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Ausgabe:

1961 Nr. 11

Spalte:

855-856

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Diem, Hermann

Titel/Untertitel:

Erziehung durch Verkündigung 1961

Rezensent:

Otto, Gert

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11

856

HELIGIONSPÄDAGOGIK

Diem, Hermann, u. Werner Loch: Erziehung durch Verkündigung.

Heidelberg: Quelle & Meyer 1959. 93 S. 8° = Pädagogische Forschungen
. Veröffentl. d. Comenius-Instituts, 12. Kart. DM 6.80.

Da« vorliegende Heft der verdienstvollen Reihe, die das
Comenius-Institut seit einigen Jahren herausgibt, ist aus einer
Arbeitsgemeinschaft zwischen Theologen und Pädagogen hervorgegangen
(im Rahmen des Systematischen Seminars der Evangelisch
-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen). Die
Ausführungen beider Verfasser sind von der Grundeinsicht bestimmt
, „daß sich Verkündigung und Erziehung an dieselben
Menschen wenden und daß es der Theologe in Predigt und Unterricht
auch mit Erziehung und der Pädagoge auch mit der Verkündigung
zu tun hat" (Vorwort). Unabhängig von der Stellungnahme
im einzelnen ist diese Ausgangsfragestellung sinnvoll und
notwendig. Denn die berechtigte Frage nach der je verschiedenen
Eigenart von Verkündigung und Erziehung, wie sie in der Debatte
der letzten fünfzehn Jahre notwendigerweise besonders
ausgearbeitet worden ist, darf nicht zu sterilen Trennungen
führen.

Diem erörtert: „Erziehung in der Verkündigung" (S. 7 bis 25).
Seine Gedanken sind zum Teil schon aus „Theologie als kirchliche
Wissenschaft" Bd. II (2. Aufl. 1957, §6) bekannt. In sechs kurzen Abschnitten
wird die Problematik entfaltet, ausgehend vom „Bezeugen als
Verkündigen, Überliefern und Lehren" (S. 7 ff.), endend bei Bemerkungen
über „Bildung durdi Verkündigung" (S. 23 ff.). Dazwischen stehen j
Überlegungen, die einerseits speziell den Religionsunterricht (S. 9 ff.) j
und die Situation des Lehrers (S. 13 ff.) betreffen, andererseits vom Weg
der Nachfolge (S. 18 ff.) und vom exemplum Christi (S. 21 ff.) handeln.

Lochs erheblich weiter gespannte Untersuchungen gehen umgekehrt
der Frage nach der „Verkündigung in der Erziehung" nach (S. 26
bis 86). Dabei verweist Loch mehrfach auf Grundgedanken Diems, die
er stellenweise audi aufnimmt und weiterführt, durchdenkt jedoch die
Problematik bemerkenswert selbständig als Pädagoge, dem die theologische
Fragestellung weitgehend vertraut ist. Er setzt bei der „Frage ■
nach der Erziehungswirklichkeit der Verkündigung" ein (S. 26 ff.). Von
diesen Überlegungen her wird er zu Untersuchungen über die „pädagogische
Ermöglichung der Frage nach der Erziehungswirklichkeit der Verkündigung
" (S. 31 ff.) genötigt. Auf diesen beiden Abschnitten ruhen
die beiden folgenden, die von der „Erziehungswirklichkeit der Verkündigung
im Überliefern" (S. 40 ff.) und im Lehren (S. 55 ff.) handeln.

Das Buch bietet in beiden Beiträgen viele wertvolle Gesichtspunkte
. Bei Loch ist die Geschlossenheit der Darlegung eindrucksvoll
. Die Energie, mit der Verkündigung und Erziehung
.ineinander' zu sehen versucht werden, ohne in ein Erziehungschristentum
früherer Prägung zurückzufallen, ist anregend. Der
Perspektivenreichtum in Diems wie in Lochs Beiträgen zu den
Phänomenen des Überlieferns und Lehrens öffnet neue Blickwinkel
, die auch für das Verständnis alltäglichen Unterrichtens
erhellend 6ind. Daß sich dennoch Rückfragen ergeben, liegt im
Wesen der weiterführenden Untersuchurfgen. Mit diesen Fragen
statten wir den Verfassern unsern Dank ab.

Trotz vieler zutreffender Aussagen über den Religionsunterricht
muß man Diem fragen, ob die weitgehend durch Karl
Barth bestimmte Trennung von Verkündigung und Lehre im
Blick auf Predigt und Unterricht in dieser Form haltbar ist —
ja, ob 6ie nicht innerhalb Diems eigener Gedankenführung unausgeglichen
bleibt, sicher aber gegenüber Loch. Das trotz aller
notwendigen Unterscheidung festzuhaltende Ineinander und Miteinander
von Lehre und Verkündigung muß im Blick auf den
Unterricht noch weiter bedacht werden. Weder die von Barth her
in die Religionspädagogik eingedrungene, hermeneutisch verkürzte
Trennung, noch die in vielen Ausführungen nach 1945 zu
beobachtende Einseitigkeit der Betonung von Verkündigungsaufgabe
und -auftrag werden dem Religionsunterricht voll gerecht
.

Eine der Stärken in Lochs Ausführungen liegt in den phänomenologischen
Aussagen über Lehre und Überlieferung. Aber
hier wünschte man sich Weiterführungen in Form von Differenzierungen
. Dazu gehört besonders die Überprüfung, ob Lehre,
lehren, Unterricht, unterrichten 60 weitgehend synonym genommen
werden dürfen, wie Loch das tut (und Karl Barth getan hat).

Dadurch kommen Erhellungen, die in der Unterscheidung von
Inhalt und Vollzug liegen, nicht ausreichend ins Blickfeld. Besonders
aber bedürfte die hermeneutische Problematik, die durch das
Überliefern und Lehren gegeben ist, nachdrücklicher Berücksichtigung
. Lochs fruchtbare Ansätze würden noch gewinnen — in pädagogischer
wie in theologischer Hinsicht —, wenn durchgängig
beachtet wäre, daß das Überliefern und Lehren ständig Auslegung
von Lehre und Überlieferung ist. Das wird nicht
deutlich genug.

Diese kritischen Anmerkungen möchten zeigen, daß die
bemerkenswerte Schrift von Diem und Loch der nachdrücklichen
Beachtung in der gegenwärtigen religionspädagogischen Diskussion
bedarf.

Hamburg Gert Otto

Schaal, Helmut: Erziehung bei Kierkegaard. Das „Aufmerksammachen
auf das Religiöse" als pädagogische Kategorie. Heidelberg:
Quelle Sc Meyer 1958. 128 S. 8° = Pädagogische Forschungen. Veröff.
des Comenius-Inst., 8. Kart. DM 9.80.

Der Verfasser dieses Buches bemüht sich mit großer Gründlichkeit
aus den Werken Kierkegaards den einen Gedanken,
der sich, wie K. selbst sagt, durch alle 6eine Bücher hindurchzieht
, klar herauszustellen. Nämlich, ob und wie weit ein Mensch
dem anderen Menschen helfen kann, sich im Glauben dem
absoluten, auf den Menschen gerichteten Anspruch Gotte6 zu
stellen. Alles was K. zu diesem Thema 6agt, richtet sich gegen
die ihm überall begegnende Auffassung, Christentum, Glaube
könne als Wissen objektiv übermittelt werden, man könne sich
das Chri6tsein verstehend aneignen. Unermüdlich zeigt K., daß
der absolute Anspruch Gottes den Menschen nur treffen kann,
wenn er als ein Existierender, als Einzelner, als ein Sich-Entschei-
dender vor Gott steht. Niemand könne einen anderen an diesen
Ort des „Existierens vor Gott" führen, niemand könne den anderen
beeinflussen, ihm beistehen angesichts der sich hier i m
Bereich seines Existierens vor ihm auftuenden
Möglichkeit, im „Ärgernis" oder im „Glauben" sich in der Freiheit
seines Selbstseins zu entscheiden. An einem so seines eigenen
Menschseins vor Gott erst wirklich Gewahrwerdenden und es
Gewinnenden kann das geschehen, was K. „die Erziehung Gottes
am Menschen" nennt. Hier, wo es im Glauben um das „Wagnis
des Lebens" geht, ist der Anspruch des Erziehens ein für
allemal an Gott abgetreten.

In diesem Zusammenhang prägt Kierkegaard den Begriff
„Aufmerksammachen": In diesem Bereich des Existierens kann
einer für den anderen nichts weiter tun, als ihn darauf aufmerksam
zu machen, daß auch für ihn, den anderen, die Möglichkeit
besteht, ein Existierender vor Gott zu sein. Die hier beschriebene
Art des „Aufmerksammachens" gibt es in dieser Weise nur
im Bereich des Stehens, des Existierens vor Gott. Denn auch der,
der aufmerksam macht, kann dies nur, wenn und indem er
selbst ein Existierender vor Gott ist. Das „Aufmerksammachen
" hat seinen Zweck erfüllt und verliert seine Bedeutung,
wenn der andere sich auf die auch ihm mögliche
Situation vor Gott hat aufmerksam machen lassen. Der
Verfasser zeigt, in welcher Weise K. das „Aufmerksammachen"
gleichsam absichert gegen alles Lehren von Erkenntnissen,
die vom anderen übernommen werden können, gegen Autorität
oder gewaltsames Hineindrängen in jene Situation vor Gott,
gegen das Wirksamwerden der eigenen Person dessen, der aufmerksam
macht. Absolut deutlich wird aus der sorgfältig - ein--
gehenden Darstellung Sch.s daß das, was hier zwischen Gott und
dem Menschen geschieht, immer nur in einem Bereich geschehen
kann, in dem der Mensch als er selbst, in seiner Existenz sich
verantwortlich von Gott aufgerufen weiß. In diesem Bereich gewinnt
der Mensch mit seinem Christsein zugleich auch sein tiefstes
Menschsein; beides läßt sich nicht voneinander trennen. —

Für Schaal aber ergibt sich nun aus den Darlegungen K.s,
daß das menschliche Leben sich in zwei grundverschiedenen
Bereichen oder Ebenen vollzieht, die sich überschneiden. Der
Mensch lebt einmal im Bereich oder in der Ebene des Existierens
vor Gott, zu der sich der Mensch in vertikaler Richtung in
immer neuer „Anstrengung aufschwingen" muß und nur für