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Ausgabe:

1961 Nr. 11

Spalte:

822-823

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Muralt, Leonhard von

Titel/Untertitel:

Der Historiker und die Geschichte 1961

Rezensent:

Rüsch, Ernst Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 11

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benutzte „alttestamentliche Schriftrollen", ab ca. 180 „religiöse Schriften
außerjüdischer Andersgläubiger". W. Eltester, Der Sieben-
armige Leuchter und der Titusbogen [62—76], führt seine früheren Erörterungen
des Themas fort und erweist die Zuverlässigkeit der Darstellung
der Tempelmenorah auf dem Titusbogen (u. a. aus der Übereinstimmung
mit Jos. bell. VII 148 f.) vor allem hinsichtlich der Wiedergabe
der Basis des Leuchters.

Ed. L o h s e, Jesu Worte über den Sabbat [79—89], äußert sich zu
den überlieferten Sabbaterzählungen der Evangelien kritisch (am wenigsten
zu Mc 3, 1—5), versteht dagegen Mc 2, 27; 3,4 Par.; Mt 12,
11 f. (bzw. Lc 14,5) als Worte des historischen Jesus. Ed. Schweizer
, „Er wird Nazoräer heißen" (zu Mc 1,24; Mt 2,23) [90—93],
will diese Bezeichnung Jesu im Zusammenhang mit der als Heiliger Gottes
(Mc 1,24; Jud 16, 17, Nasiräer: Heiliger Gottes) erklären. Nach
Kr. Stendahl, Quis et Unde? An Analysis of Mt 1—2 [94—105],
ist der Gesichtspunkt der ,christologischen Geographie' — the apologe-
tic tension between „Bethlehem as expected" and „Nazareth as
revealed" — der Schlüssel zur Komposition von Mt 2, während Mt 1
von dem der Namen Jesu (einschließlich des Gedankens der Davidsohnschaft
) bestimmt ist. K. H. R e n g s t o r f, Die Stadt der Mörder
(Mt22,7) [106—129], weist mit einer Fülle von Material eine im
Alten Orient, im AT, bei Josephus, in sonstiger jüdischer Literatur,
bei den Rabbinen belegbare Topik auf, die in Mt 22, 6 f. verwertet ist;
danach ist die Stelle für die Datierung des Mt (nach 70 p. Chr.) nicht
verwertbar, und die Fragen nach der Einheitlichkeit von Mt 22, 2—14
und dem Verhältnis des Abschnittes zu Lc 14, 16 ff. sind neu zu stellen
. H. Hegermann, Bethsaida und Gennesar, Eine traditions-
und redaktionsgeschichtliche Studie zu Mc 4—8 [130—140], gewinnt aus
Mc 4—8 durch eine Scheidung zwischen auf den Evangelisten zurückgehenden
Motiven (die Jesus unerwünschte, wundersüchtige Menge;
Brotmotiv usw.) und solchen, die bereits der Tradition angehören
(Lehrmotiv; Bootsfahrten usf.), ein deutlicheres Bild von der dahinter
stehenden Wirksamkeit Jesu (Bethsaida als Übernachtungsort, regelmäßige
Lehrtätigkeit im Nordteil der Ebene Gennesar). P. B e n o i t,
Marie - Madeleine et les disciples au tombeau Selon Joh 20, 1—18
[141—152], erarbeitet aus einer auch die Synoptiker vergleichenden
Analyse drei Etappen der Redaktion: 20, 1—10 ganz spezifisch johan-
neisch (wie 19,31—37), 20,11a. 14b—18 noch recht original gegenüber
der synoptischen Überlieferung, aber mit mehr Berührungen (wie
19,39—42), 20, IIb—14 beides verbindend, aus der synoptischen Tradition
entlehnt (wie 19, 3 8); man kann annehmen, daß hinter 20, 1—10.
14b—18 die ursprüngliche Überlieferung steht. E. Haenchen,
Quellenanalyse und Kompositionsanalyse in Act 15 [153—164], wendet
sich nach grundsätzlichen Bemerkungen über das Verhältnis beider Methoden
der Textanalyse zueinander gegen die Kritik an seiner Handhabung
der Kompositionsanalyse in seinem Kommentar durch Bultmann1
. E. Käsemann, Gottesdienst im Alltag der Welt (zu Rm 12)
[165—171], gibt eine biblisch-theologische Interpretation vor allem zu
VV. 1—8. Nach C. C o 1 p e, Zur Leib-Christi-Vorstellung im Epheser-
brief [172—187], ist hier nicht „der gnostische Erlösermythus vorgegeben
", sondern eine von diesem „fundamental verschiedene" Spekulation
, die etwa der Philons über den Anthropos-Logos ähnelt; Paulus
deutet mit ihrer Hilfe den apokalyptischen Menschen(sohn) Christus
für hellenistische Leser, ohne ihn vom jüdischen Messias zu trennen,
und unter mehrfacher Veränderung der Vorstellung vom himmlischen
Universalmenschen (und des Leib-Gedankens). G. Bornkamm,
Sbhnschaft und Leiden [188—198], stellt die Besonderheit der mit dem
Thema bezeichneten Aussagen des NT besonders an Hbr 12, 5—11 und
im Unterschied zu jüdischen Theodizeegedanken heraus. W. N a u c k,
Zum Aufbau des Hebräerbriefes [199—206], betont die paränetische
Zielsetzung des (dreigeteilten) Hbr („vom Hören zum Bekennen und
zum Gehorchen") als einer Predigt.

Cl.-H. Hunzinger, Unbekannte Gleichnisse aus dem Thomas-
Evangelium [209—220], interpretiert nach einleitenden Bemerkungen
über die Bedeutung des nichtgnostischen Gutes im Thom. für die Erforschung
der synoptischen Worttradition Thom. 972, das Gleichnis vom
Attentäter, das er, analog Lc 14, 28—32, als Bestärkung in der Zuversicht
verstehen will, daß Gott das begonnene Werk des Kommens der
ßaalXsia zum Ziele führen kann und wird, und Thom. 7, das Gleichnis
vom großen Fisch, analog Mt 13, 45 f.; beide Apokrypha möchte er
auf Jesus zurückführen. W. C. van U n n i k, Die Rücksicht auf die
Reaktion der Nicht-Christen als Motiv in der altchristlichen Paränese
[221—234], geht zunächst von 2. Clem 13, 2b aus einem im Frühchristentum
verbreiteten apokryphen „Herren"-Wort nach und stellt
dann die Bedeutung des dort betonten Motivs des Achthabens auf das
Urteil der Außenstehenden im 1. und 2. Jhdt. (seit 1. Th 4, 14 f.)
heraus. H. Dörries, Die Beichte im alten Mönchtum [235—259],
profiliert die Eigenart der Beichte der Eremiten im Unterschied zu

*) In New Testament Essays, Studies in Memory of Th. W. Manson
(Manchester 1959), 68—80.

s) Zählung Leipoldt-Schenke.

Kirchenbuße und Klosterbeichte nach Form und Gehalt und interpretiert
eine (am Schluß abgedruckte) „Homilie" des Symeon von Mesopotamien
, die, „was in der Wüste gelebte Einsicht war, zugleich zur
durchdachten Erkenntnis" macht und eindrücklich weiterführt.

Die Fülle von Fragen und Beobachtungen, die häufig im
Zusammenhang erörtert sind, kann hier nicht skizziert, geschweige
denn kritisch beleuchtet werden. Die Vielfalt der Beiträge
deutet die Weite des Arbeitsbereichs des Jubilars an; nicht
wenige sind ihm (und damit untereinander) dadurch besonders
verbunden, daß sie, wie u. a. in zahlreichen Verweisen sichtbar
wird, auf seinen Forschungen aufbauen, sie weiterführen oder
sich mit ihnen auseinandersetzen (so auch Beiträge von Schülern
Jeremias', die m. W. fast ein Drittel des Bandes ausmachen). Gemeinsam
ist darüber hinaus fast allen, daß sie, auch wenn zunächst
scheinbar nur Formales behandelt ist, tatsächlich zugleich
einen Beitrag zum (historisch-)theologischen Verständnis des
Neuen Testaments geben (nur drei hängen loser mit dem NT
zusammen); gemeinsam sind weithin bestimmte Grundzüge der
Arbeitsweise, bei aller Verschiedenheit im einzelnen. Ob nun
diese Geschlossenheit auch durch die Tätigkeit des Herausgebers
zustande kam oder zuerst durch den Kreis derer, die sich zusammenfanden
, um dem Jubilar anläßlich 6eines 60. Geburtstages
ihre Verbundenheit zu bezeugen — jedenfalls kann man, meine
ich, beide zu dieser Festschrift beglückwünschen.

Halle/Saale Gerhard Delling

[Muralt, Leonhard von:] Der Historiker und die Geschichte. Ausgewählte
Aufsätze und Vorträge. Festgabe für Prof. Dr. Leonhard
von Muralt, überreicht zum 60. Geburtstag am 17. Mai 1960 von
Freunden, Schülern und Kollegen, hrsg. von F. Büsser, H. Helbling,
P. Stadler. Zürich: Berichthaus 1960. XVI, 3 52 S. 1 Titelbild, gr. 8°.

Die Gabe zum sechzigsten Geburtstag des Ordinarius für
neuere Geschichte an der Universität Zürich stellt dreißig Vorträge
und Aufsätze aus früheren Veröffentlichungen zusammen.
Sie sind in drei Abschnitte geordnet, die zugleich die Arbeitsgebiete
des Forschers, des auch im Ausland angesehenen Schweizer
Historikers, bilden.

Im ersten Teil „Zur Gesdiichtstheorie und Historiographie"
werden grundsätzliche Fragen besprochen, wie das geschichtliche
Verstehen, Fragen um Rankes Geschichtsauffassung, oder historio-
graphische Skizzen über Walter Köhler, Karl Meyer, Friedrich
den Großen als Historiker. Der Verfasser wurzelt bewußt in der
Gedankenwelt seines Lehrers Walter Köhler, in welcher die
historisch-kritische Forschung mit einem vom Glauben durchleuchteten
feinfühligen Verstehen verbunden ist.

Der zweite größere Teil umfaßt Beiträge zur Schweizergeschichte
, v. Muralt darf als einer der kenntnisreichsten und in
der geschichtlichen Betrachtung am tiefsten greifenden Forscher
zur vaterländischen Geschichte gelten. Die Beiträge, seien es
Einzelabhandlungen zu besonderen Ereignissen und Problemen,
seien es allgemeine Besinnungen über die Aufgabe und das Wesen
des schweizerischen Staates, sind nicht nur von entschiedener
Bejahung der Sendung der Schweiz, sondern vor allem von tiefer
religiöser Haltung gekennzeichnet, die den Verfasser nicht nur
zum Deuter, sondern auch zum Mahner und Kritiker werden
läßt. Er tritt in die Reihe der großen Künder des eidgenössischen
Staatsgedankens aus dem Glauben: Zwingli, Pestalozzi, Gotthelf,
Max Huber. Mag dieser Teil dem ausländischen Leser manchmal
fremd erscheinen, so möchten wir es gerade ihm sehr empfehlen,
diese Beiträge gründlich zu studieren. Vielleicht kann gegenwärtig
nirgendwo sonst als in diesen kleinen, übersichtlichen Abhandlungen
der innerste Wesenskern des schweizerischen Seins,
dieses Kleinstaates in größter demokratischer Freiheit, besser
studiert und erfaßt werden.

Es ist ein Kennzeichen wahrhaft christlich - evangelischer
Betrachtung, wie 6ie v. Muralt üben will, daß der Forscher
durch sie nicht etwa eng begrenzt wird, sondern eine erstaunliche
Weitsicht und innere Unabhängigkeit im Urteil
erhält, wie man 6ie heutzutage sonst kaum findet. Dies
offenbart der dritte Teil: „Zur Allgemeinen Geschichte".
Alle Beiträge, von Macchiavelli über die französischen Hugenotten
zu Metternich, zu Bismarck und zur großartigen
Skizze „Grenzen der Macht", die das Grundproblem des Staates