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1961 Nr. 1

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Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 1

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vielgestaltige griechische Katenenüberlieferung, den lateinischen
Text deckend, oft aber überschießend, laufend daneben gesetzt.
Er hatte aber das griechische Material, von ihm selbst in jahrzehntelanger
Forschung zusammengetragen, in Entdeckerfreude
gelegentlich überschätzt. Außerdem brachte er in der 1. Auflage
S. 232 bis S. 288 andere Fragmente aus Lukas-Katenen und aus
dem verlorenen Lukas-Kommentar des Origenes, ohne daß die
Herkunft im einzelnen geklärt werden konnte.

2. Die 1. Auflage wurde vielfach rezensiert. Paul Lehmann
<Phil. Wochenschrift 50 (1930) Nr. 49, 1475—1480) wies nach,
daß Rauer zwei gute und dabei alte Handschriften des Hieronymus
-Textes übersehen hatte: M Cambridge (8. Jhdt.) und N
Kassel (10./13. Jhdt.). Paul Koetschau, der verdienstvolle Herausgeber
und Übersetzer von Werken de6 Origenes, kritisierte in
seiner Rezension (ThLZ 1931, Sp. 153—159) den lateinischen
Text Rauers, weil er die Handschriften, die Rauer zur Verfügung
gehabt hatte, auch sprachlich anders bewertete. Vor allem aber
verlangte er mit Recht eine grundsätzliche Neuordnung des griechischen
Materials nach dem Vorbilde Klostermanns bei dessen
Herausgabe des Matthäus-Kommentars des Origenes (Origenes
Werke X bis XII GCS). Rauer nahm zu diesen und anderen Rezensionen
Stellung in „Form und Überlieferung der Lukas-Homilien
des Origenes" (T. U. 47, IV, 3. 1931). Hier verglich er die beiden
neu nachgewiesenen Handschriften und konnte sie fast durchgängig
als Bestätigung des von ihm hergestellten Textes verwenden
. Für das griechische Material freilich blieb Koetschau's
Einwand bestehen, wenngleich der Vergleich mit der Edition des
Matthäus-Kommentars nicht stichhaltig sein sollte, weil bei diesem
die griechische Überlieferung unvorstellbar verdorben und
lückenhaft ist (vgl. E. Klostermann und E. Benz, Zur Überlieferung
der Matthäus-Erklärung des Origenes, T. U. 47, IV, 2.
1931, ferner P. Koetschau in ThLZ 1934, Sp. 8—10).

3. Koetschau's Kritik an Rauers Arbeit war teilweise zu
scharf. So ist Rauers Vorsicht bei der Herstellung des Stemma
durch die Handschrift M Cambridge gerechtfertigt worden
(l.Aufl., S. XXVI, 2. Aufl., S. XXXII). Der Vorwurf, Rauer
hätte zu Homilie 16/17 auch die Handschrift Admont Nr. 65
und 66 (Koetschau's Kritik Sp. 155) heranziehen müssen, nicht
bloß die Handschriften O und P, ist entkräftet, weil die Handschrift
Admont denselben Text bietet wie O und P. Auch hat
Koetschau offenbare Druckfehler als gröbliche Falsa des Herausgebers
notiert.

4. Eine wichtige Rolle spielt die Frage, ob Hieronymus
seine Übersetzung der 39 Homilien genau nach seiner griechischen
Vorlage hergestellt hat, oder ob er gegen diese gekürzt hat.
Rauer neigte zur Ansicht, daß Hieronymus gekürzt habe, weil
das griechische Material, obwohl z. T. strittig und zerstreut, viel
umfangreicher und genauer als der lateinische Text ist. Koetschau
wollte dagegen den den lateinischen Text überschießenden griechischen
Text meist auf Rechnung der Schreiberei der Katenen-
Verfasser setzen, teilweise auch dem verlorenen Lukas-Kommentar
des Origenes zuweisen, während Hieronymus selbst seine
Vorlage exakt übersetzt habe. Hier ist Koetschau wohl im Recht,
da er sich auf Rufinus und auf Ambrosius berufen kann. Gesichert
ist sein Argument dadurch, daß Hieronymus bei Änderungen
oder Erweiterungen gegen seine Vorlage Anmerkungen macht
(z. B. Horn. 1, S. 6, Z. 2 und Horn. 4, S. 26, Z. 12). Für eine
2. Auflage schlug Koetschau vor, rd. 70 unsichere griechische
Textstücke, die neben dem lateinischen Text der 1. Auflage stehen
, mit den bisherigen Fragmenten zu einer Serie zusammenzustellen
. Es 6ollte nur soviel griechischer Text belassen werden,
wie er durch den lateinischen Text gedeckt 6ei. Dieser Vorschlag
wurde durch die Beobachtung gestützt, daß die Fragmente der
1. Auflage dort beginnen, wo die Homilien aussetzen (L 4,27. 39).
Jetzt könnten die Fragmente bereits bei L 1, 1 (S. 227) beginnen
und eine durchlaufende griechische Lukas-Erklärung des Origenes
ergeben, die teils aus Homilien, teils aus Kommentaren besteht.
Freilich werden hier auch die Zuweisungen in Einzelfällen unsicher
bleiben.

5. In deT nunmehr vorliegenden 2. Auflage konnte Rauer
auf seinen lateinischen Text fast unverändert zurückgreifen
(S. 1 - S. 222). Auf S. VII - S. LXII hat er seine Quellen nachgewiesen
und beurteilt. Auf S. 227 —S. 336 erscheinen 257 griechische
Fragmente zu L 1, 1 bis 24, 50. Etwa 80 von diesen standen
in der 1. Auflage neben dem lateinischen Text. Hier ist also
Rauer z. T. über die Anregungen hinausgegangen, m. E. mit
Recht. Auch hat er eine Anzahl von griechischen Textstücken
ganz gemerzt (vgl. schon die Notizen 1. Aufl. S. 145 und S. 159
zu den Joh.-Bruchstücken). Der interessanteste griechische Zusatz
ist der neugefundene Schluß der Homilie 35 (S. IX, S. 206),
der von Klostermann erstmals erwähnt wurde (vgl. auch Vig.
Christ. 1948, II, 2 S. 109; II, 3 S. 161). Die Nachweise der mittelalterlichen
Bibliotheks-Kataloge sind vermehrt (S. XXVIII f.).
Das Verzeichnis der Handschriften ist übersichtlicher angeordnet
(S. LXIII f. gegen S. LXV der 1. Aufl.). Die vermehrten und sorgfältig
hergestellten Register erleichtern die Benutzung der Ausgabe
(S. 335 — S. 404). Die Schaffung eines Gesamtregisters zu
Origenes ist nach Abschluß des ganzen Editionsprogramms unter
Zugrundelegung der Arbeit Rauers und anderer Herausgeber
(vgl. Origenes XII) nicht mehr eine unlösbare Aufgabe.

Die griechischen Fragmente sind gleichmäßig gestreut, so
daß etwa 10 Fragmente im Durchschnitt für jedes Kapitel des L-
Textes Erläuterungen geben. Die Homilien behandeln L 1, 1 —

4, 27 (Horn. 1-33); 10, 25-37 (Horn. 34); 12, 58f. (Horn. 35);
17,33. 20. 21 (sie!) (Horn. 36); 19,29-40 (Horn. 37); 19,41-45
(Horn. 38); 20,27-40. 21-26 (sie!) (Horn. 39), Lücken wie
L 1, 32b—38 und 2, 3—7 sind durch die Fragmente 24—28 und
55-56 gedeckt, die Lücke 2, 17-20 ist nicht gedeckt S. XII. Zur
Frage, ob Origenes auch andere Texte von L behandelt hat, vgl.

5. VII; S. 278, Fragm. 125.

6. Einige Desideria und Fragen seien angefügt. S. XV fehlt zu Handschrift
D der Verweis auf S. 2; S. XVI, Anm. 1 weist auf Zahn
„a. a. O.", aber Zahn ist vorher zwei Male auf S. VIII und S. XI mit
unterschiedlichen Aufsätzen erwähnt, so daß a. a. O. hier undeutlich
wird; die Fragmente 29 und 69 lauten mit dem gegengestellten Text
des Ambrosius (S. XVIII) anders als auf S. 23 8 und 2 56, desgl. S. 9,
Z. 14 f. gegen S. XVII erster Absatz. Druckfehler: S. XV richtig
109, 18 f. statt 12 f.; richtig Horn. 4, S. 23, Z. 18 und S. 26, Z. 6 statt
Horn. 4, 13 und 17; S. 380 zu ävanifutm richtig 188, 15 statt 5. Das
Fragment 20 (S. 23 5) war in der 1. Aufl. auf S. 43 eingeordnet, jetzt
fehlt der krit. App. zu Katenen-Handschrift S. Soll der Verweis auf
S. VII zu Fragm. 68, S. 247 nicht korrigiert werden in Fragm. 209,
S. 317? — Die Schreibweise der Eigennamen ist gegen die Handschriften
z. B. mit Joannes statt Johannes gegeben. Sollte man nicht durchgängige
Bezifferungen der Homilien verwenden, statt arabische und lateinische
Ziffern promiscue anzuwenden, dazu gelegentlich vor- oder
nachgestellt, z.B. S. XX und S. XXI? — Das große Fragment 107 (S. 271)
zu L 5, 14, aus der Niketaskntene stammend, ist dem Pentateuch-
kommentar des Prokop von Gaza entnommen und gehört demnach nicht
hierher (vgl. S. LVI). Dieser griechische Text wird in der Neuauflage
von Origenes Werke VI (Homilien zu Gen., Ex. und Lev.) zu Lev. 19,19
nochmals ediert werden. — Da die Fassung der Schriftzitate (z. B.
Jes. 1, 8 auf S. 31, Z. 16) von der Vulgata erheblich abweicht, wäre es
wünschenswert, hierauf anmerkungsweise einzugehen, oder mitzuteilen,
aus welcher Handschrift die jeweils gewählte Fassung stammt.

7. Die Homilien zu Lukas gelten als Werk des jüngeren
Origenes, während der verlorene Lukas-Kommentar als Spätwerk
gilt und erst um 244 entstanden ist. Aber doch zeigen die hier
nun vorliegenden Homilien einen großen dogmen- und kirchengeschichtlichen
Wert. Rauer nennt (S. XV) eine Reihe dogmatischer
Loci, an denen dieses Urteil verdeutlicht wird. Diese Reihe
ist durch den Hinweis auf die Stellung des Origenes zur Askese
zu vermehren. Die Homilien zeigen durchaus schon den ganzen
Origenes und gewähren einen Zugang zur gesamten Theologie
des Alexandriners, ohne daß der Leser durch antike Stilmittel aufgehalten
würde. Freilich darf man die Fragestellungen der modernen
Exegese hier nicht erwarten.

In der 2. Auflage der Homilien liegt ein Werk vor, das
sachgemäß und brauchbar gearbeitet ist. Die ihm zuvor laufende
Erörterung, auf die oben eingegangen wurde, ist ein beispielhaftes
Stück der Bemühung um die rechte Weise einer solchen
Edition. Dem Herausgeber gebührt der Dank der Benutzer, die
nun aus seiner Hand die Neuauflage von Origenes Werke VI
(Bd. 29 der GCS) erwarten können.

Leipzig Walter Nagel

Billet, Dom Bernard: Le pelerinage au furnier de Job et la date de
la ,,Peregrinatio Aetheriae".

Recherches de Science Religieuse XLVIII, 1960 S. 460-465.