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1961 Nr. 10

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Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 10

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li6chen Gemeinde von Meaux nach dem Vorbild Straßburgs; die
Unterdrückung dieser Gemeinde im Jahr 1546 und die vierzehn
Märtyrer von Meaux.

Das wissenschaftliche Interesse dieses Buches besteht wesentlich
darin, daß es als umfassende Materialsammlung Ausgangspunkt
für neue Forschung werden kann. Die Absicht des Verfassers
zielt hauptsächlich auf die kirchliche Erziehung der Gemeinde
. Dem Außenstehenden zeigt er die Richtung, in welcher
die Meinungsbildung im gegenwärtigen Pariser Luthertum sich
bewegt. Zwei Fragen sind es, die den Gedankengang in Bewegung
erhalten und die in der Einleitung ausführlich behandelt
werden. Wie erklärt es 6ich, daß die anfänglich so kräftige reformatorische
Bewegung in Frankreich nicht zum Sieg führte?
Lovy erkennt, wohl mit Recht, den wesentlichen Grund dafür im
Konkordat, das Franz I. 1516 mit dem Vatikan abschloß und das
ihm mehr Macht über die kirchlichen Verhältnisse verlieh als je
ein Anschluß an die Reformation hätte gewähren können.
Andererseits eignet sich der Verfasser aus der neueren Forschung
die Überzeugung an, daß die Bewegung der Humanisten um
Lefevre d'Etable nicht als Beginn und nationaler Ursprung der
französischen Reformation angesehen werden darf. Um 60 stärker
betont er dafür den lutherischen Charakter der Anfänge der
Reformation in Frankreich, legt Wert auf das durch Rom. 13 bestimmte
Verhältnis der lutherischen Reformation zum Staat und
bedauert es, daß durch die Verständnislosigkeit der königlichen
Politik und das Aufkommen der calvinischen Richtung im französischen
Protestantismus das segensreiche Bündnis des lutherischen
Glaubens mit dem nationalen Leben Frankreichs verhindert
wurde. Hier leben also die konservativen Tendenzen der
Pariser lutherischen Kirche bis heute fort.

Die französische Kritik hat, mit dankbarer Anerkennung des
Beitrags des Verfassers zur Erneuerung des Geschichtsbildes, die
Betonung des lutherischen Charakters jener Anfänge als übertrieben
bezeichnet. Übrigens führt Lovy selbst manches an, was
gegen einen ausgesprochen lutherischen Charakter der Bewegung
spricht. Beziehungen zu den schweizerischen Reformatoren bestehen
schon um 1525. Wir schließen unsere Besprechung mit
einem Zitat aus einem katholischen Geschichtswerk des 18. Jahrhunderts
: „L'heresie, qui avait cours ä Meaux, des le commen-
cement n'etait, ä le bien prendre, ni Celle de Luther ni Celle de
Zwingli: c'etait un melange mal assorti de Tun et de l'autre,
et de toutes les impietes differentes que chacun y ajoutait du
6ien. Calvin parut en France peu de temps apres: il debita 6es
maximes sous une forme moins empruntee et plus systematique
que Celle qui avait cte suivie jusqu'alors; et tous ceux ä qui il
importait peu d'embrasser une secte plutöt qu'une autre, pourvu
qu'ils se separassent de l'Eglise romaine, ä laquelle ils ne
tenaient plus dans le fond du coeur, donnerent aussitöt tete
baissee dans ces nouvelles chimeres" (Toussaint du Plessis,
Hi6toire de l'Eglise de Meaux, 1731; Lovy S. 199 f.).

Rittershoffen Th. Süss

Miilhaupt, Erwin: Der Psalter auf der Kanzel Calvins. Bisher unbekannte
Psalmenpredigten hrsg. u. eingeleitet. Neukirchen Krs. Moers:
Neukirchener Verlag 1959. 135 S. gr. 8°. Lw. DM 12.75.

Die Edition von etwa 600 — größtenteils in der Univ.-Bibliothek
Genf liegenden — noch unigedruckten C-Predigten, von
denen H. Rückert 1936 einen Teil der über das 2. Buch Samuelis
gehaltenen herausgegeben hatte, ist inzwischen von einem 1956
gebildeten Editionskomitee tatkräftig in Angriff genommen worden
, welches hofft, den größten Teil des Materials bis zum Calvin-
Jahr 1964 vorlegen zu können (etwa 10—14 Bände mit etwa 100
Lieferungen). E. Mülhaupt, als Sachkenner durch seine Monographie
über „Die Predigt C.s" und die Herausgabe eines Auswahlbandes
von C.-Predigten bekannt, ist zum Leiter der Gesamtedition
und zum Bearbeiter der Psalmenpredigten bestellt worden
. Er will mit den in diesem Buch gebotenen Übersetzungen
der Predigten über neun Psalmentexte (46,7—12; 48,2—7;
48,9-15; 65,6-14; 80,9-20; 89, 31-38; 147,12—20; 148,
1—14; 149, 4—9) „einen Vorschmack dessen geben, was man von
der angekündigten Edition zu erwarten hat".

In einer gewichtigen Einleitung wird der Nachweis erbracht,
daß der Psalter für C. eine „ganz einzigartige Bedeutung" hatte

(das besondere Trostbuch in seinen schweren Kampf jähren; das
einzige Buch des AT, über das C. sonntags gepredigt hat;
das Fundament des ref. Gemeindegesanges); es werden detaillierte
Angaben zur historischen Kennzeichnung der in diesem Band
übersetzten Ps.-Predigten gemacht, und schließlich werden als
„Schwerpunkte der Verkündigung in C.s Psalmpredigt" herausgestellt
: a) die kämpfende und lobpreisende Kirche, b) die
in der Stille vor Gott zu gewinnende Selbsterkenntnis,
c) das den Menschen zum lebendigen Gehorsam gegen Gott aufrufende
, weil den stummen Gehorsam der unbelebten Kreatur bezeugende
Vorbild der Naturordnung, d) die Majestät
des sein Herrenrecht unaufhebbar ausübenden Gottes, e) der die
Grundlage der psalmist. Frömmigkeit bildende Christus, von
dem her (nicht: auf den hin) die Auslegung geschieht. In diesem
Zusammenhang werden einige wichtige Bemerkungen zu C.s
Hermeneutik gemacht.

Die übersetzten — aus dem Zeitraum zwischen 1550 und
1560 stammenden — Sonntagspredigten 6ind theologisch nicht
alle gleich bedeutsam; besonders ergiebig sind die vier ersten und
die beiden letzten. Sie sind wie alle Predigten C.s Homilien,
bleiben ganz nahe am Text und sind doch auch erstaunlich nahe
am Hörer. Man ist wieder verwundert, wie anschaulich, volkstümlich
, oft geradezu derb C. predigen konnte. Es zeigt sich auch
hier wieder: wer C. nur von der Institutio und nicht auch von
seinen Predigten her kennt, kennt ihn noch nicht wirklich. Wenn
auch von vornherein nicht zu erwarten war, daß sich in den Predigten
Aussagen finden, die ein völlig neues Licht auf C.s theologisches
Denken werfen, 60 stößt man doch immer wieder auf
Sätze, die schon Gewußtes durch ihre neuen Formulierungen
bemerkenswert unterstreichen oder akzentuieren: etwa die wichtige
Stelle über unsere natürliche, in der Sünde (nicht einfach in
unserer Geschöpflichkeit) begründete Unfähigkeit, Gott zu erkennen
, trotz der natürlichen Offenbarung (S. 31 — notwendige
Ergänzung zu C. O. 23, 10 u. O. S. III 60, 25; vgl. auch die wichtigen
diesbezüglichen Äußerungen auf S. 63 u. 113 f.); oder das
über das Abendmahl Gesagte (S. 75); erstaunlich das ungewöhnlich
6charfe Urteil über das 2. Konzil von Nicäa 787 (S. 54) und
über die regierenden Monarchen (S. 50. 57); beachtenswert die
Proben seiner politischen Predigt (S. 45 f.; 128 f.).

Besonders danken muß man dem Herausgeber, daß er den
jeweiligen Psalmtext nicht einfach in der Lutherübersetzung den
Predigten voranstellt, sondern bemüht ist, den Text zu bieten,
den C. vor Augen gehabt hat. Überaus hilfreich für den Leser ist,
daß im Druck der Fortschritt der Texterklärung deutlich markiert
ist und die bedeutsamen Stellen hervorgehoben werden. Erfreulich
) daß einmal — welch seltener Fall! — die Gemeinde die übersetzten
Predigten eher vor Augen hat als die Zunftgenossenschaft
den Originaltext! — Nach diesem „Vorschmack" hat man einigen
Hunger nach Mehr bekommen!

Corrig.: S. 26 (Vers 10: „Bogen" statt „Boden"). Desid.: Hinweis
auf Anm. 17 schon auf S. 19.

T.ückenclorf Werner Krusche

Ihlenfeld, Kurt: Der unbekannte Luther.

Im Lichte der Reformation, Jahrbuch des Evangelischen Bundes IV,

1961 S. 62—72.
Schmidt, Martin: Reformation als Gcschichtsmacht.

Im Lichte der Reformation, Jahrbuch des Evangelischen Bundes IV,

1961 S. 38—61.

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

K 1 e m p t, Adalbert: Die Säkularisierung der universalhistorischen Auf-
^ fassung. Zum Wandel des Geschichtsdenkens im 16. und 17. Jahrhundert
. Göttingen - Berlin - Frankfurt: Musterschmidt - Verlag [i960].
188 S. 8° = Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft, Bd. 31.
Kart. DM 16.80.

Die Arbeit ist nicht nur für den Kirchenhistoriker und den
Theologiegeschichtler, sondern auch für den historischen Aspekt
der anderen theologischen Disziplinen von Bedeutung. Mit Dank
muß man dem Verfasser bestätigen, daß er auf Grund der sorgfältigen
Bestandsaufnahme seines Quellenmaterials eine jener
Revisionen am geistesgeschichtlichen Bilde vorgenommen hat.