Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1961 Nr. 10

Spalte:

777-780

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kramer, Rolf

Titel/Untertitel:

Nation und Theologie bei Johann Hinrich Wichern 1961

Rezensent:

Wagner, Heinz

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

777

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 10

778

Beckmann, Klaus-Martin: „Christus als Gemeinde existierend" —
Der Begriff der Kirche in Dietrich Bonhoeffers „Sanctorum Commu-
nio" im Blick auf die Ökumene.
Evangelische Theologie 21, 1961 S. 327—338.

Berg, Jan Hendrik van den: Das Wunder.
Die Zeichen der Zeit 15, 1961 S. 242—253.

Bornkamm, Heinrich: Die Eine Heilige Christliche Kirche — evangelisch
gesehen.

Im Lichte der Reformation, Jahrbuch des Evangelischen Bundes IV,

1961 S. 5—20.
Fischer, Martin: Vorsehung.

Die Zeichen der Zeit 15, 1961 S. 283—284.
G r i n, Edmond: La Christologie de Dietrich Bonhoeffer.

Etudes Theologiques et Religieuses 36, 1961 S. 115—139.
Hauge, Reidar: Emil Brunners Dogmatikk.

Norsk Teologisk Tidsskrift 62, 1961 S. 81—101.
Kreck, Walter: Schriftproblem und Konfessionsproblem.

Kirche in der Zeit 16, 1961 S. 226—228.
Maurer, Bernhard Heinrich: Offenbarung bei Nathan Söderblom.

Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 15, 1961 S. 233—237.
Moltmann, Jürgen: „Die Rose im Kreuz der Gegenwart" — Zum

Verständnis der Kirche in der modernen Gesellschaft.

Monatschrift für Pastoraltfieologie 50, 1961 S. 272—289.
Nicholls, William: The Church and the Historical Jesus.

Scottish Journal of Theology 14, 1961 S. 15—33.
P f 1 u g k, Heinz: Vorfragen zum Verständnis der Realpräsenz.

Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 15, 1961 S. 208—210.
R a h n e r, Karl: Exegese und Dogmatik.

Stimmen der Zeit 86 (Bd. 168), 1960/61 S. 241—262.
Scheffczyk, Leo: Die Lehranschauungen Matthias Joseph Scheebens

über das ökumenische Konzil.

Tübinger Theologische Quartalschrift 141, 1961 S. 129—173.
Schott, Erdmann: Trennt die Rechtfertigungslehre die Konfessionen
noch heute?

Im Lichte der Reformation, Jahrbuch des Evangelischen Bundes IV,
1961 S. 21—37.

Theologie, Verkündigung und Gemeinde (Skizze eines Gesprächs).

Deutsches Pfarrerblatt 61, 1961 S. 347—356.
Y o u n g, William G.: The Holy Spirit and the Word of God.

Scottish Journal of Theology 14, 1961 S. 34—59.

PRAKTISCHE THEOLOGIE

K r a m e r, Rolf, Dr. theol.: Nation und Theologie bei Johann Hinrich
_V Wichern. Hamburg: Wittig 1959. 196 S. 8° = Arbeiten zur Kirchengeschichte
Hamburgs, hrsg. v. V. Herntrich f u. K. D. Schmidt, Bd. 2.
Kart. DM 9.80.

Johann Hinrich Wichern findet in der Gegenwart erneute Beachtung
, die durch die Neu-Herausgabe seiner „Sämtlichen
Werke"1 und die Vorlage „Ausgewählter Schriften"2 zum Ausdruck
kommt. In der Forderung nach einem neuen Diakonat der
Kirche wird Wichern II als Programm proklamiert, d. h. jener
bisher in seiner sozial-politischen Konzeption nicht verwirklichte
Wichern'1. Die eben angedeutete „Wichern-Renaissance" bedeutet
aber nicht eine vorbehaltlose Aneignung seiner Ideen. Die
Auseinandersetzung mit ihm muß durchaus kritisch geführt werden
. Emil Fuchs hat in „Marxismus und Christentum"1 ihr einen
besonderen Paragraphen (§ 2) gewidmet und trifft die bittere
Feststellung: „Und wieder rollt vor unsern Augen das erschütternde
Schauspiel ab. Dieser große Mann, dem in vielen Dingen
viel zu danken ist, erweist sich als völlig unfähig, das zu sehen,
was der Atheist sieht und was eben doch die Frage der Zeit an
das Gewissen ist. . . Wichern geht deshalb an den wahren Gründen
all des Elends vorbei."5

Dieser umstrittene Wiehern wird auch in der vorliegenden
Schrift vorgestellt. Dabei wird der Versuch unternommen, „das
komplexe und durch verschiedene Einflüsse geformte theologische
Gedankengebäude Johann Hinrich Wicherns auf einem bestimmten
Gebiet zu entwirren" (187).

l) J. H. Wichern, Sämtl. Werke, hrsg. v. Peter Reinhold. Berlin 1958.
') J. H. Wichern, Ausgewählte Schriften, hrsg. von Karl Janssen.
Gütersloh 1956.

3) Vgl. Das Diakonische Amt der Kirche, hrsg. v. Herbert Krimm.
Stuttgart 1953.

*) Emil Fuchs, Marxismus und Christentum. Leipzig 1952.
5) a.a. O., S. 17.

Im ersten Teil wird das nationale Denken
der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts
geschildert (13—53). „Erst in den Freiheitskriegen wurde in
Deutschland der deutsche Nationalismus geboren. Vaterland und
Nationalehre wurden zu den .Erdengöttern', denen die Menschen
dienen wollten ... Patriotismus wurde zu einer Ersatzreligion ...
Die religiösen Begriffe .Erlösung', .Versöhnung', .Wiedergeburt'
werden ihres biblischen Sinnes beraubt und erhalten einen völkisch
-nationalen Inhalt" (14, 15). Diese Vertreter der Diesseits-
Frömmigkeit 6ind Ernst Moritz Arndt, Fichte und Schleiermacher.
Die Frömmigkeit pietistischer Art mit ihren Anhängern unter
den kleinen Leuten und unter dem Adel trägt ihren Wert zur
Bildung eines konservativen Nationalstaatsgedankens bei.

Es wird das völkische nationale Denken bei Ernst Moritz
Arndt, bei Johann Gottlieb Fichte, bei Friedrich Daniel Schleiermacher
untersucht. Dabei kommt der Verf. zu folgenden Urteilen
: Eine Deutsch-Schwärmerei höchsten Grades zusammen mit
einer Verreligiosierung dieses überspitzten Patriotismus sind
also die beiden Kennzeichen Arndtscher Vaterlandsliebe. Ein
Nationalismus in totaler und absoluter Geltung — ein Erbe der
französischen Revolution — gefärbt durch christliche Ausdrücke
mit christlichem Gedankengut, das ist die Religion Ernst Moritz
Arndts (20).

Über Fichte wird ausgeführt: „Das Göttliche benutzt er
so zur Verklärung der Vaterlandsliebe. Das führt zu einer Vergewaltigung
des Göttlichen wie des Nationalen. In der Erhaltung,
Förderung und Verherrlichung deutscher Nation sah er die
Aufgabe und den Lebensinhalt des Menschen" (24).

Bei Schleiermacher sei „beides, Göttliches und Weltliches
, miteinander vermengt" (26). Schleiermacher wehre sich
aber gegen den „giftigen Samen der Verachtung oder des Hasses
gegen die andern Völker" (27). Für Schleiermacher stehe fest,
„daß in einer Nation Menschen und Boden des Sprachgebietes
zusammengehören" und „daß die Christen, welche einerlei
Sprache reden und zu demselben Volke gehören, eine besondere
Kirchengemeinschaft bilden" (34/33).

Die völkisch-nationalen Gedanken im konservativnationalen
Kreis, der von Karl-Ludwig von Haller,
Friedrich Julius Stahl, Leopold von Gerlach repräsentiert wird,
üben wesentliche Einflüsse aus, in ihm ist der Gedanke der
universalen christlichen Kirche lebendig. Der Staat und
die Kirche sind die bevollmächtigten Anstalten Gottes. Damit ist
die Vermischung beider Regimenter gelehrt worden. Besonderes
Interesse verdienen die Ausführungen über die deutsch-nationalen
Gedanken, die von Männern der Erweckungsbewegung wie
Wilhelm Löhe, Adolf Harleß und Richard Rothe vertreten wurden
. Bei aller Würdigung des Volkstumsgedankens sei das Interesse
der Erweckungsbewegung für das Volkstum nahezu unpolitisch
und fast ausschließlich kulturell-religiös oder nur religiös,
wie ja auch ihre Predigten durchweg biblisch und nicht politisch
orientiert waren. Diese Kräfte werden mit dem Urteil versehen:
„Auf Grund ihrer biblischen Orientierung haben die Erwedkungs-
und Bekenntnispredigten die .Politisierung der evangelischen
Kirche in Deutschland verhindert' " (53). Der Schleswig-Holsteinische
Streit dient als Exemplum für die Frage, ob ein Christ
sich an einer Revolution beteiligen kann.

In einem zweiten Teil werden „Männer und Gedanken,
die Wicherns Ekklesiologie beeinflußt haben
", geschildert (61 ff.). Zunächst sind es Pastoren der Erweckungsbewegung
(Wolters, John und Rautenberg in Hamburg),
die eine zur Tat drängende Frömmigkeit verkörpern, die für
Wichern einflußreich wurde. Durch Rautenberg und Neander ist
Wichern auf Luther aufmerksam geworden.

Ausführlich wird der Kirchenbegriff dargestellt, zunächst
bei Friedrich Lücke, der der Schleiermacherschen Rechten
angehörte. Er hat in Göttingen dem jungen Wichern Schleiermachers
Gedankengut wissenschaftlich nahe gebracht. Der Kirchenbegriff
bei August Wilhelm Neander bringt die für Wichern bedeutsam
gewordene Verbindung von Kirche und Reich Gottes
zum Ausdruck. „Das Wesen der Kirche, die geistige Gemeinschaft
i6t zugleich das Wesen des Reiches Gottes. Die sichtbare
Kirche ist so die äußere Form für den inneren Bau des Reiches
Gottes" (71). Besondere Betonung liegt bei Neander auf der