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Ausgabe:

1961 Nr. 11

Spalte:

833

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jervell, Jacob

Titel/Untertitel:

Imago dei 1961

Rezensent:

Adam, Alfred

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833

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11

834

NEUES TESTAMENT

Jervell, Jacob: Imago Dci. Gen. 1, 26 f. im Spätjudentum, in der
Gnosis und in den paulinischen Briefen. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1960. 379 S. gr. 8° = Forschungen zur Religion und Literatur
des Alten und Neuen Testaments, hrsg. v. R. Bultmann, N. F.,
H. 58. DM 3 5.-.

Welche Bedeutung hat die Aussage der Genesis über die
Gottebenbildlichkeit des Menschen in der vorpaulinischen Geistesgeschichte
und bei Paulus selbst erlangt? Auf diese Frage gibt das
vorliegende Werk in ausführlicher und abgewogener Form eine
Antwort, die in ihrer sachlichen Begründung voll einleuchtet.

Im Alten Testament steht die Aussage Gen. 1, 26 f. allein. Im
Spätjudentum zeigen sich verschiedene Linien: die Gottebenbildlichkeit
wird in Erkenntnis und freiem Willen gesehen oder sie wird als Begabung
mit der Herrschaft über die Erde beurteilt. In der Weisheitsliteratur
ist die personifizierte Weisheit selber als unmittelbares Abbild
Gottes betrachtet, während das übrige Spätjudentum darauf Gewicht
legt, daß die Gottebenbildlichkeit zwar in der Urzeit verloren
gegangen, auf dem Sinai aber den Israeliten aufs neue geschenkt worden
ist. In der Gnosis dagegen wird der irdische Mensch auf Grund des
Geistbesitzes als Abbild des himmlischen Anthropos gesehen. Bei Paulus
erscheint ein neuer Ansatz. Die wenigen Stellen, an denen
Gen. 1, 26 f. benutzt ist, erweisen sich bei genauer Erwägung des
Ranges, den sie innerhalb des formgeschichtlich näher bestimmten Kontextes
haben, als bedeutsame Zeugnisse: Christus, der im Kerygma
hervortritt, ist elxwv xov &eov als der auferstandene und erhöhte
Herr, und er verleiht in der Taufe die Gemeinschaft mit sich selbst als
die Grundlage des neuen Lebens. Während Paulus aber die volle Verwirklichung
dieses Geschenkes erst von der Auferstehung der Toten
erwartet, hat die hellenistische Gemeinde diese Gabe als gegenwärtig
reale Verleihung der Gottebenbildlichkeit verstanden. — Das gute
Literaturverzeichnis ist hilfreich, ebenso das Stellenregister; das Fehlen
eines Sachverzeichnisses dagegen ist zu beklagen.

Der Reichtum des Werkes wird durch diese Inhaltsübersicht
nicht annähernd erschöpft. Von hohem Wert ist die Feststellung,
daß die erste Spur einer Gottebenbildlichkeitstheologie in der
Apokalyptik auftaucht und auf Israel bezogen wird. Bei der
Behandlung der Gnosis, deren vorchristlicher Ursprung dargetan
wirdi, wäre eine Untersuchung über die weithin wirksame Kategorie
des Modalismus erwünscht gewesen; es hätte sich dabei
gezeigt, daß die Eikon-Vorstellung als ihr Kern zu beurteilen
ist. In der Herausarbeitung der paulinischen Anschauung hat die
konsequente Anwendung der formgeschichtlichen Methode zu
einer festen Urteilsgrundlage geführt, so daß die Ergebnisse des
Verfs. die Diskussion auf lange hinaus bestimmen werden.
Fruchtbar ist die Feststellung, daß die hellenistischen Gemeinden
nicht die eschatologische Auffassung des Paulus teilten, sondern
einer Eikon-Theologie folgten, die der des Ignatius von Antiochien
gleicht.

Der Verf. hat in seiner gründlichen Untersuchung da6 weit
ausgebreitete Material zu einer theologischen Kernfrage der neu-
testamentlichen Zeit geordnet beigebracht; indem er die möglichen
Lösungen abwägt und eine in sich konsequente These vorlegt
, hat er die Auslegung der paulinischen Briefe und das Verständnis
des Urchristentums an einem wichtigen Punkte gefördert
.

Bethel b. Bielefeld Alfred Adam

Prigen t, Pierre: Apocalypse 12. Histoire de l'exegese. Tübingen:
Mohr 1959. VI, 154 S. gr. 8° = Beiträge zur Geschichte der biblischen
Exegese, 3. DM 17.—.

Wie der Verfasser eingangs erklärt, hat er die Geschichte der
Exegese von Offb. 12 geschrieben, weil 6ich in dem Kapitel exegetische
, historische und systematische Probleme in besonderer
Weise begegnen. Irgendwie kann es als Schlüssel zur Deutung des
ganzen Buches betrachtet werden, wie es auch bis in die neueste
Zeit hinein Prüfstein der verschiedenen Auslegungsmethoden geblieben
ist. In der Geschichte der Kirche gelangte diese Ausnahmestellung
von Kap. 12 mehrmals sehr offen zum Ausdruck (so etwa
bei Joachim von Floris, Hugo Grotius und Eb. Viecher). Bis heute
erweist es sich überdies für den Katholiken als die einzige brauchbare
Fundgrube eines möglichen mariologischen Schriftbeweises
(vgl. zuletzt ThLZ 1959, Sp. 604). Alles in allem: das Recht einer

auslegungsgeschichtlichen Untersuchung ist unbestritten, und man
wird es dem Verf. (und den Herausgebern der .Beiträge') danken,
daß hier von protestantischer Seite aus ein bemerkenswerter
Beitrag zur Deutungsgeschichte der Offenbarung vorgelegt wurde.
Angesichts der Fülle der katholischen Literatur zum Gegenstand,
angesichts der unverständlichen Vernachlässigung der Offenbarung
seitens der evangelischen Forschung, begrüßt man die Arbeit
Pr.s mit Erleichterung und Freude. Das um so lieber, als hier
wirklich gründliche und fleißige Arbeit geleistet wurde. Fast 500
Autoren werden befragt und theologisch zuverlässig eingeordnet.
Die Arbeit ist aLso von besonderem informatorischem Wert.
Mögen die einzelnen auslegungsgeschichtlichen Ergebnisse für den
heutigen Exegeten weithin antiquiert sein, der Kirchengeschicht-
ler wird die reichhaltige Materialsammlung (etwa für eine Geschichte
der eschatologischen Erwartung der nachreformatorischen
Zeit) auf jeden Fall mit Gewinn benützen. Trotz der Fülle des
Stoffes befleißigt sich der Autor überdies einer wohltuenden Kürze
und Übersichtlichkeit.

Pr. beginnt mit Hippolyt, dessen „ekklesiologische" Deutung aus
De Antichristo, 60wie aus den arab. und kopt. überlieferten Komm.-
fragmenten dargestellt wird (zu ergänzen wäre 6ie durch den Apoc-
Komm. des Kopten Ibn Katib Qaisar, der gleichfalls die bekannten
Hippolyt-Zitate bietet). Als älteste Ausleger finden schließlich Origenes,
Pseudo-Cyprian und Victorin von Pettau die notwendige Erwähnung.
Methodius rangiert bereits als Urheber einer für die spätere Zeit
(Andreas von Cäsarea, Tychonius, Augustin u. a.) maßgebenden stark
allegorisierenden Deutung: die Geburt des Knaben ist Sinnbild für die
geistliche Wiedergeburt des Gläubigen in der Taufe.

Naturgemäß sind es die Anfänge einer solchen auslegungsgeschichtlichen
Tradition, die die Forschung besonders interessieren. Pr. hätte
in diesem Fall ruhig noch etwas mehr bieten können und nicht nur das
schon Bekannte (vgl. etwa die ihm offenbar entgangene Sammlung des
Materials bei I. Sickenberger, Theol. Quartalschrift 1946, S. 361—389).
Als Stellen, die Berührungen mit Offb. 12 aufweisen, wären etwa zu
untersuchen: Did. 16,4; Justin Apol. I, 28; Theoph., Ad Autol 11,28;
Iren., Adv. haer. V, 25, 3 f. 30,4; Orig., De princ. I, 5,2, De orat.
27,12; Lactanz Inst. VIII, 204. 214 ff. Eine interessante Abhängigkeit
von Offb. 12,4 liegt vor Mart. Pionii 12.

Da sich die stärker allegorisch-moralische Auslegungstradition als
Ableger der älteren ekkle6iologisch - eschatologischen Auslegungstradition
versteht, ergibt sich, daß die mariologische Deutung der älteren
Kirche absolut fremd ist. Ihre Anfänge datieren erst mit Quodvultdeus
(um 450). Sie fließt auch dann, wie es scheint, nur zäh und träge durch
die Jahrhunderte (Cassiodor, Ambrosius Autpertus, Alkuin, Haimo,
Albertus Magnus). Ein eigener Absdinitt ist ökumenius (6. Jhdt.) gewidmet
, der, seiner monophysitischen Herkunft treu, gleichfalls die Deutung
auf Maria bietet. Seine Position ist im übrigen insofern eigentümlich
, als die meist übliche Anwendung des Kapitels auf das gegenwärtigzukünftige
Geschick der Kirche einer völlig uneschatologischen Interpretation
mit Hilfe der evangelischen Geburtsgeschichte weichen mußte.
Aber das paßt wohl besonders gut zu den theologischen Prämissen des
Auslegers.

Auffallend unberührt von der mariologischen Zweckexegese stellt
sich der unter der .Schule von Laon' zusammengefaßte Glossatorenkreis
des 12.Jhdts. dar (Laoner Glossa ordinaria, Richard von St. Viktor,
Bonaventura), in dem wie auch sonst oft älteres Gut weitergeschleppt
wird. Auf W. Kamiah, B. Smalley, W. Bousset u. a. fußend, vermag der
Verf. die verwickelten Querbeziehungen und theologischen Voraussetzungen
der einzelnen Exegeten zu beleuchten. Nicht selten steht die
Deutung der Verse ohne innere Logik bunt nebeneinander. Bemerkenswert
anders jedoch Bonaventura: ,il interprete Ap. 12 comme une pro-
phetie presque uniquement dirigee vers la fin de temps' (p. 34). Nicht
ganz klar dürfte dem Leser sein, weshalb gerade Bonaventura (übrigens
mit Augustin p. 17) in der Überschrift als .heilig' tituliert wird.

Bestimmend für das Hochmittelalter wird nun freilich die Auslegung
im Sinne einer historisch-prophetischen Geschichtsschau und Zeitalterlehre
, für die das Siebenerschema (s. Offb. 12, 3) bezeichnend ist.
Über Berengaud lenkt Pr. den Blick vor allem auf Rupert von Deutz,
Joachim von Floris und Alexander von Bremen. Rupert von Deutz wird
dabei als ,le seul representant de l'exegese allemande pour toute cette
periode' (p. 39) bezeichnet, was freilich nicht ganz stimmt. Er ist, um
mit Kamiah zu sprechen, von dem Pr. abhängig sein dürfte, der einzige
Deutsche, der .eine vollständige Bearbeitung der Ap.' geliefert hat. Mit
dem Prinzip der sieben Weltalter, das indessen nicht ausdrücklich auf
Offb. 12 zurückgeführt wird, arbeiten auch Otto von Freising und Ger-
hoh von Reichersberg. Besonders letzterer, aber auch Hildegard von
Bingen hätte wohl noch manches interessante Material zur Deutung des
Kapitels beigesteuert. Pr. erwähnt sie indessen nicht. Gerne würde man
neben E. Benz unter der zitierten Sekundärliteratur auch noch Namen