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1961 Nr. 11

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11

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Frenter, Regin, Prof.: Der Protestantismus in unserer Zeit. Ins

Deutsdie übertragen von Klaus - Detlef P o h 1. Stuttgart: Evang.
Verlagswerk [1959]. 127 S. 8°. Kart. DM 9.80.

Die zunehmende Beschäftigung mit dem Protestantismus
gehört ohne Zweifel zu den auffälligen Kennzeichen der jüngsten
Entwicklung theologischer Literatur. Damit endet offenkundig
eine Periode der Scheu, sich selbst in seiner Zugehörigkeit
zum Protestantismus zu bestätigen. Bei Pr. verbindet sich
das ungebrochene Ja zum protestantischen Wesen mit einer betont
ökumenischen Gesinnung, die in zwei entscheidenden Zügen
zum Ausdruck kommt, die es verdienen, unterstrichen zu
werden, weil durch sie schon dieser Schrift des dänischen Systematikers
eine besondere Bedeutsamkeit zukommt. Er weist nämlich
dem .kirchlichen' Protestantismus innerhalb der Ökumene die
Rolle einer tragenden Mitte zu, die durch die Herausstellung
ihrer Wahrheit eine aufbauende und kritische Funktion gegenüber
deren rechtem und linken Flügel auszuüben habe. Dabei,
und das ist das zweite, fehlt in diesem Buche, das aus der Herzmitte
der lutherischen Kirche heraus geschrieben ist, so gut wie
jede Polemik gegenüber der reformierten Kirche.

Man wird sagen dürfen, daß die Stärke dieses Buches, dem
übrigens seine ursprüngliche Bestimmung für einen dänischen
Leserkreis nur zugute kommt, in der positiven Entfaltung der
Glaubenslehre und Glaubenshaltung liegt. Insbesondere findet
man in den Kapiteln II .Allein durch den Glauben' (28—45) und
III ,Die Freiheit eines Christenmenschen' (46—77) eine Darstellung
evangelischen Glaubens vor, die mit zu dem Besten und
Klarsten gehören dürfte, was einem denkenden Menschen im
gegenwärtigen kirchlichen Schrifttum angeboten wird. Von der
Mitte christlicher Erkenntnis aus wird in einem einzigen Zuge
die ganze Wahrheit ausgebreitet. So erfährt z. B. die Rechtfertigungslehre
, die gerne verschämt verschwiegen oder in unfruchtbaren
Formeln wiederholt zu werden pflegt, eine Behandlung
, die sie sowohl als Zentrum des Glaubens erweist als auch
ihren Sitz in der Lebensproblematik des modernen Menschen
aufzeigt. Dieser Klarheit der dogmatischen Gedankenführung
entspricht auch die deutliche Herausarbeitung der christlichen
Freiheit bis zur Bejahung der Säkularisierung für bestimmte Bereiche
und Zusammenhänge.

Mindestens ebenso deutlich wie das Ja zur Säkularisierung
wird von Pr. auch ein Nein zu .unberechtigten' Formen derselben
ausgesprochen (74). Audi in deren Analyse bewährt sich
die tiefeindringende Urteilskraft des Verfassers, wenn er im
Blick auf pseudowissenschaftlich begründete Weltanschauungen
und bestimmte Formen einer allgemeinen Demokratisierung
von .heidnisch - theokratischen Gesellschaftsformen'
spricht, die im Grunde echte Säkularisierung gar nicht
wollen. Eigenartig aber ist nun, daß wohl die Gegenüberstellungen
hart und kompromißlos herausgearbeitet werden,
dafür aber jenes Feld ziemlich im Dunkel liegen bleibt, auf dem
die Weichenstellungen liegen müssen, die .berechtigte' und .unberechtigte
' Säkularisationsformen auseinanderführen. Es wird
wohl im Kapitel IV, .Protestantische Kirche?' (77—105) der
Maßstab deutlich, nach welchem über die Berechtigung des Säkularisationsausmaßes
geurteilt wird, aber gerade hier wird das
Dunkel kaum erhellt. Wohl wird kräftig die Bedeutsamkeit von
Sakrament, Gottesdienst und Amt herausgestellt, aber auch
dies geschieht eher in Verteidigung einer Thesis, ohne Auseinandersetzung
mit der inneren Problematik des Institutionellen
oder des jeweiligen Selbstverständnisses einer in sich versteiften
Kirchlichkeit, die in Dänemark immerhin einen Kierkegaard in
die Schranken gerufen haben. Allein 6chon in historischer Sicht
bleiben hier einige Fragen offen, denn der .liberale' Protestantismus
europäischer Prägung ist nicht von ungefähr im Schöße
des .kirchlichen' entstanden. Kann man für die Unkirchlichkeit
wirklich nur jenen .anderen' Protestantismus verantwortlich
machen, der als spiritualistischer Unterstrom schon in der
Reformationszeit mit im Spiele war? Pr. ist zwar vorsichtig genug
, im Blick auf den linken Flügel der Ökumene nur von .Tendenzen
' (Iii) zu sprechen, denn irgendwie geht seine ganze
Rechnung nicht aufl Jener .linker' Flügel läßt, wenigstens auf
angelsächsischen Boden in bezug auf .Kirchlichkeit' kaum etwas
zu wünschen übrig und zu jenem linken Flügel gehört doch u. a.

auch der weitverbreitete und recht lebenskräftige .Fundamenta-
Iismus', dem Ausfuhrungen, wie 6ie Pr. im Namen eines kirchlichen
Protestantismus zu Gunsten der Freiheit der Wissenschaft
und Forschung darbietet (63 ff.) als anstößig .liberal' in den
Ohren klingen müssen. Stimmt etwa diese ganze Gegenüberstellung
zweier so bestimmten .Protestantismen' nicht?

Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob die
These des Verfassers von der Mittelstellung des kirchlichen
Protestantismus aufrecht zu halten ist. Es handelt sich dabei um
eine unausgesprochene Wiederaufnahme einer Lieblingsidee der
lutherischen Restauration des 19. Jahrhunderts, nämlich im
Luthertum die Mitte der Konfessionen zu sehen. Ohne einige
Wahrheitsmomente verkennen zu wollen, die zu einer solchen
Behauptung verführen mögen, so ist ihre generelle Gültigkeit
ernsthaft zu bezweifeln. Sie setzt zu wenig das dialektische
Gegenüber der lutherischen Reformation zu beiden spiritualisti-
schen Systemen, dem sakramentalistischen Institutionalismus und
der schwärmerischen Innerlichkeit (Art. Smalc. III/8/4), in Rechnung
, das niemals als Mitte zwischen beiden verstanden werden
kann. Dann kann aber auch die Mannigfaltigkeit von Beziehungen
nicht recht gesichtet werden, die in den geschichtlich
ausgeformten protestantischen Konfessionen zwischen reformatorischem
Ansatz und spiritualistischer Anschauung wirksam
geworden ist. Gerade auch das Luthertum wird dann schief beurteilt
, bei Pr. ist es der ganze .kirchliche Protestantismus'; er
wird nämlich einfach mit der lutherischen Reformation identifiziert
. Das ist nicht nur eine Ungenauigkeit, sondern hier entsteht
eben jene, uns in diesem Buche entgegentretende, so bedrückend
resignierende Sicht, die nur durch die edle Milde der
Darstellung erträglicher wird. Aus dem echten Gegenüber des
lutherischen reformatorischen Ansatzes zu den verschiedenen
protestantischen Ausprägungen wird nun ein Gegensatz zwischen
dem kirchlichen und liberalen Protestantismus abgeleitet, so daß
die beiden sich fast ebenso geschieden wissen müßten, wie evangelisches
und römisches Christentum, wobei ja immer zu bedenken
ist, daß die beiden Protestantismen als Gegensätze inmitten
der evangelischen Körper, vor allem auch auf europäischen Boden
, vorgestellt werden. Das Geschiedensein der beiden Protestantismen
wird nun aber mit apodiktischer Sicherheit festgestellt
, als habe sich hier ein unabwendbares Schicksal vollzogen.
Auch der heroische Ausklang trägt deutliche Spuren eines nahezu
fatalistischen Geschichtsdenkens an sich, das sich freilich bereits
im konfessionellen Blockdenken abzeichnet. Gerät von daher
unser im Kirchenvolk nistende Liberalismus nicht notwendig in
die Größe eines solchen Blockes, dem zwar geistige Angebote
gemacht werden können, der aber als solcher nur mehr zur
Kenntnis genommen werden kann, statt als gefährdendes, aber
vielleicht auch heilsam beunruhigendes Element gewertet zu
werden? Ist solche, von einem kirchlichen Protestantismus ausgehende
Statuierung einer Art protestantisch-liberalen Konfession
innerhalb unserer Kirchen eine wirklich fruchtbringende,
weil der Wahrheit die Ehre gebende, Entlarvung? Es handelt sich
in Wahrheit um einen Selbstreinigungsversuch, der einen lästigen
Begleiter loswerden möchte.

Ob ,in unsrer Zeit', in der so vieles ins Wanken, in den
Umbruch, aber auch in verheißungsvolle Neuansätze gerät, ein
solcher Protestantismus ein echtes geistliches Angebot darstellt?
Denn wenn möglicherweise .heute nur gegen den Wind verkündet
werden kann' (125), so müßte doch gerade diese, vom Verfasser
so tief vertretene Freiheit eines Christenmenschen einen
Weg aufzeigen können, der, gerade Blockbildungen vermeidend,
in eine neue Gestalt führt. Die Auflockerung des alten Gegensatzes
positiv-liberal gerade auf dem Boden evangelischer, insbesondere
lutherischer Theologie, geht seit geraumer Zeit in
großer Tiefe und Weite vor sich — sollte sich nicht von hier aus
einiges für den .Protestantismus in unserer Zeit' erhoffen
lassen? ,

Wien__ Wilhelm Dantine

Gerdes, Hayo: Die durch Martin Kählers Kampf gegen den „historischen
Jesus" ausgelöste Krise in der evangelischen Theologie und
ihre Überwindung.

Neue Zeitschrift für Systematisdie Theologie 3, 1961 S. 175—202.
Kinder, Ernst: Zur Sakramentslehre.

Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 3, 1961 S. 141—174.