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Ausgabe:

1961 Nr. 11

Spalte:

845-848

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Grabar, I. E.

Titel/Untertitel:

Geschichte der russischen Kunst; 3 1961

Rezensent:

Onasch, Konrad

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11

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Trotz einer recht guten Dokumentation in den Fußnoten wird
der Leser mit Literaturangaben nicht verwöhnt, und eine zusammenfassende
Bibliographie wenigstens der wichtigsten Bücher
und Aufsätze wäre nicht übel gewesen. Oder dürfen wir sie in
einem zweiten Bande erwarten? Zweckdienlich sind die zahlreichen
Textillustrationen.

Marburg/Lahn Kurt G ol da m in <■ r

Crabar, I. E., L a s a r e w, W. N., u. W. S. K e m e n o w [Hrsg.]:
Geschichte der rassischen Kunst. III. Übersetzt aus dem Russischen
v. Kurt Küppers. Dresden: Verlag der Kunst 1959. 554 S., 378
z.T. färb. Abb. 4° = Veröff. d. Akademie d. Wiss. d. UdSSR, Inst. f.
Kunstgeschichte. Lw. DM 60.—.

Der 3. Band dieses Werkes, dessen 1. und 2. Bd. hier bereits
ausführlich gewürdigt worden sind (ThLZ 1958, Sp. 694—698;
1959, Sp. 451—455), umfaßt die Zeit vom 13. bis zum 16. Jahrhundert
, also vom Entstehen der zentralrussischen Fürstentümer
bis zur Hochblüte des Moskauer Reiches. Das Material aus Baukunst
, Malerei, Miniaturmalerei, Plastik, Holzschnitzkunst und
Stickerei ist in drei Großkapiteln vereinigt. I. N. N. W o r o n i n
und W. N. Lasarew geben zunächst auf S. 7—29 einen Überblick
über „Die Kunst der zentralrussischen Fürstentümer im 13.
bis 15. Jahrhundert". Es handelt sich dabei um Denkmäler vor
allem aus Susdal', Tver' und Kasin. Zu ihnen gehört u. a. die
berühmte „himmelblaue Koimesis", die dem 15. Jhdt. und der
Schule von Tver' zugerechnet wird. Zwar boten die zahlreichen
Teilfürstentümer der Kunstentwicklung mannigfache Möglichkeiten
, hemmten sie aber auch vor allem in abgelegenen Gegenden
, zu denen nur selten neuere Auffassungen und Techniken
vordrangen. Erst die Zentralisierung im Großfürstentum und späteren
Zarentum Moskau vermochte alle Gebiete der Kunst und
Architektur einer Blüte zuzuführen. Das II. Kapitel „Die Kunst
des großfürstlichen Moskaus" bringt nach einer Einführung
Lasarews in die politischen und ökonomischen Voraussetzungen
des Erstarkens Moskaus (S. 31—33) zunächst einen Überblick
über die Steinbaukunst von W o r o n i n und P. N. M a x i-
mow (S. 34—46). Es handelt 6ich hier im einzelnen um sehr
komplizierte von den Verfassern aber klar und übersichtlich vorgetragene
Probleme, wie man 6ich die Entwicklung der zum größten
Teil nicht mehr vorhandenen alten Kreml-Kirchen in Moskau
zu den späteren Kirchenbauten desselben vorzustellen hat, wobei
man auf Grund erhaltener Pläne und mit Hilfe anderer erhaltener
Sakralbauten in den Provinzen in der Nähe Moskaus
sowie in der Stadt selbst (Andronikov-Kloster z. B.) zum Ergebnis
kommt, daß die oberen Teile der Architektur zunehmend
einer dynamischen Auflösung des alten „Würfel"-Typs unterworfen
wurden. Damit war die Voraussetzung für die „Steinbaukunst
in der Blütezeit Moskaus" gegeben, die von M. A. 11 j i n,
Maximow und W. W. Kostotschkin S. 200—338 im
III. Kapitel umfassend behandelt wird. Wir kehren aber zum
II. Kapitel zurück, in dessen Mittelpunkt, was die Malerei anbetrifft
, der große Abschnitt über Andrei Rubljow von Lasarew steht
(S. 68—137), nachdem er S. 47—68 die Vorgeschichte der Epoche
Rubljows aufgewiesen hat, wobei die individuelle Kunst eines
Feofan Grek in die richtigen Proportionen dieser Entwicklung
gebracht wird (S. 56—62).

Lasarew zeigt S. 76 ff., wie sich Rubljow selbständig weiterentwickelt
hat, indem er „die temperamentvollen starken Pinselstriche de«
Theophanes durch ruhige dünne Linien" ersetzte1. Verf. unterzieht den
gesamten Bestand der Rubljow oder seiner Schule zugeschriebenen
Denkmäler einer gründlichen 6tilanalytischen und -kritischen Untersuchung
, wobei die Unterschiede zu seinen Mitarbeitern, wie Feoafan,
Prochor und Daniii herausgearbeitet werden. Im Zusammenhang mit
den Feiern zum 600jährigen (selbstverständlich nur annähernd angenommenen
) Geburtstag des großen Künstlers im vorigen Jahre sind

') Epifanij Premudryjs bekannte Charakteristik Feofans als „filosof
zelo chitryj" wird S. 76 mit „sehr schlauer Philosoph" übersetzt. Da»
entspricht zwar dem modernen Russisch, aber im Altrussischen entspricht
„chytr'c" dem Griechischen „ isxvhtji; " und „ <piX6oo<pos ",
chitryj wäre also besser mit „klug", „gebildet" o. ä. zu übersetzen (vgl.
K. Onasch: Groß-Novgorod und Feofan der Grieche, in: Ostkirchliche
Studien, 3. Bd., 1954, S. 290).

eine Reihe von Problemen durch sovjetische Kunsthistoriker2 vorgetragen
worden, die das immer wieder anziehende Phänomen Rubljow-
scher Kunst von neuem ergänzen. Dabei kam es bei einigen Denkmälern
zu einem kontroversen Gedankenaustausch, der deutlich zeigt, wie
manche Einzelfragen noch nicht erledigt sind, sondern noch einer endgültigen
Lösung harren. Wir nehmen als Beispiel die „Koimesis"-Ikone
des Kirillo-Bjelozerskij-Klosters aus dem 15. Jhdt. Während Forscher,
wie N. E. M n e v a und V. I. Antonova diese Ikone Rubljow und
«einen Schülern zuschreiben, lehnt Lasarew S. 140 diese Autorschaft ab.
Nun ist sie neuerdings wieder von A. Jagodovskaja (in: Mate-
rialy i issledovanija, 2. Bd., Moskau 1958 [= Gosudarstvennaja Tret'
jakovskaja Galereja], S. 37—50) einer Untersuchung unterzogen worden
. Auch diese Verfasserin hegt einige begründete, auf Stilanalyse
fußende Zweifel an der Autorschaft Rubljows (S. 43), betont aber
zugleich ihren ausgesprochen „Moskauer Charakter", der indessen
manche Verbindung mit der Novgoroder Schule aufweist (S. 47), die
ebenfalls Lasarew hervorhebt. A. Jagodovskaja möchte dem gegenüber
nicht so stark den Novgoroder Einfluß hervorgehoben haben, sondern
sieht hier das Aufbrechen einer neuen Kunst, wie sie nicht nur in Rußland
, sondern in ganz Europa in Gestalt der Frührenaissance zum Ausdruck
kommt (S. 49—50).

Im Mittelpunkt der Rubljow-Darstellung von Lasarew steht natürlich
die berühmte „Troica", die er susführlich S. 106—114 bespricht und
analysiert. Die S. 108, Anm. 1 erwähnte Arbeit von N. A. D e m i n a
ifit jetzt zugänglich in den „Trudy otdela drevnerusskoj literatury",
12. Bd., Moskau - Leningrad 1956, S. 311—324. Die Analyse der
„Troica" durch Lasarew wirft eine Reihe von Problemen auf, von
denen hier auf eines aufmerksam gemacht sei. Sowohl Lasarew wie
Alpatow in seiner Anm. 2 erwähnten Studie sind der Meinung, daß
die „Troica" weit über den unmittelbaren theologischen Gehalt hinaus
allgemeinmenschlidie Züge, wie etwa der „Freundschaft" (S. 110, bei
Alpatow S. 23—24), trägt. Dieses Problem steht zweifellos im Zusammenhang
mit den theologischen Fragen, die damals in Rußland diskutiert
wurden. Alpatow weist z.B. darauf hin, daß die „Troica" stark
auf die Philosophie des Areopagiten reflektiert (S. 23). Neuerdings hat
die Arbeit von A. N. K1 i b a n o v, Reformacionnye dvizenija v Rossii
v XlV-pervoj polovine XVI v. v., Moskau 1960 (= Reformatorische
Bewegungen in Rußland vom 14. bis zur ersten Hälfte des 16. Jhdts.)
hierfür wertvolles Material bereit gestellt. So zeigt z. B. die Verarbeitung
des Areopagiten durch russische Theologen in der Tat starke Anklänge
an die spätere Renaissancephilosophie und hat vor allem eine
bestimmte, wenn man so will, „anthropozentrische" Deutung der
Schriften des Areopagiten begünstigt. Ich hoffe, an anderer Stelle zeigen
zu können, wie die Frage des Naturlichtes, da6 bei Rubljow, wie Lasarew
S. 114 m. E. mit Recht betont, eine wichtige Rolle spielt, gerade
von der Auffassung russischer Theologen, von den Ideen des Areopagiten
in Verbindung mit parallelen Vorstellungen zeitgenössischer
bzyantinischer Philosophen und Theologen stark beeinflußt worden ist.
Zur Theologie der „Troica" findet sich bei Klibanov ein wichtiger Hinweis
auf die Dreieinigkeits-Theologie Epifanij Premudryjs (S. 160—161),
der zeigt, wie einmal Rubljow keineswegs ohne Kenntnis oder Eingehen
auf die theologischen Fragen malte, zum andern aber, daß die
kosmisch-symbolische und moralisch-ethisch-anthropozentrische, d.h.
humanistische Deutung der christlich-dogmatischen Dreieinigkeitstheologie
auf Rubljow eingewirkt hat, der Epifanij natürlich persönlich
genau kannte. Bei einer Eliminierung dieser Tatsadien besteht die Gefahr
, die unmittelbar historisch-zeitgenössische Dialektik der Kunst
Rubljows zugunsten allgemeiner ästhetischer Schemata herabzusetzen,
was aber den ganzen Reiz derselben aufheben würde. Theologische
Vorstellungen galten dem mittelalterlidien russisdien Menschen, wie
Gorkij einmal hervorhebt, durchaus als „Wirklichkeit" (dejstvitel'nost')
und „Wahrheit" (pravda)5. Die Krise dieser theologischen Vorstellungen
in Rußland, wie sie Klibanov an Hand der Quellen darstellt, bilden
den bedeutsamen Hintergrund der Kunst Rubljows im allgemeinen und
der „Troica" im besonderen. Gerade die Arbeit Klibanove zeigt m. E.
eine Reihe wertvoller methodischer Voraussetzungen auch für eine
weitere Vertiefung noch anstehender Probleme und ihrer Lösungen, die
uns das Werk des genialen Malers aufgibt. Der Raum verbietet es, auf
andere Gegenstände in der Darstellung Lasarews einzugehen. Seine
Ausführungen zur engen Verwandtschaft der Kunst Rubljows mit den
asketischen Schriften Nil Sorskiji (S. 74 f.) werden jetzt durch eine

') Von den anläßlich der 600-Jahrfeier erschienenen Arbeiten sind
mir bis jetzt bekannt geworden: V. N. Lazarev: Andrej Rublev,
Moskau 1960 und M V. Alpatov: Andrej Rublev, Moskau 19 59.

') Zu diesem wichtigen Problem vgl. Ju. N. Dmitriev, Ob
istolkovanii drevnerusskogo iskusstva, in: Trudy otdela drevnerusskoj
literatury, 13. Bd., Moskau-Leningrad 1957, S. 345—363 (= Zur Erklärung
der altrussischen Kunst) und derselbe: Teorija iskusstva i
vzgljady na iskusstvo v pis'mennosti drevnej Rusi, in: Trudy usw.,
9. Bd., Moskau -Leningrad 1953, S. 97—116 (= Kunsttheorie und
Kunstansicht in der Literatur Altrußlands).