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Ausgabe:

1961 Nr. 10

Spalte:

752-753

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Textus; 1 1961

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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751

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 10

752

Freiheit. „Das Wort yoga bezeichnet allgemein jede Askesetechnik
, jede Methode der Meditation" (12).

Doch wie die indische Literatur alter und neuer Zeit, so unterscheidet
auch Eliade nirgendwo eindeutig zwischen Konzentration,
Meditation und Kontemplation, so daß der Leser sich selbst die Unterschiede
zusammensuchen muß, ohne daß er sie findet. Es wäre gut, in
Gestalt einer Schema-Zeichnung begrifflich darzulegen, wie diese drei
Größen sich zueinander verhalten.

In dieser Hinsicht herrscht im gesamten modernen Yoga-Schrifttum
eine bemerkenswerte Unklarheit, die von den Hindu-Schriftstellern
selber ausgeht. Sie haben allerdings praktisch mehr in sich, als 6ie dem
abendländischen Leser theoretisch darlegen können. So ist es unklar,
ja, geradezu falsch, wenn, um ein Beispiel für viele zu nennen, Yogi
Vithaidas in seinem Buch „Das Yoga-System der Gesundheit" (Stuttgart
19 56) schreibt:

„Während Konzentration den Geist lehrt, das geistige Ziel unter
Ausschluß alles übrigen aufzunehmen und festzuhalten, ist Meditation
der Vorgang, bei dem sich der Geist ungeteilt den großen spirituellen
Wahrheiten zuwendet; Meditation schließt gleichsam an jenen Teil der
fortgeschrittenen Konzentration an, der sich mit rein abstrakten Vorstellungen
befaßt" (S. 86).

Dem wäre — in Kürze — entgegenzusetzen: Konzentration geschieht
als Werk des Verstandes und Willens im Denkbewußtsein,
Meditation dagegen sieht den Übenden rezeptiv im Erlebnisbewußt6ein
verweilend; dabei ist die Frage der Gegenstände unwiditig (man kann
sich auf jedes Objekt konzentrieren, kann jedes Objekt meditieren).
Kontemplation wäre dann, auf Meditation folgend, das Verweilen vor
dem Heiligen oder im Bereich des Heiligen.

Wichtig ist Eliades Aussage, daß es nicht nur einen Yoga
gebe. Vielmehr seien die Möglichkeiten unübersehbar, aber allen
Yoga-Wegen gemeinsam sei das Ziel: (l) den Weg zu weisen
und zu finden, der aus der Welt der Maya hinein ins Reine Sein
(Nirvana) führt; (2) im Dienst dieses Weges Selbstmeisterung
zu gewinnen (367 f.).

Ob Eliade aber darin recht tut, dem westlichen Leser diesen Weg
in westlicher Terminologie dahin zu beschreiben, daß der Yoga aus dem
Profanen ins Heilige führen wolle (18)? Ebenso dürfte es fraglich sein,
wenn er sagt, der Yoga wolle den indischen Menschen aus der Gefangenschaft
unter die Zeitlichkeit sowie Geschichtlichkeit des menschlichen
Seins befreien. Der Zeitlichkeit? Da können wir vielleicht zustimmen.
Aber der Geschichtlichkeit? Darunter verstehen wir im westlichen
Denken doch — um nur eines zu erwähnen — das Angerufen-Sein durch
ein Du. dem wir Verantwortung schulden! Unser Begriff der geschichtlichen
Existenz ist unter dem Anruf der biblischen Botschaft gebildet
worden! Davon weiß der Hindu nichts. Hinzuzufügen wäre noch (und
wohl nicht nur für den Vedanta): Befreiung aus der Mannigfaltigkeit
der Sinnenwelt, richtiger: als der Vielheit des Unterscheidbaren überhaupt
.

Wir können nicht alle Kapitel in gleicher Ausführlichkeit
durchgehen und heben als besonders wichtig (auch für christliches
Denken wichtig) dieses heraus: Erkenntnis meint ein Geschehen,
meint die „Praktik des sich Zurückziehens", wodurch der Mensch
„sein eigenes Zentrum" wiederfindet (21). „Die Erkenntnis
wandelt sich so in Meditation, die Metaphysik wird Soteriologie"
(21) (wobei das Wort Soteriologie aber uneigentlich, übertragen
gebraucht erscheint, denn auf diesem Wege gibt es keinen
Soter). Aufgeräumt wird mit der allgemein-menschlichen „Verwechslung
von ,Geist' und psychomentalen Zuständen" (22).

Leider bietet das Werk zu wenig an Übungen, gemeint ist:
an Beschreibungen und Berichten von Übungen des Yoga. Selbst
im zweiten Kapitel der Techniken der Automatie, d. h. der Verfahren
und Übungen, durch die der Yogin den Zustand der Automatie
erreichen könne, wird nur wenig dargelegt. So wird S. 56
eine Übersicht über die Wirkungen von ekägratä (Gerichtet-Sein
„auf einen Punkt", d. h. vollkommene Konzentration) gegeben:
„Ein Yogin kann nach Belieben die Kontinuität des Bewußtseins
unterbrechen" .. . „Durch die ekägratä erlangt man einen wirklichen
Willen, das heißt die Macht, über einen wichtigen Sektor
der psychosomatischen Aktivität frei zu herrschen" (56). Sucht
man in der Hierarchie des Seins einen Vergleich für die Haltung
des Yogins, so zeigt sich die Gestalt der Pflanze: „Die Stabilität
der Körperhaltung, die Verlangsamung des Atemrhythmus, die
Verengung des Bewußtseinsfeldes bis zum Zusammenfall mit
einem Punkt .. . das alles macht offensichtlich den Yogin einer
Pflanze ähnlich" (76). Hier hätte eine kritische Besinnung über
Yoga und christliche Existenz einzusetzen: ist der Mensch zu
solchem Dasein berufen?

So großartige Belehrung das Werk dem Forschenden gibt; 60
meisterhaft es seinen Gegenstand auch beherrscht und entfaltet, mit
vielen Seitenblicken und Exkursen in die Welt der Religionen überhaupt
— an einem wichtigen Punkt bleiben praktische Fragen des Lesers
ohne Antwort: Eliade berichtet nur, anderen Berichten folgend, ohne
selber Stellung zu nehmen, über den magischen Flug sowie den Seil-
und Mangotrick. Hier hätten wir gern gewußt, wi > das geschehe, was
daran wahr und wirklich sei, was nur auf Suggestion (oder worauf
sonst?) beruhe.

Einen besonderen wissenschaftlichen Reichtum des Werket
stellen die „Noten" dar, die auf fast 80 Seiten (373—450) die acht
Kapitel des Buches ergänzen. Das Literaturverzeichnis umfaßt
rund 40 Seiten. Daß Buch schließt mit einem ausführlichen Index
(495-516).

Geislingen/Steige FrisoM elzer

ALTES TESTAMENT

Text us. Annual of the Hebrew University Bible Project. Vol. L,
ed. by C. R a b i n. Jerusalem: Magnes Press, The Hebrew University
1960. VIII, 216 S., MTaf. gT. 8*.

Dieses neue Jahrbuch soll nach den es eröffnenden Vorworten
des Präsidenten der Hebräischen Universität B. M a z a r
(S. VII) und des Herausgebers (S. VIII) einem doppelten Zweck
dienen. Einerseits will es die von der Hebräischen Universität
geplante kritische Ausgabe der Hebräischen Bibel unmittelbar
vorbereiten helfen, anderseits ein Veröffentlichungsorgan für Artikel
zur Textkritik des Hebräischen Alten Testaments und
seiner alten Übersetzungen überhaupt bilden und so mittelbar
jene Ausgabe fördern. Drei der hier vereinten sieben Aufsätze
und eine der ihnen folgenden zwei Mitteilungen dienen dem
ersten Ziel. I. Ben-Zvi, The Codex of Ben Asher (S. 1—16,
12 Taf.); M. H. Goshen-Gottstein, The Authenticity of
the Aleppo Codex (S. 18—58); D. S. Loewinger, The Aleppo
Codex and the Ben Asher Tradition (S. 59—111) haben es nämlich
mit dem Aleppo-Codex (A) zu tun, der als Grundlage der
neuen Bibelausgabe gedacht ist, während die anonyme Mitteilung
„A Report of the Hebrew University Bible Project" die daran beteiligten
Mitarbeiter nennt, als ersten Band das Buch Jesaja in
Aussicht stellt, dessen Druck in zwei Jahren beginnen soll, die
neben dem „Textus" einherlaufenden „Publications" textkritischen
Inhalts ankündigt und andere Einzelheiten des Projekts
angibt. Die übrigen Beiträge, vier Aufsätze und eine Mitteilung,
haben Gegenstände von allgemeinerer textkritischer Art zum Inhalt
. Es sind G. R. D r i v e r, Abbreviations in the Massoretic
Text (S. 112—131), A. Diez-Macho, A New Fragment of
Isaiah with Babylonian Pointing (S. 132—143), S. T a 1 m o n,
Double Readings in the Massoretic Text (S. 144—184, to be
continued), I. Y e i v i n, A Massoretic Fragment from the Cairo
Geniza (S. 18 5—208) und I. Y e i v i n, A Unique Combination
of Accents (S. 209—210). Die drei ersten Aufsätze werden, wie
S. 214 mitgeteilt wird, von dem Band „Untersuchungen zur
Krone von Aram-Zobah" (!"QTä DIN rr-iprra), d. h. zu

dem Aleppo-Codex, in ihrem hebräischen Wortlaut gebracht,
während von den übrigen Aufsätzen und von der Mitteilung
„A Unique Combination of Accents" auf S. 211—212 ein kurzer
hebräischer Auszug geboten wird.

Die drei Aufsätze, die dem Aleppo-Codex gewidmet sind,
haben jedenfalls das große Verdienst, daß sie genaue und zuverlässige
Angaben über diesen Codex bringen, darunter die angesichts
der eine Zeit lang umlaufenden Gerüchte von seiner völligen
Vernichtung doppelt erfreuliche Nachricht, daß immerhin
y< von ihm erhalten und sicher geborgen sind. Dabei sind dem
ersten Aufsatz 12 sehr gute Tafeln mit Abbildung der Dtn 28, 66
bis 32, 3 3 enthaltenden Seiten des Codex und dem dritten Verzeichnisse
seiner Massora Magna und 6einer Massora Parva zu
Dtn 28, 19 — 34, 12 beigegeben, die noch dazu auch die Massora
des Codex Leningradensis (L) berücksichtigen. Ob die Beurteilung
, die A in diesen drei ersten Aufsätzen zu Teil wird, überall
das letzte Wort bedeutet, muß sich wohl erst noch zeigen. So
wird Ben-Zvi's Votum, Ben-Ascher, der Schreiber dieses Kodex
, sei Rabbanit, kein Karait gewesen, ebenso nachgeprüft werden
müssen wie Goshen-Gottstein's Feststellung, A sei