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Ausgabe:

1961 Nr. 9

Spalte:

684-687

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hägglund, Bengt

Titel/Untertitel:

De homine 1961

Rezensent:

Prenter, Regin

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 9

684

Die Änderung der Wortfolge hat damals auf viele von uns
geradezu erlösend gewirkt, zumal dann, wenn wir in unserer Tradition
von der Starrheit der Wortfolge .Gesetz und Evangelium'
bis zur Langeweile und zum Ekel bestimmt waren. Biß ins
ironische Gedicht Mörikes hinein reicht das Echo dieser starren
Wortfolge, die längst zur schematischen Predigtdisposition ,Gesetz'
bzw. ,Sünde' und .Gnade' geworden war. (Mörike: Meine guten
Bauern freuen mich sehr . . . I) Auch wenn es im ursprünglichen
Ansatz des reformatorischen Denkens so starr kaum
gemeint war, war es doch inzwischen längst so geworden, und
wer die eigentümliche Ohnmacht evangelischer Predigt in der
Neuzeit erklären will, 6ollte daran nicht vorübergehen. Daß es
dann in unserer heutigen Predigtsprache und Dispositionsweise
auch schon den umgekehrten Mechanismus der Wortfolge .Evangelium
und Gesetz' gibt, ist beklagenswert genug. Aber er hatte
noch nicht die Zeit, sich so tief und verhängnisvoll ins Bewußtsein
der Christenheit einzugraben.

Wer heute Barths Abhandlung liest, ist davon überrascht und
beeindruckt, daß von all den möglichen Folgen und Wirkungen,
die inzwischen damit verknüpft wurden, überhaupt nicht die Rede
ist. Es ist eine biblisch-theologische Abhandlung. Alttestament-
liche und paulinische Texte begegnen allenthalben, und doch
nicht nur zum Schein oder zur nachträglichen Begründung einer
6chon vorher entworfenen Konzeption. Auch das hat uns damals
tiefen Eindruck gemacht. Gerade die Paulusexegese Barths ist,
soviel ich zu urteilen vermag, in den späteren Debatten nicht
wirklich erwogen und gewürdigt worden. Ähnliches gilt von den
alttestamentlichen Belegstellen. Man hat sich vielmehr recht ausgiebig
und z. T. ausschließlich mit dem Schematismus von Form
und Inhalt befaßt, in den hinein Barth seine Thesen drängte:
„Man kann also wohl allgemein und umfassend sagen: das Gesetz
ist nichts anderes als die notwendige Form des Evangeliums,
dessen Inhalt die Gnade ist. Gerade dieser Inhalt erzwingt diese
Form, die Form, die nach Gleichform ruft, die gesetzliche Form"
(S. 13). Und später: „Auch die Unterscheidung von Inhalt und
Form bezeichnet einen unendlichen Unterschied. Aber was bedeutet
dieser Unterschied? Einen Unterschied von mehr oder
weniger, besser oder schlechter oder gar den Unterschied von
göttlich und menschlich oder von gut und böse kann er sicher
nicht bedeuten... Daß der Inhalt des Evangeliums auch eine
Form hat, das ist nicht nur auch ein Gotteswerk, sondern nun gerade
das Gotteswerk, das dem Evangelium Raum gibt in unserm
menschlichen Raum und uns Menschen im Raum des Evangeliums
" (S. 14). Im Unterschied zu den klassisch-mittelalterlichen
Verwendungen des Formbegriffs ist in Barths Konzeption das
ganze Schema durchaus vom Inhalt her bestimmt, nicht von irgend
einem Inhalt, sondern von diesem Inhalt — dem Evangelium
, der „Tatsache, daß Jesus Christus das Gesetz erfüllt und
alle Gebote gehalten hat" (ebenda). Allem Hadern mit Barths
Schematismus gegenüber ist daran zu erinnern, daß die ganze Abhandlung
christologisch gemeint, begründet und gehalten ist.
Das ist m. E. nicht überall genug beachtet worden.

Auch der Gesamtaufbau des Entwurfs, in dem zuerst „von
der Wahrheit des Evangeliums und des Gesetzes in ihrem gegenseitigen
Verhältnis geredet" wird, weil „nur von daher ihre
Wirklichkeit einzusehen" sei (S. 17), ist von einigen theologischen
Staatsanwälten einer bedenklichen, weil philosophischen
Substruktion bezichtigt worden. Kein Zweifel, daß man sich hier
an die hohen Thesen des Idealismus erinnert fühlt. Aber ebensowenig
Zweifel, daß auch hierbei die strenge, ja exklusive Beziehung
auf den Sachverhalt Jesus Christus den Gesamtablauf
des Denkens und der Formulierungen bestimmt. Innerhalb des
Befunds dieser .Wirklichkeit', nämlich dessen, was in den Händen
von uns Menschen aus der göttlichen Gabe von Gesetz und
Evangelium wird, bringt Barths Abhandlung nun Analysen, die
sämtliche Wünsche einer ethisch-anthropologisch-kritisch bestimmten
Theologie mehr als erfüllen (S. 18—25) und die das
Reden und Handeln der Christenheit auch heute wieder beleuchten
könnten. Wichtiger noch sind freilich die Sätze, die dann von
der richtenden Selbstdurchsetzung sogar des vom Menschen mißverstandenen
und mißbrauchten Gesetzes etwas sagen (S. 25 ff).

Die leidenschaftlichsten Einwände sind aber — von W. Eiert
und anderen — gegen Barths Auffassung von der grundlegenden

Einheit des göttlichen Wortes in Evangelium und Gesetz erhoben
worden. Diese Auffassung gipfelte damals bekanntlich in den
Sätzen: „Wenn auch das Gesetz Gottes Wort ist, wenn es aber
Gnade ist, daß Gottes Wort laut und hörbar wird und wenn
Gnade nichts anderes heißt als: Jesus Christus, dann ist es nicht
nur unsicher und gefährlich, sondern verkehrt, das Gesetz
Gottes aus irgendeinem Ding, aus irgendeinem Geschehen ablesen
zu wollen, das verschieden ist von dem Geschehen, in welchem
uns der Wille Gottes, den Schleier unserer Theorien und
Deutungen zerreißend, formal und inhaltlich als Gnade sichtbar
wird" (S. 11). Man sollte angesichts des darüber geführten und
noch keineswegs geschlichteten Streites nicht in Abrede stellen,
daß hier auf beiden Seitön Ur-Erfahrungen im Spiele sind, die
allen Argumenten und Entfaltungen vorausliegen, über die letztlich
also kaum zu rechten ist. Aber so eindrucksvoll W. Eierte
Konzeption erscheinen mag — und sie lag längst fest, ehe Barths
Abhandlung erschien, man braucht nur an die .Lehre des Luthertums
im Abriß' von 1926 zu erinnern, — mit ihrem Motiv des
Kampfs mit Gott, mehr noch mit ihrem Motiv des .Schicksals'
ist sie mehr heidnisch-germanisch als neutestamentlich-christlich.
Luther selbst mag dabei aus dem Spiel bleiben, weil uns seine
Grunderfahrung als solche ohnehin in ihrer letzten Tiefe unzugänglich
sein dürfte. Weshalb wir ihn denn auch unwillkürlich
irgendwie modernisieren.

Es bedarf aber kaum eines Nachweises dafür, daß K. Barths
Entwurf nach der Seite der Offenbarungslehre hin sehr viel
näher bei Luther 6teht als die Entwürfe derer, die sich in ihrer
Ablehnung Barths auf Luther zu berufen pflegen. Denn auch für
Luther wäre es „nicht nur unsicher und gefährlich, sondern verkehrt
, das Gesetz Gottes aus irgend einem Ding, aus irgend
einem Geschehen ablesen zu wollen, das verschieden ist von dem
Geschehen, in welchem uns der Wille Gottes . . . formal und
inhaltlich als Gnade sichtbar wird". Denn genau dies ist der Sinn
von Luthers Rechtfertigungslehre und Christusglaube, sofern
diese für ihn wirklich Mitte und Grenze aller Theologie sind.
Daß Luther in seiner Lage terminologisch und z. T. auch sachlich
sehr viel .großzügiger' oder auch .unvorsichtiger' war und sein
durfte, als es uns heute möglich und erlaubt ist, wird man dabei
nicht vergessen. Im Endeffekt scheint mir Luthers Position in
Sachen Gesetz und Evangelium, wenn man Joests Darstellung für
angemessen hält, so ferne von derjenigen Barths gar nicht zu
liegen, wie manche heute möchten. Und Barths Position hat dabei
den Vorzug elementarer Einfachheit: „Wir lesen aus dem, was
Gott hier (in Christus) für uns tut, ab, was Gott mit uns und von
uns will" (S. 11). Anders meinte es auch Luther nicht, wenn
man an die klassischen Zusammenhänge des Sermons von den
guten Werken oder der Vorrede zum Römerbrief denkt.

Daß sich in der schon erwähnten knappen Darstellung
Iwands im EKL Barths Abhandlung von 193 5 und die Abhandlung
.Rechtfertigung und Recht' von 1938, die tatsächlich in
Utrecht vorgetragen wurde, unwillkürlich ineinanderschoben, ist
gar nicht so uneben. Denn aus der Sicht von .Evangelium und
Gesetz' ergab sich diejenige von .Rechtfertigung und Recht'. Der
Geschichtsschreiber der damaligen Jahre aber muß sich vor Augen
halten, daß immerhin ein paar Jahre — und was für Jahre! — dazwischen
liegen. Es wäre m. E. nicht nur verkehrt, sondern geradezu
irreführend, die Barthsche Konzeption von Evangelium und
Gesetz primär aus einer politischen Theologie ableiten zu wollen.
Dem steht nicht nur der Kalender, sondern auch die tatsächliche
Abhandlung von 1935 entgegen.

Frankfurt/Main Karl Gerhard Steck

H ä g g 1 u n d, Bengt: De Homine. Människouppfattningen i äldre Lu-
. thersk tradition. Lund: Gleerup 1959. 416 S. gr. 8° = Studia Theolo-
* gica Lundensia, Skrifter utgivna av Teologiska Fakulteten i Lund, 18.
Sdiw. Kr. 24.—.

Das Buch setzt sich zum Ziel, eine analysierende Darstellung
der theologischen Auffassung des Menschen in der älteren
lutherischen Tradition zu geben. Unter „älterer lutherischer Tradition
" wird die lutherische Lehrüberlieferung von Luther selbst
bis einschließlich Johann Gerhard verstanden. Die lutherische
Reformation und die lutherische Frühorthodoxie werden hier
zusammengeschaut. Die spätere „Hochorthodoxie" wird nicht