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Ausgabe:

1961 Nr. 11

Spalte:

823-824

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Morenz, Siegfried

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zur Rolle des Schicksals in der ägyptischen Religion 1961

Rezensent:

Bonnet, Hans

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11

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an Hand der preußischen Geschichte erläutert, zeigen die offene
und freie Sicht v.'Muralts aufs beste. Hier dient der christliche
Glaube nicht einer religiösen Verbrämung und Verherrlichung des
Nationalismus, wie bei 60 vielen pseudochristlichen Historikern,
aber hier wird er auch nicht in den Dienst einer politischen Utopie
gestellt. Er erweist sicji vielmehr als den wahren Schlüssel zum
Verständnis geschichtlichen Lebens, und man kann sich nach der
Lektüre dieses schönen Buches ernstlich fragen, ob es denn
überhaupt möglich sei, Geschichtsforschung zu treiben, ohne die
befreienden geistigen Grundlagen, auf denen 6ich v. Muralt bewegt
: Glaube und Verstehen.

St. Margrethen/Sdiweiz Ernst Gerhard RUsch

H e n n i g, Karl: Paul Tillich am 20. August 1961 75 Jahre.
Deutsches Pfarrerblatt 61, 1961 S. 382—384.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

M o r e n z, Siegfried, unt. Mitarb. v. Dieter Müller: Untersuchungen
zur Rolle des Schicksals in der ägyptischen Religion. Berlin: Akademie
-Verlag 1960. 36 S. 4° = Abhandlungen d. Sachs. Akademie d.
Wissenschaften zu Leipzig, Philol. - hist. Klasse, Bd. 52, 1. Kart.
DM 6.30.

Die vorliegende Untersuchung ist aus den Vorarbeiten des
Verfs. zu seinem verdienstvollen Werk „Ägyptische Religion"
erwachsen. Das Bemühen, die Gotteserfahrung des Ägypters in
ihren Tiefen zu erfassen, stellte ihn notwendig vor die Frage, wie
der Ägypter das Problem des Schicksalhaften bewältigte. Die
Anfangssituation ist deutlich. Was sich ereignet oder ereignet hat
und fortan als ein Gegebenes die Lebenssituation des Menschen
bestimmt, kommt aus den Händen der Götter. In den Geschehnissen
und" Zuständen der Welt und der Gesellschaft, aber auch
in dem, was in ihm selbst angelegt ist und sein Wesen und seine
Berufung determiniert, tut sich darum dem Ägypter das Wirken
der Gottheit kund. Sie handelt im Schicksal; es gibt keine Macht,
die, dieses umgreifend, neben ihr stünde, ja, es gibt nicht einmal
einen Schicksalsbegriff. Schicksal ist Schickung und deutet auf die
Gottheit als Urheber zurück.

Von dieser Grundkonzeption hat sich der Ägypter nicht
entfernt. Trotzdem hat 6ich allmählich doch ein SchicksalsbegTiff
entwickelt. Er tritt, wohl im Volksglauben vorbereitet, in unserer
Überlieferung im neuen Reiche ins Licht. Das Wort, das ihn bezeichnet
, ist von einem Verbum mit der Grundbedutung „bestimmen
", „festlegen" abgeleitet. Bald wird der Begriff, anderen
verwandten gleich, auch in einem Gott Schai, gräzisiert Psais,
konkretisiert. Wo lag der Anlaß für diese Neubildung? Anders
gesagt: welche Schicksalserfahrung lockte sie hervor? M. arbeitet
mit aller Schärfe heraus, daß der Begriff Schai primär auf die
Setzung und damit die Begrenzung der Lebenszeit ziele, und in
der Tat wird er nicht selten auf Tod und Todesgeschick zugespitzt
. Man gewinnt demnach den Eindruck, daß die Erfahrung
des Todes als des menschlichen Schicksals schlechthin den Ansatz
für die Bildung des Schicksalbegriffes gegeben habe. Andererseits
gibt es aber auch Fälle, in denen er mit positivem Inhalt
gefüllt ist, so daß Übersetzungen wie „Glück", „Heil" u. ä. adäquat
sind. M. sucht diese Bedeutungsnüance nach Möglichkeit
einzuengen oder nur als einen Nebensinn zuzulassen. In jedem
Fall hält er sie für sekundär.

Bei aller Zustimmung zu der Grundthese des V.s möchte
ich doch fragen, ob M. nicht in dem Drang nach begrifflicher
Klarheit allzu scharfe Grenzen zieht. Auch wenn man die Setzung
der Lebensdauer als Werk des Schicksals erlebt, so fällt doch
in den dadurch abgesteckten Rahmen das Leben selbst mit seinen
Heils- und Unheilserfahmngen, deren sich der Ägypter von jeher
als göttlicher Schickungen bewußt war. Sollte er sie wirklich ferngehalten
haben, als sich in ihm der Schicksalsbegriff gestaltete?
Ist, um ein Beispiel zu geben, wenn ein Gott oder ein König als
„Schicksal, das Leben gibt" gepriesen wird, Leben wirklich unter
dem Aspekt zeitlicher Begrenzung gesehen oder i6t nicht vielmehr
an ein Leben gedacht, das heilvoll und damit in sich selber
ein Gut ist?

Geben wir so dem SchicksalsbegTiff eine größere Weite, die
ihn auch die Führungen des Lebens umspannen läßt, so beheben

sich auch Schwierigkeiten, vor die uns die Geschichte des Gottes
Schai stellt. Sie verläuft eigen genug; denn Schai wird nicht nur
Menschen, sondern auch Orten zugewiesen und rückt damit in die
Rolle eines genius loci, der als guter Geist Schutz und Segen
austeilt. So opfert man etwa dem Schai eines Weingartens, damit
dieser mehr Wein gebe. Die Griechen nannten Schai dann mit
Recht Agathodaimon. Diese Entwicklung, die den Gott aus dem
Rahmen des Schicksalhaften herausnimmt, ist auffällig; vor allem
befremdet, daß es zu einer Bindung des Schicksalgottes an lokale
Bereiche kommen konnte. Für M. ist gerade sie wichtig; denn
durch sie, vermeint er, wurde der Begriff Schai von der Grundbedeutung
„Lebenszeit" gelöst und einer positiven Auffüllung
zugänglich. Das klingt nicht eben überzeugend und das Eigenste,
die lokale Bindung, bleibt vollends ungeklärt. Anders, wenn, wie
ich meinen möchte, Schai mit der Lebenszeit auch den Lebensinhalt
in sich aufnahm und auch in den Widerfahrnissen des Alltags
erfahren wurde. Dann konnte er als lebensgestaltende Kraft,
die Heil spendet und gewiß auch versagen kann, aber es doch
immer in Händen hält, zu einer Segensmacht werden, deren Walten
man auch an Orten verspürt, die Segen ausströmen oder einer
Besegnung bedürfen.

Auffällig ist dann nur, daß man das Walten des Schicksals
weniger in den harten als in den freundlichen Führungen erlebte
und 6eine Ambivalenz schließlich völlig zurücktritt. Das konnte
geschehen, weil die Verfügungsgewalt der Götter über das Schicksal
stets ungebrochen blieb. Heil und Unheil kommen von ihnen
und doch kann man stets auf sie hoffen. Selbst das Todesverhängnis
können sie wenden und die gesetzte Spanne verlängern
. Für eine eigentliche Schicksalsidee war darum in dem
Ägypter kein Raum. In dem Glauben, daß Schai Lebensdauer und
Todeslos bestimme, fand sie wohl einen Ansatz; aber sie wurde
aufgefangen und paralysiert, indem man Schai auch auf die Erfahrungen
des Lebens bezog, in denen man letztlich das heilvolle
Walten der Götter erlebte.

Von der Macht der ägyptischen Götter über das Schicksal hat
auch die Antike gewußt, deren Götter zunehmend von dem
Glauben an die Allgewalt des Schicksals bedroht wurden. Griechische
Hymnen preisen die sieghafte Kraft der Isis und des
Sarapis, die auch die Heimarmene unter sich zwingen. Es ist ein
ansprechender Gedanke von M., daß der Drang nach Befreiung
von Schicksalsangst die Hinwendung zu ägyptischen Göttern entscheidend
gefördert habe.

Im einzelnen bietet die Schrift noch manche wertvolle Beobachtungen
, die z. T. auch in längeren Digressionen entfaltet
werden. Vorbildlich ist die Klarheit der Darstellung, die in ihrer
Abgewogenheit nicht nur die Problemlage, sondern auch die
Tragfähigkeit der Argumentation sichtbar macht.

Bonn Hans B o n n e t

Stieglecker, Hermann, Prof. Dr.: Die Glaubenslehren des Islam.

l.Lfg.: Vorfragen und Spekulative Dogmatik. 2. Lfg.: Die Geoffenbarte
Dogmatik. München - Paderborn - Wien: Ferdinand Schöningh
1959/60. 320 S. gr. 8°. Kart, je DM 14.—.

Manch einer, der mit der islamischen Welt in Kontakt gekommen
ist, mag mit Bedauern festgestellt haben, daß es kein
Buch gibt, in dem man sich zuverlässig und gründlich über die
Glaubenslehren des Islam orientieren könnte. Äuskünfte, die von
mehr oder weniger gebildeten Muslimen eingeholt werden,
sind oft ziemlich fragwürdig. Der Zugang zu den eigentlichen
Quellen ist dagegen auf einen kleinen Kreis von Personen beschränkt
, die ihrerseits bereits gewisse Vorkenntnisse besitzen.
Unter diesen Umständen ist es sehr zu begrüßen, daß nunmehr
ein Werk erscheint, in dem ein fachkundiger Bearbeiter das ganze
System der islamischen Glaubenslehre in einer auch für Außenstehende
faßbaren Form entwickelt und darstellt.

Die Berichterstattung über den Gegenstand ist, soweit sich
das aus der ersten Lieferung erkennen läßt, sachgerecht und
weitgehend objektiv. Zuerst werden einige Vorfragen behandelt,
verbunden mit allgemein philosophischen und erkenntnistheoretischen
Begriffsbestimmungen. Darauf folgt als erster Hauptteil
des ganzen Werkes die Gotteslehre im weitesten Sinn des Worts,
mit ausführlichen Abschnitten über die verschiedenen göttlichen
Prädikate: Dasein; „negative" Prädikate wie Anfangslosigkeit,