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Ausgabe:

1961 Nr. 9

Spalte:

700-702

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Sucker, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Die Mischehe 1961

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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699

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 9

700

währungshilfe. Wolfgang Haußmann, Justizminister in Baden-
Württemberg, behandelt die Reform des Strafrechtes. Im Anschluß
an diese Tagung hatte er es im Parlament erreicht, daß
erhebliche Gelder für die psycho-therapeutische Behandlung bei
jugendlichen Kriminellen eingesetzt werden konnten. Dadurch ist
die Beseitigung von Störungen, die zur Straffälligkeit führen
können, nicht mehr nur den vermögenden Schichten möglich.
Karl Holzschuh bespricht als Jugendrichter die ambulante
Behandlung jugendlicher Täter und Max K o h 1 h a a s die Rechtsprechung
zu § 51.

Der Jugendrichter Wolf Middendorff gibt einen Bericht
über ausländische Erfahrungen im Blick auf Erziehen statt
Strafen. Er warnt vor einer Überbewertung der Psycho-Therapie
und hält daran fest, daß der Jugendliche geradezu ein Recht darauf
habe, eine Erziehungsmaßnahme oder eine Strafe zu erhalten
(359). Die6 wird besonders gegenüber Schweden vertreten,
wo es kein Jugendgericht, sondern nur Jugendschutzkommissionen
gibt. Er setzt sich dafür ein, daß das Jugendstrafrecht auch
auf die Heranwachsenden ausgedehnt wird. Hierbei kommt er
auf die Halbstarken-Krawalle zu sprechen. Eine Untersuchung
hat ergeben, daß diese nicht symptomatisch sind für die deutsche
Jugend, daß sie aber besonders von der Sensationspresse überbetont
werden. An ihnen sind nur 3 bis 7 % Kriminelle beteiligt
. Politische Verführung, Alkohol oder Geld spielen dabei
keine besondere Rolle. Es hat ähnliche Wellen von Krawallen
auch 1920 und 1940 gegeben. Sie 6ind zurückzuführen auf eine
Krise der Vorbilder, die sich für die Jugendlichen negativ auswirkt
(361). Auch der Anteil der Jugendlichen an den Delikten
wegen Verkehrsraserei ist gering. Der Vorwurf, das Motorradgeräusch
der Heranwachsenden sei „der Brunstschrei des 20. Jahrhunderts
", ist unzutreffend. Während die Jugendlichen mit 6. 5 %
an allen kriminellen Delikten beteiligt sind, ist ihr Anteil bei
den Vergehen wegen Raserei nur 4 %.

Es wird von ihm darauf hingewiesen, daß das moderne
Jugendstrafrecht überhaupt noch sehr jung ist. Vor 150 Jahren
wurden in England 13jährige wegen Diebstahl zum Tode verurteilt
, sogar unter Zustimmung von 7 Bischöfen (357).

V. Jugendseelsorge

Von den theologischen Beiträgen nennen wir folgende:
Adolf K ö b e r 1 e, Die Tragweite der Vergebung für das Handeln
des Erziehers. Auch er bejaht das Recht des Gerichts auf Bestrafung
. Aber die Botschaft von der Vergebung bewahrt vor der
Verzweiflung. Auch die psychotherapeutische Heilung der Verängstigung
sollte „umklammert sein von dem Wundergeschenk
der Vergebung" (40).

Wilhelm H e i n e n, Münster, (katholisch): „Affektive Vergeltung
oder heilsames Strafen?" Rein sprachlich hat Strafe nichts
mit Vergeltung zu tun. Strafen hängt zusammen mit dem mittelhochdeutschen
straff, streng, hart und geht zurück auf das griechische
strepho, was drehen, gewaltsam bewegen heißt. Jede
affektive Vergeltungs6trafe fällt auf den Strafenden zurück (100).
Das heilsame Strafen ist das eigentliche Ziel. Bei der Strafe ist
zu unterscheiden zwischen den retrospektiven Zwecken: Herstellung
der Ordnung, Wiedergutmachung und Vergeltung, und den
prospektiven Zwecken: Besserung, Heilung, Abschreckung, Vorbeugen
, Verhüten neuer Fehltaten und Delikte. Verf. bezeichnet
es als den einzigen Sinn der Strafe: „Entfaltung der menschlichen
Person in der geordneten Gesellschaft; religiös gesehen ist der
Sinn der Strafe: Heilsvermittlung, Erlösung zu einem Leben der
Wahrheit und Liebe in Gott" (103). „Strafen als Straffen wird
dem Kompensierungsstreben im Gestraften die geeigneten Brük-
ken bauen, damit es der personalen Wandlung und damit der
Heilung dienen kann" (113).

Ergreifend sind die Ausführungen des Gefängnisgeistlichen
Emil Kiesel, Schwäb. Hall. Weil zu wenig christlich gehandelt
wird, verzweifeln so viele junge Menschen an den Menschen
(341). Etwa 80 % sind im Gefängnis areligiös oder antireligiös,
und doch nehmen 90 bis 95 % aller Insassen freiwillig am
Gottesdienst teil. Sehr zum Nachdenken veranlaßt die Bemerkung
, daß er die Gottesdienste mit 16 Vorbetern sehr aktiv gestaltet
.

Der katholische Anstaltsgeistliche S. Wannenmacher

berichtet in der Aussprache von seinen tiefenpsychologischen
Gruppenberatungen, die er als „Stunde der Lebenskunde" durchführt
. Es kommt allerdings in vielen Aufsätzen der Hinweis auf
solche Gruppenerziehung vor. Gerhard B a r t n i n g, ebenfalls
Gefängnisgeistlicher, gibt wertvolle Anregungen für die Seelsorge
, die sich nicht nur für die Arbeit an Gefangenen auswerten
lassen.

Das Buch ist in seiner Vielschichtigkeit äußerst anregend
und. weist bei den krankhaften Tatbeständen auf die heilenden
Kräfte hin, die sich aus einer guten Zusammenarbeit von Seelsorger
, Arzt und Richter ergeben können.

Diese notwendige Zusammengehörigkeit in der Führung
Jugendlicher bewahrt sie nicht nur vor dem Kriminellwerden,
sondern vermag zugleich auch den kriminell Gewordenen wieder
herauszuhelfen. Am wichtigsten aber scheint es uns, daß das Buch
60 eindringlich auf die Unentbehrlichkeit einer Geborgenheit des
Jugendlichen in einer echten Vater-Mutter-Bindung hinweist.
Hier ist in den scheinbar so gesicherten Zeiten der Vergangenheit
viel versäumt worden. Daß hier die Wandlung einzusetzen hat,
wird neu gesehen und auch in politischen Kreisen wirklich gewollt
.

Eisenach Heinz Erich Eisenhuth

Sucker, Wolfgang, L e 11, Joachim, u. Kurt Nitzschkc: Die
Mischehe. Handbuch für die evangelische Seelsorge. Im Auftrage des
Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes hrsg.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [19 59]. 487 S. gr. 8°. Lw.
DM 25.-.

Das Werk, das sich im Untertitel Handbuch der evangelischen
Seelsorge nennt, ist bestimmt, das lange vergriffene Buch von
Fritz v. d. Heydt, Die Mischehe, 1926, zu ersetzen. Aber nicht
nur dem praktischen Seelsorger, sondern dem Forscher wird gedient
, auf theologischem, kirchenkundlichem und kirchenrechtlichem
Gebiet. Ein großer Interessentenkreis wird das Werk nutzen
. Das Problem ist in der Geschichte der Neuzeit immer brennender
geworden. Vor 1914 war jede zehnte Ehe eine Mischehe,
heute ist es jede vierte! Die territoriale konfessionelle Geschlossenheit
ist in letzter Auflösung begriffen, woraus sich die zunehmende
Zahl der Mischehen zum größten Teil erklärt. Nach
der Wahrscheinlichkeitsrechnung wären im westlichen Deutschland
heute gleich viele Mischehen und konfessionsgleiche Ehen
zu erwarten. Interessanterweise aber wirkt ein retardierendes
konservatives Element ein; das wirkliche Verhältnis ist „noch"
3 : 1 zugunsten der konfessionsgleichen Ehe.

Mit der wirklichen Lage beschäftigen sich drei Beiträge, —
allen voran der unter der nüchternen Überschrift „Statistik" von
Paul Zieger dargebotene. Hier wird weit ausgeholt, indem auch
das erreichbare neueste statistische Material über die Religionszugehörigkeit
aller Deutschen dargeboten wird, desgleichen über
den prozentmäßigen Anteil evangelischer und katholischer Christen
an der Bevölkerung verschiedener Länder in den Stichjahren
1900, 1925, 1950. Nur auf solchem Hintergrund können die
statistischen Aufstellungen über die Mischehe lebendig werden.
Einzelheiten aus der Fülle der durchdachten und statistisch sauber
belegten Ausführungen herauszugreifen wäre töricht, da das
Ganze studiert werden muß. Es ist willkürlich, wenn wir auf
Zweierlei besonders hinweisen. Nach einer Statistik der evangelischen
Landeskirche Hamburg gab es 1952 in ihr über 40 000
Mischehen; die größte Untergruppe — mehr als 17 500 — wird so
charakterisiert: Frau evangelisch-landeskirchlich, Mann konfessionslos
. Eine Statistik aus Nordrhein - Westfalen, das als ein
durch Mischehen besonders gefährdetes Kirchengebiet gilt, weist
auf, daß die Scheidungsziffer bei Mischehen hoch ist. Die ausführlichen
Hauptübersichten Ziegers vermitteln für alle Landeskirchen
das Hauptmaterial seit 1900 in «ehn-, fünf- und dreijährigem
Abstand. Die Entwicklung verläuft in den Landeskirchen
verschieden, so daß ein einheitliches Ergebnis hier nicht zu melden
ist. — Dem Beitrag Ziegers ist der gehaltvolle Aufsatz von
R. Schneider - Anhalt über Erscheinungsformen und Nöte der
Mischehe beigeordnet. Hier werden sechs Hauptgruppen unterschieden
: ev.-atheistisch, ev.-Fremdreligion, ev.-jüdisch, ev.-
christlich orientierte Sondergemeinschaft, ev.-katholisch, ev.-
freikirchlich. Die Ausführungen sind konfessionskundlidh wie
seelsorgerlich gleich wertvoll. — Ein hochspezialisierter Beitrag