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Ausgabe:

1961 Nr. 9

Spalte:

673-675

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Ramackers, Johannes

Titel/Untertitel:

Papsturkunden in Frankreich 1961

Rezensent:

Werner, Karl Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 9

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KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Ramackers, Johannes, Prof.: Papsturkunden in Frankreich. Neue
Folge. 6. Band: Orleanais. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1958. 278 S. 4° = Abhandl. der Akademie der Wissenschaften in
Göttingen. Philol.-hist. Klasse, 3. Folge, Nr. 41. DM 30.—.

Mit diesem neuen Bande der „Papsturkunden" nähern sich
die Vorarbeiten zur Gallia pontificia ihrem Abschluß (vgl. unsere
Bemerkungen zum 5. Band, ThLZ 1957, Sp. 600). In bewährter
Weise führt R. den Benutzer seines 6. Bandes durch die Archiv-
und Bibliotheksbestände der hier untersuchten Diözesen Orleans
und Chartres (S. 8—43), zu denen auch die einstigen Grafschaften
Vendome und Blois (inzwischen eigenes Bistum) gehören.
Wie stets, so wird auch hier die Beschreibung der einzelnen
Provenienzen geschickt mit dem Überblick über ihre heutige
Verteilung verflochten, und werden dem örtlichen Material
der Departemental - Archive und Stadtbibliotheken die einschlägigen
Pariser Bestände (Archive* Nationales, Bibliotheque
Nationale u. a.) inseriert, so daß eine „Quellenkunde" entsteht,
die keineswegs nur für die Suche nach Papsturkunden interessant
ist. Im Anschluß daran teilt R. (S. 44—274) nicht weniger als
211 Stücke mit, die für da6 Bearbeitungsgebiet bei Jaffe noch
nicht als gedruckt nachgewiesen waren. Von ihnen waren 133
inzwischen schon an ariderer Stelle gedruckt worden, 60 waren
bisher noch nicht oder doch nur ganz unvollständig veröffentlicht
, und nicht weniger als 17 Papsturkunden waren bisher unbekannt
bzw. in gedruckten Werken noch nicht erwähnt. R. teilt
auch in diesem Bande wieder Stücke mit, die inzwischen durch
Kriegseinwirkung verloren sind (Zerstörung der Ardiives dep.
du Loiret, Orleans, im Juni 1940; der kostbaren Bibliothek von
Chartres durch Luftangriff am 26. Mai 1944, beide bis auf geringfügige
Reste), und die er schon in den Jahren 1931—1934
kopieren bzw. kollationieren konnte.

Anders als im 5. Bande gehören die mitgeteilten Stücke fast
ausschließlich dem 12. Jahrhundert an. Nur 5 Urkunden, ferner
einige Fälschungen und 2 nur zufällig in Chartres überlieferte
Briefe Silvesters II. an italienische Empfänger datieren vor 1100.
Dieser Befund stimmt mit der sonstigen Überlieferungslage von
Chartres, Blois, Orleans überein. Sieht man von dem Chartular
des Mönchs Paul von Saint-Pere de Chartres aus der 2. Hälfte des
11. Jahrhunderts ab, mit beachtlichen Nachrichten für die Zeit
6eit der Mitte des 10. Jahrhunderts, so ist der Beitrag dieser
Grafschaften zur frühhochmittelalterlichen Überlieferung im Vergleich
zu den Landschaften an der unteren Loire ganz geringfügig.
Umso bedeutsamer ist jedoch das zum 12. Jahrhundert Vorhandene
. Es sind nicht nur die bedeutenden Bischofsgestalten auf
dem Stuhl von Chartres, die in den Urkunden stark hervortreten:
Ivo von Chartres, Geoffroy de Leves, päpstlicher Legat, Johann
von Salisbury, Petrus von Celle, es ist vor allem das päpstliche
Kirchenregiment in Frankreich, das uns hier mit verblüffender
Intensität entgegentritt. Gewiß haben die mehrfachen persönlichen
, zum Teil längeren Aufenthalte von Päpsten des 12. Jahrhunderts
in Frankreich die an sich gegebene Tendenz verstärkt:
Paschalis IL, Calixt IL, Innocenz II. und Alexander III. haben
viele Urkunden und Briefe in Frankreich selbst ausfertigen lassen
. Aber es ist doch beeindruckend, bei R. nicht weniger als 8 3
Stücke allein aus dem Pontifikat Alexanders III. vorzufinden, für
den Bereich von zwei französischen Diözesen! Die päpstlichen
Anordnungen, die, unmittelbar oder durch Legaten übermittelt,
oder aber durch ad hoc zu päpstlichen Vertretern ernannte französische
Bischöfe vollzogen, anhängige Streitigkeiten aus päpstlicher
Machtvollkommenheit entscheiden (z. B. Nr. 24), sind in
diesem Zusammenhang noch eindrucksvollere Dokumente als die
Bestätigungen und Schutzbriefe. Für die deutsche Geschichte
wird man auf Nr. 30 aufmerksam machen, den Brief des Erz-
bischofs Friedrich von Köln, in dem er Calixt II. zu seiner Wahl
beglückwünscht (1119 April Anfang). R., ein hervorragender
Kenner gerade dieser kirchengeschichtlichen Situation (vgl. etwa
seinen Aufsatz „Das Alter des Kaiserkrönungsordo Cencius II",
QuFiAB. 37 (1957) 16-54), macht dazu S. 86 f. wichtige Ausführungen
und verweist auf seine künftige Arbeit über das
Aachener Lotharkreuz und den mittelalterlichen Reichsgedanken.

Bemerkenswert ist auch der S. 46^49 erbrachte Nachweis, daß
die Reise Abbos von Fleury an den Hof Gregore V. in den November
996, und nicht in das Jahr 997,gehört. Damit wird der
schon von Sickel und Mathilde Uhlirz angenommene Zeitansatz
gegen Lot, Schramm u. v. a. gesichert, was für die ganze Chronologie
dieser Jahre, für Otto III. ebenso wie für die Briefe Gerberts
von nicht geringer Bedeutung ist. In vielen anderen Vorbemerkungen
des Verfs. werden die Ergebnisse glänzender diplomatischer
Kritik mitgeteilt. Auffallend ist eine ganze Reihe
von Richtigstellungen, die R. gegenüber H. Meinert, Die Fälschungen
Gottfrieds von Vendome, AUF. 10 (1928) 232—325
geben kann (vgl. S. 39, n. 3 u. 4, S. 40, n. 3, S. 41, n. 1): Vermeintliche
Fälschungen 6ind echt oder nur interpoliert, vermeintlich
Echtes ist gefälscht. Einen besonderen Hinweis verdient
schließlich noch der „wie es scheint, noch ungedruckte Brief" des
Bischofs Burchard von Worms an den Bischof Walter von Speyer
vom 15. März 1012 (so, und nicht 1112, wie versehentlich gedruckt
), den R. in zwei Kopien, in Chartres und in Reims, nachweisen
kann (S. 3 3, mit n. l).

Ejn näheres Eingehen auf viele bedeutsame Einzelfragen, zu denen
R. Material oder wichtige Erwägungen beisteuert, ist hier nicht möglich
. Nur zur Nr. 20 möchte Rez. eine größere, ergänzende Bemerkung
machen. Es handelt sich um ein Schutzprivileg Paschais II. von 1107
April 2, Marmoutier, für Saint-Lomer de Blois, das R. als verfälscht
bezeichnet. In ihm wird in einem bedeutsamen Satz über das Verhältnis
der Abtei zu den Königen gesprochen: quod videlicet monasterium
penes oppidum Blesense situm tarn a Rodulfo quondam rege quam a
Carolo et Ludovico Francorum regibus multis possessionibus et bonis
ditatum esse dignoscitur. R. hält dies für einen späteren Zusatz aus
S.-Lomer, dessen Stil dem der Kanzlei Paschalis II. überhaupt nicht
entspreche. Für die vom Interpolator behaupteten Vorurkunden verweist
Ramackers auf das Diplom König Rudolfs HF. 9, 566 = Lippert,
König Rudolf von Frankr. (1886) Regest Nr. 5, auf das Diplom Karls
des Kahlen Tessier Nr. 27, während er für „Ludwig" auf Vermutungen
angewiesen bleibt (S. 72). Es wird jedoch nicht mitgeteilt, daß es sich
bei der Urkunde Rudolfs um eine manifeste Fälschung handelt. Lippert
hatte sich seinerzeit mit der Bemerkung begnügt „die Urkunde ist,
wenn echt, jedenfalls sehr stark verderbt",' und noch F. Lot hat sie
unbedenklich herangezogen, und mit ihm viele andere. Das „nos facere
amicos de mammona iniquitatis" des angeblichen Diploms von 924 ist
eine beliebte Formel zahlloser Privaturkunden, auch gerade der Grafen
von Blois im 11. und 12. Jhdt. Es ist für ein Diplom des 10. Jhdts.
ebenso unmöglich wie der comes palatii Theobald unrichtig und seine
Bezeichnung amicus meus (!) lächerlich ist. Die Namensform Theobaldi
weist auf das 12. Jhdt., ebenso der Pfalzgrafentitel. Der Hinweis
von R. erlaubt aber nun, einen terminus post für diese Fälschung anzusetzen
, die erst nach 1107 entstanden sein dürfte, wenn man ihre
Erwähnung in ein päpstliches Privileg dieses Datums erst nachträglich
eingearbeitet hat. Es muß übrigens an dieser Stelle eine Erwähnung
von Vorurkunden der Könige Karl und Ludwig tatsächlich
gestanden haben, denn es wird auf sie im folgenden, von R. nicht beanstandeten
Satz mit ab eisdem regibus verwiesen. Der Fälscher hat
den ganzen Satz geändert, um — chronologisch in falscher Reihenfolge
— die angebliche Schenkung König Rudolfs einzuflicken und ihr,
die er wohl selbst fabriziert hatte, durch die Erwähnung in einem
päpstlichen Privileg die gewünschte Rechtswirkung zu verschaffen. Damit
wäre das 12. Jhdt., auf das auch andere Erwägungen weisen, als
frühest möglicher Zeitpunkt für die Entstehung des gefälschten Rudolf-
Diploms gewonnen. Saint-Lomer wollte dadurch den Besitz der Kirche
von Saint-Lubin, vor allem aber die alleinigen Rechte an den Zoll-
und sonstigen Einkünften innerhalb seines „Bezirks" sich sichern, alles
Dinge, von denen bezeichnenderweise in der Besitzaufzählung des
päpstlichen Privilegs nicht die Rede ist! — Zu Nr. 107 ist die Erwähnung
der Gründung des Stiftes Le Gue de l'Orme auf Königsgut, bei
W. M. Newman, Le Domaine royal sous les premiers Capetiens, Paris
1937, S. 161 u. S. 179, n. 57, nachzutragen. — S. 29 hätte das große
Fälschungsunternehmen des 15. Jhdts. in Tiron, bei Gelegenheit einer
damals entstandenen PU-Fälschung, erwähnt werden 6ollen. — S. 23 f.
notiert R. die Kopie des Briefes von Abt Albert von Micy an
Johann XIX., durch Dom Estiennot im Parisinus 12739, p. 335. Die
älteste Überlieferung dieses Briefes findet sich jedoch in Brit. Mus. Add.
Mss. 10972, s. XL, innerhalb der Briefe des Abbo von Fleury, mit
denen zusammen er auch im Druck erscheint (vgl. zu den Drucken noch
PL. 139, col. 439f.). — Zu der besprochenen Nr. 20, Paschalis IL, 1107
IV 2 für Saint-Lomer nennt R. als wichtigsten Textzeugen die Kopie
des Chartulars des 18. Jhdts., Arch. Loir-et-Cher (Blois) 11 H 128, die
auf einem Vidimus von 1490 VII 5 beruhe. Im gleichen Archiv findet
sich jedoch in F 663, fasc. 3, eine Copie collationnee des 15. Jhdts.
dieser PU. von 1107. Vielleicht ist sie mit dem von R. erwähnten
Vidimus identisch? In jedem Fall ist sie hier nachzutragen. F 663, in