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Ausgabe:

1961 Nr. 12

Spalte:

913-917

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Otto

Titel/Untertitel:

Die mythische Bedeutung des Meeres in Ägypten, Ugarit und Israel 1961

Rezensent:

Meyer, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 12

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Lascaux. Den Schluß auf eine tiefe Wandlung des Mensch-Tier -
Verhältnisses zieht er nicht, nimmt aber so hypothetische Auffassungen
wie die Deutung der „Venus"-figuren auf Idole und
einen prähistorischen Ur-Monotheismus wie sicher erwiesene
Tatsachen. Richtig wird nachdrücklich betont, daß wir an der
wirklichen Problematik der diluvialen Bildnerei vorbeigehen,
wenn wir sie nur aus der Perspektive des Kunstwerkes betrachten
und bewerten. Die Erkenntnis, daß alle Kunst der Altsteinzeit
kultisch bedingt ist im Sinne der Bildmagie, wird jedoch nicht mit
voller Konsequenz durchgeführt. E6 ist unzulässig, einer Hypothese
zuliebe einzelne Erscheinungsgruppen aus dem Ganzen
herauszunehmen. Die gesamte diluviale Bildkunst muß vielmehr
aus einer gemeinsamen Wurzel hergeleitet werden, eben der
Magie. Das wird unabweisbar klar, wenn man das Phänomen der
Felsbilder, an deren Anfang ja doch die diluvialen Höhlenbilder
stehen, aus der bisher geübten lokalen Betrachtung herauslöst
und unter globalen Aspekten betrachtet. Die Vorstellung von der
Zauberkraft des Bildes ist ein „Elementargedanke" der Menschheit
ohne Grenzen von Raum und Zeit. Dazu gehört aber dann
auch der Schamanismus, der in diesem Büchlein durchaus zu kurz
kommt, während die höchst fragwürdige Zweigeschlechtlichkeit
einen unverdient breiten Raum einnimmt.

Das vorliegende Büchlein iet dankbar zu begrüßen wegen
des Grundgedankens der Zusammenarbeit sonst getrennt operierender
Wissenschaften, es ist flüssig geschrieben und regt an —
wenn auch manchmal zum Widerspruch.

Leipzig Friedridi Behn

ALTER ORIENT

Kaiser, Otto: Die mythische Bedeutung des Meeres in Xgypten,
Ugarit und Israel. Berlin: Topelmann 1959. VIII, 161 S. 8° = Beihefte
zur Zeitschrift für die Alttcstamentliche Wissenschaft, hrsg. von
O. Eißfeldt und J. Hempel, 78. DM 24.—.

Eine äußerst interessante und beachtenswerte Studie legt
O. Kaiser, Professor für Altes Testament in Marburg, in Gestalt
seiner Dissertation über das Meer als mythische Größe in Ägypten
, Ugarit und dem vorexilischen Israel vor. Hierbei ist es nicht
so sehr das Interesse am religionsgeschichtlichen Vergleich, das
den Verf. veranlaßt, der mythischen Vorstellung vom Meer nachzugehen
, als vielmehr ein theologisches, auf die Gegenwart bezogenes
Anliegen, indem er „ein Stück menschlicher Weltbeziehung
, das Verständnis des Meere6, in zwei kosmischen Religionen
. . . und schließlich in der auf den Ruf des verheißenden und
fordernden Gottes hörenden israelitischen untersucht" (S. 3).

Dieses Ziel erreicht er durch eine sorgfältige und aus den
Originalquellen erhobene Einzelinterpretaton. Im ersten Teile
wird die mythische Rolle des Meeres in Altägypten beschrieben.
Einleitend charakterisiert Verf. kurz die ägyptische Religion,
die auf den ersten Blick ein buntes Gewirr aus verschiedenen
Räumen und Zeiten zu sein scheint. Im Anschluß an H. Frank-
fort, Ancient Egyptian Religion2, 1949, zeigt er jedoch, daß sich
bei aller Buntheit zwei „Grundgesetze" herausstellen lassen,
wonach es zwar einerseits viele Götter gibt, diese aber andererseits
der Welt immanent sind. Demgegenüber gibt es nur zwei
wirkungslose Ausnahmen, die Ptah-Religion von Memphis und
den Sonnenkult Amenophis' IV. Innerhalb der allgemeinen
Grundlinien gilt, daß die einzelnen, einander oft widerstreitenden
Mythen „immer nur einen Aspekt des Wirklichen" beschreiben
und daß eine Konsubstantialität zwischen Göttern und
Menschen besteht (S. 6 f.).

Unter Beiziehung von Paralleltexten legt er seiner Untersuchung
vor allem das 17. Kapitel des Totenbuches, die zwölfte
Stunde des Am Duat als Zeugnis für die hermopolitanische, sowie
den Schabako-Stein als Beleg für die memphiti6che Theologie
zu Grunde. Dabei ergibt sich als gemeinsamer Grundzug,
daß der Urozean — Nun — über eine inhärente potentielle Fruchtbarkeit
verfügt, aber nicht selbstschöpferisch ist. Er stellt die
Welt vor der Schöpfung dar; der eigentliche Weltlauf bzw. die
geschaffene Ordnung beginnt erst mit dem auß dem Nun entstehenden
Urgott Atum-Re (S. 10-19).

Ausgehend von der Darstellung der zwölften Stunde der
nächtlichen Fahrt des Sonnengottes durch die Unterwelt, wie sie

auf dem Sarkophag Sethos' I. begegnet, behandelt Verf. die kosmische
Erstreckung des Nun (S. 19—27). Danach befindet sich
das Urwasser ebenso unterhalb des Totenreiches, wie es sich
oberhalb der Himmel befindet, also den Kosmos ähnlich umgibt
wie die Tiamat der Babylonier (S. 24). Der Urozean liegt in
ewiger Finsternis und ist selbst den Göttern unzugänglich. Dementsprechend
beschreibt die Sonne ihre Bahn innerhalb des Kosmos
, weitab von den diese Welt begrenzenden Urgewässern;
denn auch der unterirdische Strom, auf dem die Sonnenbarke das
Totenreich durchzieht, ist trotz seines Namens Nun nicht der
Urozean schlechthin (S. 27).

Andererseits steht der Nun (S. 27—32) auch direkt zum
ägyptischen Lebensbereiche in Beziehung, insofern als er durch
den Nil seine potentielle Fruchtbarkeit spendet, wenn das periodische
Hochwasser normal ausfällt, oder auch an die chaotische
Urzeit und Schöpfung gemahnt, wenn die Überschwemmung gefährliche
Ausmaße annimmt und schließlich das Land doch
wieder aus den Fluten emporsteigt. Demgegenüber hat der Ägypter
zum offenen Meere, also zum Mittel- und Roten Meere,
vorwiegend eine amythische, ausgesprochen sachliche Stellung
(S. 32-34).

Verf. kommt des weiteren auf eschatologische Vorstellungen
vom Urmeer zu sprechen (S. 35 f.), und fußend auf dem 175. Kapitel
des Totenbuches, das aus der Herakleopolitenzeit stammt,
stellt er fest, daß am Ende der Schöpfergott Atum, wie er einst
von selbst aus dem Nun entstand, „als der Letzte und Ewige in
den Wassern bleiben" wird; damit gelten für die Eschatologie
„die gleichen Grenzen der Aussage wie für die Protologie".

Abgeschlossen wird der erste Teil mit der Frage, wieweit
man mit genuin-ägyptischer Vorstellung vom Meer als lebensfeindlicher
Macht rechnen kann (S. 36—39). Auf Grund der Lehre
für Merikare 131 ergibt 6ich, daß die ÄgypteT bereits in der
Herakleopolitenzeit einen Mythos vom Siege des Sonnengottes
über ein Was6erungcheuer kannten; allerdings bleiben die näheren
Umstände dunkel. Den zweiten Beleg, Papyrus Hearst 11,13,
deutet Verf. dahingehend, daß die Ägypter die mythische Vorstellung
von einem Kampfe des Seth-Baal gegen das Meer aus
der ugaritischen Mythologie übernommen haben; wieweit hierzu
der Tatbestand paßt, daß 6ich seit der XVIII. Dynastie die Bezeichnung
ym anstelle von w'd wr „Meer" durchsetzt, läßt Verf.
wohl mit Recht in der Schwebe.

Bevor Verf. der Frage nach fremden Einflüssen auf die ägyptischen
Vorstellungen weiter nachgeht, behandelt er zunächst die
ugaritischen Texte (S. 40—77). Einleitend bespricht er zunächst
topographische und textliche Probleme. Er 6elbst legt seiner
Arbeit das Material zugrunde, das C. H. Gordon in seiner
Standardausgabe, Ugaritic Manual, 195 5, bietet; und zwar handelt
es sich um die Texte 129: Yams Ernennung zum König der
Erde; 137: Die Botschaft Yams an die Götterversammlung;
68: Der Angriff Baals auf Yam; 67 : I : 1-3; 28-30 und 'nt:
III : 3 3—44: Baal und Anat als Bezwinger des Leviathan. An
Übersetzungen erwähnt Verf.: C. H. Gordon, Ugaritic Literature,
1949; T. H. Gaster, Thespis, 1950; H. L. Ginsberg, Ugaritic
Myths, Epics and Legends in: J. B. Pritchard, Ancient Near
Eastern Texts2, 1955, S. 129—155; G. R. Driver, Canannitc
Myths and Legends, 1956. Neuerdings tritt nun auch eine
deutsche Übersetzung der wichtigsten Texte, wie sie Verf. noch
vermißte, in J. Aistleitner, Die mythologischen und kultischen
Texte aus Ras Schamra (= Bibliotheca Orientalis Hungarica
VIII), Budapest 1959, hinzu. Aus der Vorkriegszeit verdient die
maßgebende Textbcarbeitung von H. L. Ginsberg, The Ugaritic
Texts, Jerusalem 1936 (hebr.), besondere Erwähnung.

Aus der Fülle wertvoller Einzelbeobachtungen kann auch hier
naturgemäß nur da6 eine oder andere herausgegriffen werden.
Den schwierigen Text 129, der die Ernennung Yams zum König
der Erde beschreibt, betrachtet Verf. als eine Erzählung, die zu
einer Zeit spielt, da die Götter mit Himmel und Erde entstanden
und ihre Herrschaftsbereiche noch nicht bestimmt waren (S. 47).
Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhange der
Exkurs über den Wohnsitz Eis (S. 47—56).

In dieser Streitfrage entscheidet sich Verf. unter Analyse
der Ortsangabe mbk nhrm apk thmtm (129,4) für das Grundwasser
bzw. den Grundozean, der, wie das Land des Gottes Ea,