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Ausgabe:

1961 Nr. 9

Spalte:

670-672

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Guilding, Aileen

Titel/Untertitel:

The fourth gospel and jewish worship 1961

Rezensent:

Haenchen, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 9

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auf der anderen Seite liegen. Es wird sowohl in dem Gemeindebegriff
als auch in der Gemeindeordnung entweder die „Geschichtlichkeit
" oder die „Neuheit" der Gemeinde hervorgehoben.
Als die dem Erhöhten zugehörige Schar ist die Ekklesia in
ihrem Glauben und Leben grundsätzlich schon der Zeit und der
Geschichte entnommen. Das prägt 6ich dem vorchristlichen Israel
gegenüber darin aus, daß die Ordnung der Gemeinde dem freien
Wirken des Geistes „einen möglichst weiten Spielraum läßt".
Dabei wird vom Verf. nicht übersehen, daß auf beiden Linien
(der Kontinuität mit der Ordnung Israels und der durch den
Geist gewirkten Neuheit der Gemeinde) Gefahren drohen
(Ebionitismus, Doketismus, Schwärmerei der Gnosis, Amtskirche
). — Der andere Gesichtspunkt kommt in den Ausführungen
Schw.s über das Amt, charismatische und nichtcharismatische
Dienste, das allgemeine Priestertum, die Ordnung
als Manifestation des Geistes, die Ordination, die apostolische
Sukzession, den Gottesdienst zur Geltung. Wir müssen es
uns auch hier versagen, auf die Einzelheiten einzugehen. Es sei
nur der immer wieder von Schw. herausgestellte Gedanke hervorgehoben
, der schon in seiner Schrift „Das Leben des Herrn in
der Gemeinde und in ihren Diensten" (1946) der maßgebende
war. Schw. erklärt: Als allgemeine Bezeichnung dessen, was wir
„Amt" nennen, gibt es mit wenigen Ausnahmen nur ein einziges
Wort: diaxovia. Der Dienst kann in verschiedenen Formen
erfolgen, immer aber handelt es sich um ein „Verhalten", das
sich Gott und dem Mitmenschen zur Verfügung stellt, nicht
aber um eine Stellung, die Rechte und Kompetenzen einschließt.
Das zeige sich besonders bei Paulus, wo das Wort Charisma die
übergeordnete Bezeichnung für alle Dienste ist. Daraus ergebe
sich, daß die von Harnack vollzogene Scheidung von charismatischen
(gesamtkirchlichen) und administrativen (lokalen) Diensten
nicht zu Recht besteht. Die Gemeinde lebt nie ohne Ordnung
. Gewiß haben die einzelnen Dienste zum Teil ihre Parallele
oder ihren Ursprung in jüdischen Diensten; aber entscheidend
ist, daß sie in der Gemeinde als Manifestation des Geistes
verstanden werden. Schw. stellt fest — und das ist der für ihn
entscheidende Gedanke — : das NT kennt keinen Unterschied
zwischen Dienst und Amt.

Es steht außer Zweifel, daß die Arbeit von Schw. ein bemerkenswerter
Beitrag zum Verständnis der nt. Gemeinde und
ihrer Ordnung ist. Trotz der oft gedrängten Kürze wird ein
eindrucksvolles Gesamtbild gegeben. Vor allem erscheint es
richtig, bei der Darstellung des nt. Sachverhaltes von „Diensten"
statt von „Ämtern" zu reden, weil der Begriff Amt von Vorstellungen
belastet ist, die erst einer späteren Zeit angehören.
Auch die sich durch die ganze Untersuchung hindurchziehende
Unterscheidung von dem, was aus der jüdischen Tradition und
dem, was aus der Kraftwirkung des Geistes stammt, ist sicher
ein wichtiger Gesichtspunkt. Erwünscht wäre eine noch stärkere
Herausarbeitung des Wesens der nt. Gemeinde. Aber das Schwergewicht
der Arbeit liegt auf der Gemeinde o r d n u n g. So
bildet die Frage nach der theologischen Eigenart der Gemeinde
nur die Grundlage für das eigentliche Anliegen des Verfs. Im
einzelnen wären freilich eine Reihe von kritischen Bedenken geltend
zu machen. Wir heben nur einige wenige hervor. 1. Es ist
m. E. durchaus denkbar, daß Jesus gegen Ende seines Lebens an
die Bildung einer Gemeinde gedacht hat, die sein Werk bis zu
seiner Wiederkunft fortsetzt. Dann ist Mt. 16, 18 f. als ein
echtes Jesuswort zu beurteilen. 2. Daß es, wie Schw. meint, in
der Urgemeinde nicht das Zwölferkollegium der Apostel und das
Kollegium der Sieben gegeben hat, ist nicht anzunehmen. Schon
die Jerusalemer Gemeinde hatte eine festere Ordnung, als Schw.
zuzugeben geneigt ist. 3. Von der Gemeinde des Matthäus,
des Paulus oder des Johannes zu sprechen, ist zum mindesten
mißverständlich. Es handelt sich doch immer um die Gemeinde
Gottes. Ob man so weit gehen darf, aus dem Mt.-Ev.
das Bild eines bestimmten, in der jüdischen Diaspora vorfindli-
chen Gemeindetypus zu erschließen, ist problematisch. Denn das
Mt.-Ev. enthält doch nur Bruchstücke einer Gemeindeordnung,
und Mt. 18, 18 ff. dürfte nicht nur für die von Schw. postulierte
„Gemeinde des Matthäus" Gültigkeit gehabt haben. Man kann
auch nicht von der Gemeinde des Lukas sprechen. Lk. läßt sich
in seiner Darstellung doch nicht einfach von einem nur ihm

eigenen Gemeindebegriff leiten. Bei Johannen fragt Schw. selbst,
ob man aus seinem Schrifttum den Schluß ziehen darf, daß es in
den Gemeinden, die er im Auge hat, überhaupt keine „Dienste"
gegeben hat. Das ist in -1er Tat sehr unwahrscheinlich; denn
eine Gemeinde ohne feste Ordnungen ist zur Zeit der Abfassung
des Evangeliums und der Briefe undenkbar. 4. Gewiß gibt es im
Urchristentum noch kein „Kirchenrecht", aber es sind doch
schon bestimmte „Dienste" da (und hier könnte man wohl auch
den Begriff „Amt" verwenden), die eine autoritative Vollmacht
in sich schließen, ohne dabei „monarchisch" zu sein oder sein
zu wollen. Das gilt zum mindesten von Paulus, dann vor allem
von Jakobus und dem Ältestenkollegium in Jerusalem, in gewissem
Sinne auch von Timotheus, Titus und dem „Presbyter"
Johannes, die sich durch eine starke geistliche und organisatorische
Führungskraft auszeichnen. Diese Tatsachen werden von
Schw. unterschätzt.

Doch: Aufs Ganze gesehen, stellt das Buch einen wertvollen
Beitrag zur Frage nach der urchristlichen Gemeindeordnung
dar. —

Bedauerlich ist ein Druckfehler auf der äußeren Umschlagseite; statt
„Gemeindordnung" muß es natürlich „Gemeindeordnung" heißen.

Berlin Johannes-Schneider

G u i I d i n g, Aileen: The Fourth Gospcl and Jcwish Worship. A study
l*- of the relation of St. John's Gospel to the ancient Jewish lectionary
System. Oxford: At the Clarendon Press 1960. VII, 247 S. gr. 8°.
Lw. 30 s.

A. Guilding will das johanneische Problem auf eine neue
Weise lösen: von den Schriftlesungen der jüdischen Synagogenliturgie
her. Ihre Grundgedanken lassen sich auf drei Thesen
zurückführen:

1) Zu Jesu Zeit wurden die atl. Texte (Gesetz, Propheten,
Psalmen) in den Synagogen während der Sabbate und Feste dreier
Jahre verlesen.

2) Jesus selbst hielt seine Predigten (zumeist?) in den Synagogen
und knüpfte dabei an diese Lesungen an.

3) Joh bietet eine (von den Synoptikern nicht erhaltene)
Tradition solcher Synagogenpredigten Jesu in einer den Judenchristen
vertrauten und zugänglichen Form: es ist ein christlicher
Kommentar zum dreijährigen Zyklus (231). Das Besondere des
vierten Evangeliums (z.B. die wiederholte Behandlung derselben
Themen) erklärt sich aus diesem liturgischen Anliegen des Verfassers
.

Zu 1): Elbogen hat in seinem berühmten Werk über die Entwicklung
des jüdischen Gottesdienstes auch die Entwicklungsgeschichte der
atl. Lesungen untersucht; seine Belege kehren bei G. (6ff.) wieder. Aber
G. vermutet (mit S. H. Hooke: 26): An der liturgischen Lesung interessierte
Priester hätten um 400 v. Chr. (229) den Pentateuch redigiert
für eine gottesdienstliche Schriftlesung innerhalb von 3 lahren (43 f.).
Zu den so entstandenen rund 150 Leseabschnitten der Tora (den
'Sedarim', die den Sabbaten dreier Mondjahre entsprechen: 6) traten
dann passende .prophetische' Lesungen (die Haphtharoth) hinzu (20 ff.)
und irgendwann einmal auch noch solche der 150 Psalmen (3 8—43).
Die meisten — späten — Quellen führen auf den 1. Nisan als Einsatzpunkt
dieser dreijährigen Lesung (42); einige andere aber weisen auf
einen Anfang am 1. Tischri, also ein halbes lahr später (16—20; 212
— 218). G. braucht beide Zyklen (z.B. 173—175; 213—216): nur so
kann sie ihre .liturgische' Erklärung des loh durchführen. Sie nimmt an:
beide Zyklen bestanden zu Jesu Zeit nebeneinander, wenn auch in verschiedenen
Gemeinden.

Direkt belegen läßt 6ich von alledem nur wenig. Denn das Wort
ävayivwaxovxas im Vorwort zu Jesus Sirach (worauf sich G. 6 als Zeugnis
des 2. Jhdts. beruft) ist mehrdeutig, und Philo De somniis II § 127
spricht nur allgemein von der Verlesung der hl. Bücher und der Auslegung
schwieriger Stellen, und Josephus läßt zwar Contra Apion. II
§ 175 schon Mose die wöchentlichen Versammlungen zum Hören des
Gesetzes gebieten — aber das betrifft nur die Tora. Apg. 13,15 spricht
wenigstens vom Verlesen von Gesetz und Propheten. Was sich aus
Mischna und Tosefta sowie dem babylonischen und palästinensischen
Talmud ergibt, ist nur mit großer Vorsicht zu verwerten, denn es handelt
sich meist um späte und schwer prüfbare Nachrichten. Sicherlich bestand
einmal in Palästina ein dreijähriger Turnus von Toralesungen; er
wich dann dem einjährigen Zyklus der babylonischen Juden und wurde
fast ganz vergessen. Aber die Entwicklung dieser Lesungen war uneinheitlich
: die Erklärung mit zwei Zyklen verschiedenen Beginns
reicht nicht für alles aus. Daß man schon seit der Endredaktion des