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Ausgabe:

1961 Nr. 9

Spalte:

655-656

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kirfel, W.

Titel/Untertitel:

Symbolik des Hinduismus und des Jinismus 1961

Rezensent:

Losch, Hans

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Seite 1

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655

Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 9

656

RELIGIONSWISSENSCHAFT

K i r f e 1, W„ Prof.: Symbolik des Hinduismus und des Jinismus. 167 S.
— Symbolik des Buddhismus. 128 S. Stuttgart: Hierscmann 1959. gr. 8°
= Symbolik der Religionen, hrsg. von Ferd. Herrmann, IV u. V.
DM 30— u. DM 24.—.

Zum ersten Mal wird in den vorliegenden Bänden versucht,
der Symbolik nachvedischer indischer Religion in ihren Erscheinungsformen
systematisch unter Ausschöpfung der Quellen nachzuspüren
. Angesichts der Fülle des einschlägigen Materials kann
es sich nur um einen ersten Schritt handeln. Der Verfasser ist
durch seine über den philologischen Bereich hinausgreifende
Kenntnis religionsgeschichtlicher, ethnologischer und naturwissenschaftlicher
Phänomene für seine Aufgabe besonders legitimiert
gewesen.

Im Hinduismus treten Substrateinflüsse, die uns die Induskultur
erschlossen hat, in der Verehrung von Muttergottheiten
und im Sivaismus zutage. Gerade in letzterem haben sich offenbar
verschiedene, z. T. regionale Gottheiten vereinigt. Seine Symbolik
ist vor allem durch die Dreiäugigkeit und das Linga charakterisiert
, das bereits in der Induskultur auftaucht. Siva's
Erscheinungsformen, u. a. in drei- bzw. fünfgesichtigen Darstellungen
zusammengefaßt, wechseln zwischen freundlichen und
grausigen Aspekten, wie auch die weiblichen Ergänzungen. Die
Vorstellung Siva'6 als Mahäyogin scheint bereits in der Induskultur
Vorläufer gehabt zu haben. Wichtig ist Ks bereits vor
längerer Zeit gelungener Nachweis, daß Siva den sog. Stiergöttern
mediterraner Prägung zuzuordnen ist. Nicht geklärt, aber mit
vorsichtigen Hypothesen bedacht wird der bisexuelle Ardhanä-
risvara-Typ, der Siva mit seiner Gattin Pärvati verbunden darstellt
. Ausführlich geht K. auf den im Sivaismus auftretenden
Schädelkult ein, sowie auf die wohl uralte Benutzung der
Rudräksa-Kerne (Rosenkranz). Als Söhne sind Siva zugeordnet
der sechsgesichtige Kriegsgott Kärttikeya und der interessante
Fruchtbarkeitsgott Ganesa. Es kann keinem Zweifel unterliegen,
daß sich im Sivaismus westliche und östliche Einwirkungen zusammengefunden
haben, wie K. S. 33 zusammenfassend feststellt
.

Die beiden anderen Hauptgötter des hinduistischen Pantheons
zeigen eine größere Einheitlichkeit. Brahman, der Schöpfer-
gott, tritt ganz in den Hintergrund gegenüber Visnu, in dem
vielschichtige Vorstellungen und Mythen sich in den Avatära's
spiegeln, die durch entsprechende Symbole differenziert sind.
Unter den weiblichen Gottheiten, die den einzelnen Göttergestalten
zur Seite gestellt werden, tritt vor allem die Vielfalt
der freundlich-grausigen Aspekte der Gemahlin Siva's in den
Vordergrund, ferner die bereits für die alte Zeit bezeugten
Dorfgottheiten, die Krankheitsgottheiten u. ä., die vor allem in
Südindien anzutreffen sind, endlich noch die sieben bzw. acht
Mütter, die auch als Personifikationen menschlicher Eigenschaften
erscheinen.

Einen gewissen Raum nehmen die Funktionsgottheiten ein,
von denen Nairrta (Nirrti) bislang in seinem Wesen noch nicht
durchschaubar ist. Hier wäre zu ergänzen, daß Nairrta auch einen
Menschen als Reittier hat und als „Herr des Raksas" gilt
(Matsyapuräna 261, 15 & Silparatna II. 25,28). Hierhin gehören
auch die Planeten- und Sterngötter. Allen zur Seite stehen wohl
differenzierte niedere Götter und Geister, die z. T. im Abendland
Parallelen haben. Eine Besonderheit der indischen Vorstellungswelt
ist die Steinsymbolik, derzufolge besondere Steine
stellvertretend für bestimmte Gottheiten verehrt werden können
, über deren Gestalt, Farbe und Symbolkraft K. ausführlich
berichtet. Auch bestimmte Pflanzen ßind seit alter Zeit bestimmten
Gottheiten zugeordnet, und ebenso sind verschiedene Tiere
symbolisch mit verschiedenen Gottheiten verknüpft. Eine Eigenart
hinduistischen Kultes sind die symbolischen Zeichnungen der
Yantra's und Mandala's, die auch die architektonische Gestaltung
von Tempeln bestimmt haben, ferner vor allem die unzähligen

Handstellungen (Mudra's), über die bisher noch eine eingehende
Monographie fehlt. Schließlich geht K. auf die Zahlen- und
Farben-Symbolik ein, in der die Zwischenstellung zwischen westlichen
und östlichen Kultureinflüssen sichtbar wird. Abschließend
weist K. auf die Symbolik des Kultes hin, in dem 6ich anstelle
des blutigen Opfers die Püjä durchgesetzt hat.

In den folgenden Abschnitten über die Symbolik des Jinismus
und im Sonderband über die Symbolik des Buddhismus sah
sich K. geschlossenen Religionssystemen gegenüber, die ihn in
die Lage versetzten, den Stoff im ganzen nach gleichen Gesichtspunkten
zu ordnen. Nach der Lebensgeschichte der Stifter, in die
die Tradition bereits mannigfache Symbole eingeordnet hat,
gibt K. einen Abriß des jeweiligen Weltbildes, das vor allem im
Jinismus durch seine „phantastische Großartigkeit" (p. 126) in
Erstaunen verstzt. Beide Religionen haben sich besondere Vorstellungen
vom Ablauf der Welthistorie erarbeitet, die im Jinismus
eine besonders systematische Ausgestaltung mit den gleichlangen
steigenden und fallenden Weltperioden und den besonderen
63 Persönlichkeiten erhalten hat, aus denen die 24
Tirthamkara's und 12 Cakravartin's hervorragen. Demgegenüber
zeichnet sich der Buddhismus, der für die Weltperiode zunächst 7,
später 24 Buddha's der Vergangenheit kennt, denen sich als
25. Buddha der Zukunft Maitreya zur Seite stellt, durch besondere
Einfachheit aus. Dem Abschnitt über den Jinismus hat K.
ein als „Symbolische Nachlese" bezeichnetes Schlußkapitel angefügt
. Hier geht er auf die Symbolik des Stüpa, die mythologischen
Bildnisse von Suparna's, die auch im Hinduismus belegt
sind und als symbolische Darstellungen von Seelen anzusehen
sind, ein. Ferner erweist sich wieder die Fünfzahl in Verbindung
mit einer analogen Farbsymbolik als bedeutungsvoll bis in das
Lehrgebäude hinein. Abschließend weist K. auf die glückbringenden
Formeln und Zeichen der Mangala's hin, deren wichtigste
genau beschrieben werden.

Dem Buddhismus, dessen ursprüngliche Form der Mythologie
keinen Nährboden bot, ist zunächst auch eine Darstellung
seines Stifters fremd. An seine Stelle sind Symbole gesetzt, wie
der Elefant der Legende, oder für die Dreiheit von Buddha, Lehre
und Gemeinde das Triratna. Zur Persönlichkeit des Buddha gehört
eine besondere Reihe von „Körpermerkmalen eines großen
Mannes", die sich ebenfalls bei dem Jina wiederfindet. Zum
Symbol für die buddhistische Lehre entwickelt sich das Rad
(Cakra), dem die 12 Nidäna's zugeordnet sind. In die Fläche zwischen
Radkranz und Nabe sind ursprünglich 5 den 5 Reichen der
Lebewesen entsprechende Felder eingeordnet, denen später als
6. Feld die Asura's hinzugefügt werden. Wie K. feststellt, liegt
hier das „Rad der Existenz" (Bhavacakra) zugrunde, das im Westen
wie im Osten Parallelen hat.

Im Gegensatz zum Hinayäna hat der Mahäyäna-Buddhis-
mus vor allem in der tantristischen Vajrayäna-Schule eine reiche
Symbolik entwickelt. Auffallend ist wiederum das Auftreten der
Fünfzahl bei den 5 Dhyäni-Buddha's. Diese, sowie die Bodhi-
sattva's und Gottheiten gelten zumeist als Emanationen der
Buddha's bzw. Bodhisattva's. Bei ihnen fällt die Beziehung zur
sivaitischen Symbolik ins Auge. K. stützt seine Beschreibung der
einzelnen Gestalten auf die tantristische Sädhanamälä, in der
Anweisungen für die Gewinnung übermenschlicher Fähigkeiten
gegeben werden, die aber zugleich genaue Vorstellungen enthält,
wie sich der Verehrende die von ihm verehrte Gottheit vorzustellen
hat. Abschließend weist K. darauf hin, daß sich gewiß
unter den vielen Gestalten eine Reihe befinden, die früher von
nördlichen Primitivstämmen verehrt worden und uns nur durch
den Tantrismus greifbar geblieben sind.

Die Darstellung der beiden Bände ist ausgezeichnet dokumentiert
. K. vermeidet Spekulationen, zu denen gerade eine
Symbolik verführen könnte. Dem weiter Forschenden dient ein
gutes Literaturverzeichnis. Ein Index schließt das Gebotene erleichternd
auf. K. hat mit diesen Bänden einen entscheidenden
Anfang gemacht, der allen folgenden Untersuchungen als Ausgangspunkt
dienen wird.

Bonn Hans Losch