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Ausgabe:

1961 Nr. 11

Spalte:

851-852

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mentz, Hermann

Titel/Untertitel:

Taufe und Kirche in ihrem ursprünglichen Zusammenhang 1961

Rezensent:

Barth, Markus

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Seite 1

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851 Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11 852

(Essai sur la pensee hebrai'que, Paris 1953), begegnet uns in der
Philosophie Bergsons eine hebräische Denkart; die von der
traditionellen griechisch-europäischen Philosophie sehr verschieden
ist, (man vergleiche z. B. die Analyse von dem Begriff des
Nichts bei Kant, Kr. d. r. Vernunft2 346 ff. und bei Bergson,
L'eYolution creatrice, Kap. 4), die aber mit dem alttestament-
lichen Denken strukturell verwandt ist. Auf der anderen Seite
hätten die Verf. mit dem Kölner Philosophen Joh. Hessen (Pla-
tonismus und Prophetismus, 1939 u. 1955) auf die innere Verwandtschaft
zwischen prophetischem und platonischem Denken
hinweisen können, die einen Übergang von der einen zur anderen
Denkart sehr erleichterte.

Wenn die katholische Kirche da6 Problem des Verhältnisses
zwischen Christentum und Griechentum an der Wurzel packen
will, darf sie es aber nicht den Philosophen und klassischen
Philologen ganz überlassen; sie muß auch Alt- und Neutesta-
mentler heranziehen. Das Problem ist zuerst volkspsychologisch
zu stellen; denn der Gegensatz zu griechisch ist selbstverständlich
nicht christlich, auch nicht biblisch, sondern hebräisch; christlich
ist ein religiöser Begriff und ist als solcher mit dem völkischen
Begriff griechisch inkommensurabel, außerdem enthält er
für uns von Anfang an griechische Elemente, da wir ihn erst aus
dem Neuen Testament kennen. Man darf zuerst auch nicht den
religiösen Begriff „biblisch" verwenden; — um das an einem Beispiel
zu zeigen: Der biblische Kult ist bildlos, der griechische
nicht; das entsprechende volkspsychologische Problem aber lautet:
Warum stellten die Griechen in ihrem Kult die Götter als
idealisierte Menschen, die Hebräer ihren ganz persönlichen Gott
als einen Stier dar? Erst wenn man die volkspsychologische Verschiedenheit
des Welterlebnisses und der Denkart der beiden
Völker herausgearbeitet hat, kann man die religiös-moralischen
Unterschiede und Ähnlichkeiten beurteilen.

Fast alle Untersuchungen über das Verhältnis zwischen dem
christlichen Glauben und der griechischen Philosophie (auch die
von Armstrong und Markus) legen sachlich irrelevanten volkspsychologischen
Eigentümlichkeiten großen religiösen Wert bei,
60 z. B. in der Beurteilung von Zeit, Ewigkeit und Eschatologie,
um nur e i n Gebiet zu erwähnen. Auch für die katholische
Theologie würde ein volkspsychologischer Vergleich von erheblichem
Nutzen 6ein, denn sie würde dabei die Berechtigung und
Notwendigkeit der dogmengeschichtlichen Entwicklung im Altertum
tiefer verstehen.

Oslo Thorleif B o m a n

Flügge, Johannes: Vom Selbstbewußtsein der Einzelwissenschaften.
Neue Sammlung I, 1961 S. 130—141.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

M e n t z, Hermann: Taufe und Kirche in ihrem ursprünglichen Zusammenhang
. Mündien: Kaiser 1960. 112 S. 8° = Beiträge zur evangelischen
Theologie. Theol. Abhandl., hrsg. v. E. Wolf, 29. Kart.
DM 8.-.

In dieser der Kirchlichen Hochschule in Berlin als Dissertation
vorgelegten Arbeit verzichtet der Verfasser bewußt darauf,
auf solche jüdischen oder griechischen, ägyptischen oder gnosti-
schen Parallelen und auf kirchen-, dogmen- und liturgiegeschichtliche
Gesichtspunkte einzugehen, welche üblicherweise zur Begründung
und Erleuchtung von Herkunft, Wesen und Nutzen der
Taufe beigezogen werden. Statt dessen bemüht er sich, in theologischer
Besinnung den kerygmatischen Gehalt neutestamentlicher
Texte zu erfassen und aus dem eschatologischen Selbstverständnis
urchristlicher Zeugen Schlüsse hinsichtlich des Wesens der
Kirche und ihres Taufens zu ziehen. Unter dem „ursprünglichen"
Zusammenhang von Taufe und Kirche versteht er daher nicht
ein von Historikern zu rekonstruierendes Bild einer noch nicht
„frühkatholischen" Kirche und Taufe, sondern die vom Kerygma
angezeigte echte oder eigentliche Bezogenheit von Kirche und
Taufe, wie sie von der Ürkirche sukzessive erkannt wurde und
heute wie damals immer neu nur in der Entscheidung des Glaubens
erfaßt werden kann.

Die Hauptthesen dieses Buches sind folgende: Die Jordantaufe
Jesu ist der Beginn von Jesu Kreuzesweg, und der so begonnene
Weg zu eschatologischer Verherrlichung ist der Ursprung
der Existenz der Kirche und ihres Zeugnisses durch die Taufe.
Die Taufe ist ein Existential der Kirche — nicht weil sie Geistbesitz
oder Verfügung über den Geist dokumentierte, sondern
weil sie die immerwährende Geistbedürftigkeit der Menschen
und Geisteszusicherung durch Gott kundgibt (S. 62). Geisttaufe
gibt es nie ohne Wassertaufe, und sie darf ihr 6eit Christi Kommen
nicht mehr gegenübergestellt werden. „Das Element des Wa66ers
im christlichen Taufritus ist das Zeichen der Demut der Kirche"
(8 3), die sich an Israel, an das Kerygma und an den geschichtlichen
Christus gebunden und dazu verpflichtet weiß, auf dem
Kreuzesweg ihr Leben zu finden und Gott zu verherrlichen. Die
Taufe sichert gegen die Dämonien des 6ich-Rühmens (92).
„Taufen ist Verherrlichung Gottes in seiner Gemeinde" (58) und
Wirksamwerden der Erlösungstat Christi (82). Im christlichen
Taufen entsteht je und je die Kirche. Die Wirkung der Taufe ist
das Zeugnis für die Wirksamkeit des Christusereignisses. Die
Taufe hat diese Wirkung als ein von Gott gesetzter Akt gemeinsamer
Verkündigung durch Täufer und Täufling, d. i. als Akt der
Brüderlichkeit — jedoch nicht kraft einer Mitwirkung von menschlicher
Seite her (99 f., 109). Zwischen Taufe, Glaube, Buße bestehe
, so erfährt man, kein ursächlicher Zusammenhang, da eine
„im Geist" geschehende Verkündigung „unabhängig sein muß
von jeglicher menschlicher Entscheidung und Haltung". Kindertaufe
kann somit — vorausgesetzt man lebe in einer lebendigen
Gemeinde — bedenkenlos vollzogen werden; „das Kind bedarf
keines stellvertretenden Glaubens durch Erwachsene ... Für das
Versagen aller Beteiligten tritt Christus selbst ein" (108).

Man kann schwerlich behaupten, daß diese Thesen in restlos
klarer und widerspruchsfreier Weise zur Geltung gebracht werden
. Dennoch verdienen sie Beachtung. Denn der Versuch, die
Taufdiskussion durch neue Fragestellungen und Gesichtspunkte
zu bereichern und über die Grenzen eines glorifizierten Historismus
hinauszuführen, ist zweifellos nötig. Und doch kann man
fragen, ob Mentz's Dissertation wirklich weiterführt, In ihrer
eigenen Weise haben Baptisten wie H. Wh. Robinson und
N. Clark, Anglikancr wie O. C. Quick, E. S. Mascall, und G. W.
H. Lampe, endlich die um T. F. Torrance gruppierten presbyteri-
anischen Gelehrten in ihren Arbeiten über die Taufe oder über
die Sakramente ähnlich starke Akzente auf Christus und die
Kirche gelegt, wie H. Mentz es jetzt tut. Ontologische, heilsgeschichtliche
und existentialistische Elemente hatten 6ich schon
bei ihnen zu einem eigenartigen Reigentanz verbunden, und die
Faith and Order Konferenzen von Lund (1952), New Häven
(1957) und Spittal (1959) haben eine Reihe von Dokumenten
produziert, welche beweisen, welch großen Einfluß entsprechende
Deduktionen und Spekulationen heute auf ökumenische Kreise
haben. Hätte Mentz von den entsprechenden Bemühungen Kenntnis
genommen, so wäre sein Buch leichter zu einem Beitrag zum
ökumenischen Gespräch geworden. Er hätte dann wahrscheinlich
weniger absolutes Vertrauen auf die Zauberbegriffe „existentiell
", „kerygmatisch", „eschatologisch" gelegt, und er hätte versucht
deutlich zu machen, was „das Taufen" von einem unpersönlichen
Ausfließen göttlicher Kräfte oder einer ebenso unpersönlichen
Aufsaugung in einen göttlichen Machtbereich unterscheidet
. Wenn Kirche und Taufe nicht als solitäre oder komplementäre
mirakulöse Institutionen gelten sollen, müssen sie gewiß
aus Gottes andauerndem Wirken, aus Jesu Christi Kreuz und
Parusie, und aus dem freien Wehen und Wirken des Geistes erklärt
werden. Gottes Wirken, Jesu Gehorsam und Herrlichkeit,
und das vom Geist gewirkte Zeugnis sind jedoch nur dann in
glaubhafter und hilfreicher Weise beschrieben, wenn der Bund
zwischen Gott und Mensch, die Herrschaft Gottes über, unter
und in den Menschen, und die dem Menschen geschenkte Freiheit,
Gott anzurufen und seinen Namen auszurufen, weniger stark vernachlässigt
werden, als es in dieser Monographie geschieht. Hat
der Verfasser eigentlich Angst vor einer konkreten, bindenden,
zeugnishaften Antwort des Menschen auf Gottes Werk und
Selbstkundgabe?

Chicago Markus Barth