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Ausgabe:

1961 Nr. 1

Spalte:

52-54

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Die Homilien zu Lukas in der Übersetzung des Hieronymus und die griechischen Reste der Homilien und des Lukas-Kommentars 1961

Rezensent:

Nagel, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 1

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natürlichen Lebens das Hauptthema der mittelalterlich verstandenen
Geschichte ist, sind die Meinungen über Ursprung und
Vielfalt der Sprachen und Völker mit dieser Geschichte aufs
engste verquickt; sie spiegeln sie wider" (II 923). D.h. aber:
der Gottesvolkgedanke als ein entscheidendes Motiv des mittelalterlichen
Lebens widerlegt das Verdikt der Starre und des
Traditionalismus. „Die Einheit des mittelalterlichen Sprach- und
Völkerdenkens ist nicht philosophisch oder theologisch abstrahierend
gewonnen worden" (II 927). Die Einheit geht zurück auf
eine innere Kohärenz von 1000 Jahren Geschichte, und daher ist
,Mittelalter' nicht nur ein Begriff, „sondern eine vergangene
realgeistige Wirklichkeit" (II 927). Es ist der Knotenpunkt, auf
den die Wege der alten Völker hinführten und von dem die der
neueren Völker wegstreben.

Als Anhang fügt B. dem II. Band noch 7 Sprachlisten bei: 1. Liste
Hippolyts von Rom von 234/5; 2. Spanische Liste des 10./11. Jahrhunderts
; 3. Armenische Liste des 12. Jahrhunderts; 4. Deutsch-böhmische
Liste des 13. Jahrhunderts; 5. Venezianische Liste des 13. Jahrhunderts;
6. Spanische Liste des 14. Jahrhunderts; 7. Liste des Alstedius von
16 50. Diese Listen sind Beispiele für die von B. nadigezeichnete Entwicklung
bestimmter Traditionen und verraten viel vom mittelalterlichen
Denken. Sie sind zum Teil hier erstmalig publiziert, zum Teil,
soweit schon früher gedruckt, nach den Handschriften verbessert.

Es wäre nun kaum angebracht, wenn der Rezensent dieses
großen Werkes an Einzelheiten herumkritisieren wollte. Natürlich
wird jeder Leser, der sich an bestimmten Punkten etwas
näher mit der Materie beschäftigt hat, Bedenken oder Fehler anmerken
können. So hätte ich z. B. im I. Band beim Frühchristentum
und bei den griechischen Kirchenvätern an einzelnen Stellen
Widerspruch anzumelden (nur als Beispiel: Die Beurteilung des
Euseb von Caesarea S. 239 ff. scheint mir nicht richtig. Auch bei
Hippolyt hätte ich Fragen; kann man ihn überhaupt so ohne
Einschränkung zu den lateinischen Vätern rechnen?). Aber ich will
mich nicht mit solchen Einzelheiten aufhalten. Eine so umfassende
Arbeit kann nur nach ihrer Methode, ihrem Stil und ihren Ergebnissen
beurteilt werden.

In der kurzen Inhaltsangabe habe ich versucht, die durchgehende
Gedankenführung des Buches nachzuzeichnen. Dabei ist
beinahe die ganze Einzelarbeit Borsts unter den Tisch gefallen.
Es muß aber betont werden, daß es sich bei diesem Werk um
eine universalhistorische Arbeit handelt, die auf strenger Quelleninterpretation
und ständiger Auseinandersetzung mit der Literatur
aufgebaut ist. Wenn in dem Teil .Fundamente' manchmal die
Sekundärliteratur überwiegt — wer wollte dem Verf. daraus
einen Vorwurf machen? — so ist der Hauptteil eine eigene
Forschungsleistung von geradezu unglaublichem Umfang. Alles,
was auch nur von fern irgendwie mit dem Thema zu tun haben
könnte, ist herangezogen. Viel ungedrucktes Material wurde nach
Handschriften verwertet. Oft sind Einzelfragen, die an sich nicht
zum Thema gehören, am Rande mit erledigt. Diese exakte Methode
, jede einzelne Quelle daraufhin abzuhören, was sie wohl
für das Thema austrägt, hat vielleicht die Lesbarkeit des Buches
etwas beeinträchtigt. Es ist wirklich keine leichte Lektüre, manchmal
sogar etwas ermüdend, da der Verf. sich wiederholt. Aber
das ist schließlich zweitrangig; Historie im Gewand der Belletristik
ist ohnehin verdächtig. Jedenfalls fühlt sich der Leser bei
B. ständig auf sicherem, weil gründlich erforschtem Boden.

Ein Ergebnis der bisher vorliegenden Bände läßt sich nun
kaum in wenige Worte zusammenfassen. Es ßcheint mir nur möglich
, folgende Punkte herauszuheben:

1. Das Problem der Einheit und der Vielfalt der Sprachen
und Völker wird von B. aus einer falschen Isolierung gelöst und
als eine Frage nach der Geschichtlichkeit des Menschen aufgewiesen
. Da B. Theorie und Praxis nicht auseinanderreißt, sondern
sachgemäß zusammensieht (besonders eindrucksvoll z. B. das
Nebeneinander von lateinisch geprägter, hochscholastischer
Sprachtheorie und Entwicklung der Nationalsprachen), ist sein
Buch nicht nur eine Sammlung von merkwürdigen Gedanken der
Vergangenheit — es wäre undankbar und verfehlt, wenn es in
Zukunft nur als Nachschlagewerk für irgendwelche ausgefallenen
Sprachtheorien benutzt würde —, sondern es ist die Darstellung
eines Problems, dessen Bedeutung für das Verständnis der Vergangenheit
, aber auch für die denkerische Erfassung der Gegenwart
nicht gering geachtet werden darf.

2. Obwohl B. sich auf ein Problem, eben das der Sprachen-
und Völkertheorien beschränken muß, hat er weit darüber hinaus
die Frage, was es denn um die Einheit und Besonderheit des sogenannten
Mittelalters sei, in entscheidenden Punkten gefördert
und geklärt. Durch dieses Werk sind wesentliche Einsichten in
Motive und Strukturen der Zeit zwischen der Völkerwanderung
und dem Ende des 14. Jahrhunderts erhoben worden. Es ist nicht
nur ein Einfall der Historiker, die ihren Stoff irgendwie gliedern
müssen, wenn vom Mittelalter als einer besonderen Epoche die
Rede ist, sondern es handelt sich tatsächlich um eine in 6ich geschlossene
Epoche, die ihr eigenes Gesicht und ihre eigene Bedeutung
hat. Borsts Verdienst ist es, einen entscheidenden Zug,
nämlich das religiöse Geschichtsdenken, herausgearbeitet zu haben
und damit das Verständnis der mittelalterlichen Geschichte
ein erhebliches Stück vorangetrieben zu haben. Zugleich aber
wird deutlich, daß diese Epoche vergangen ist. Ein „ewiges
Mittelalter" gibt es nicht, auch wenn viel Allgemeinmenschliches
und Allgemeingültiges damals gesagt und gedacht worden ist.
Die romantische Geschichtsklitterei von Novalis bis hin zu den
modernen „christlichen Abendländern" wird durch diese Untersuchung
als das entlarvt, was sie ist, als eine unhistorische und
tendenziöse Verfälschung der Geschichte.

3. Das Problem der Sprachen und Völker wird von B. mit
Recht auf das Problem der Geschichtlichkeit zugespitzt. Damit
ist aber zugleich gegeben, daß diese Frage einen christologischen
Bezug hat. „Entscheidend war der Glaube, daß Gott Mensch geworden
ist und sein Volk auf Erden sammelt" (II 924). Dieser
Bezug auf die Inkarnation ist naturgemäß von B. nicht besonders
hervorgehoben, nur hier und da im einzelnen belegt worden.
Er ist aber wohl entscheidend und gibt auch den Schlüssel für
das Verständnis der mittelalterlichen Ideen an die Hand. Allerdings
würden gerade von hier aus die oben angedeuteten Bedenken
gegen die Darstellung der griechischen Kirchenväter bei
B. noch an Gewicht zunehmen. Aber wie dem auch sei: Die Bedeutung
dieses Buches für den historisch arbeitenden Theologen
ist durch diesen Zusammenhang zwischen Christologie, Geschichtsverständnis
und Sprachtheorien nur noch einmal unterstrichen
. Wir warten mit Spannung auf den Abschluß des
Werkes.

Bonn Wilhelm Sch n ee m el ch e r

F a u s e 1, Heinrich: Die Eigenart der Evangelischen Landeskirdie in
Württemberg.

Deutsches Pfarrerblatt 60, 1960 S. 337—339.

Steiger, Günter (Bearb.): Vom Collegium Jenense zur Volksuniversität
. Verfaßt von Angehörigen d. Historischen Instituts der Friedrich-
Schiller-Universität Jena. Jena: Fischer 1960. XI, 180 S. m. 2 Ktn.,
43 Abb. auf Taf. 8°. Kart. DM 3.80.

Zimmermann, Harald: Der Kirchenbegriff in der neueren katholischen
Kirchengesdiichtsschreibung.

Materialdienst d. Konfessionskundlichen Instituts 11, 1960 S. 61—69.

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Ol igen es Werke. IX.: Die Homilien zu Lukas in der Übersetzung
des Hieronymus und die griechischen Reste der Homilien und des
Lukas - Kommentars. Hrsg. u. in 2. Aufl. neu bearb. i. Auftrage d.
Kommission für spätantike Religionsgeschichte d. Deutschen Akademie
d. Wissenschaften zu Berlin von Max R a u e r. Berlin: Akademie
-Verlag 1959. LXIV, 404 S. gr. 8° = Die Griechischen Christlichen
Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, Bd. 49 (3 5). DM 68.—.

1. Origenes hat Homilien zu Lukas gehalten, von denen
39 in der Übersetzung des Hieronymus geschlossen erhalten und
mehrfach ediert sind. Als letzte maßgebende Ausgabe ist die von
C. H. E. Lommatzsch, Berlin 18 35, zu bezeichnen, ehe Max Rauer
die Homilien in 1. Auflage (Origenes Werke IX GCS Leipzig
1930) herausgab. Als er 1950 wiederum mit der Herausgabe der
Homilien beauftragt wurde, hatte er nicht nur eigenes, neu erarbeitetes
Material, sondern auch zahlreiche Kritiken und Anregungen
zur Hand, die eine teilweise Neuherstellung der Ausgabe
verlangten.

Rauer hatte seinen lateinischen Text anhand von elf, meist
verläßlichen und vollständigen Handschriften hergestellt und die