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Ausgabe: | 1961 Nr. 12 |
Spalte: | 911 |
Kategorie: | Religionswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Goldammer, Kurt |
Titel/Untertitel: | Die Formenwelt des Religiösen 1961 |
Rezensent: | Lehmann, Arno |
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911
Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 12
912
HELIGIONSWISSEN SCHAFT
Goldammer, Kurt: Die Formenwelt des Religiösen. Grundriß der
systematischen Religionswissenschaft. Stuttgart: Kröner [i960].
XXXII, 528 S. kl. 8" - Kröners Taschenausgabe Bd. 264. Lw.
DM 15.-.
Aus unserer Zeit ist mir kein Buch dieser Art und Güte bekannt
. Bewußt und mit Erfolg wird der tatsächlichen Formenfülle
des religiösen Leben« und Verhaltens nachgegangen und sowohl
Kritik wie Idealisierung vermieden. Kann man hier von
einer vorgenommenen sachentsprechenden Anatomie der Religion
sprechen, so ganz gewiß nicht von einer Religionspathologie,
weil die Arbeitsweise bestimmt ist von der Suche nach dem,
,,was Religion jeweils will, nicht nur was sie tut bzw. wie
uns ihr Tun erscheint" (XXV).
Mit dieser Einstellung, die dann auch durchgeführt wird,
geht der Verf. an die Einzeldarstellung heran, die alles Zugehörige
zu umfassen scheint, so daß dem Besprecher keine wesentliche
Auslassung aufgefallen ist.
Das 1. Kap. handelt von der Religion: Begriff und Wirklichkeit
, grundlegende Gestaltstrukturen, Religion als Sachverhalt
und persönliche Erfahrung, Sinnmitte und Ziel. Kap. 2 behandelt
das Heilige, die Mächte und die Macht, heiliges Leben in Ding,
Pflanze, Tier und Mensch, das Heilige im Naturwalten, Göttergestalten
, den Gottesgedanken (Eigenart, Oben und LInten, Dualismus
, Theorien, Formen des Monotheismus, die Durchschlagskraft
der thei6tischen Idee), die Auseinandersetzung zwischen
Mensch und Heiligkeitsmächren (Offenbarung . . . ). Kap. 3
bringt das Erscheinungsbild, das Frommsein zur Darstellung: das
sinnliche Frommsein der Tradition und Konvention, das innerliche
Frommsein des Gefühls, des Entschlusses und Nachdenkens
(Lehrhafte Religiosität, Theologie und rel. Philosophie, Ethik),
das säkularisierte Frommsein des Ästhetischen und des Ethischen,
das Frommsein als schöpferische Eigenleistung und als Nachvollzug
und als Werk und als Gnadenerfahrung.
Das vermutlich am meisten eingesehene Kapitel wird wohl
das 4. sein: über Gestalten, Gestaltungen und Formen der Religion
. Es umfaßt die S. 15 5—327 und beschreibt die hl. Gestalten
(35 S.), den hl. Raum, den hl. Weg, die hl. Zeit (Kreislaufund
Ziel, die mythische Zeit, Dialektik des Zeitgeschehens, Zeitdeu-
tung, Zeit und Licht, hl. Zeiten und hl. Jahr, Ewigkeitsvorstellungen
), das Wunder als Durchbrechung von Raum und Zeit,
das heilige Wort (Urlaute, Namen, das Kultwort und das Gebetswort
, der Mythus, Gebundene Rede, das Prophetenwort, das
Offenbarungswort, das Stifterwort und die Verkündigung, das
Lehrwort und das Dogma, hl. Sprachen), hl. Schrift und hl. Überlieferung
, hl. Klang und hl. Schweigen, FaTbe, Zahl, Form und
Bild und hl. Zucht.
Die Kap. 5 — 8 traktieren den Kultus, die hl. Gemeinschaft,
die Welt vor dem Heiligen, Tod und Jenseits.
Der Bearbeitung dieser Stoffmasse kommt eine große Sachkenntnis
und Belesenheit zugute, denen man sich gern anvertraut
. Es berührt den Leser wohltuend, und daran erkennt man
den sauber arbeitenden Theologen, daß die auf diesem Fachgebiet
leider allzu oft auftauchenden falschen Vokabeln vermieden
werden, daß also z.B. auf S. 2 von „Kirche" und auf S. 16
von „kirchen"-artigen Organisationen geschrieben wird. Die
sachgemäße Heranziehung der Gesangbuchsfrömmigkeit muß ausdrücklich
anerkannt werden.
Zu den Vorzügen dieses im Wortsinn hervor-ragenden
Werkes gehören auch die Bibliographie und der gründlich gearbeitete
Index von je 17 Seiten.
Halle/S. Arno Lehmann
Glasenapp, Helmuth von: Glaube und Ritus der Hochreligionen
in vergleichender Übersicht. Frankfurt/M.: Fischer Bücherei [i960].
173 S. kl. 8° = Bücher des Wissens 346. DM 2.20.
H. von Glasenapp hat mit diesem Band der Fischer Bücherei
(„Bücher des Wissens") sein großes, bereits in 3. Auflage vorliegendes
Werk „Die fünf großen Religionen" und seine im
Fischer Lexikon erschienene Darstellung „Die nichtchristlichen
Religionen" ergänzt. Er selbst hat diese Ergänzung als notwendig
empfunden — „Glaube und Ritus sind die beiden Säulen, auf
denen 6ich eine jede der historisch gewachsenen großen Religionen
erhebt" (S. 7) —, und der Leser dankt ihm, daß er sich auf
diesem Wege leicht und verläßlich über innerste Bezirke der Hochreligionen
unterrichten kann. Die Darstellung ist knapp und
gedrängt, wie der Raum es gebot. Aber der in Jahrzehnten durch
Studien und auf Reisen immer neu bereicherte Umgang des Verfassers
mit den Religionen befähigt ihn auch hier, Wesentliches
kurz und anschaulich vorzutragen — „Natur und Geist in Glaube
und Ritus" zu behandeln, „Hauptprobleme der religiösen Weltanschauung
" darzustellen, „Andacht und Kultus", „Ethik und
Heilslehre", „Gemeinde und Geistlichkeit" in ihren äußeren
Formen und inneren Bezügen zu erörtern und den Platz der
„Religion im Gefüge der irdischen Ordnungen" aufzuzeigen.
Einleitend stellt er gemeinsame Merkmale der Religionen heraus:
ihre quantative Begrenztheit, ihre relativ junge Existenz, ihre
gegenseitigen Beziehungen zueinander, ihre Neigung, Glaubensaussagen
zu dogmatisieren, ohne daß jedoch der religiöse Glaube
im Rationalen aufgeht. In 6einen „Schlußbetrachtungen" faßt er
das phänomenologisch Gemeinsame der Hochreligioncn zusammen
. Ihren Anhängern billigt er das Recht zu, jeweils ihre
„Religion für die beste zu halten" (S. 163), vorausgesetzt, daß
6ie „gegenüber anderen Glaubensformen dieselbe Duldsamkeit
walten lassen", die 6ie von ihren Bekennern erwarten (ebd.).
Selbstverständlich steht dem Religionswissenschaftler nicht das
Recht zu, Werturteile zu fällen. Aber es ist im Blick auf seine
phänomenologischen Koordinationen zu fragen: Ist z. B. mit der
Feststellung, daß „alle Religionen harmonisieren in den vier
großen Forderungen sozialen Lebens: nicht zu töten, nicht zu
stehlen, nicht zu lügen und nicht die Ehe zu brechen" (S. 156),
religionsphänomenologisch das Letzte und Entscheidende gesagt?
Ist es nicht die wichtigste Aufgabe religionswissenschaftlicher
Forschung zu untersuchen, in welchem inneren Zusammenhang
jene Forderungen in der jeweiligen Religion stehen, von wo sie
bestimmt, worauf sie zentriert sind? Und ist e6 nicht doch auch
ein Werturteil, wenn das Buch mit dem Bekenntnis eines muslimischen
Herrschers, Akbars, schließt: „Wir müssen des festen
Glaubens 6ein, daß jede Religion von ihm (sc. dem Allmächtigen,
d. h. Allah) gesegnet worden ist, und unser ernstes Bemühen muß
dahin gehen, uns des Glücks des immer grünen Gartens universeller
Duldung zu erfreuen"?
Tübingen Gerhard Rosenkranz
Gallwitz, Hans, Prof. Dr.: Religion und Magie der Menschen in der
Altsteinzeit. Eine Skizze. Berlin: Wichern-Verlag 1960. 31 S., 29 Abb.
auf Taf. 8° = Erkenntnis und Glaube. Schriften der Evang. Forschungsakademie
Ilsenburg, 18. Kart. DM 6.80.
Der verdiente Erforscher der Fundstätten im Geiseltal 6ucht
in dem vorliegenden schmalen Bändchen (in der Schriftenreihe
„Erkenntnis und Glaube" der Evangel. Forschungs-Akademie
Ilsenburg Bd. 18) eine Brücke von den Naturwissenschaften zu
den Geisteswissenschaften zu schlagen, die er selbst „Skizze"
nennt. Dadurch bedingt sich eine Zweiteilung der Schrift. Der
erste Abschnitt gibt eine gedrängte Übersicht über die anthropologischen
Grundlagen, der zweite, an dieser Stelle allein interessierende
behandelt einige ausgewählte Probleme aus der religiösen
Vorstellungswelt des Urmenschen. Hier sind wir allein
auf die Funde und deren Auswertung angewiesen. Der Verf. geht
dabei auß von den Grabriten, für die ein ziemlich umfängliches
Material vorliegt, stets der Schwierigkeiten bewußt, die einer
Ausdeutung entgegenstehen. An die Spitze stellt er die Teilbestattungen
von Bären, die in mehreren Höhlen (Säntis, Franken
, Salzburg) beobachtet wurden und zur Annahme eines entwickelten
Bärenkultes zwingen. Den Bestattungen von Menschen
oder Teilen von ihnen ist trotz ihres ungleich höheren Aussagewertes
nur eine kürzere Darstellung gewährt. In beiden Abschnitten
verzichtet der Verf. auf Vorlage neuer Thesen.
Im Kapitel „Bildliche Darstellungen von Menschen und
Tieren" weist der Verf. richtig auf die Diskrepanz der Wiedergabe
von Tieren und Menschen hin, jene in höchstem Naturalismus
wiedergegeben, diese oft bis zu geometrischen Gebilden abstrahiert
, zuweilen in demselben Bilde wie in der Höhle von