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Ausgabe:

1961 Nr. 11

Spalte:

826-827

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jensen, Adolf E.

Titel/Untertitel:

Mythos und Kult bei Naturvölkern 1961

Rezensent:

Rosenkranz, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11

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Anderssein; „positive" Prädikate wie Wissen, Macht, Wille, Hören
und Sehen, Rede (Wort Gottes). Ein weiterer ausführlicher
Abschnitt ist der Lehre von den Werken und speziell dem Determinismus
gewidmet, wobei auch die Lehre von Gut und Böse
und die Frage, ob es für Gott Pflichten und eine Zielsetzung
gibt, behandelt sind. Nach einem kurzen Referat über die Namen
Gottes setzt gegen Ende der ersten Lieferung die Darstellung
der Lehre von der Prophetie ein. Behandelt wird durchweg
die sunnitische Orthodoxie, nicht auch die Si'a.

Bei aller Anerkennung der Leistung des gelehrten Verfassers
wird man doch auch gewisse Mängel und Einseitigkeiten beanstanden
müssen. Die Quellen sind sehr ungenau angegeben.
Zwar werden öfters Verfas6ernamen und Buchtitel genannt, auch
Seiten- und sogar Zeilenzahlen, aber dabei nicht Erscheinungsjahr
und -ort der benützten Ausgabe. Von einem gewissen
AI Gaziri, dessen „Tawdih" (Taudih?) sehr oft zitiert wird, erfährt
man endlich auf Seite 152 durch die seinem Namen in
Klammern nachgesetzte Zahl 193 3, daß er in diesem Jahr publiziert
hat (oder gestorben ist). Vielleicht handelt es sich um
'Abdarrahmän ibn Muhammad 'Iwad al-Gazirl, der nach Zirikli,
Al-A'läm IV (2. Aufl., 1954, S. 111) von 1882 bis 1941 gelebt
hat und unter anderem ein Kitäb Tauhid (so!) al-'aqä'id verfaßt
hat.

Die Mangelhaftigkeit im Zitieren läßt sich durch genauere
Angaben in den folgenden Lieferungen ausgleichen. Ein weiterer
Nachteil des Werkes ist aber mehr struktureller Art und
kann daher kaum noch abgestellt werden. H. Stieglecker bemüht
sich, „die islamischen Glaubenslehren so darzustellen, wie sie der
Muhammedaner mit seinem gläubigen Auge sieht. Mit Rücksicht
auf diese Zielsetzung geht der Verfasser allen Fragen aus dem
Weg, die sich um die von Nichtmuhammedanern eifrig erörterte
geschichtliche Entwicklung des islamischen Glaubensgebäudes
gruppieren" (Vorwort, S. l). Das ist an sich verständlich. Die
Glaubenslehren des Islam sollen eben systematisch und nicht
historisch dargelegt werden. Aber wir verbauen uns manche
wertvolle Einsicht gerade auch in das Wesen dieser Glaubenslehren
, wenn wir deren Vorgeschichte für so belanglos halten,
daß es sich überhaupt nicht lohnt, darauf einzugehen. Wir haben,
so meine ich, ein Recht darauf, unsererseits vorbehaltlos, ohne
Scheuklappen irgendwelcher Art, in den Entwicklungsprozeß
Einsicht zu nehmen. Wer sich einmal die Mühe gemacht hat,
die Diskussion einer Frage der islamischen Theologie in ihrem
geschichtlichen Ablauf zu verfolgen, wird auch zum Endergebnis,
wie es heute vorliegt, verhältnismäßig leicht Zugang finden.
Das flächige Nebeneinander eines von Epigonen ausgearbeiteten
Systems läßt sich dann als letzte Etappe eineß tief in die Vergangenheit
zurückreichenden Wachstumsprozesses erkennen.
Scheinbar trockene Thesen, spitzfindig wirkende Spekulationen
werden zu Problemen, die von Menschen einer bestimmten Generation
leidenschaftlich umkämpft und einer Lösung näher gebracht
worden sind. Das Gerippe nimmt Fleisch und Blut an.
Je weiter wir in die Vergangenheit zurückgreifen, je weniger
wir unseren Blick durch die Ansichten späterer Generationen
trüben lassen, um so einleuchtender wird uns die dogmengeschichtliche
Situation, um so imposanter der Glaubenseifer
einzelner Wortführer. So bietet für unsereinen die historische
Betrachtungsweise immer noch die beste Möglichkeit, zu einem
wirklichen Verständnis der islamischen Glaubenslehre zu kommen
. Es ist schade, daß H. Stieglecker davon nichts wissen will.
Er referiert zwar in den einzelnen Abschnitten auch ausführlich
über die Ansichten der Mu'taziliten (in denen wir die Vorläufer
und Wegbereiter der islamischen Orthodoxie zu sehen haben),
tut da6 aber immer vom orthodoxen Standpunkt aus, indem er
sie erst nachträglich bespricht in der ausdrücklichen Absicht, sie
an den Lehren der Orthodoxie zu messen und somit zu widerlegen
.

Zum Schluß noch eine Kleinigkeit. Wenn man sich schon
Mühe gibt, die Angehörigen der islamischen Glaubensgemeinschaft
nicht vor den Kopf zu stoßen, vielmehr mit ihnen ins
Gespräch zu kommen — und dem Verfasser ist es wirklich ernst
damit —, dann sollte man sie nicht vom ersten Satz an „Muhammedaner
" nennen. Mit gutem Grund wollen sie lieber als
„Muslime" bezeichnet werden.

Die zweite Lieferung enthält auf weiteren 10 Druckbogen
(S. 161—320) einen großen Teil der Lehre von der Prophetie
. Zuerst werden einige allgemeine Themen behandelt: die
Lehre vom Wunder (S. 161—169); Möglichkeit, Tatsache und Notwendigkeit
der prophetischen Sendung (169—185); die Isma
('isma) der Propheten, ein theologischer Fachausdruck, den der
Verfasser am liebsten mit „Gotte6 Schutz" oder „Gnadenschutz"
wiedergeben möchte (185—189). Anschließend (S. 189 ff.) werden
nacheinander die verschiedenen Patriarchen und Gottesmänner
behandelt, die im Koran und in der islamischen Theologie
als Propheten gelten, nämlich Adam (190—196), Abraham (196
-210), Noah (211—214), Lot, Jakob und die Stämme, Joseph
(216-222), Mose (222-234), Idris, Dü 1-Kifl, Jonas, Ilyäs und
al-Yasa', David (236 f.), Salomo (237-244), Su'aib (244
-246), Hüd und Sälih (246-248), Hiob (248—250), Zacharias
und Johannes und zum Schluß — weitaus am ausführlichsten —
Jesus (2 52—320). Der Abschnitt, der von Jesus handelt, ist mit
dem Schluß der Lieferung noch nicht zu Ende geführt. Über die
islamische Lehre, daß der Gekreuzigte nicht Jesus Christus ist,
wird zu Beginn der 3. Lieferung referiert werden, außerdem — in
einem Anhang — über die Stellung Marias im klam. Dann erst
beginnt der große Abschnitt, der für Mohammed, das „Siegel der
Propheten", vorgesehen ist.

Im Abschnitt über Jesus wird die islamische Polemik gegen
die Christologie und die christliche Erlösungslehre besonders
ausführlich behandelt. Stieglecker läßt dabei sowohl christliche
Apologien als auch muslimische Streitschriften mit dem ganzen
pro und contra zu Wort kommen und führt so denkbar gründlich
und zugleich objektiv an den Gegenstand wie auch an die Methode
der Kontroverse heran. Leider 6ind die bio- und bibliographischen
Angaben auch wieder sehr mangelhaft. Man darf zwar
hoffen, daß eine spätere Lieferung gewisse Literaturhinweise
nachbringen wird. Trotzdem seien dem Leser schon jetzt ein paar
einschlägige Daten mitgeteilt.

Über Paul (Bülus) ar-Rähib, einen christlichen Apologeten
aus dem 13. Jahrhundert, dessen Thesen und Schriften S. 261 ff.
nach Cheikho (Vingt traites theologiques d'auteurs arabes chre-
tiens, Beyrouth 1920) zitiert werden, siehe Georg Graf, Geschichte
der christlichen arabischen Literatur, II, Vatikanstadt
1957, S. 72—78. Über die Disputation des Mönchs Georg (S. 303
—308) aus dem 13. Jahrhundert siehe ebenda, S. 79—81.

Angaben über Qaräfi (gest. 1285), der von S. 266 an viel
zitiert wird, finden sich in C. Brockelmann, Geschichte der arabischen
Literatur, Supplement I, S. 665, und in Erdman Fritsch,
Islam und Christentum im Mittelalter, Breslau 1930, S. 20—22.
Über Hasan ibn Aiyüb (vor 988), zitiert S. 269-271, 283-296
u. 316 f.: Fritsch, S. 15. Über Ibn Taimiya (gest. 1328)^ zitiert
ab S. 280: Fritsch, S. 25-33. Über Bagagizadeh (Bäcagizädeh,
gest. 1500), zitiert 272—276 u. 318—320: Brockelmann, Supplement
II, S. 506. Merkwürdigerweise führt Stieglecker auf S. 318
als Beispiel für die Anschauungen heutiger Muslime Äußerungen
eben dieses Bagagizadeh an.

Tübingen RndiParet

Jensen, Ad. E.: Mythos und Kult bei Naturvölkern. Religionswissenschaftliche
Betrachtungen. 2., bearb. Aufl. Wiesbaden: Steiner 1960.
IX, 406 S. gr. 8° = Studien zur Kulturkunde, hrsg. v. Ad. E. Jensen,
Bd. 10. Lw. DM 32.—.

Die 1. Auflage dieser „religionswissenschaftlichen Betrachtungen
" Jensens wurde ThLZ 77, 1952 gewürdigt. Die 2. Aufl.
enthält inhaltlich keine wesentlichen Änderungen; nur gelegentlich
i6t der Verf. auf kritische „Auseinandersetzungen mit einzelnen
Thesen eingegangen". Die Kapitel XI („Kult und Zauber")
und XII („Der Schamane") wurden in ihrer Reihenfolge umgestellt
. Das jetzige Kapitel XI ist überschrieben „Der Schamanismus
als Ausdruck echter Magic", in das jetzige Kapitel XII ist
das frühere XIII. Kapitel („Fauler Zauber") aufgenommen worden
. Im Vorwort, das in der 1. Aufl. versehentlich nicht erschienen
war, dankt der Verf. seinen Anregern Leo Frobenius und
Walter F. Otto. Um Mißverständnissen vorzubeugen, betont er,
der „zweckfreie schöpferische Akt", dem er den Ursprung von
Mythen und Kulten zuschreibt, sei nicht im Sinn „einer einmaligen
schöpferischen Periode im Frürt6tadium der Menschheits-