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Ausgabe:

1961 Nr. 11

Spalte:

827-829

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Vaux, Roland de

Titel/Untertitel:

Das Alte Testament und seine Lebensordnungen 1961

Rezensent:

Ehrlich, Ernst Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11

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geschichte" zu verstehen, „von der alle nachfolgenden Epochen
epigonenhaft gezehrt haben". Vielmehr gehe er davon aus, „daß
der Mensch zu allen Zeiten schöpferische Fähigkeiten besessen
hat".

Tübingen Gerhard Rosen k ra □ z

ALTES TESTAMENT

V 8 u x, Roland de, O. P.: Das Alte Testament und seine Lebensordnungen
. I: Fortleben des Nomadentums. Gestalt des Familienlebens
. Einrichtungen und Gesetze des Volkes. Übers, v. L. Hol ler-
bach. Freiburg-Basel-Wien: Herder [i960]. 363 S. 8°. Lw. DM 24.80.

— Les Institutions de l'Ancien Testament. II: Institutions militaires,
Institutions religieuses. Paris: Editions du Cerf [i960]. 541 S. 8°.
NF 19.50.

Nun liegt auch die deutsche Übersetzung des bereits in der
ThLZ (Nr. 9, 1958, S. 622 f.) besprochenen 1. Bandes von Pere
de Vaux's großem Werke „Les Institutions de l'Ancien Testament
" vor, in welchem der Verfasser vor allem die altisraelitischen
Stammesorganisationen, das Familienleben, die Einrichtungen
und Gesetze des Volkes (König und Verwaltung des
Staates) sowie zahlreiche Realien (Wirtschaft, Zeiteinteilung,
Maße und Gewichte) beschreibt. Handelte es sich bei diesem
ersten Bande, der als grundlegend für die moderne Forschung
gelten darf und sich als „Standard-Werk" erweist, eher um eine
Kulturgeschichte, so ist der vorerst nur in französischer Sprache
vorliegende 2. Band eine Art Religionsgeschichte auf phänomenologischer
Grundlage. Freilich gehören einzelne Kapitel dieses
Bandes noch in den früheren, und sind wohl nur aus äußeren
Gründen in den zweiten gekommen. Der Verfasser beginnt seine
Darlegungen mit der Beschreibung des Militärwesens, dessen verschiedenen
Formen im AT (Söldner- und Milizheer u. a.), behandelt
die befestigten Städte, die Bewaffnung und Kriegsführung in
Israel, wobei jeweils eine präzise Definition der hebräischen
Fachtermini vorgenommen wird, so daß diese Ausführungen auch
für das hebräische Lexikon relevant sind. Ein eigenes Kapitel ist
dem heiligen Krieg gewidmet. Abschnitte über die Makkabäer-
kriege sowie die Kriegsrolle aus Qumran runden das Bild ab.
Mit Recht hält es R. de Vaux für möglich, daß diese für den
apokalyptischen Krieg verfaßte Qumranschrift auch die Zeloten
in ihren Aufstandsgelüsten gegen Rom inspirierte; damit ist zutreffend
die zelotische Grundstimmung und der eigentliche ideologische
Antrieb des zelotischen Fanatismus gesehen worden.

Der Hauptteil des 2. Bandes (S. 89—429) enthält nun die
glücklicherweise sehr ausführliche und tiefschürfende Darstellung
der religiösen Einrichtungen Israels, wobei der Verfasser jeweils
Seitenblicke auf Israels Umwelt sowie gelegentlich auch auf das
nachbiblische jüdische Schrifttum wirft. Pere de Vaux weiß sehr
wohl, daß es im AT im Grunde keine Scheidung zwischen zivilem
und religiösem Leben gibt: „toute la vie sociale d'Israel etait
penetree par la religion" (S. 89). Für den israelitischen Kult ist
charakteristisch, daß er keine Aktualisierung von Schöpfungsmythen
(wie in Mesopotamien) und Naturmythen (wie in Kanaan)
darstellt. Der israelitische Kult dient zur Erinnerung, zur Stärkung
und zur Wiederaufrichtung des mit JHWH in einer geschichtlichen
Stunde geschlossenen Bundes. Der Verfasser legt auf
diese Betonung des theologischen und historischen Bezuges Wert,
weil in der gegenwärtigen alttestamentlichen Forschung gelegentlich
eine allzu kritiklose und damit oberflächliche Übernahme
ritueller und mythischer Vorstellungen aus Israels Umwelt erfolgt
; in den alttestamentlichen Quellen findet sich dafür, trotz
einiger weniger mythologischer Restbestände, keine Stütze.
Ferner ist für Israels Kult die Bildlosigkeit typisch, das AT steht
auch hier im schärfsten Gegensatz, ja, in einer ständigen Polemik
gegenüber den Religionen des Alten Orients, auch die von
Jerobeam in Dan und Beth-El aufgestellten Jungstiere sollen
nicht die Gottheit darstellen, sondern dienen gerade zur Veranschaulichung
der Unsichtbarkeit Gottes, sind dessen Hypostasen,
aber eben nicht selbst Götter. Der Verfasser untersucht nun die
israelitischen Kultstätten und bietet dabei 6ehr wesentliche Einblicke
vor allem auch in das allgemein semitische Tempelwesen
und die heiligen Stätten (zigguTat und bämöt u. a.). De Vaux

verzeichnet im einzelnen die Entwicklung der israelitischen Kultorte
von den heiligen Stätten des Patriarchen-Kultes bis zum
Tempel in Jerusalem in 6einen verschiedenen vor- und nachexili-
schen Epochen. Der Weg führt schließlich zum Gottesdienst in
der Synagoge, dessen Ursprung wir aus dem Mangel an Quellen
zwar nicht mehr datieren können, von dem wir aber annehmen
dürfen, er sei au6 dem Bedürfnis erwachsen, neben dem einen
Tempel zu Jerusalem weitere Kultstätten zu besitzen, in denen
man betete, das Schriftwort las und verkündete sowie lehrte. Im
Zeitalter des Chronisten (2. Chr. 17, 7 ff.) zeichnet sich eine
solche Entwicklung bereits ab, sie mag wohl noch früher begonnen
haben. Zum Kult gehört der Priester mit seinen verschiedenen
Funktionen im Opferdienst und im Orakelwesen. P. de
Vaux analysiert die verschiedenen Formen israelitischen Priester-
tum6, ihre besonderen Aufgaben und ihre Herkunft. Für den Begriff
des hebräischen Wortes „Lewi" kommt der Verfasser zu
dem Ergebnis, daß wir hier wohl eine Verwandtschaft mit dem
Eigennamen aus Mari, La-wi-ili, annehmen dürfen, der so etwas
bedeutet wie „sich an Gott anschließen". Der Bezug auf diesen
Mari-Namen wird auch dadurch nahegelegt, da das Wort „Lewi"
im AT auch ursprünglich als Eigennamen erscheint. Wir erfahren
ausführliche Einzelheiten über die Geschichte des leviti6chen
Priestertums, über dessen Entwicklung sowie über das Priesterwesen
im Zeitalter der Monarchie. Im Kapitel über die Kultpropheten
weist der Verfasser die Hypothese zurück, nach der es
im Jerusalemer Tempel „Kultpropheten" gegeben habe, denn
eine derartige besondere Klasse lasse sich im Kultpersonal Israels
nach der Kenntnis der alttestamentlichen Quellen nicht nachweisen
. Die Tatsache, daß Nahum, Habaquq, Joel ihre Reden in
liturgische Form gegossen haben, beweist noch längst nicht die
Zugehörigkeit dieser Propheten zu den in außerisraelitischen
Kulten bezeugten Kultpropheten.

Das Opferwesen Israels schildert der Verfasser ausführlich
auf 57 Seiten (S. 291—347), wobei P. de Vaux auch auf die prophetische
Kritik am Opferkult eingeht: Die Propheten nehmen
hier eine „dialektische Negation" vor, d. h. sie lehnen den
Opferkult nicht als solchen ab, sondern nur die in unreiner Gesinnung
dargebrachten Opfer. Religionsgesdiichtlich von besonderer
Bedeutung sind die Ausführungen über die Entwicklung des
altisraelitischen Opfers und seine Form in den Nachbarreligionen
Israels, in Mesopotamien, Kanaan und bei den alten Arabern.

Die eigentliche Zäsur im Ablauf der Tage wird durch die
israelitische Einrichtung des Sabbats vorgenommen, 6eine Darstellung
gehört in den Rahmen der Vorstellung von den „heiligen
Zeiten". Der israelitische Sabbat läßt sich weder au6 der babylonischen
noch aus der kanaanäischen Religion ableiten, oder gar
au6 einem Gedankengespinst, das man sich in der Form der sogen.
„Qeniterhypothese" gemacht hat, die für manche deshalb besonders
anziehend ist, weil wir fast gar nichts über die Qeniter
wissen. Der Verfasser untersucht weiter die Entwicklung der
einzelnen israelitischen Feste, so das massöt- und pesah Fest, die
erst später zu einem Fest verbunden und auf den Exodus bezogen
, d. h. historisiert wurden. Das Wochenfest, ursprünglich ein
freudig begangenes Ernte - Erstlingsfcst, erhielt einen religiöshistorischen
Bezug erst im Zeitalter der Mischna, indem es die
Rabbinen auf die Offenbarung am Sinai bezogen. In die Reihe
der Erntefeste gehört schließlich auch das Hüttenfest, dessen
Verknüpfung mit einem nirgends im AT bezeugten „Thronbesteigungsfest
JHWH's" der Verfasser aus guten Gründen ablehnt
. Bei der Untersuchung des Versöhnungsfestes kommt P. de
Vaux zu dem Ergebnis, daß angesichts der Tatsache des völligen
Schweigens über diesen Tag in den Büchern Esra und Nehemia
eine recht späte Ansetzung des Versöhnungstages angenommen
werden muß. Die Entwicklung scheint zwar in Ez. 45, 18—20
langsam zu beginnen, doch handelt es sich hier längst noch nicht
um den erst später bezeugten am 10. Tischri zu begehenden Versöhnungstag
mit seinem weitverzweigten Ritual. Eine konkrete
Datierung seiner Entstehung wird auch dadurch erschwert, weil
es sich in Lev. 23, 27—32 um einen Einschub handelt (die einleitenden
Bemerkungen zu diesem Abschnitt beweisen es), und hier
noch gar nicht von dem Azazel-Ritus von Lev. 16 die Rede ist.

Für das Chanukka - Fest weist der Verfasser mit Recht heidnische
Vorbilder ab und stellt dieses Fest in die Reihe der auch