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1961 Nr. 1

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Philosophie, Religionsphilosophie

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 1

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heitsmystik des sich selbst wollenden Menschen bedroht; denn
diese „mündet notwendigerweise im Totalitarismus" (265, 268).

Für die Freiheit selbst bedeutet nach Hommes die dialektische
Methode die große Gefahr. Der Mensch will bei der Behandlung
der Welt sich selbst. Damit wird „die Wahrheit der
Dinge ausschließlich auf die in den Dingen glorreich aufgehende
Freiheit des Menschen zurückgeführt" (282). Bei dieser Ableitung
der Wahrheit aus dem Willen zur Freiheit wird das personale
Wesen im Begriff der Wahrheit aufgehoben. Der Mensch 6teht
nicht mehr über dem menschlichen Gebrauch der Dinge, sondern
ist ganz „in den geschichtlichen Prozeß hinabgedrückt". Der
Mensch geht ganz auf in seinem Menschenwerk. Die Wahrheit
der Dinge und die Freiheit des Menschen sind hineingenommen
in die Einheit und Ganzheit des Daseins. Die Freiheit des Menschen
wird dadurch zur Wahrheit der Dinge. Dem widerspricht
auf das schärfste die Metaphysik.

Die Dialektik ist antitheistisch und antihumanistisch (284).
Die Metaphysik lehrt dagegen die Achtung vor der gegebenen
Wirklichkeit und warnt den Menschen, bloß subjektiv sich selbst
nur zu wollen.

Den eigentlichen Gegensatz zwischen Dialektik und
Metaphysik sieht Hommes in dem Verhältnis von menschlicher
Freiheit und gegebener Wirklichkeit (288). Dieser Gegensatz ist
aber erkenntnistheoretisch nicht zu entscheiden, sondern allein
vom Gewissen her und von einer bestimmten Haltung aus. Es
muß um die Würde des Menschen gerungen werden. „An der
Stimme der Natur, die den Menschen immer wieder zu dem
Naturrecht zurückkehren läßt, hat 6ie ihre stärkste Bundesgenossin
" (289). Die Metaphysik bringt die Wirklichkeit selbst
zur Geltung. Das Gewissen ist „die subjektive Widerspiegelung
der Verpflichtung, in die uns die Wirklichkeit nimmt" (289).
Das Gewissen weiß um das natürliche Recht.

In dem Schlußwort „Die Stunde der Entscheidung"
geht es Hommes darum, daß die persönliche Stellung und Berufung
des Menschen nicht angetastet werde. Die Wirklichkeit
des Gegebenen und die personale Hoheit des Menschen werden
allein von der Metaphysik gewährleistet (314 f.).

Im kritischen Rückblick auf das Ganze fällt
zunächst auf, daß oft mit Begriffen gearbeitet wird, die recht
eigenwillig gebraucht sind, ohne sie streng zu begründen. Dies
gilt bereits von der einführenden Überschau, die die weitere
Darstellung bestimmt, z.B. Technizismus, Eros, Technokratie und
besonders der Begriff der Dialektik selbst. Sodann ist die grundsätzliche
Gegenüberstellung von Dialektik und Metaphysik
zu einfach gesehen. Die Erkenntnis der Gründe für die Selbstentfremdung
des proletarischen Menschen liegen in der besonderen
Form der Industrialisierung. Sie sind gar nicht aufzudecken,
ohne dabei auch die Schuld der christlich bestimmten Existenz
zuzugeben. Von einer solchen Einsicht in das Versagen der
Christenheit ist wenig bei Hommes zu erkennen. Hinter dem
Willen, ein „menschliches Menschsein" (Marx) zu erkämpfen,
steht dodi ein echter Wille zur Freiheit. Die Bedrohung der personalen
Würde erfolgt nicht allein von der Seite her, die der
Verfasser dafür verantwortlich macht. Sie ist auch erfolgt von der
Sicht her, die er wieder heraufzuführen versucht. Wo die von
ihm vertretene Theologie im politischen Machtbereich herrschend
ist, wird den Andersglaubenden wenig an eigener Personwürde
zugestanden. Wir fragen, ob z. B. in Spanien das Naturrecht auch
die Integrität der Protestanten umschließt.

Philosophisch ergeben sich Bedenken gegenüber der
aufgezeigten Ahnenreihe für die dialektische Methode. Marx
steht ebenso gegen Hegel wie auch gegen Heidegger.

Bedenklich ist es ferner, daß Hommes einen Gegensatz zu
Heidegger in der Wahrheitserfassung konstruiert, der sich in dieser
Weise nicht halten läßt. Für die dialektische Methode bestehe
die Wahrheit darin, sich aus der gegebenen Wirklichkeit herauszuwenden
. Nach der thomistischen Auffassung werde die Wahrheit
darin erfaßt, daß „wir das, was wir sind, auch werden". Dieser
scholastische Grundgedanke wird mit Pindars Satz belegt:
„Werde, was du bist" (41). Gerade dieser findet sich aber auch
bei Heidegger (Sein und Zeit 1927, 145; vgl. auch 263). Wenn
dieser Satz wirklich in eine „christliche Metaphysik" hineingehört,
dann entsteht die Frage, ob er überhaupt schriftgemäß ist.

Was Hommes bewegt, muß freilich sehr ernst bedacht werden
, damit der Mensch nicht in einen Seins-Enthusiasmus hineingerät
. Daß aber die thomistische Metaphysik die Rettung verheißen
soll, kann nur dem einsichtig sein, der ihren naturrechtlichen
Voraussetzungen zuzustimmen vermag. Diese wären
aber von der Offenbarung her grundsätzlich zu überprüfen, z. B.
die naturrechtlichen Begründungen für das Gewissen, für die
Personalität und für die Freiheit des Menschen. Es fragt sich auch,
warum z. B. das Privateigentum, das ebenfalls naturrechtlich begründet
wird, die Voraussetzung dafür sein soll, daß der Einzelne
zum Gesamtwohl mit beitragen kann (309). Vor allem bestreiten
wir die Möglichkeit, die natürliche Gotteserkenntnis,
von der Hommes spricht (28 3), mit dem biblisch geoffenbarten
Gottesglauben gleichzusetzen.

Der aufgewiesene Gegensatz zwischen Dialektik und Metaphysik
ist, so müssen wir abschließend sagen, durch jeweils verschiedene
philosophische Vorentscheidungen belastet. Vom Evangelium
her sind wir aber gar nicht beauftragt, eine bestimmte
Philosophie zu bekämpfen und eine andere zu verteidigen, weil
diese dem Glauben näher stünde. Eine philosophische Streitfrage
muß sich durch klare Gründe der Vernunft entscheiden lassen.
Im Glauben geht es um die Beziehung des Menschen zu Gott und
Gottes zu ihm, und nicht um eine endgültige Lösung weltanschaulicher
oder philosophischer Fragen. Eine „theistische Philosophie
", eine „christliche Metaphysik", ein „christlicher Staat"
oder eine als christlich erscheinende Sozialordnung können nicht
in Anspruch nehmen, selbst schon adäquater Ausdruck der biblischen
Gottesoffenbarung zu sein. Es kommt vielmehr darauf an,
in den Bereichen der Vernunft — und dazu gehört auch die gesamte
Arbeit in der Philosophie, in der Metaphysik und in der
Politik — die Existenz des jeweils Existierenden vom Evangelium
her zu erreichen. Deshalb ist dem Andersdenkenden nicht ein
System, auch nicht eine „christliche Metaphysik" entgegenzusetzen
, sondern allein Gottes Wort, das es konkret zu bezeugen
gilt. Die christliche Antwort auf die Philosophie einer Zeit ist
weder Angriff noch Verteidigung. Hommes spricht sogar von
„einem heiligen Krieg" (314). Die Antwort wird überhaupt
nicht von Menschen gegeben, sondern durch das bezeugte Wort
Gottes, das auch die Existenz der Denkenden zu ergreifen und
zu verwandeln vermag.

Eisenadi Heinz Eridi Eisenhuth

Baden, Hans Jürgen: Peter Wust, der Philosoph unter dem Kreuz.

Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 2, 1960 S. 160—173.
Burgert, Helmuth: Heidegger und Russell. Gegensätzliche Aspekte

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H a u b s t, Rudolf: Die jüngsten Fortschritte der Cusanus-Edition.

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Die Zeichen der Zeit 14, 1960 S. 259—264.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Bult mann, Rudolf: Geschichte und Esdiatologie. Tübingen: Mohr
1958. VIII, 188 S. 8°. DM 9.— ; Lw. DM 12.50.

In der Diskussion um die Theologie R. Bultmanns ist immer
wieder deutlich geworden, daß dieser Theologie ein umfassendes
Geschichtsverständnis zugrunde liegt und daß eine kritische oder
positive Aufnahme Bultmannscher Begriffe nur fruchtbar ist, wo
man sich auf das Geschichtsverständnis in seiner Gesamtheit einläßt
, was vor allem nichttheologischen Historikern schwerfällt.
Es ist deshalb außerordentlich zu begrüßen, daß Verf. selbst im
vorliegenden Buche — Gifford-Lectures von 1955 — sein Verständnis
der Geschichte im Horizont der Geschichtsanschauung
und -bewältigung der gesamten abendländischen Geistesgeschichte
entfaltet und begründet.