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Ausgabe:

1961 Nr. 12

Spalte:

948-950

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Thielicke, Helmut

Titel/Untertitel:

Wie die Welt begann 1961

Rezensent:

Hertzberg, Hans Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 12

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von der Entwicklung wußte, wird durch die eine kleine Stelle, an
der z. B. der Grundleger der neueren Religionspsychologie,
Girgensohn, erwähnt wird, nichts von dessen bahnbrechender
Bedeutung erfahren. Der Herausgeber druckt einen Artikel von
sich selbst ab über „The Present Status of the Psychology of
Religion" (1957), in dem wir zu wissen bekommen, daß der Platz,
den die Religionspsychologie seinerzeit in Amerika einnahm,
von der Pastoralpsychologie übernommen wurde. "With the
overpowering nature of the pastoral psychology, however, the
psychology of religion lost much of its autonomy, until it is
present practically nonexistent." Strunk hat jedoch nicht die
Hoffnung aufgegeben, daß das religionspsychologische Studium
wieder in Aufnahme kommen wtid. Seine düsteren Ansichten
über den gegenwärtigen Status dieser Disziplin in U.S.A. hängen
wahrscheinlich damit zusammen, daß er sich kaum über da6
Sprachgebiet seines Heimatkontinents hinausbewegt und so nicht
entdeckt hat, daß währenddessen die Entwicklung in Europa
einen entscheidenden Schritt voran getan hat. So wird z. B. nicht
klar, ob seine Nichterwähnung Gruehn6, des Schülers von Girgen-
sohn, durch bloße Unkenntnis oder durch Ablehnung begründet
ist.

Seinen eigenen, oben erwähnten Gesichtspunkten hat der
Herausgeber nur in geringem Maße entsprochen. Viele Beiträge
sind nur von sehr geringem wissenschaftlichen Interesse, nur wenige
können stimulierend wirken. Selbst wenn der Herausgeber
sich bewußt auf das englische Sprachgebiet beschränkt, hätten
bessere Beiträge gewählt werden können. Aber vor allem härten
Übersetzungen aus anderen Sprachen gebracht werden müssen,
wenn ein einigermaßen zutreffendes Bild von Entwicklung und
Stand der Disziplin entstehen sollte.

Sein dritter Gesichtspunkt könnte nützlich sein. E6 gibt eine
Reihe von Abhandlungen, die sehr schwer zugänglich, namentlich
6olche, die in Zeitschriften begraben sind. Mit einigen von
ihnen wird der Le6er bekannt gemacht, was dankenswert ist.
Auch muß es freudig begrüßt werden, daß Strunk ein Stück von
,,A Religious Experience" aus Sigmund Freuds „Collected Papers"
aufgenommen hat. Hiermit wird ein Beispiel für die der Psychoanalyse
Fernstehenden gegeben, wie Freud einen religiösen Text
psychologisch analysiert.

Da der Herausgeber im wesentlichen nur amerikanische und
englische Literatur berücksichtigt hat, fehlten ihm die Grundlagen
, um eine befriedigende Einleitung in sein Fachgebiet zu
geben. Der Inhalt ist in 6 Kapitel eingeteilt: History — Religious
Experience and Conversion — Religious Development — Aspects
of the Religious Life — Religion and Psychopathology — Method
and Research. Besonders das 6. Kapitel ist unbefriedigend, denn
es ist seitdem sehr viel mehr geschehen, ak der Artikel von
Gardner Murphy („Method in the Psychology of Religion",
1928) erkennen läßt. Es kann nicht der Sinn dieser Besprechung
sein, nun den Inhalt der 49 sehr ungleichwertigen Kurzbeiträge
zu reproduzieren, die für die europäischen Fachleute zum großen
Teil ohne Interesse sind. So entstand leider nur eine sehr unbefriedigende
Sammlung von schmaler Häppchenkost nach dem
Motto: Non multuni sed multa! Es fehlen vor allen Dingen an
vielen Stellen erklärende Anmerkungen, z. B. zu Seward Hiltnens
Artikel über „The Psychological Understanding of Religion"
(1947). Dort heißt es, daß die Religionspsychologie mehr eine
„Protestant affair" sei, während die Katholiken religionspsychologische
Untersuchungen „mit tiefem Mißtrauen" betrachteten.
Hier liegt ein schwerer Irrtum vor. Man braucht nur die zahlreichen
bedeutenden Forschungen von A. Gemelli, G. Wunderle,
A. Bolley, A. Burgardsmeier, L. Guittard und A. Godin zu erwähnen
, um zu erkennen, daß katholische Forscher oft vorurteilsfreier
zur Religionspsychologie stehen als Protestanten. Das scholastische
Denken mit seiner Anerkennung der Vernunft als lumen
internum auch trotz des Sündenfalls, die Lehre von der analogia
entis zwischen immanenten und transzendenten Aussagen sowie
ein scholastisch geschulter Blick für bestimmte Fragen der Methodik
kommen dem ja mehr entgegen, al6 dies von den evangelischen
Voraussetzungen her der Fall sein kann, die allerdings
mehr Tiefe für die innere Problematik des Paradox und dadurch
der theologischen Dialektik der Religionspsychologie mitbringen.

Die Literaturangaben sind oft ungenau, und an vielen Stellen
vermißt man die klärende Hand eine6 wirklich innerlich mit
seiner Disziplin lebenden Herausgebers.

Berlin Liaelolte Richter

Bilz, Rudolf: Das abergläubische Heil.
Universitas 16, 1961 S. 73—84.

Eitz-Hoffmann, Lieselotte v.: Biblische Träume und ihre Deutung
im Blickfeld der modernen Psychologie.
Wege zum Menschen 12, 1960 S. 225—240.

Graevenitz, Jutta von: Heilung durch Wahrhaftigkeit.
Zeitwende XXXI, 1960 S. 545—5 51.

Grote, Ilse von: Graphologie und Tiefenpsychologie.
Wege zum Menschen 12, 1960 S. 292—295.

Loch, Wolfgang: Heilung als Ich-Integration.
Wege zum Menschen 13, 1961 S. 193—208.

Kret6chmar, Wolf gang: Albert Schweitzers Lehre von der Ehrfurcht
vor dem Leben und die Behandlung seelischer Krankheiten.
Universitas 16, 1961 S. 755—764.

Pres sei. Wilhelm: Heilung durch Glauben ohne Arzt und Medizin?
Ein Wort zur modernen Glaubensheilung. Stuttgart: Calwer Verlag
[i960]. 44 S. 8° = Calwer Hefte zur Förderung bibl. Glaubens u.
christl. Lebens, hrsg. v. Th. Schlatter, 33. DM 1.90.

Read, Sir Herbert: C. G. Jung und die Psychologie des 20. Jahrhunderts
.

Universitas 15, 1960 S. 1043—1057.
Rinßer, Luise: Felix Tristitia. Ein Versuch.

Erbe und Auftrag 37, 1961 S. 9—21.
Rössler, Dietrich: Die Tiefenpsychologie als theologisches Problem.

Evangelische Theologie 21, 1961 S. 162—173.
Sänger, Annemarie: Sinn und Gefahr der psychologisdien Beratung.

Wege zum Menschen 12, 1960 S. 420-428.
T i 11 i c h, Paul: Der Einfluß der Pastoralpsychologie auf die Theologie.

Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 2, 1960 S. 128—137.
Z b i n d e n, Hans: Der alte Mensch im Leben des Kindes.

Universitas 16, 1961 S. 393—400.

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Thielicke, Helmut: Wie die Welt begann. Der Mensch in der
Urgeschichte der Bibel. Stuttgart: Quell-Verlag 1960. 329 S. 8°.
Lw. DM 15.80.

Es handelt sich hier um einen Zyklus von Predigten, die in
der Hamburger Michaeliskirche gehalten wurden, und zwar unter
ständig wachsendem Zulauf, so daß der Prediger 6ich zu Parallelgottesdiensten
entschließen mußte. Den Text bilden die wichtigsten
Teile der Urgeschichte: Schöpfung, Sündenfall, Kain und
Abel, Sintflut, Turmbau. Es wird dabei nicht in der Weise einer
bibelkundlichen Homilie vorgegangen, also so, daß jeder Einzelzug
zu seinem Recht kommt; sondern es sind die Grundlinien
und besonders diejenigen Gedanken, die für da6 Selbsrverständ-
nis des Menschen hilfreich sind. Denn darum geht es, wie der
Untertitel e6 ja unterstreicht: der Mensch in der Urgeschichte
der Bibel. Damit ist eine gewisse Begrenzung des Gegenstandes
gegeben. So wird erklärlich, daß das Stück von den Weltströmen
(2, 10—14) und da6 von den Engelehen (6, 1—4) ausgelassen
werden oder daß von den die Urgeschichte prägenden Stammbäumen
keine Rede ist. Andererseits hat sich Th. Züge entgehen
lassen, die vorzüglich in sein Konzept gepaßt hätten, wie die
Verse 3, 20 f. oder den theologisch wichtigen Gedanken des Segens
; auch das eriris sicut Deus wird zwar gelegentlich erwähnt
(S. 188. 255), tritt aber in seiner entscheidenden Wichtigkeit
nicht genug hervor. Das sage ich hier nicht, um einen Vorwurf
zu erheben. Wer sich je ausführlicher mit der Urgeschichte beschäftigt
hat, dem wird es nicht anders gegangen sein als dem
Rezensenten: nähert man sich ihr von neuem, entdeckt man
jedesmal neue Züge. Man kann sie nie fertig auslegen und schon
gar nicht aus-predigen.

Das Buch wird durch einige Merkmale geprägt, die die Wirkung
verstehen lassen, die Th. als Prediger, wie früher in Stuttgart
und anderswo, so heute in Hamburg hat. 1) Der Hörer begegnet
hier einem im besten Sinne „gebildeten" Mann. Th. hat
6ich in der Welt umgesehen, und zwar mit Erfolg, kennt sich aus
in Literatur, Kunst, Mu6ik, nimmt seine Beispiele von daher und
nicht zuletzt aus eigener, auch schmerzhafter Erfahrung. Das