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1961 Nr. 12

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Systematische Theologie: Ethik

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 12

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Veit den Leser vor die ethische, vor die philosophische Frage
stellt. Insofern ist der neue Titel geradezu irreführend.

Die Grundanliegen Veits ergeben sidi au« dem Aufbau des Werkes
. Zunächst werden im Kapitel über Freiheit und Gesetz, worunter
nicht die Normen, sondern die Kausalitäten zu verstehen sind, die
methodischen Vorfragen erörtert. Der Aspekt des Finalen taucht freilich
eretaunlicherweise dabei nicht auf. Dann wendet Verf. sich der Geschichte
der menschlichen Freiheit seit dem 19. Jahrhundert zu und
stellt fest, daß dem Gewinn an äußerer, technisch bedingter Freiheit im
Sinne der Bewegungsfreiheit und Machbarkeit, der Lebensbewältigung,
kein Gewinn an innerer Freiheit, an .Lust zur Freiheit' entspricht.
Die Symptome dieses Verlustes an Lust zur Freiheit werden später, im
vierten Kapitel, eindringlich und erleuchtend dargestellt. Dazwischen
hinein aber plaziert der Verfasser das Kapitel, auf da6 es ihm hauptsächlich
ankommt, und um dessentwillen das Buch hier in einem theologischen
Organ anzuzeigen und von den theologischen Lesern besonders
zu beachten ist: Die Willensfreiheit als Problem. Dort werden
denn auch wesentliche Theologumena zur Sprache gebracht. In zwei
einander antithetisch zugeordneten Kapiteln schließt Verf. das Buch
ab: im fünften Kapitel über ,die Flucht nach vorn' finden sich die unsere
Gegenwart bestimmenden Faktoren der Wirtschaft, des Geldes, des
Leviathans (des organisierten Staatswesens) glänzend diagnostiziert;
im .Abschluß' werden die .ethischen Gehalte der Freiheit', wesentlich
in den vier Antinomien (Zeitlosigkeit und Zeitgebundenheit bzw. Zeitgemäßheit
, da« Rationale und das Emotionale der ethischen Entscheidung
, Nähe und Distanz zum Urteilstatbestand, die Alternative zwischen
Pflicht- und Erfolgsethik) weiter erörtert und geklärt.

Wir haben es also nicht mit einer einseitig soziologischen,
wertfreien Betrachtung zu tun, sondern wesentlich mit einer
wert-ethischen, ja, es liegt die Vision einer metaphysischen Ordnung
und einer daraus abzuleitenden Ethik zugrunde. Die Kritik
an manchen anthropologischen Entwürfen von heute (A. Gehlen
u. a.) faßt Veit einmal charakteristisch so zusammen: ,,In allen
diesen Entwürfen aber ist die Welt nicht einer gegebenen Ordnung
, einem ordo universi unterworfen, sondern alles ist offen
und nur empirisch feststellbar. Der Mensch ist dem Strom der Ereignisse
preisgegeben. Weisungslos muß er sich darin zurechtfinden
" (S. 191). Und so heißt es dann im Schlußstück konsequent
, „daß Freisein des Menschen keinen Sinn ergibt ohne Ausblick
auf eine Tafel der Werte . . . Als Elemente eines transzendenten
ordo rerum tragen sie (die Werte) den Charakter des Seinsollenden
in sich" (S. 242). So sehr Veit gerade in solchem Streben
auf die Inhalte der abendländisch-christlichen Tradition gewiesen
ist und auch den Leser hinweist, ohne die Probleme des
Säkularismus zu verschweigen, aber auch ohne sie über Gebühr
zu betonen, so hat er doch gerade in bezug auf das Freiheits-
problem und seine Behandlung — von einer Lösung darf man
nach seiner Ansicht am allerwenigsten sprechen! — im christlichen
Bereich Kritik anzumelden. Sie wird voll verständlich nur, wenn
wir seine Hauptthese begriffen haben, äußere Freiheit lasse sich
nur von innen her, genauer gesagt von der Willensfreiheit des
Menschen selbst her richtig einschätzen und verteidigen. Veit
spricht von „dem wahrhaft tragischen Ergebnis, daß die christliche
Theologie zu einem allgemein anerkannten Nachweis der
Willensfreiheit nicht fähig war — obgleich sie nichts anderes zu
tun vermeinte, als die Lehre zu interpretieren, deren Merkmal
die Freiheit ist" (S. 115). Anderwärts noch präziser, wenn freilich
kaum völlig zutreffend: „Christliche Freiheit findet sich darin, daß
zur Orientierung an Werten und zur Verwirklichung von Werten
ein Weg geebnet ist. Nach der Lehre Christi ist der Mensch
frei, diesen Weg zu beschreiten. Die Theologie hat den Weg verengt
, indem 6ie unter der Lenkung Gottes keine Bewegungsfreiheit
zuließ. Im Katholizismus, der die Willensfreiheit bejaht,
wurde daraus die Beschränkung auf die Wahl des Guten, im
Protestantismus wurde daraus das vollständige Nein" (S. 143).

So 6chwer ist es also für den interessierten und ebenso
urteilsfähigen wie sachkundigen Denker von heute, in der Frage
der christlichen, speziell der reformatorischen Freiheit zum Tatsächlichen
vorzudringen. Es sieht wirklich so aus, als habe Jos.
Lortz recht, wenn er gelegentlich behauptet, die reformatorische
Freiheit sei nie und nirgends präzise zu fassen. Dabei müssen die
höchst verwickelten Streitfragen noch ganz beiseite bleiben, inwieweit
die moderne Freiheit ihre Wurzeln im reformatorischen
Geschehen hat. Veit gehört zu denjenigen, die hier die früheren
protestantischen Parolen sehr skeptisch betrachten. Wenn er aber
Luthers Schrift gegen Erasmus in entscheidenden Stellen zitiert,

so müßte vielleicht doch viel deutlicher werden, daß es hier um
die Frage nach dem Heil und nach der Freiheit des Menschen
zum Heil geht, und nicht um die irdische, sei es politisch, sei es
sonstwie verwirklichte Freiheit. Natürlich kann man die scharfe
Trennung der beiden Freiheiten für verhängnisvoll halten. Sie ist
es auch. Aber die Fragestellung Luthers läßt sich schließlich nicht
beliebig modifizieren, ohne daß seine Sätze Schaden leiden. Er
selbst hat aber gemeint, gerade in der Erkenntnis der totalen
Angewiesenheit des Menschen auf die göttliche Gnade den Christen
zur ganzen Freiheit im Dienst von Mitwelt und Mitmensch
aufrufen zu können. Dies der Sinn seines Freiheitstraktats von
1520. Dies der Sinn der reichlich trivialisierten Rede von der
echten Weltlichkeit des Christen und der Christenheit.

Wir sind wahrscheinlich mit Veit ganz einig darin, daß es
echte Freiheit, also auch echte Wertschätzung von Freiheit nicht
ohne echte Bindungen gibt. Er sucht die6e Bindungen durch die
Tafeln einer Wertethik zu befestigen. Aus vielen, keineswegs nur
theologischen Gründen wird man gegen solche Tafeln einer ma-
terialen Wertethik skepisch sein, nicht zuletzt gerade im Blick
auf Werk und Gestalt von Max Scheler, auf den sich Veit auch
bezieht und beruft. Es ist wohl doch ein tiefes Mißverständnis,
wenn Veit die christliche Offenbarung und deren reformatorisches
Verständnis zu direkt auf die Soziologie der Freiheit bezieht
. Was man dem Protestantismus der neueren Jahrhunderte
vorwerfen kann, ist gar nicht, daß er die These von der Willensfreiheit
vernachlässigt habe. Man braucht nur zu erwägen, wie
verständnislos gerade auch die Lutherforschung lange Zeit dessen
Schrift gegen Erasmus gegenüberstand. Wenn der neuere Protestantismus
also nicht genug Widerstandskraft gegen den Verlust
der Freiheit und gegen die Unlust an der Freiheit entwickelt
hat, so liegt das nicht am Mangel seiner Theorien, wie Veit gelegentlich
andeutet, sondern daran, daß die Grundlagen aller
wirklichen christlichen Freiheit, die Gewißheit der Offenbarung
und ihrer Geltung, fragwürdig geworden sind.

Aber nicht etwa nur abgesehen von seinen theologischen
Teilen, sondern gerade in ihnen haben wir es in Veits Buch mit
einem höchst bedeutsamen, obendrein 6ehr lesbar geschriebenen
Versuch zu tun, die Grundfragen unserer Gegenwart zu klären,
den gerade auch die Theologen mit Nutzen zur Kenntnis nehmen
sollten.

Frankfurt/Main Karl Gerhard Steck

B u b e r, Martin: Geltung und Grenzen des politischen Prinzips.

Universitas 16, 1961 S. 689—699.
Eckstein, Richard: Angst vor der Strafe?

Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 15, 1961 S. 241—243.
Gustafson, James M.: Patterns of Christian Social Action.

Theology Today 18, 1961 S. 159—171.
H o f b a u e r, Eberhard: Hingabe an Gott. Ein Versuch zur Deutung

christlicher Vollkommenheit.

Erbe und Auftrag 37, 1961 S. 263—274.
Hromädka, J. L.: Friede auf Erden.

Junge Kirche 22, 1961 S. 391—412.
Janssen, Karl: Subsidiarität als sozialpolitisches Grundprinzip?

Junge Kirche 22, 1961 S. 468—471.
Oppen. Dietrich von: Der Beamte im parlamentarischen Staat.

Im Lichte der Reformation, Jahrbuch des Evangelischen Bundes IV,

1961 S. 73—91.

R e d i n g. M.: Die Geschichtlichkeit der sozial-ethischen Ideale.

Tijdschrift voor Philosophie 23, 1961 S. 275—284.
R ö ß 1 e r, Helmut und Heinz-Dieter P i 1 g ra m : Der Nächste auf der

Straße.

Deutsches Pfarrerblatt 61, 1961 S. 384—389.

S c h a p i t z, Eberhard: Physik und Technik als sozialethisches Problem.
Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 15, 1961 S. 255—258.

S c h r e y, Heinz-Horst: Glaube und Handeln. Grundproblemc evangelischer
Ethik. Texte aus der evangelischen Ethik der Gegenwart ausgewählt
. Mit einer Einleitung v. Helmut Thielicke. 2. Aufl. Bremen:
Scfiünemann [1961]. LVIII, 470 S. kl. 8° = Sammlung Dieterich Band
130, Studienausgabe. DM 8.80.
(s. hierzu Besprechung in ThLZ 1957, Sp. 625 ff.)

Schüssler, Hermann: Das Verhältnis von Norm und Situation als
Problem in der gegenwärtigen theologischen Ethik.
Zeitschrift für evangelische Ethik 1961 S. 149—170.