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Ausgabe:

1961 Nr. 11

Spalte:

839-841

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hödl, Ludwig

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der scholastischen Literatur und der Theologie der Schlüsselgewalt 1961

Rezensent:

Oberman, Heiko Augustinus

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11

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Der Traktat über die Auferstehung1 ist nicht nur den Fragen
des künftigen Gerichtes und des ewigen Lebens gewidmet, sondern
verbindet die Erwartung der allgemeinen Auferstehung mit
der Auferstehung Christi. Hier finden sich 6chon später bei
Thomas begegnende Gedanken, so, daß Jesu Auferstehung Ursache
der unseren, da Christus unser Mittler ist (258 f.), und zwar
durch die Sakramente auch Ursache der Auferstehung der Seelen
(261 f., bes. n. 43, 262). Bedeutsam und vermutlich folgenschwer
ist auch Alberts Entscheidung gegen Hugo v. S. Cher, daß die
Totenauferetehung nicht als Zweck im Wesen des Menschen angelegt
, sondern schlechthin .miraculosa' sei (244 n. 15). Damit
dürfte der Sache nach der Konzeption des Übernatürlichen bei
Thoma6 vorgearbeitet sein, wenn auch der Terminus nicht fällt*
andererseits aber die Allgemeinverbindlichkeit der biblisch-
christlichen Anthropologie zugunsten der aristotelischen gefährdet
sein.

Der Edition liegen fünf Hss zugrunde, davon nur zwei, die
alle drei Traktate umfassen, eine au6 dem 13., die andere aus
dem 15. Jhdt. Eine weitere Hs aus dem 13./14. Jhdt. enthält nur
den Auferstehungstraktat, eine vierte des 15. Jhdts. die Traktate
über Sakramente, Auferstehung und das Gute. Eine Pariser Hs des
15. Jhdts. enthält nur einzelne Quästionen des Sakramentstraktates
, vermischt mit Quästionen anderer Autoren. Die Hss
weichen z. T. recht stark voneinander ab (p. XIV sqq.). Die Editoren
haben auch diesem Bande wieder ausführliche und sorgfältig
erarbeitete Register beigegeben.

Wuppertal Wolfhart Pannenberg

*) Vgl. dazu auch die Abhandlung des Herausgebers W. Kübel, Die
Lehre von der Auferstehung der Toten nach Albertus Magnus, in:
Studia Albertina (Festschr. B.Geyer), ed. Ostlender, 1952, 279—318.

Hödl, Ludwig: Die Geschichte der scholastischen Literatur und der
Theologie der Schlüsselgewalt. 1. Teil: Die scholastische Literatur
und die Theologie der Schlüsselgewalt von ihren Anfängen an bis zur
Summa Aurea des Wilhelm von Auxerre. Habilitationsschrift. Münster
/W.: Aschendorff [i960]. XXVII, 398 S. gr. 8° = Beiträge zur
Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, hrsg. v.
M. Schmaus, Bd. XXXVIII, H. 4. Kart. DM 34.-.

Die scholastische Theologie der Buße ist 6chon längst als
eines der wichtigsten Themen der mittelalterlichen Dogmengeschichte
erkannt. Zu ihrem Problemkreis gehören die Lehre von
der Gültigkeit und Wirkung der Sakramente, die Rechtfertigungslehre
und die damit verbundene Frage nach dem Wesen von
Sünde und Gnade.

A. M. Landgraf in zahlreichen Artikeln und Paul Anciaux
in seinem Werk „La Theologie du Sacrament de Penitence au
XIIe siecle", Louvain 1949, haben darum ihre Anfänge gründlich
analysiert, während P. Schmoll, R. Seeberg, N. Paulus und B.
Poschmann (letzterer in mehreren Arbeiten, speziell „Buße und
letzte Ölung", Handbuch der Dogmengeschichte IV. 3, Freiburg
1951) die äußere Linie ihrer Entwicklung nachgezeichnet haben.

Ludwig Hödl hat es gewagt, einen noch größeren Problemkreis
in seiner Arbeit in Angriff zu nehmen, indem er nach der
Geschichte der Schlüsselgewalt fragt. Das schließt zumindest noch
ein die Frage nach dem Träger und der Übertragung der c 1 a v e s,
die Frage nach dem unterschiedlichen Besitz der claves bei Papst,
Bischof und Priester und die Frage nach den verschiedenen Funktionen
der claves, bes. der clavis scientiae.

In diesem ersten Band, dem noch ein zweiter über die
Schlüsselgewalt in der Hoch- und hoffentlich auch in der Spät-
Scholastik folgen wird, behandelt H. die theologischen Quellen
bis einschließlich zur Summa Aurea des Wilhelm von
Auxerre in drei Abschnitten: 1. die Sentenzenliteratur des Anselm
von Laon, Hugo von St. Viktor und Petrus Abaelard; 2. die
Quästionen des Odo von Ourscamp, das Decretum Gratia
n i, die Sentenzen des Petrus Lombardus, so wie die von
ihnen unmittelbar beeinflußten Schriften; 3. die theologischen
Summen des endenden 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts —
u. a. Gilbert de la Porree, Simon von Tournai, die Viktorinerschule
, Petrus Cantor, Stephen Langton und endlich Wilhelm von
Auxerre.

Die Bedeutung von H.s Beitrag muß wohl speziell darin gesehen
werden, daß er weit in Zeitschriften verstreute Analysen
und Textpublikationen zusammengetragen und chronologisch
geordnet hat.

Obwohl zu der Kenntnis der großen Linien der Entwicklung
der Theologie der Schlüsselgewalt nichts Neues hinzugefügt wird,
ist doch manches Detail klarer herausgearbeitet, und man spürt
viel besser als bisher Abhängigkeit und Kontroverse. Den wichtigsten
selbständigen Beitrag gibt H. im zweiten Abschnitt:
Lombardus ist nicht nur als magister 6ententiarum
gesehen, sondern nun auch als magister quaestionum
(S. 125; 187); Odo's „abaelardische" Position ist aufgezeigt,
wonach es allein Gott zukommt, auf Grund der Herzensreue
Sünde zu vergeben, eine Meinung, die H. als „sehr eigenwillig"
bezeichnet (S. 138); angedeutet, aber nicht genügend belegt ist
die Stellung der Warschauer Quaestionen, daß die Liebe und
nicht die Reue als prima gratia zu bezeichnen ist (S. 147;
15Ii; der Einfluß der kirchlichen Praxis, durch Magister Gratia-
nus vermittelt (bes. S. 169 ff.) und die damit verbundene Verlagerung
der claves aus dem Bereich des o r d o in den der
iurisdictio wird berücksichtigt (S. 186); die Zunahme der
hermeneutischen Bedeutung der consuetudo ecclesiae
ist angemerkt (S. 306). Der überzeugende Exkurs über den einflußreichen
pseudo-augustinischen Traktat De vera et falsa
poenitentia, um ein halbes Jahrhundert später datiert als
gewöhnlich, sei noch speziell vermerkt (S. 158ff.). Zweifellos ist
H.s Arbeit auf diesem Gebiet durch 6«ine langen Zitate die wichtigste
und ausführlichste Quellensammlung, die uns heute zur
Verfügung steht.

Formal gesehen wäre das Buch übersichtlicher geworden,
wenn H. den Text entlastet und mehr Information in den Fußnoten
untergebracht hätte. Es wäre eine zu billige Kritik, wollte
man bei solcher Ausdehnung des Sachgebietes Lücken andeuten;
doch muß wohl gesagt werden, daß Exkommunikation und Kirchengewalt
nicht besprochen werden können, ohne die weiteren
ekklesiologischen Verbindungslinien in Betracht zu ziehen.

Störender, aber hiermit verbunden, ist eine gewisse Schwäche
H.s, daß er es versäumt, die jeweiligen Quellen auf ihre eigenen
Voraussetzungen hin und in ihrer zeitgeschichtlichen Situation zu
würdigen. Dies verführt ihn öfter zu einer schulmeisterlichen und
durchaus unangebrachten Beurteilung und Zensierung einzelner
Theologen sowie der gesamttheologischen Lage im 12. Jahrhundert
.

So wird in der noch heute spürbaren Spannung zwischen
Bußgesinnung und sakramentaler Bußleistung das
Erbe derjenigen Theologen, die auf ersteres Gewicht legen, mit
einer schweren Hypothek belastet und ihr Denken mangelhaft
genannt. Hingegen verleihen nach H. nur die Theologen, die
letzteres hervorheben, der Schlüsselgewalt einen gebührenden
theologischen Ort (S. 39; 45; 72; passim. Vgl. S. 282: „Praeposi-
tinus kommt zu der richtigen Erkenntnis .. ."). H.s Maßstäbe
sind hier eindeutig Hochscholastik und heutige Kirchenlehre. So
kann man lesen: „Es ist für die Dogmengeschichte außerordentlich
wichtig, daß die Bedenken gegenüber der deklarativen Funktion
der priesterlichen Dienstleistung bei der Spendung der Sakramente
von den Anfängen der Scholastik an erhoben worden sind"
(S. 272). Das aufgeführte Quellenmaterial zeigt jedoch vielmehr
umgekehrt, daß das Betonen von Petri Reuetränen statt von Petri
Schlüsselgewalt in keiner Hinsicht Sonderlehre war und daß man
diesem deklarativen Standpunkt weit seltener als gedacht widersprochen
hat.

H.s Tendenz erklärt sich wohl daraus, daß er zu sehr sein
eigenes Verständnis von der Autorität der consuetudo
ecclesiae einträgt — er zitiert zustimmend Schmaus: „Die
gegenwärtige Glaubensüberzeugung der Gesamtkirche ist hinreichende
Voraussetzung für eine lehramtliche Entscheidung
" (S. 307, 112) —um den frühscholastischen Einfluß solcher
Bibelstellen wie der Erzählung von der Aus6ätzigenheilung
(Lk. 17, 11—19 )bestehen lassen zu können.

Für die große Mehrzahl der Theologen des 12. Jahrhunderts
konnte die traditio ecclesiastica durchaus noch
nicht für die theologische Methode von Ausschlag sein.