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Ausgabe:

1961 Nr. 10

Spalte:

768-769

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kressel, Hans

Titel/Untertitel:

Wilhelm Löhe 1961

Rezensent:

Klaus, Bernhard

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 10

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die wir zur Sprengung traditioneller, scheinwissenschaftlicher
Schemata notwendig brauchen. Wenn es fast aussichtslos erscheinen
mag, jenes eigenartige Geflecht von apriorischen Vorurteilen
und Postulaten, ge6chichtsphilo6ophischen Ätiologien und Axiologien
, theoretischen Deduktionen und geschichtsspekulativen
Syllogismen, das sich über die Erscheinung des 16., 17. und 18.
Jahrhunderts gelegt hat, für das Bewußtsein unserer Gegenwart
zu zerreißen, wird jede Arbeit wichtig, die sich eindeutig an den
Quellen und Dokumenten orientiert. Weithin bekannt ist die
von zahlreichen Verfassern vertretene, durch K. Löwith popularisierte
Vorstellung, daß die patristi6ch-mittelalterliche theologische
Deutung der Geschichte erst seit Bossuet in eine Krise geraten
sei und daß dann Voltaire als erster eine säkulare Darstellung
des universalhistorischen Zusammenhangs geliefert habe.
Demgegenüber erweist sich, daß die Auflösung der theologisch-
eschatologischen Gesamtdeutung der Geschichte schon im 16.
Jahrhundert mitten im protestantischen Lager begann und besonders
bei Melanchthon nachweisbar ist. Die erste (legitime)
Phase der Säkularisierung wandelte die Geschichtsauffassung bereits
vor dem Ende des 17. Jahrhunderts grundlegend um. Eine
zweite, 6chon etwa mit Leibniz beginnende (ideologische) Phase
verweltlichte Geschichtstheologie, indem sie sie in geschichts-
philosophische, säkulare Eschatologie transponierte. Der komplexe
Vorgang, in dem der zeitlich-räumliche Wirklichkeitszusammenhang
der Menschheitsgeschichte ins Blickfeld de6 16./
17. Jahrhunderts trat, wird vom Verfasser sorgfältig dargestellt.
Daß die äußere Darstellung gelegentlich etwas von der Anstrengung
spüren läßt, die dazu gehört, geschichtliche Komplexsituationen
notwendig diskursiv darstellen zu müssen, wird den
mit diesem Problem Vertrauten nicht stören. Der Aufbau der
Arbeit ist so gehalten, daß im ersten Teil das Ende der theologisch
-eschatologischen Deutung der Uni Versalhistorie dargestellt
wird. Im zweiten Teil werden die Anfänge welthaft-geschichtlicher
Betrachtung der Universalgeschichte behandelt. Hier werden
in drei Abschnitten die Erschließung des welthaften Aspektes
der stofflichen Universalität der Menschheitsgeschichte, ihrer
zeitlichen Universalität und ihrer räumlichen Universalität aufgezeigt
. Ist der erste Teil besonders für den Kirchen- und Profanhistoriker
von Interesse, so ist der zweite Teil für manchen
Geistes- und Kulturgeschichtler, Soziologen und theoretischen
Ethnologen sicherlich eine Fundgrube von Quellenmaterialien
und Einsichten in übergreifende Zusammenhänge. Umgekehrt
hätte die Beiziehung der Wissenschaftsgeschichte der Völkerkunde
den letzten Abschnitt der Arbeit bereichert. Man möchte
die mit wertvollen, quellenmäßig fundierten Anmerkungen und
einem Quellen- und Literaturverzeichnis (leider keinem Register)
ausgestattete Schrift nicht mehr missen. Ihre wissenschafts-theo-
retische Position bestimmt sie selbst abschließend als die Erkenntnis
, „daß nur aus der christlichen Glaubenshaltung jene in
ihr selbst ursprünglich begründete, echte Säkularität des Geschichtsbewußtseins
und der welthaft-geschichtlichen Betrachtungsweise
wiedergewonnen und ohne steten Rückfall in den
enthusiastischen Säkularismus oder in die relativistische Skepsis
des Historismus erhalten bleiben kann" (132).

Marburg/Lahn Wolf gang Philipp

F a b i a n, Ekkehart, Dr. phil.: Die Abschiede der Bündnis- und Bekenntnistage
protestierender Fürsten und Städte zwischen den Reichstagen
zu Speyer und zu Augsburg 1529—1530. Mit archivalischen
Beilagen bearb. u. hrsg. Mit einem Geleitwort von K. Aland. Tübingen
1960 (zu beziehen durch: Osiandersche Buchhandlg., Tübingen,
Wilhelms«. 12). 138 S. 8° = Schriften zur Kirchen- und Rechtsgeschichte
. Darstellungen und Quellen, hrsg. v. E. Fabian, 6. Kart.
DM 16.80.

Das vorliegende Heft enthält die Akten der mancherlei Tagungen
von 1529/30, die, auf verschiedenen Ebenen und mit
unterschiedlichem Themenkreis, die auf dem Speyerer Reichstag
1529 erstmals hergestellte Gemeinschaft der protestierenden
Stände weiterführten und die je in ihrer Weise in die Vorgeschichte
des Schmalkaldischen Bundes gehören. Es handelt sich
weitgehend um bereits bekanntes, in den großen Monographien
(H. v. Schubert, W. Köhler etc.) verarbeitetes Material, das aber
hier zum ersten Mal gesammelt vorgelegt, großenteils überhaupt
zum ersten Mal durch den Druck veröffentlicht wird. Neu zugänglich
ist jetzt z. B. die durch ihre Stellungnahme zum Abendmahlstreit
und zum Marburger Gespräch bedeutungsvolle hessische
Instruktion für den Schwabacher Tag im Oktober 1529;
zumal aber ist man dankbar für die Erstveröffentlichung der Akten
der oberdeutschen Städtetage, auf denen vor und nach dem
Schmalkaldener „Zwietrachtskonvent" (H. v. Schubert) mit den
Lutheranern (28 ff. 11. 1529) der — freilich unausgeführt gebliebene
— Plan eines eigenen, regionalen Bündnisses und einer
Verbindung mit den Schweizern diskutiert wurde: Der Zwiespalt
der beiden evangelischen Parteien im Reich, der lutherischen
Fürsten und Städte Nord- und Mitteldeutschlands auf der einen,
der oberdeutschen Städte auf der anderen Seite, der auf dem
Augsburger Reichstag endgültig durchbrechen sollte und der erst
in den späteren dreißiger Jahren einigermaßen geschlossen wurde,
kündigt sich hier in aller Deutlichkeit an.

Der rührige Herausgeber hat auch mit dieser Edition wie mit
einer Anzahl bereits früher erschienener eine verdienstvolle Arbeit
geleistet. Freilich ist die Freude des Benutzers nicht ungetrübt
. Das Gewicht liegt, wie der Titel des Hefts andeutet und
wie F. es schon bei anderen Ausgaben gehalten hat, auf den
Abschieden der jeweiligen Tagungen; um sie sind einzelne
Schriftstücke gruppiert, die die Vor- und Nachgeschichte der
Zusammenkunft beleuchten, ohne daß der Herausgeber dabei
Vollständigkeit angestrebt hätte: Er weist 6elbst auf den „beschränkten
, eklektischen Charakter" seiner Sammlung hin (11).
So wird der Historiker, den nicht bloß das u. U. dürre amtliche
Ergebnis, sondern auch der Weg interessiert, der zu ihm führte,
weiterhin auf da6 Handschriften-Studium nicht verzichten können
. Instruktionen, Korrespondenzen, Relationen der einzelnen
Gesandten sind nur selten aufgenommen, und es ist nicht einmal
ganz deutlich, welches Auswahlprinzip den Herausgeber geleitet
hat. Dem Rez. z. B. sind aus dem Stadtarchiv Konstanz einige besonders
wertvolle Schriftstücke bekannt, die er nur ungern in
der vorliegenden Sammlung vermißt, insbesondere der schon von
Köhler (Zwingli und Luther, Bd. 2, S. 169 ff.) benutzte, aufschlußreiche
Bericht des Konstanzer Gesandten über den Schmalkaldener
Konvent. Natürlich kann man dem Hinweis des Herausgebers
, der ja zugleich Verleger ist, auf die Beschränktheit seiner
finanziellen Mittel nicht gut widersprechen, und die frische
Unternehmungslust, mit der er 6eine Bücher veröffentlicht, ist ja
staunenswert; aber es bleibt doch die Frage, ob nicht jedenfalls
die Historiker unter den Benutzern eine gründlichere und umfassendere
Arbeit zu einem späteren Termin dieser rasch herausgebrachten
Teilsammlung vorgezogen hätten.

Allerdings ist dieser Einwand im vorliegenden Fall deshalb
nicht durchschlagend, weil der in absehbarer Zeit erscheinende
Band 8 der Deutschen Reichstagsakten, der den Augsburger
Reichstag von 15 30 behandeln soll, auch die Tagungen, deren
Akten unser Heft enthält, noch einmal „ziemlich ausführlich"
aufnehmen wird, wie F. in einem Korrekturnachtrag (16) mitteilt
. So behindert wenigstens diese Teilausgabe nicht das Erscheinen
der Gesamtveröffentlichung; dafür fragt man sich nun,
ob dieser doppelte Aufwand wirklich sinnvoll ist. ,

Heidelberg Bernd Mobiler

Kr es sei, Hans: Wilhelm Löhe, der lutherische Christenmensch. Ein
u Charakterbild. Berlin: Lutherisches Verlagshaus 1960. 142 S. gr. 8°.
1 Lw. DM 12.80.

Die bekannten Werke Kresseis über Löhe als Prediger, als
Liturg und Liturgiker, als Katechet und Seelsorger, werden in der
vorliegenden Arbeit durch Untersuchungen abgeschlossen, die in
das Wesen der Persönlichkeit Löhes einzudringen suchen, um ein
Bild seines Charakters zu gewinnen. Methodisch bedient sich K.
im I. Teil seiner Arbeit durch die Bestimmung der Umwelt- und
Anlagefaktoren, sowie der bei Löhe feststellbaren Art seiner
Willensentscheidungen psychologischer Mittel und unternimmt den
interessanten Versuch, durch die Verwendung der eigenen Berichte
Löhes über seine Träume auch tiefenpsychologische Resultate
zu erzielen. Er erhält das Bild einer genialen Persönlichkeit,
die starke Gegensätze in sich zu vereinen und außerordentliche
Spannungen zu überwinden vermochte. Auf der Grundlage des
ermittelten Charakterbildes schildert K. im II. Teil seiner Arbeit
Grundzüge des Lebens Löhes unter der Wirkung der ihn bestim-