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Ausgabe: | 1961 Nr. 9 |
Spalte: | 649-654 |
Autor/Hrsg.: | Hunger, Heinz |
Titel/Untertitel: | Die neue englische Bibelübersetzung 1961 |
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Theologische Literaturzeitung 1961 Nr. 9
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Die zweite Gegenfrage bezieht sich auf eine Wendung unseres
offenen Briefes, in der wir sagten, daß auch „wir nicht in
Abrede stellen, daß ... die historische Rückfrage nach den
ipsissima acta et verba Jesu auf seinem irdischen Wege sinnvoll
und notwendig bleibt" — obwohl wir nicht glauben, daß auf diesem
Wege more historico der „Kanon im Kanon" ermittelt
werden kann. St. fragt zurück, worin wir unsererseits den Sinn
und die Notwendigkeit der Jesusforschung sehen.
Diese Frage ist sehr berechtigt und nicht so leicht zu beantworten
wie die vorige. Ich würde folgendes sagen: Die historische
Rückfrage nach Jesus ist sinnvoll und notwendig, weil sich
das Evangelium nicht auf eine Christus i d e e, sondern auf den
wirklichen Menschen Jesus und seine Geschichte begründet. Und
weil dieser in der Tat d i e Autorität ist, auf die alles ankommt.
Aber daß er dies ist, ist andererseits bereits die Grundaussage
des apostolischen Glaubenszeugnisses von Jesus als dem Christus,
eine Aussage, die als solche nicht durch historische Jesusforschung
begründet, sondern nur glaubend diesem Glaubenszeugnis abgenommen
werden kann. Die historische Rückfrage nach Jesus
kann und muß fragen, ob und wie das Bild der Verkündigung
und des Verhaltens Jesu, das s"ie mit ihren Mitteln feststellen
kann, mit diesem Glaubenszeugnis in einem verstehbaren Zusammenhang
steht. Müßte sie diesen Zusammenhang in wesentlichen
Punkten mit unwiderlegbarer Begründung in Abrede stellen
, so wäre dies das Ende des Glaubens an Christus und nicht
die Begründung eines anders gearteten Glaubens an ihn. Denn
die objektive historische Feststellung des Bildes eines Menschen
als solche kann keinen Glauben begründen. Hat das Interesse
solcher Forschung an Jesus, „wie er wirklich war", einen theologischen
Hintergrund über die bloße (als solche durchaus
unverächtliche) historische Neugier hinaus, dann kommt diese
Forschung bereits von dem nt.lichen Glaubenszeugnis her: Sie
fragt, weil sie weiß, auf Jesus kommt alles an — und sie weiß
dies, weil der Fragende selbst 6chon jenem Zeugnis geglaubt hat. i
Dann kann sie zwar fragen, wie sich das, was der Fragende mit
historischen Mitteln zu sehen bekommt, zu diesem Glauben verhält
; ob etwa der Anspruch, den Jesus erhob, mit diesem Glauben
in einem verstehbaren Zusammenhang steht. Sie kann aber
mit diesen Mitteln schon nicht beweisen, daß wirklich die Antwort
des Glaubens und nicht vielmehr die Antwort, die das
jüdische Synedrion auf jenen Anspruch gegeben hat, im Recht
ist. Noch viel weniger kann sie einen Glauben an Jesus abseits
aller Tradition des Glaubenszeugnisses ab ovo und mit rein
historischen Mitteln neu begründen wollen.
Dritte Gegenfrage: „Was darf man der kirchlichen und unkirchlichen
Öffentlichkeit 6agen? Und was darf man ihr nicht
sagen?" (102) Nun, wir hatten im offenen Brief nicht gesagt, daß
irgendeine Wahrheit verschwiegen werden muß. Wir hatten gefragt
, ob gewisse Wahrheiten über Jesus, die St. zu sehen glaubt,
so wie er sie sieht, wirklich richtig gesehen sind. Die Antwort
auf seine Frage ist leicht: Man darf und soll alles aussprechen,
von dessen Wahrheit man aufrichtig überzeugt ist. St. hat das
getan, das ist sein Recht und seine Pflicht. Tut man es, so begibt
man sich in das Feld möglicher kritischer Gegenfragen. Wir
haben diese Fragen gestellt, das ist unser Recht und unsere
Pflicht. Hier wollen und werden wir uns gegenseitig nichts vorwerfen
.
Vierte Gegenfrage — sie bezieht sich offenbar auf einige
Stellen des offenen Briefes, an denen wir Bedenken äußerten
wegen des falschen Bildes, das manche Äußerungen St.s, z. B.
über die paulinische Gehorsamsethik oder darüber, wie Jesus über
Sünde, Buße und Gnade denkt, in Kreisen erwecken können, die
theologisch urteilslos und im NT unbewandert sind. Die Gegenfrage
lautet: Ist es nicht erlaubt und geboten, in der Kirche
theologische Selbstkritik zu üben „ganz unbekümmert darum,
wie man .draußen' über uns denkt und spricht?" (104). Ich kann
nur antworten, daß ich theologische und kirchliche Selbstkritik
für sehr notwendig halte. Unsere Bedenken gingen nicht gegen
die formale Tatsache, daß St. solche Kritik an seinem Teil übte,
auch nicht dagegen, daß die Öffentlichkeit davon erfährt. Sie
richteten sich dagegen, daß die6e Kritik u. E. in wesentlichen
Punkten inhaltlich in falscher Richtung geht. Wir konnten uns
bis jetzt nicht davon überzeugen, daß es der wirkliche, recht verstandene
Jesus ist, der in diese Richtung wei6t.
Die fünfte Gegenfrage geht vom 2. Gebot aus: Du sollst dir
kein Bildnis machen... „Gott hat dem Status dieses Gebotes
dadurch ein Ende gemacht, daß er selber sein Ebenbild aufgerichtet
hat in der geschichtlichen Gestalt Jesu von Nazareth..."
(105). Wäre es nicht an der Zeit, dieses einzig authentische Bild
— mit den Mitteln kritischer Rekonstruktion seiner wirklichen
geschichtlichen Gestalt — für sich selbst sprechen zu lassen, anstatt
uns an die Christusbilder zu binden, die die christliche
Theologiegeschichte, angefangen mit Petrus, Paulus und Jakobus,
hervorbrachte? Dazu kann ich nur wiederholen, was zur zweiten
Gegenfrage zu sagen war: Der Glaube, daß Jesus von Nazareth
das authentische Bild, die Selbstoffenbarung Gottes ist, ist bereits
Glaube in der Nachfolge des apostolischen Zeugnisses von
ihm als dem Christus. Ihn unter methodischer Ausklammerung
dieses grundlegenden Glaubenszeugnisses als einen bestimmten
Menschen der Vergangenheit zu sehen ist bis zu einem gewissen
Grade möglich. Ihn unter dieser Ausklammerung als das authentische
Bild Gottes sehen zu wollen, scheint mir eine Überforderung
dessen, was die kritische Rekonstruktion des Historikers
leisten kann.
Wir sehen mit Erwartung St.s künftigen Veröffentlichungen
zur Jesusfrage entgegen. Sicher darf man hoffen, daß sie zu vielen
Fragen, die in dieser Replik leider als unbeantwortet bezeichnet
werden mußten, noch größere Klarheit bringen werden. Der
Dogmatiker, dem an der Verbindung seiner Arbeit mit der nt.lichen
Forschung alles gelegen sein muß, darf zugleich die Hoffnung
aussprechen, daß auch die engeren Fachkollegen St.s, die zu
einer kritischen Würdigung der Ergebnisse historischer Jesusforschung
ja weitaus berufener sind als der Dogmatiker selbst,
ihr Wort zu den Fragen sprechen werden, die uns hier bewegen.
Daß St. selbst unsere Fragen in der hier besprochenen Schrift so
freundlich und ausführlich aufgenommen hat, sei ihm nochmals
ausdrücklich gedankt.
Die neue englische
Von Heinz Hunj
Am 15. März 1961 fand in der (anglikanischen) Westminster
Abtei in London ein feierlicher Gottesdienst statt. An ihm
nahmen, ziemlich ungewöhnlich, Vertreter aller größeren nichtrömischen
Kirchenleitungen teil: außer den beiden „Staats-
kirchen" von England und Schottland die Baptisten, Kongrega-
tionalisten, Methodisten, Presbyterianer. Ja, sogar über den
ökumenischen Zusammenschluß noch hinausgehend: die Society
of Friends, die Quäker, waren vertreten. Hinzu kamen noch die
nationalen Kirchenräte von Wales und Irland sowie Vertreter
der beiden führenden Bibelgesellschaften.
Sie alle wollten ihre Dankbarkeit bezeugen, was ihnen trotz
ihrer Unterschiede und — wie könnte man es verheimlichen! —
ihres Gegensatzes seit 350 Jahren bis heute gemeinsam geblieben
ist: Gottes Wort in Englisch.
Bibelübersetzung
e r, Münster/W.
Im gleichen Gottesdienst wurde außerdem, vielleicht noch
folgenreicher, der I. Teil, das Neue Testament, der Neuen Englischen
Bibel der kirchlichen und weltlichen Öffentlichkeit übergeben1
. Die Predigt hielt der bekannte Oxforder Neutestament-
ler, Prof. C. H. Dodd, Kongregationalist und Generalbeauftragter
für die länger als 10 Jahre währende Gemeinschaftsarbeit
von einigen 40 Theologen.
Um das Werk recht würdigen zu können, ist es für einen nichtbritischen
Leser unumgänglich, sich einige Tatsachen aus der englischen
') The New English Bible. New Testament. London:
Oxford University Press: Cambridge Univereity Press 1961. Library
Edition. XIV, 447 S. gr. 8°. Lw. 21 s. Populär Edition. XII, 432 S. 8°.
Lw. 8 s. 6 d.