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Ausgabe:

1961 Nr. 12

Spalte:

950-951

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Vischer, Lukas

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der Konfirmation 1961

Rezensent:

Nyman, Helge

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 12

950

sichert ihm eine von vornherein gegebene Überlegenheit und, auf
der Hörerseite, eine Bereitschaft, aufzunehmen und anzunehmen.
2) Der Prediger Th. hat die Gabe, originell formulieren zu können
. Überschriften wie „Das Autogramm Gottes" zu 1,6—25
oder „Der Mensch" als „Risiko Gottes" oder auch die Beschreibung
der „Krankheit" derTurmbauleute als „Gigantitis" (295) sind
einprägsam und treffend. Ihm gelingen Sätze, die unmittelbar eine
Anthologie bereichern könnten: „Wer sich selbst 6ucht, ist immer
der Geprellte" (101), in bezug auf die Ehe gesagt; „nicht
nur Bein von meinem Bein, sondern auch Langeweile von meiner
Langeweile und Liebeleere von meiner Liebeleere" (109, im
gleichen Zusammenhang); „wem die letzte Stunde gehört, der
braucht die nächste Minute nicht zu fürchten" (127); „als solche,
die nicht wissen, vertrauen wir dem, der weiß" (263). Daß Th. bei
seiner Originalität doch nicht ins „Saloppe" gerät (vgl. S. 325),
kann man ihm gern bescheinigen. 3) Die Sachverhalte der Urgeschichte
werden in ihrer theologischen Relevanz erkannt, daher
aus einem Olle-Kamellen-Dasein herausgeholt und in ihrer
gleichbleibenden Wichtigkeit gesehen. Man lese etwa das, was
über die „Vision der heilen Welt" (51) gesagt wird. Oder es sei
darauf aufmerksam gemacht, wie 2, 1—3 im Zusammenhang des
Ganzen verstanden wird: man soll den Blick auf den Herrn der
Schöpfung selber richten (115). Hervorragend ist die Darstellung
der Versuchung (129 ff.) oder, ebenfalls zu Kap. 3, die Schilderung
, wie der Mensch durch sein „Verschiebespiel" Schuld in
Schicksal zu verwandeln sucht (178), oder was über den Tod als
Grenze gesagt wird (18 3 ff.). Hierbei tritt uns, als 4.) Merkmal,
die Fähigkeit des Verfs. entgegen, den heutigen Menschen unmittelbar
in seine Darlegungen mit hineinzunehmen. Er schont
ihn nicht, aber er trifft ihn. Er kann die theologischen Wahrheiten
nicht nur in der Sprache des heutigen Menschen ausdrücken,
sondern kann sie ihm als die für ihn lebenswichtigen und nötigen
Wahrheiten deutlich machen. Hier predigt ein Professor eben
nicht „akademisch", also objektiv und unverbindlich, sondern
genau anders. Er mag sich je und dann in der Treffsicherheit der
Argumente vergreifen. Aber normalerweise tut er es nicht, sondern
normalerweise wird es bei jeder dieser Predigten so gewesen
sein, daß der Hörer mit dem Eingeständnis davongegangen
ist: „Ich kam darin vor" (326); und dazu ist es dann überaus
hilfreich, daß der Prediger, wie oft sichtbar wird, sich mit „unter"
das Wort stellt und nicht wie von einem hohen Sockel herab
redet.

Beachtenswert ist weiter, wie ernst der Verf. die alte Regel
nimmt, daß keine christliche Predigt gehalten werden sollte, ohne
daß in ihr Christus verkündigt wird. Vielleicht ist die Hineinnahme
Jesu Christi nicht in allen Fällen nach den Gesetzen der
homiletischen Logik erfolgt. Aber zumeist ist es ausgezeichnet
gelungen, schon deswegen, weil gerade dies die Stellen sind, an
denen selbst noch das gedruckte Wort die Wärme bezeugt, mit
der dieser Prediger seine Christusverkündigung vollzieht.

Daß die Ausführungen nicht immer streng aus der Exegese
erwachsen, sondern sich gelegentlich mehr an den Text anlehnen,
wird man zwar feststellen, aber dem Verf. zugute halten müssen.
Das ist besonders der Fall in der Predigt über 2, 4—9. 16 f., die
die Überschrift erhält „Schöpfung und Entwicklung, Glaube und
Wissenschaft" (79 ff.). Auch sonst merkt man mitunter, wie dem
Verf. — der schließlich noch einen „Nebenberuf" als Professor
der Systematischen Theologie hat — daran liegt, bestimmte
Dinge loszuwerden. Aber welchem Prediger läge daran nicht?

Der Alttestamentier wird bisweilen ein Bedenken äußern.
So glaube ich nicht, daß man aus 4, 1, dem Wort der Eva über
den Erstgeborenen, die Situation des Kain herausdeuten kann,
der Abel gegenüber auf sein ErstgeburtSTecht bedacht sei. Wohl
aber wäre schon hier auf ein das ganze Buch Genesis bestimmendes
Gesetz hinzuweisen gewesen, daß nicht das natürliche
Recht der Erstgeburt, sondern Gottes Wille und Gnade bestimmend
sind. Es wäre auch zu fragen, ob man vom Text her an
Noah die Glaubensseite so herausarbeiten kann (Noah als „Abenteurer
des Vertrauens"), wie Th. es tut. Gerade in der Sintflutgeschichte
tritt die theozentrische Seite gegenüber der anthropozentrischen
sehr stark heraus. Th. hat das selber da empfunden,
wo er ausführlich über die „Reue Gottes" nachgedacht hat und
das seinen Hörern klarzumachen sucht.

Zum Ganzen: Es wird kaum jemanden geben, der diese Predigten
nicht mit gespannter Aufmerksamkeit liest. Und der
Leser wird dankbar dafür sein, daß eine so kraftvolle und wirksame
Weitergabe unserer Botschaft nicht nur den Tausenden der
direkten Hörer, sondern nun auch vielen Lesern zugute kommt.

Kiel Hans Wilhelm Hertzberg

V i s c h e r, Lukas: Die Geschichte der Konfirmation. Ein Beitrag zur
Diskussion über das Konfirmationsproblem. Zollikon: Evangelischer
Verlag [1958]. 132 S. 8°.

Diese kurze Darstellung der Hauptzüge der Geschichte der
Konfirmation will einen praktischen Zweck erfüllen, nämlich sie
will eine Grundlage schaffen für die Bemühungen zur Lösung des
Konfirmationsproblems im gegenwärtigen reformierten Kirchenleben
. Ganz natürlich beachtet Vischer deshalb hauptsächlich diejenigen
Züge der geschichtlichen Entwicklung, die für die heute
aktuelle Diskussion von Bedeutung sind. Die unmittelbaren
Schlüsse für die Gegenwart werden am Ende des Buches in konzentrierter
Form gegeben; doch findet man, recht überraschend
und unerwartet, bisweilen polemische Bemerkungen zu der heute
herrschenden Ordnung mitten in die geschichtliche Darstellung
eingeschoben. Dies betrifft vor allem die Frage des Taufalters, wo
sie in Zusammenhang der Ablehnung der Kindertaufe bei Ter-
tullian erörtert wird. Vischer will hier eine prinzipielle Freiheit
der Eltern geltend machen, selbst zu entscheiden, ob sie ihr Kind
klein taufen lassen oder abwarten wollen, bis es sich selbst auf
Grund eigenen Entschlusses entscheiden kann; auch der Vertreter
der Kirche müsse in gewissen Fällen einen Aufschub empfehlen
dürfen. Die evangelischen Kirchenordnungen sollten eine ausdrückliche
Sanktion dieser Freiheit enthalten. Weder hier noch
wenn Vischer am Schluß seines Buches seine Schlüsse wiederholt
und zu den Schwierigkeiten Stellung nimmt, die eine solche Ordnung
mit sich führen müßte, berührt er, merkwürdigerweise, die
Frage des Verhältnisses zwischen dem Taufalter und der theologischen
Bedeutung der Taufe an sich. Er scheint ernstlich damit
zu rechnen, daß z. B. die baptistische Taufauffassung und die aus
ihr folgende Praxis ruhig neben derjenigen Deutung der Taufe
bestehen könne, die die Reformatoren heftig gegen die Schwarmgeister
verteidigten. Die Kirche könne, mit anderen Worten, auf
ein eindeutiges Bekenntnis von der Taufe verzichten.

Ein gesundes Gefühl für die Notwendigkeit eines gründlichen
Unterrichts veranlaßt Vischer zu verschiedenen Malen, das
katechetische Moment im Zusammenhang der Konfirmation zu
unterstreichen. Die Entwicklung im Abendland, die der Sieg der
Kindertaufe zur Folge hatte, nämlich die Verkümmerung des Kat-
echumenats zu einem liturgisch-sakramentalen Vorgang, zuerst
zum Scrutinienritus, dann zur römischen Taufliturgie, vollzog
sich bekanntlich auf Kosten eines geordneten, zielbewußten
Unterrichts. Diese an sich unbestreitbare Tatsache braucht jedoch
keineswegs zu bedeuten, daß das „Liturgisch-Sakramentale" bereits
an und für sich mit dem katechetischen Interesse in Widerspruch
6tünde. Vischer hat sich hier gewissermaßen dazu hinreißen
lassen, einen Gegensatz in die Dinge hineinzutragen, den sein
zu Gebot 6tehendes Material nicht enthält. Durch seine Alternativen
wird man leicht dazu verführt, einerseits das urkirchliche
Katechumenat zu idealisieren, anderseits seine tatsächlichen liturgischen
Elemente zu unterschätzen. Vischer unterstreicht ja auch,
daß das Katechumenat eine rituelle Seite hatte mit liturgischem
Handeln — Exorzismen u. dgl. — und eine Einübung ins gottesdienstliche
Leben der Gemeinde bedeutete. Auch hier wäre die
Analyse zu vertiefen gewesen und müßte auf denjenigen Inhalt
gerichtet werden, den die Begriffe „sakramental" und „liturgisch"
decken, und der an sich verschiedenartig sein kann.

Eine Einzelerscheinung auf römisch-katholischem Boden hat
offensichtlich Vischers Interesse besonders stark auf sich gelenkt,
nämlich derjenige Vorschlag eines katecheti6chen Unterrichts
Jugendlicher während der Fastenzeit, den Erasmus von Rotterdam
gemacht hatte, und wozu auch eine öffentliche Erneuerung des
Taufbekenntnisses sich anschließen sollte. Vischers Vergleiche
mit Reformversuchen in der Geschichte der Konfirmation hinken
jedoch, da Erasmus wahrscheinlich nicht, wie der Verf. ohne
nähere Untersuchung vorauszusetzen scheint, die Absicht hatte,
die Konfirmation zu reformieren, sondern vielmehr etwas Neue»