in
dieser Zeitspanne auf die Rechtsverhältnisse des Ausschnittes der
antiken Welt, in dem sie lebte, Rücksicht nehmen mußte, bzw.
daß die umgebende Kulturwelt ihr, der Qumrän-Gemeinde, ihre
Rechtsordnung auferlegen mußte. Es darf zu diesem Thema gleich
betont werden, daß die Fragestellung vonseiten der neugefundenen
Texte doch sehr berechtigt und begründet ist. Qumrän wird
auch seine Juristen, seine Thora-Juristen gehabt haben. Die Gemeinde
, die die Sektenregel schuf und die einzelnen Vorschriften
der Damaskusschrift erzeugte, muß auch in der Lage gewesen sein,
in ausgezeichneter Weise ihre Rechtsstellung nach dem geltenden
Recht zu ordnen und zu sichern und sie gegebenenfalls auch
wechselnden Rechtsverhältnissen anzupassen. Ich denke etwa an
den Übergang vom hellenistischen zum römischen Recht4.

') Referat auf dem XXV. Internationalen Orientalistcnkongreß in
Moskau, gehalten am 11. August 1960. Die Vortragsform ist beibehalten
worden. Im Druck sind die Anmerkungen hinzugefügt worden.

*) Die Rechtsfragen haben in der bisherigen Debatte um Qumrän
kaum Bcaditung gefunden. Ich selbst habe auf sie hingewiesen in „Handschriftenfunde
II — Die Sekte von Qumrän" 1958, 188 und ThLZ 1960,
264 f.

*) Ich setze den Auszug der Sekte in die Wüste um 162'l60 an
(a. O. 189 ff.). Das komplizierte Problem der Datierung von Qumrän
hoffe ich bald in einem anderen Zusammenhang behandeln zu können.

*) Hierfür darf ich auf das klassische Werk von L. Mitteis, Reichsrecht
und Volksrccht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiserreiches
, 1891 verweisen. Freilich weist Mitteis darauf hin, daß Jerusalem
und die dazugehörigen Topardiien stets eine Sonderstellung eingenommen
haben, indem weder die Ptolcmäer noch die Sclcukiden die luden
zu hcllenisieren vermochten. Das Gebiet konnte nie völlig politisch annektiert
werden. Diese Feststellungen schließen nicht aus, daß starke
hellenistische Impulse von der Umwelt auf die luden ausgegangen sind.
Zur Geltung des griechischen Rechts sei auf F. Fringsheim. Ausbreitung
und Einfluß des griechischen Rechtes (Sitzungsberichte Heidelberger
Akademie 1952) verwiesen. Pringshcim weist darauf hin, daß die Seleu-
kiden ebenso wie die Ptolcmäer nie versucht hätten, die einheimischen
Rechtsüberzeugungen durch hellenistische zu ersetzen (S. 15). Aber er
weist zugleich Wanderung. Vordringen und Weiterleben des gr. Rechtsformulars
nach (S. 11. 15). Ein solches Formular würde audi in den
Rechts- und Organisationsformen des griechischen Vereinswe6cns vor-

Freilich muß gleich gesagt werden, daß die Thematik der
Rechtsstellung der Qumrän-Gemeinde eine außerordentlich komplexe
ist. Das wurde schon deutlich bei dem soeben gegebenen
Hinweis auf den Wechsel zwischen hellenistischem und römischem
Recht. Hinzu tritt das jüdische Recht, und damit das Problem der
jüdischen Selbstverwaltung im hellenistisch-römischen Zeitalter5.
Nimmt man noch den Umstand hinzu, daß das Gelände von
Qumrän zeitweise auch zu nabatäischem Gebiet" gehört haben
könnte, ergibt sich auch die Möglichkeit eines nabatäischen
Rechtseinflusses7. Die Geltungsbereiche der verschiedenen Rechtskulturen
in örtlicher und zeitlicher Hinsicht festzulegen, ist außerordentlich
schwer und soll im Rahmen dieses Referates keineswegs
in Angriff genommen werden. Ich bin aber der Überzeugung,
daß von den drei oder vielleicht vier genannten Rechtskulturen8
aus das Problem der Rechtsstellung der Qumrän-Gemeinde in Angriff
genommen werden muß, und daß hier noch wesentliche Aufgaben
der Qumränforschung ihrer Bearbeitung harren, nachdem
die historischen und religionshistorischen Fragen vordringlich bearbeitet
worden sind, weil sie von Anfang an ertragreicher als
die rechtsgeschichtlichen Fragen erschienen. Heute sei in diesem
Referat der Versuch unternommen, von der Seite der hellenistischen
Rechtskultur die Frage nach der Rechtsstellung der Qumrän-
Gemeinde zu beleuchten, ohne die Problematik erschöpfend behandeln
zu können. Dazu ist sie auch unter dem hellenistischen
Gesichtswinkel zu komplex9.

banden gewesen sein. Siehe auch M. Mühl, Untersuchungen zur altorientalischen
und althcllenischen Gesetzgebung (Klio Beiheft 29, 1933,
41 ff.).

6) Mitteis a. O. 33 f. Sdiürer, Geschichte des jüdischen Volkes im
Zeitalter Jesu Christi II4 94 ff.; III4 97 ff. Ferner H. Zucker, Untersuchungen
zur Organisation der luden vom Babylonischen Exil bis zum
Ende des Patriarchats. Diss. phil. Berlin 1936, 44—85: „Römische Reichsverwaltung
und jüdische Selbstverwaltung".

*) R. North, The Damascus of Qumrän Geography (PEQ 87, 1955,
34-48).

7) Dieser schwer festzustellende nabatäische Rechtseinfluß muß als
Möglichkeit auf alle Fälle in Beachtung bleiben, obwohl kaum mit
wesentlichen Abweichungen von hellenistisch-römischen Rechtsgepflogenheiten
gerade im Fall von Qumrän zu rechnen sein wird. Zu den Naba-
täern vgl. Noth, RGG3 IV, 128 5.

8) Idi will also mit den weiteren Ausführungen des Referates nicht
behaupten, daß die Rechtsstellung von Qumrän nur unter dem Gesichtspunkt
des hellenistischen Rechtes geklärt werden könne. Zur Klärung
kann es auf alle Fälle dienen, wenn von jeder Rechtskultur her, deren
Einfluß möglich ist, das Problem der Rechtsstellung beleuditet wird.
Gerade die Ungeklärtheit der Rechtssituation von Qumrän überhaupt
zwingt zu solch umfassendem Ansatz.

8) In der Aussprache wies ich darauf hin, daß auf diesem Gebiet die
Mitarbeit der Rechtshistoriker einfach nicht zu entbehren sei. Bisher
haben sich, soweit mir bekannt ist, die Rechtshistoriker nicht um das
Qumränproblem gekümmert.